Chemie ist schlecht für die Umwelt! So die Standardaussage. Tatsächlich ist die Chemie aber nicht immer so „böse“, sondern immer öfter unheimlich nützlich, wenn es darum geht, die Umwelt zu schonen. Was ihr tun könnt, damit sie möglichst wenig gefährlich und möglichst oft nützlich ist, erfahrt ihr hier!

Rundgang im Gewächshaus - Woher unser Gemüse kommt

Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung von Gutknecht Gemüse entstanden, die mir im Rahmen einer Betriebsführung für Blogger einen Einblick in ihre Gewächshausproduktion gewährt haben. Ich bedanke mich herzlich bei beim Unternehmen für die Einladung und bei Moana Werschler für die Organisation. Es besteht kein Interessenkonflikt hinsichtlich des Inhalts in diesem Beitrag und dessen Publikation.

Chemie im Alltag? Die ist auch in der Gemüseabteilung im Supermarkt immer wieder ein Thema. Zumindest lässt mich, was so durch die Sozialen Medien geistert, annehmen, dass ich nicht die einzige bin, die beim Einkauf darüber nachdenkt, welche ebenso beunruhigenden wie unsichtbaren Substanzen an unseren Gemüsen haften mögen: Rückstände von Pestiziden und die noch weniger greifbaren Folgen „nicht-natürlichen“ Anbaus.

Aber ganz ehrlich: Bis vor wenigen Wochen hatte ich absolut gar keine Ahnung davon, wie unser Gemüse heutzutage angebaut wird. Wie die meisten von euch vermutlich auch. Ist das eine Grundlage für eine fundierte Einschätzung der Lage im Gemüseregal? Fehlanzeige! Selbst für mich als Chemikerin.

Wie baut man heute Gemüse an?

Richtig bewusst wurde mir das allerdings erst, als ich jemanden traf, der es besser wusste – und mir und anderen Bloggern die Möglichkeit eröffnete, der Sache auf den Grund zu gehen: Ich danke Moana Werschler von „Miss Broccoli“ herzlich für die Organisation des spannenden Ausflugs in die Welt des modernen Indoor-Gemüseanbaus bei Familie Gutknecht in Kerzers! Dort habe ich nämlich aus nächster Nähe anschauen – und probieren! – dürfen, wie zeitgemässer Gemüseanbau in der Schweiz funktioniert.

Und das habe ich natürlich für euch getan, damit ich euch einen wirklich spannenden Einblick „aus erster Hand“ in die Herkunft unserer liebsten Grundlage gesunder Ernährung geben kann. Und die mutet geradezu futuristisch an: Bei Gutknecht wird nämlich „Hors Sol“ praktiziert – eine Anbaumethode, die dem Augenschein nach auch auf dem Mars funktionieren könnte.

Was wächst bei Gutknecht?

An einem heissen Juni-Tag führte mich mein Weg aus dem kleinen Dorf Kerzers (das unter Naturliebhabern und -forschern für sein Schmetterlingshaus „Papiliorama“ bekannt ist) hinaus aufs flache Feld und durch ein Industriegebiet voller grosser Logistik-Niederlassungen. Dahinter wartete natürlich kein romantischer Familien-Ferien-Bauernhof. Der hätte auch kaum die Möglichkeit gehabt, das ganze Gebiet um den „Röstigraben“ zwischen Deutsch- und Westschweiz mit frischem Gemüse zu versorgen.

Der Gutknecht-Gemüsehof hingegen kann das: Auf einer Gewächshaus-Fläche von 9 Fussballfeldern (das sind 6 bis 7 Hektar) werden das ganze Jahr über zahlreiche Gemüsesorten angebaut, die wir in den Auslagen von Migros, Coop, Spar, Lidl, Denner….eigentlich allen Supermärkten in der Region finden können. Dazu kommen 100 Hektar Anbaufläche an der frischen Luft für Obst und Gemüsesorten, die im Gewächshaus nicht gedeihen. Aber die waren für uns heute nicht von Interesse.

Uns und Pascal Gutknecht – einem der Hofbesitzer, der uns persönlich herumgeführt hat – ging es heute um die Gewächshäuser und das, was darin wächst: 29 (!) verschiedene Sorten Tomaten, dazu Auberginen, Zucchetti (in Deutschland sagt man Zucchini), Gurken, Peperoni (für Nicht-Schweizer: gemeint sind Paprika – die kleineren Scharfen, hierzulande Peperoncini genannt, gibt es bei Gutknechts allerdings auch), verschiedene Sorten frischer Kräuter und wer weiss, was wir noch alles nicht gesehen haben.

Unser Rundgang durch den Anbaubereich beginnt im Versuchsgewächshaus, in welchem in kleinerem Massstab mit Verbesserungen der Anbaumethode und neuen Sorten experimentiert wird. Das muss Pascal Gutknecht uns allerdings erst erklären – denn wir finden uns auf den ersten Blick in einer mächtigen gläsernen Halle mit Reihen um Reihen grüner Pflanzen mit Rispen voller kleiner Tomaten wieder. Die richtig grossen Gewächshäuser haben wir ja noch gar nicht gesehen.

Datteltomaten im Versuchs-Gewächshaus

Und hätte Moana uns nicht so gründlich vorinformiert, hätte der Anblick dieser Reihen vielleicht befremdlich gewirkt. Seit wann sind Tomaten lianenähnliche Schlingpflanzen? Und seit wann wachsen die auf frei hängenden Schwebebalken? Aber Moana hatte mich ja vorgewarnt: Die Gutknechts haben sich dem Hors Sol, einer etwas anderen, aber zukunftsweisenden Anbaumethode verschrieben.

 

Was ist Hors-Sol?

„Hors Sol“ ist französisch für „ausserhalb des Erdbodens“ – und genau darum geht es auch. Der Erdboden unter dem Gewächshaus wird nicht bepflanzt, sondern mit Platten oder Planen abgedeckt. Stattdessen werden Reihe um Reihe der schon erwähnten „Schwebebalken“ an Ketten unter dem Gewächshausdach aufgehängt, sodass sie etwa 30 bis 40cm über dem Boden schweben.

Die Balken werden dann mit prallvollen Kunststoffsäcken bestückt, die an Gartenerde-Säcke aus dem Baumarkt erinnern. Statt Gartenerde enthalten sie jedoch Kokosfasern, die beim Anbau von Kokospalmen (zum Beispiel für das zunehmend populäre Kokosfett) abfallen. In diesen Kokosfaserballen wurzeln die Tomaten (oder andere Pflanzen), während sie dem durch das Glasdach fallenden Licht entgegen wachsen.

Wurzelballen in einer Hors Sol - Kultur

Was sind das für seltsame Lianen-Tomaten?

Und das tun sie mit grösstem Eifer: Alle Windungen zusammengenommen sind die Tomatenpflanzen im Versuchgewächshaus gut und gerne sechs bis sieben Meter lang! Dabei werden sie sorgfältig drapiert und ihre Spitzen an Führungsketten aufgehängt. Zudem herrscht akribische Ordnung: An der Spitze blüht alles, in der Mitte hängen schwer die reifenden Früchte und der untere Teil der Haupttriebe ist vollkommen kahl (Diese Ordnung ist naturgegeben – ihr könnt sie auch an den Tomatenpflanzen in eurem Garten beobachten – wenn ihr im untersten Bereich eurer Pflanzen kräftig „ausgeizt“ und alle Blätter wegschneidet).

Dabei ist diese Pflanzung erst in der Mitte ihres Lebens angelangt: Die Tomaten wurden im Januar, also vor einem halben Jahr gesetzt und können bis zu ihrem Lebensende im Dezember eine Länge von 13 Metern erreichen! Das könnten eure Tomaten im Garten übrigens auch, wenn sie so viel Zeit und Platz zum Wachsen hätten.

In diesem Gewächshaus ist Wechselzeit: Die Kokosfaser-Säcke - Basis für die Hors Sol Kultur - warten auf neue Pflanzen

In diesem Produktions-Gewächshaus ist Wechselzeit: Die grossen Kokosfasersäcke bleiben dabei stets am Ort. Im Hintergrund wurden bereits junge Gurkenpflanzen gesetzt, die im Vordergrund folgen in den nächsten beiden Wochen.

 

Giesswasser und Dünger per Infusion

In jedem Wurzelballen steckt mindestens eine mit einem dünnen Schlauch versehene Sonde, sodass das Ganze untenherum ziemlich verkabelt wirkt. Durch die Schläuche können Giesswasser und darin gelöste Nährstoffe direkt in jeden Wurzelballen gepumpt werden. So erhält jede Pflanze „per Infusion“ genau das, was sie gerade braucht.

So brauchen zum Beispiel die mächtigen „Coeur de Boeuf“-Tomaten eine Extraportion Calcium, um nicht an Wurzelfäule zu erkranken, während die kleineren Sorten sehr gut mit geringeren Mengen auskommen. Deshalb gibt es die Extraladung Calcium nur dort ins Giesswasser, wo sie benötigt wird.

Und wenn doch mal etwas überläuft, wird es gleich zur Wiederverwendung in den Giesswasser-Vorrat zurückgeführt.

 

Wie werden die Pflanzen im Gewächshaus befruchtet?

Damit haben die Pflanzen alles, was sie zum Wachsen brauchen: Licht, Wärme, Wasser, einen Untergrund zum Wurzeln, Nährstoffe… Aber ihr denkt jetzt womöglich: „Und wie soll das unter Glas mit den Bienli und den Blüemli funktionieren?“ Richtig: Im Gewächshaus können die Pflanzen blühen – aber ohne Bestäubung werden aus den Blüten keine Früchte. Deshalb haben die Gutknechts ganz besondere Hilfsarbeiter eingestellt:

Pascal holt zwischen den Tomatenreihen einen handlichen Pappkarton mit einem feinmaschigen Gitter vor der oberen Öffnung hervor. Als er den kräftig anstösst, ertönt daraus ein ungehaltenes Summen. In dem Karton hat ein Hummelvolk sein Nest! Damit wir und die Kinder das Ganze in Ruhe betrachten können, hat Pascal das Einflugloch für den Moment verschlossen. Aber wie auf Bestellung nähert sich sogleich eine frei fliegende Hummel, die den Eingang sucht – nun aber für den Moment warten muss.

Hummelnest im Pappkarton zum Einsatz im Hors Sol Gewächshaus

Ein Hummelnest im Pappkarton: Durch das Gitter ist die Luftzufuhr garantiert. Die violette Scheibe ist drehbar und verschliesst in dieser Position das Einflugloch.

 

Im ganzen Gewächshausbetrieb gibt es 140 solcher Hummelnester und jedes davon wird von rund 250 Hummeln bewohnt. Das macht nach Adam Riese 35’000 Hummeln, deren Job es ist, auf Nektarsuche von Gemüseblüte zu Gemüseblüte zu fliegen und dabei Pollen von der einen zum Stempel der nächsten Blüte zu tragen.

Dabei sind Hummeln übrigens genügsamer als Bienen: Sie fliegen auch bei deutlich weniger Licht und Wärme (in Mutters Garten konnte ich das Mitte Juli selbst beobachten: Gegen 20:30 waren immer noch Hummeln am Sommerflieder zugange, während die Bienen schon längst verschwunden waren). Dazu kommt, dass Hummeln wesentlich friedfertiger als ihre kleineren Verwandten sind, sodass die 80 menschlichen Mitarbeiter bei Gutknecht Gemüse um vieles seltener von ihnen behelligt oder gar gestochen werden.

 

Hat die Hors-Sol-Methode Einfluss auf die Qualität des Gemüses?

Während wir die futuristisch anmutenden Pflanzungen näher in Augenschein nehmen, greift Pascal Gutknecht tief ins Grün und pflückt eine Rispe mit reifen Tomaten. Die verteilt er sogleich an uns und die Kinder – und sobald wir probieren, sind wir uns einig: Die sind megafein! Richtig süss und tomatig…

Hors Sol kommt ohne Pestizide aus!

Aber halt! Wir essen Tomaten aus solch einer Umgebung direkt vom Strauch? Denkt denn hier niemand über Pflanzenschutzmittel nach? Keine Sorge, sagt Pascal, in den Gutknecht-Gewächshäusern kommen überhaupt keine Pestizide zum Einsatz. Das wäre allein schon der Hummelvölker wegen schwierig. Das einzige, was an diesen Tomaten dran sein könnte, ist also allenfalls, was die Mitarbeiter an den Händen haben. Davon ausgehend, dass Pascal seine gewaschen hat, können wir die Kinder also bedenkenlos das Gemüse vertilgen lassen.

Und wie sie das tun! Neben Tomaten gibt es hier die als Naschwerk gezüchteten, besonders süssen Spitzpeperoni – auch unheimlich lecker.

Zweifarbige Spitzpeperoni (Spitzpaprika)

Zweifarbige Spitzpeperoni (Spitzpaprika): Absolut unbedenklich direkt ab Strauch und heiss begehrt bei den Kindern

 

Da kommt Pascal gar nicht so schnell mit dem Aufschneiden hinterher, wie die Kleinen ihm die Leckereien aus den Händen schnappen (heisst es nicht oft, dass Kinder kein Gemüse mögen würden? Hier wurde uns eindrücklich das Gegenteil bewiesen!). Selbst eine äusserlich eigenwillige Sorte im reifen Zustand grüner Zebratomaten mindert die Begeisterung nicht, sodass das Ganze schnell buchstäblich einer Raubtierfütterung gleicht.

Reife Zebratomaten in Rot und Grün

Eine besondere Rarität: Zebratomaten – beide Früchte in Pascals Händen sind reif!

 

Wie wird dann gegen Schädlinge vorgegangen?

Schon bald ist uns eine Merkwürdigkeit in der Tomatenpflanzung aufgefallen: Am Anfang jeder vielleicht fünften Pflanzreihe wächst am äussersten Ende des Schwebebalkens eine einzelne Auberginen-Pflanze. Das ist auch in den richtig grossen Tomatenhäusern so, sodass das nichts mit der Versuchsanlage zu tun haben kann. Jedenfalls nicht direkt.

Indikator-Aubergine

Diese Aubergine steht vor den Tomaten, um Schädlingsbefall frühzeitig sichtbar zu machen.

 

Stattdessen dient die Aubergine als Indikator für Schädlingsbefall. Sie hat nämlich unter allen Gemüsepflanzen im Gewächshaus die weichsten, empfindlichsten Blätter. Wenn Schädlinge ins Gewächshaus einfallen, lassen sie sich daher zu allererst auf der Aubergine nieder, wo sie von den Mitarbeitern schnell gesehen werden. Und dann wird in die biologische Trickkiste gegriffen:

Es werden Eier und Larven von nützlichen Krabbeltieren – natürlichen Feinden der Schädlinge, die in kleinen Briefchen beim Züchter eingekauft und wie Saatgut gelagert werden können, im Gewächshaus ausgesetzt.

Eine Ladung Nützlinge zur Schädlingsbekämpfung

Eine Ladung biologisches Schädlingsbekämpfungsmittel: Die winzigen aber nützlichen Bewohner des holzwolleähnlichen Substrats aus einem frisch geöffneten Briefchen machen sich eiligst davon (rote Kringel).

 

Schmeckt Hors Sol-Gemüse fad oder ist es weniger nahrhaft?

Was Pascal Gutknecht uns nun erklärt, könnt ihr auch hier in Keinsteins Kiste nachlesen (und erfahren, wie ihr Tomaten nachreifen lassen könnt): Der angenehme Geschmack reifer Tomaten oder anderer Gemüse kommt nicht aus dem „richtigen“ Boden. Dafür ist einzig und allein Wärme verantwortlich. Und die gibt es hier im Gewächshaus reichlich (wir schwitzen schon ordentlich und mein Kamera-Handy läuft immer wieder heiss).

Dass die Tomaten im Supermarkt trotzdem oft kaum Geschmack haben, rührt daher, dass die Früchte auf ihrem Weg bis in die Supermarkt-Auslagen bzw. auf unseren Esstisch nicht warm bleiben. Damit sie schön prall und fest bei uns ankommen, werden sie nämlich beim Transport in die Märkte oft gekühlt – und wenn nicht dort, dann legen wir sie zu Hause nur all zu gerne in den Kühlschrank.

Das Problem dabei: Die Kälte führt zum Abbau von Aromastoffen, die von der Pflanze als Lockmittel für hungrige Pflanzenfresser geschaffen werden, welche die Samen verbreiten können. Und bei kalter Witterung macht die Verbreitung von Samen keinen Sinn (es würde schwerlich etwas daraus wachsen).

Da die Hors-Sol-Pflanzen über ihre „Infusion“ alles erhalten, was sie zum Aufbau von Nähr- und Aromastoffen brauchen, fehlt ihnen aufgrund der Anbauweise nichts, um sowohl schmackhaft als auch gesund zu sein.

Frische Kräuter aus Hors Sol - Kultur

Pascal erklärts: Auch die frischen Kräuter erhalten hier alles, was sie brauchen, um würzig zu sein.

 

Wie ihr zu Hause an schmackhafte Tomaten kommt

Wenn ihr euch geschmackvolle Tomaten wünscht, kauft sie nach Möglichkeit ungekühlt, bringt sie in der kalten Jahreszeit raumwarm heim und legt sie dort nicht in den Kühlschrank! Lagert sie stattdessen bei Raumtemperatur (nicht unbedingt neben Äpfeln, es sei denn, die Tomaten wären unreif). Dann müsst ihr sie wohl schneller aufbrauchen, aber dafür schmecken sie um so mehr nach Tomate.

Und noch ein Tipp am Rande: Kleine Tomatensorten enthalten naturgemäss mehr Zucker als grosse und schmecken daher grundsätzlich süsser. Auch deswegen sind Kirschtomaten und andere „Winzlinge“ als Nascherei besonders beliebt.

 

Warum wird dieses Gemüse nicht als „bio“ verkauft?

Meine persönliche Vorstellung von bio-Anbau beläuft sich auf „frei von Pflanzenschutzmitteln ‚aus dem Labor‘ und von umweltbedenklichen Düngemitteln. Damit wäre die pestizidfreie Hors-Sol-Methode mit ihrem wohldosierten wie geschlossenen Düngemittelkreislauf in meinen Augen des bio-Labels würdig. Das würde vor allem dem zu unrecht schlechten Image dieser Anbauweise gehörigen Auftrieb verleihen.

Leider sehen die Erfinder des bio-Labels das anders. Eine ihrer Bedingungen, die irgendwann in den 1980er Jahren für die Vergabe des Labels festgelegt wurde, ist nämlich der Anbau in „richtigem Erdboden“. Und die erfüllt die Hors-Sol-Methode mit ihren Kokosfasern auf Schwebebalken nunmal nicht.

Warum Pflanzen „ohne Boden“ ganz natürlich sind

Dabei bestehen Kokosfasern und Humusboden aus der gleichen Sorte Rohstoff: Abgestorbenen Pflanzenresten. Im Humusboden sind die bloss etwas gründlicher zerkleinert und verdaut.

Freigelegter Wurzelballen in Hors Sol - Kultur

Ein freigelegter Wurzelballen in Kokosfasern: Sieht moosigem, durchwurzeltem Waldboden ziemlich ähnlich, gell?

 

Und überhaupt: An Pflanzen, die auf Überresten anderer Pflanzen wurzeln, ist überhaupt nichts unnatürliches. Haltet beim Spaziergang im Wald einfach einmal die Augen nach alten umgestürzten Baumstämmen und Wurzelstrünken auf. Die sind nämlich eine wahre Fundgrube – nicht nur für Pilze, Moose und Farne, sondern auch für viele „höhere“ Pflanzen. Im Wald der Riesen-Sequoias an der Westküste Nordamerikas gibt solches Totholz sogar die besten „Baumkindergärten“ für junge Mammutbäumchen ab!

Es wird Zeit für zeitgemässe Regeln

In einer Zeit, in welcher der Ruf nach nachhaltiger Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung ebenso immer lauter wird wie der nach Natur- und Umweltschutz, ist es dringend nötig, über 30 Jahre alte Regelungen neu zu überdenken.

Denn eine Möglichkeit, in einem kleinen Land mit extremen Jahreszeiten ganzjährig Gemüse anzubauen, ohne dabei auf chemische Pflanzenschutzmittel zurückzugreifen oder die Umwelt mit Düngemitteln zu belasten, sollte nicht das Schattendasein fristen, das ihr bislang bestimmt ist.

Die Nähe der Anbaustätten zu den jeweiligen Endkunden (also uns), die dank kurzer Transportwege schon zu einem deutlich kleineren CO2-Fussabdruck führt als Import-Gemüse ihn hat, ist zudem nur ein weiterer Punkt, der für die Nachhaltigkeit des Hors-Sol-Anbaus a la Gutknecht spricht.

 

CO2-Neutralität wird grossgeschrieben

Auch in Sachen Energieversorgung setzt man hier auf bestmögliche CO2-Neutralität. So sind alle Dächer der Anlage, die nicht aus Glas sind (das sind zum Beispiel Verarbeitungs- und Lagerbereiche, in welchen das Gemüse auf Europaletten verpackt und für den Abtransport bereitgehalten wird), mit Photovoltaik-Anlagen – also Solarzellen zur Stromerzeugung (wie die funktionieren, könnt ihr hier nachlesen) – bestückt. Diese Anlagen liefern mehr als genug Strom, um den ganzen Betrieb zu versorgen.

Für 2020 ist zudem der Bau einer eigenen Heizanlage für die kalte Jahreszeit geplant, welche mit Abfallholz befeuert werden soll. Zugegeben, das ist naturgemäss nicht ganz CO2-neutral (es sei denn, die Holzabfälle müssten so oder so zur Entsorgung verbrannt werden – dann würde die darin enthaltene Energie wenigstens sinnvoll genutzt). Allerdings ist offen, was die Gutknechts mit dem Abgas letztendlich anfangen (auch dafür gibt es nämlich Verwendungsmöglichkeiten).

Fazit

Wir haben nicht nur einen inspirierenden Vormittag in einer Welt verbracht, die uns normalerweise nicht zugänglich ist (es bei Gutknechts aber auch für euch sein kann – man kann die Führung über die Website für private Gruppen, Schul-, oder Betriebsausflüge buchen!). Wir haben auch jede Menge Spannendes gelernt – über überraschend natürlichen Gemüseanbau in futuristischer Umgebung.

Die Quintessenz dessen ist: Der Hors-Sol-Gemüseanbau hat sein verbreitet schlechtes Image nicht verdient. Denn die Gemüse aus dem Hors-Sol-Gewächshaus stehen solchen aus dem Garten an sich in nichts nach – und sind, bezogen auf die benötigten grossen Mengen, erst noch nachhaltiger produziert. So trägt das Gutknecht-Gemüse immerhin das „Suisse-Garantie“-Label, das nicht zuletzt für nachhaltige Produktion, Natürlichkeit und Frische steht.

Deshalb ist es an der Zeit, überholte Regelungen anzupassen, um diesem effizienten und umweltverträglichen Anbau ein besseres Image zu verleihen.

Und bis es soweit ist: Wenn Gemüse als „Hors Sol“ ausgezeichnet seht (das ist in der Schweiz nicht Pflicht, aber erst heute habe ich die Kennzeichnung für Fleischtomaten im COOP entdeckt (und ratet einmal, was es heute zu essen gab)), kauft sie und freut euch, ein nachhaltiges Produkt ohne Pestizid-Belastung geniessen zu können.

Ich habe genau das jedenfalls im Hofladen auf dem Gutknecht-Gelände getan und mich für ein Ratatouille mit allem Nötigen eingedeckt. Mmmmhh, lecker!

Und welches Gemüse – aus welcher Anbauform – bevorzugt ihr? Warum?

Pressetermin: Umweltschutz in der Schule - das neue Pandamobil stellt sich vor

Dieser Beitrag ist anlässlich eines Presse-Events von WWF und Migros zur Vorstellung des neuen Pandamobils entstanden, bei welchem ich dabei sein durfte. Ich bedanke mich herzlich bei beiden Unternehmen für die Einladung und den Einblick in ihre Jugend- und Umweltarbeit! Darüber hinaus habe ich keine Zuwendungen für diesen Beitrag erhalten. Es besteht kein Interessenkonflikt hinsichtlich des Inhalts in diesem Beitrag und dessen Publikation.

Liebe LeserInnen,

Ich mag es selbst kaum glauben: 3 Jahre ist Keinsteins Kiste nun alt und mittlerweile üppig gefüllt mit spannendem Wissen, Experimenten und Anregungen rund um Natur und Wissenschaft. Drei Jahre, so sagt man, kann es auch dauern, bis man als Blogger oder Unternehmer seinen wirklichen Platz gefunden, seine Ziele, für die man brennt, klar vor Augen hat.

Mein klares Ziel für Keinsteins Kiste

Ich habe von Anfang an spannendes Wissen rund um Chemie und Co weitergeben und Lust auf mehr machen, zu weiterer Beschäftigung mit den oft zu Unrecht verrufenen Naturwissenschaften anregen wollen. Dabei bin ich in den unendlichen Online-Weiten immer wieder auf die seltsamsten Ansichten und Irrlehren gestossen – und auf die Verzweiflung angesichts vergeblicher Versuche, solchen etwas entgegen zu stellen. Eine einmal festgefahrene Einstellung lässt sich erfahrungsgemäss kaum wieder umstossen.

So ist mir in den letzten Jahren immer klarer geworden, dass es nur einen wirksamen Weg gibt, die Herzen für die Naturwissenschaft zu öffnen: Nämlich möglichst früh damit anzufangen – bevor sich Vorurteile und Falschinformationen festsetzen können. Also habe ich zunehmend an Kinder gedacht, wenn ich die Inhalte für Keinsteins Kiste ausgewählt habe – ohne dabei die Grossen – Eltern, Lehrpersonen, Interessierte – ganz und gar ausser Acht lassen zu wollen. Schliesslich macht es doch am meisten Spass, gemeinsam zu forschen und zu entdecken. So ergibt sich das endlich vollkommen passende neue Motto für die Kiste wie von selbst:

Natur und Wissenschaft für die ganze Familie

Und wozu ist Wissen um Chemie, Physik, Biologie und Co, wozu sind das Forschen und Entdecken gut? Natürlich um daran Freude zu haben und die Welt zu verstehen. Das Ganze kann euch aber noch mehr nützen:

Zum Einen, damit ihr selbst euch und eure Kinder in Zukunft auch sich selbst schützen können: Vor dem teilweise gefährlichen Unsinn, der vielerorts verbreitet wird.

Zum Anderen aber auch, damit unsere Kinder, die Erwachsenen von morgen, mit dem nötigen Wissen und Fertigkeiten gross werden, um unsere Welt zu schützen. Denn: Nur was das Herz liebt und versteht, wird als schützenswert empfunden!

 

Ein Mitstreiter teilt mein Ziel

Zum Glück bin ich mit solchen – zugegebenermassen verdammt grossen – Zielen nicht alleine. Pünktlich zum dritten Blog-Geburtstag ist mir nämlich ein ganz grosser Mitstreiter mit dem gleichen Ziel begegnet, der sich rege darin betätigt, den Schweizer Kindern die Natur, Tiere und Probleme ihrer Welt näher zu bringen. Und das schon seit 40 Jahren!

So lange tourt nämlich die Umweltorganisation WWF schon mit dem Pandamobil durch die Schweiz und ermöglicht Schul- und Kindergartenkindern, in einer rollenden Wanderaustellung auf dem eigenen Schulhof „ihre“ Natur hautnah zu erleben. Dazu haben die umweltbewussten Verantwortlichen beim WWF dem Pandamobil zum 40sten ein ganz neues, nachhaltigeres Gewand gegeben, das ich bereits jetzt mit der lieben Rita Angelone vom Schweizer Familienblog „Die Angelones“ besichtigen durfte. Und zwar beim Pressetermin auf dem Schulhof des Schulhauses Hohl mitten in Zürich.

Rita Angelone und Kathi Keinstein vor dem Pandamobil

Lieben Dank auch an Rita für die Einladung zum tollen Event! Es hat mir grossen Spass gemacht!

 

Was ist das Pandamobil?

Eigentlich bringt der WWF schon seit 43 Jahren Natur- und Umweltwissen auf Rädern unter die Schweizer Bevölkerung – und zwar anfangs mit einem zum „Quizmobil“ umgerüsteten alten Saurer-Postauto, einem Omnibus Baujahr 1950, der auf Stadtplätzen vor allem den Grossen zum Mitraten beim Umwelt-Quiz offenstand. Ab 1978 rückten auf Schüler zugeschnittene, von einem Animateur begleitete Ausstellungen, die auf Schulhöfen zu bestaunen waren, an die Stelle des Quiz – das erste Pandamobil (und damit das weltweit erste rollende Umweltprojekt dieser Art!) war geboren.

Diesen Namen erhielt es allerdings erst 1995, als der lang veraltete Name „Quizmobil“ endlich abgeschafft wurde. Im Jahre 2001 ging dann schliesslich das alte Postauto „in Rente“ und die Migros, eine der grössten Supermarktketten in der Schweiz, kam als Sponsor des Pandamobils ins Boot.

Als Deutsche mutet mir besonders ein Teil der Geschichte der Migros speziell an: Da es lange Zeit nicht möglich war, alle kleinen Dörfer in der Schweiz mit Filialen auszustatten, rollten noch bis in die 1990er Jahre Autobusse voller Waren durch die Schweiz, die als „Pop-Up-Store“ auf Rädern den Schweizern eine Einkaufsmöglichkeit in ihrer Nähe boten.

Ein solcher Migros-Verkaufsbus bekam schliesslich zum Pandamobil umgerüstet ab 2001 ein zweites Leben, das bis letztes Jahr angedauert hat. Doch inzwischen passt ein solches Dieselfahrzeug, das über die Strassen schnauft, nicht mehr zum Image einer auf Nachhaltigkeit bedachten Umweltorganisation.

Deshalb hat der WWF für das neue Pandamobil 2018 eine ganz neue Transportmöglichkeit ersonnen: Die Ausstellung befindet sich in einem farbenfroh lackierten Frachtcontainer, der nur ein kurzes Stück per LKW zum nächsten Bahnhof gefahren und dort auf einen Güterzug verladen werden kann. So legt er die wirklich grossen Strecken mit der Bahn zurück – die in der Schweiz übrigens zu grossen Teilen mit Strom aus Wasserkraft betrieben wird.

Das neue Pandamobil 2018

Ab dem August 2018 führen die Animatorinnen des WWF Primarschul- und Kindergartenkinder in der Ausstellung „Wer wacht in der Nacht? Was funkelt im Dunkeln?“ in die geheimnisvolle Welt der nachtaktiven Tiere ihrer heimischen Umgebung ein. Dazu können Klassenlehrer oder Schulleitung das Pandamobil für ein Gastspiel von einem oder mehreren Tagen auf dem eigenen Schulhof anfragen. Während dieser Zeit können die Kinder den Container halbklassenweise erkunden. Und damit das nicht vollkommen unvorbereitet geschieht, hält der WWF zudem Lehrmaterial für die Einführung des Themas im Unterricht bereit.

Was gibt es im Pandamobil zu entdecken?

Das kann natürlich niemand besser herausfinden als die Kinder selbst. Deshalb durften einige Fünft- oder Sechstklässler (richtig: In der Schweiz gehen die Kinder sechs Jahre lang zur Primarschule – nicht vier Jahre wie in Deutschland!) unseres Gastgebers, der Primarschule Aussersihl, beim Pressetermin dabei sein und mit uns den Container erkunden.

Die Kinder sind neugierig auf das Innere des Containers

Neugier pur an der Pforte in die Nacht: Gleich werden sicher alle Fragen beantwortet.

 

Erkundungsgang durch die Tierwelt

Im Innern des Pandamobils werden wir sogleich in in eine typische Landschaft an einem Ortsrand irgendwo in der Schweiz versetzt. Dank raffinierter Lichtinstallationen können wir auf Knopfdruck der Animateurin per sofort verschiedene Grade der Dunkelheit erleben.

Zur Einstimmung starten wir mit den letzten Sonnenstrahlen des Abends, in welchen die Kinder aufgeregt den Waldrand und den Vorgarten erkunden. Schnell sind überall Tiere entdeckt – der Fuchsschwanz hinter der Baumwurzel, der Plüsch-Uhu in seiner Baumhöhle, aber auch Kleinere, wie das Modell der fetten Raupe am Baumstamm oder des Froschs, den ich zu meinen Füssen gar nicht bemerkt hatte. Dabei verläuft die Begegnung mit den sonst selten anzutreffenden Geschöpfen und dämmrige Ecken nicht immer ohne Scheu.

Käuzchen im Pandamobil

Nicht der Uhu, aber nahe verwandt: Der Kauz ist nur eine von vielen einheimischen Eulenarten, die Mensch in freier Wildbahn nur sehr selten zu Gesicht bekommt.

 

 

Per Knopfdruck wird der Tag zur Nacht

Dann heisst es „Licht aus“ – und schon stehen wir inmitten einer mondhellen Nacht. Schnell stellen wir fest, dass uns Menschen nun nicht nur das Erkennen von Einzelheiten, sondern auch von Farben ziemlich schwer fällt. Doch nun bringt die Animateurin die sorgfältiger verborgenen Geschöpfe der Nacht zum Vorschein – wie den Feuersalamander und das Grosse Langohr, eine Fledermausart, die auch in Hohlräumen in Gebäuden einen Schlafplatz für den Tag findet. Die anfängliche Scheu ist endgültig staunender Neugier gewichen, während wir spannende Einzelheiten zur Fledermaus-Anatomie und Lebensweise gezeigt bekommen.

Im Pandamobil hören alle gespannt zu.

Alle hören gespannt zu, als die Animatorin die Besonderheiten der Fledermaus-Anatomie beschreibt.

 

Auch der Plüsch-Uhu im Wald hat seinen besonderen Auftritt – denn dessen Kopf ist mit einem Gelenk auf dem Rumpf befestigt, sodass er – ganz wie ein richtiger Uhu – seinen Kopf um 270 Grad – das ist ein Dreiviertelkreis! – auf den Schultern herumdrehen kann. Dem entgeht damit wirklich nichts!

Hier hat der Uhu sich versteckt!

Hier hat der Uhu sich versteckt!

 

Dass anfängliche Gefühle von Scheu und Ekel inzwischen vollständig vergessen sind, zeigt sich, als unsere Animateurin den in durchsichtigen Kunststoff eingegossenen Inhalt eines „Gewölles“ – des unverdaulichen Anteils seiner Nahrung, den ein Uhu nach dem Fressen wieder auswürgt (der verschluckt seine Beute nämlich buchstäblich mit Haut und Haar – und Knochen) – herum zeigt. Das darin enthaltene winzige Mäuseskelett hat nämlich einen deutlich hörbaren „Jööh-Effekt“*.

*Für Nicht-Schweizer: Mit dem Ausruf „Jööh!“ bringt man hierzulande etwa „Oh, wie niedlich!“ zum Ausdruck.

Wenn Licht zu „Schmutz“ wird

Schliesslich erleben wir die fast vollkommene Dunkelheit einer mondlosen Nacht in der Wildnis – wie sie in unserer direkten Umgebung nur noch selten zu finden ist. Denn das Aufleuchten der Fenster im Dorf an der Containerwand macht die grösste Schwierigkeit der tierischen Nachtschwärmer in der Nachbarschaft von Menschen deutlich: Die sogenannte Lichtverschmutzung! Denn während wir uns nun wieder recht gut im Container orientieren können, werden z.B. die Motten und andere Insekten zum Licht hingezogen und von ihren lebenswichtigen Aufgaben – wie der Nahrungssuche – abgelenkt. Und diese Insekten sind für das Gleichgewicht in der Lebensgemeinschaft der Wildnis zu wichtig, als dass sie beim Umkreisen von Lampen verhungern oder an der heissen Oberfläche zugrunde gehen sollten.

Pressetermine und die Tücken der Technik

Neben all dem spannenden Wissen über die nächtliche Natur lerne ich übrigens auch noch einen weiteren Nutzen von Presseterminen kennen, der besonders im Zeitalter der modernen Informationstechnologie zum Tragen kommt: Wo erstmals viele Menschen in der Öffentlichkeit um eine technische Einrichtung zusammen kommen, finden sich heute automatisch auch viele Handys und andere Mobilfunkgeräte ein. Und die sind mit der Lautsprecher-Anlage im Container, die eigentlich dezente Nachtgeräusche produzieren sollte, auf unangenehm laute Weise ins Gehege geraten.

Gut also, dass wir alle da waren – denn so wissen die Schöpfer des Pandamobils nun bescheid und haben noch zwei Monate, um das Problem zu beheben oder ein weiträumiges Handyverbot um den Container anzuordnen. Und ich bin sicher, dass sie das ohne weiteres hinbekommen.

Attrappe zur Anschauung: Fussabdruck eines Dachses

Fussabdruck des Dachses: Fussspuren-Attrappen wie diese sind nur eines von vielen liebevollen Details und Anschauungsmaterialien, die es im Pandamobil zu finden gibt. Die lebensecht wirkende Weinbergschnecke im Hintergrund ist übrigens auch eins!

 

 

Umweltbewusstsein geht auch interdisziplinär

Nachdem wir, erfüllt von all den Eindrücken und neuem Wissen, zurück auf dem sonnigen Schulhof sind, geht es für die Kinder sogleich daran, das Gelernte zu vertiefen und fachübergreifend weiter zu verwerten – Nachhaltigkeit wird an der Primarschule Aussersihl offensichtlich ganz gross geschrieben: Die Tiere, welchen wir begegnet sind, kann man nämlich auch auf französisch benennen, sodass die Französischlehrerin die begeisterte Gruppe sogleich mit neuen Vokabeln ausstattet.

Ich klinke mich an dieser Stelle allerdings aus dem Unterricht aus – obwohl ich da auch noch eine Menge lernen könnte – denn mir gehen bereits der Blog-Geburtstag und ihr – meine Leser – durch den Kopf.

Wie kommt das Pandamobil zu euren Kindern?

Wenn ihr und eure Kinder nun Lust bekommen habt, die Natur in eurer Nachbarschaft bei Nacht zu erkunden, bietet das Pandamobil eine spannende Möglichkeit dazu, die gleich noch aufregende wie lehrreiche Abwechslung in den Schulalltag bringt.

Mit der Ausstellung „Wer wacht in der Nacht? Was funkelt im Dunkeln?“ wird der Container drei Schuljahre lang in der ganzen Schweiz auf Tour sein. Dann wird es eine neue Ausstellung geben. Wie ihr das Pandamobil zu euch holen könnt?

Ihr seid LehrerIn oder SchulleiterIn an einer Primarschule oder einem Kindergarten in der Schweiz? Dann könnt ihr das Pandamobil hier auf der Website des WWF Schweiz anfragen.

Ihr seid Eltern oder Verwandte von naturbegeisterten Schulkindern? Dann wisst ihr bestimmt, wann ihr den Lehrern eurer Kinder einen Wink mit dem Zaunpfahl geben und das Pandamobil (oder/und Keinsteins Kiste) empfehlen könnt – Elternabend und Sprechstunde sind sicher nur zwei Beispiele dafür.

Ihr wohnt nicht in der Schweiz? Das Pandamobil tourt leider nur innerhalb der Eidgenossenschaft. Doch der WWF hält auch in Deutschland und Österreich spannende Inhalte und Lehrmittel für die Schule bereit.

Die Tiere der Nacht im Familienkreis erleben

Gleich in welchem Land ihr wohnt: Wenn ihr nicht das Glück habt, das Pandamobil in eurer Schule erleben zu können, könnt ihr die nächtliche Welt der Tiere auch selbst erforschen! Entweder macht ihr euch im Familienkreis während oder nach Einbruch der Dunkelheit zu einer Nachtwanderung auf, oder ihr stattet dem Papiliorama in Kerzers einen Besuch ab. Dort wird nämlich in einer eigenen Ausstellungskuppel der Tag zur Nacht gemacht, sodass ihr die Tierwelt des nächtlichen südamerikanischen Dschungels erleben könnt. Fledermäuse sind natürlich inbegriffen!

Fazit

Auch wir „Grossen“ haben rund um das Pandamobil viel Spannendes entdecken können und einen trotz nächtlicher Dunkelheit erhellenden Einblick in die liebevolle Arbeit für und mit unsere/n Nachwuchs-Forscher/n erhalten. Und das Staunen und die Freude unserer jungen „Probandinnen“ und „Probanden“ zeigt deutlich: Diese Arbeit kommt an! Da sollte die Kritik, welche NGOs („Non-Government-“ bzw. Nicht-Regierungs- Organisationen) – insbesondere Umweltschutzorganisationen wie dem WWF, immer wieder (aber nicht immer berechtigt) zuteil wird, ein so wunderbares Erlebnis nicht trüben. Denn was auch immer im schwer durchschaubaren Netz von Politik und Wirtschaft krumm laufen sollte: Die Sensibilisierung von Kindern für Natur und Umwelt mitsamt der Vermittlung des Wissens darüber ist in jedem Fall unterstützenswert. Schliesslich werden diese Kinder in ein paar Jahren diejenigen sein, die so vieles im Sinne unserer Umwelt so vieles besser machen können – wenn sie wissen wie und wofür.

Somit wünsche ich dem Pandamobil und seinen Schöpfern und Betreuern viel Erfolg auf dieser und künftigen Touren!

Und kennt ihr das Pandamobil bereits – vielleicht aus eurer eigenen Kindheit? Wenn nicht – welche anderen Aktionen oder Organisationen haben euch zum ersten Mal mit Umweltschutz-Themen in Berührung gebracht?

Grasblüte und fliegende Pollen

Wir alle spüren es: Der Frühling zeigt sich in seiner ganzen Pracht. Alles grünt und blüht und duftet…und das könnte so schön sein. Aber die Natur höchstpersönlich verleidet mir dieses Jahr die Freude an ihrer selbst, sobald ich mich länger draussen aufhalte. Denn dann jucken und brennen mir die Augen, die Lider sind geschwollen und mitunter läuft mir gar die Nase. Heuschnupfen lässt grüssen – oder mit anderen Worten: Ich habe eine Allergie.

Und damit bin ich nicht allein: 2008 bis 2011 litten rund 15% der Menschen in Deutschland – und vermutlich auch in den Nachbarländern – an Allergien. Heuschnupfen, Asthma, Nesselsucht gehören zu den bekanntesten Erscheinungsformen, und geradezu berüchtigt ist der lebensbedrohliche anaphylaktische Schock.

Aber was ist eigentlich eine Allergie? Was passiert dabei in unserem Körper? Und welche teilweise ähnlichen Symptome gehen nicht auf eine Allergie zurück?

 

Was ist eine Allergie?

Eine allergische Reaktion ist ein Fehlalarm durch unser adaptives, d.h. lernfähiges Immunsystem. Im Artikel über die Wirkweise von Impfungen habe ich die verschiedenen Verteidigungslinien des menschlichen Immunsystems genauer dargestellt: Die mechanischen Barrieren gegen unliebsame Eindringlinge werden vom angeborenen Immunsystem bemannt, das ohne genaues Hinsehen bei allem irgendwie Fremdartigem Alarm auslöst. Dieser Alarm bahnt nicht zuletzt dem adaptiven Immunsystem den Weg. Dessen Bestandteile können Eindringlinge genau identifizieren und sich über Jahre an sie erinnern, sodass eine zielgerichtete, effektive Bekämpfung möglich ist.

Normalerweise sind solch unliebsame Eindringlinge Bakterien, Viren, Parasiten und andere Auslöser von Krankheiten sowie ihre Proteine oder teils giftigen Absonderungen. Doch manchmal haben solche Stoffe „von draussen“ gar nichts mit Krankheitserregern zu tun. Das weiss das Immunsystem aber nicht unbedingt zu unterscheiden. Und wenn solch ein Stoff fälschlich als „gefährlich“ erinnert wird, kann sein Auftauchen das Immunsystem in helle Panik versetzen – und uns eine allergische Reaktion bescheren. Die Fähigkeit zu einer allergischen Reaktion, das heisst der Umstand, dass ein oder mehrere Stoff/e „immun-behördlich bekannt“ sind, wird somit kurz als „Allergie“ bezeichnet.

Nicht zu den Allergien zu rechnen sind dahingegen fehlgeleitete Reaktionen auf Bestandteile des eigenen Körpers. Solche Fehler werden stattdessen „Autoimmunerkrankungen“ genannt.

 

Welche Arten von Allergien gibt es?

Nicht alle Allergien äussern sich auf die gleiche Weise – vielmehr gibt es zahlreiche unterschiedliche Symptome und Verlaufsformen. Den Anfang macht jedoch immer ein Kontakt des Körpers – genauer des Immunsystems – mit einem (fälschlich) als gefährlich eingestuften Stoff. Ein solcher Stoff, der eine allergische Reaktion auslöst, wird seiner Rolle gemäss „Allergen“ genannt.

 

Typ I – der Soforttyp

Die wohl berüchtigtste und aus den Medien bekannteste Allergiesorte ist der Soforttyp oder Typ I. Wie der Name vermuten lässt, zeichnet sich dieser Typ dadurch aus, dass eine Begegnung mit dem jeweiligen Allergen binnen Sekunden oder allenfalls Minuten zur allergischen Reaktion führt – die im Extremfall den ganzen Körper erfassen und so den lebensbedrohlichen Zustand erzeugen kann, den man „anaphylaktischen Schock“ nennt. Letzterer ist grundsätzlich ein Fall für den Notarzt und ein beliebtes dramaturgisches Mittel in Film und Fernsehen. Aber wie kommt es dazu?

Sensibilisierung: Aller Allergien Anfang

Das adaptive Immunsystem ist schnell dabei, körperfremde Stoffe als Bedrohung, d.h. als Antigene einzustufen. Wird ein bislang unbekannter Stoff beim ersten Kontakt als Angreifer gedeutet, aktiviert eine Signalfolge von den Zellen, die das Antigen als solches benennen, schliesslich Plasmazellen. Das sind weisse Blutzellen vom Typ B, die daraufhin passende Antikörper – das sind Proteine, sogenannte Immunglobuline E (kurz IgE) – gegen das Antigen produzieren.

Normalerweise achten andere weisse Blutzellen – regulatorische T-Zellen – darauf, dass nicht gegen jedes harmlose Molekül gleich Antikörper in die Welt gesetzt werden, sondern nur gegen solche, die wirklich gefährlich sind. Bei manchen Menschen sind diese T-Zellen jedoch ziemlich faul oder einfach unterbesetzt, sodass sie ihre Aufgabe nicht wahrnehmen. Dann kann es passieren, dass IgE-Antikörper erzeugt werden, die eigentlich keiner braucht (weil „ihre“ Antigene – oder besser Allergene – an sich für den Körper nicht gefährlich sind).

Die IgE-Antikörper werden durch den Körper geschwemmt und kommen so unweigerlich an Mastzellen oder basophilen Zellen vorbei – weiteren Einsatzkräften des Immunsystems, die überall, aber vor allem in Schleimhäuten, zur Verteidigung gegen Eindringlinge bereitstehen. Die IgE heften sich an die Oberfläche solcher Zellen und dienen ihnen fortan als „Augen und Ohren“ (bis hierhin werden die Vorgänge als „Sensibilisierung“ bezeichnet und gehen unbemerkt vonstatten).

Beim Zweitkontakt: Allergische Reaktion

Sobald das ursprüngliche Antigen erneut auftaucht und an „seine“ IgE-Antikörper bindet, versetzen diese ihre Mastzellen und Basophilen sogleich in Aktion: Die Zellen schütten Stoffe wie Histamin aus, die ihre Umgebung im Handumdrehen zum Schlachtfeld machen. Histamin und andere Entzündungsmediatoren sollen nämlich ein passendes Umfeld für die Abwehr von Eindringlingen schaffen: Gute Durchblutung für das schnelle Nachrücken von Abwehrzellen, unangenehme Umweltbedingungen für den Gegner selbst. Dumm nur, dass es keinen Gegner gibt. Denn was für Eindringlinge ungemütlich ist, ist auch für körpereigenes Gewebe alles andere als bequem.

So sind die Folgen der Ausschüttung von Histamin und Co Entzündungssymptome wie juckende und brennende sowie gerötete und geschwollene Haut oder Schleimhäute und vermehrte Flüssigkeitsabsonderung – kurzum: Entzündete, tränende Augen, eine laufende oder verstopfte Nase, Hautausschlag („Nesselsucht“), verschwollene Bronchien („Asthma“) und im schlimmsten Fall ein körperweiter Aufruhr – der anaphylaktische Schock.

Und da die Schleimhäute mit den IgE-bewehrten Mastzellen an allen Ein- und Ausgängen des Körpers zu finden sind, folgt die allergische Reaktion ohne Umwege, d.h. sehr schnell auf die Begegnung mit dem Antigen.

Allergie : Mechanismus allergische Reaktion vom Typ I

So entsteht eine Allergie Typ I (links): T-Helferzellen erkennen ein Allergen als „gefährlich“ und animieren B-Zellen zur Antikörperproduktion. Regulatorische T-Zellen, welche diesen Vorgang im Zaum halten sollten, fehlen hier. So heften sich die IgE-Antikörper an Mastzellen, die bei folgenden Kontakten mit dem Allergen (rechts) Histamin ausschütten. (by Christopher Streibert [CC BY-SA 3.0 de], via Wikimedia Commons)

 

 

Allergien vom  Typ II

Bei diesem Allergie-Typ kommen andere Sorten Antikörper zum Einsatz – nämlich Immunglobuline M (IgM) oder G (IgG). Anders als die IgE schwimmen diese Antikörper frei in der Blutbahn oder den Körperflüssigkeiten mit – teilweise als lebenslange Grundausstattung des menschlichen Körpers. Die frei schwimmenden Antikörper sind dazu geschaffen, fremde Zellen am Aufbau ihrer Oberfläche als feindlich zu erkennen. Wenn das geschieht, rufen die IgM bzw. IgG T-Killerzellen auf den Plan, welche über die feindlichen Zellen herfallen und sie zerstören. Bis die Antikörper ihr Antigen gefunden und die T-Killerzellen angelockt haben, vergeht etwas mehr Zeit als bei der schnellen Typ I – Allergie, sodass 6 bis 12 Stunden vergehen können, bis die allergische Reaktion schliesslich spürbar wird.

Blutgruppen-Unverträglichkeit – eine Typ II – Allergie

Zu den „Typ II“- Antikörpern gehören auch die Blutgruppen-Antikörper „Anti-A“ und „Anti-B“ gegen die Oberflächenmerkmale „A“ und „B“ menschlicher roter Blutzellen. Die roten Blutzellen eines Menschen mit der Blutgruppe A tragen das Oberflächenmerkmal „A“, während in dessen Blutbahn Antikörper gegen das „fremde“ Merkmal B mitschwimmen. Bei Blutgruppe B verhält es sich umgekehrt.

Ich selbst habe die Blutgruppe 0, was bedeutet, dass meine roten Blutzellen keines der beiden Merkmale tragen, während in meiner Blutbahn beide Sorten Antikörper schwimmen. Sollte ich also jemals eine Blutkonserve mit roten Zellen brauchen, verwendet bitte eine mit der Blutgruppe 0. Anderenfalls würden die Antikörper in meinem Blut meine T-Killerzellen auf die Neuankömmlinge hetzen und ich somit eine gefährliche allergische Reaktion vom Typ II erleiden. Um so wertvoller sind meine eigenen roten Zellen für andere: Die sind nämlich für jegliche Blutgruppen-Antikörper unsichtbar und lösen so keine „Blutgruppen-Unverträglichkeitsreaktion“ aus (so lange die Blutflüssigkeit – das „Plasma“ – mit meinen Antikörpern vorher abgetrennt wurde).

 

Allergien vom Typ III

Wie die Allergien des Typs II beruht auch dieser Allergietyp auf dem Vorhandensein überflüssiger IgG- oder IgM-Antikörper. Diese schwimmen jedoch nicht frei, sondern heften sich an Zellen. Wenn solche Antikörper ihrem Antigen begegnen, binden sie auch daran, sodass sie ihre Trägerzellen regelrecht mit den Antigenen verkleben. Die so entstehenden Zellmüll-Klumpen werden von Fresszellen (Granulozyten) des angeborenen Immunsystems entsorgt.

Da Granulozyten jedoch an sich haben, dass sie an ihrer Mahlzeit zu Grunde gehen, werden bei diesem Vorgang unweigerlich ihre Verdauungsenzyme freigesetzt. Die versuchen sich wiederum daran, das umliegende Gewebe gleich mit zu verdauen. Die Folge: Protest seitens des Gewebes – mit anderen Worten: Eine Entzündungsreaktion. Bis es dazu kommt, können vom Kontakt mit dem Antigen – besser Allergen – an 6 bis 12 Stunden vergehen.

Zu den Typ III – Allergien zählen zum Beispiel Berufskrankheiten, die im Volksmund als „Staublunge“ und von Medizinern als „exogen-allergische Alveolitis“ bezeichnet werden. Die auslösenden Allergene werden dabei von den Betroffenen im Arbeitsalltag eingeatmet und führen zu entzündlichen Veränderungen der Lungenbläschen (Alveolen).

 

Typ IV – der Spättyp – bzw. Kontaktallergien

Die zweithäufigste Sorte Allergie nach dem Soforttyp ist der sogenannte Spättyp, der im Volksmund auch als Kontaktallergie bekannt ist. Bei dieser Form sind es die T-Zellen selbst, die ein eigentlich harmloses Antigen erkennen und unnötige Arbeit aufnehmen. So scheiden die T-Zellen Signalstoffe auf, die auf Makrophagen – grosse Fresszellen – wie eine Fährte wirken. Der Spur folgend wandern die Makrophagen durch das Gewebe an den Fundort des Allergens und lösen dort eine Entzündung aus.

Dieser Bindung der allergischen Reaktion an den Kontaktort wegen kann eine Allergie des Typs IV nicht zu einem anaphylaktischen Schock führen.

Die allergische Reaktion äussert sich häufig als Hautausschlag (allergisches Kontaktekzem) an eben der Stelle, die mit dem Allergen in Berührung – Kontakt – gekommen ist. Vom Kontakt bis zum Auftreten des Ausschlags können allerdings 12 Stunden bis 3 Tage vergehen, sodass zuweilen genaue Beobachtung nötig ist, um den Zusammenhang zwischen Auslöser und allergischer Reaktion zu finden.

Ein sehr bekanntes und alltägliches Beispiel für eine Allergie Typ IV ist die allergische Reaktion auf Nickel als Bestandteil von Schmuckstücken. Weniger alltäglich aber auch eine allergische Reaktion des Spättyps ist die Abstossung transplantierter Organe durch den Empfängerkörper (die durch die Gabe von das Immunsystem hemmenden Medikamenten vermieden werden kann).

 

Kreuzallergien

Die Kreuzallergie ist kein eigener Allergietyp, sondern eine Spielart der vorhergehenden Typen: Auch das präzise adaptive Immunsystem ist nicht unfehlbar, wenn es um die Erkennung von Antigenen bzw. Allergenen geht. So kann es einander sehr ähnliche Moleküle miteinander verwechseln: Wenn eine Molekülsorte als Allergen „registriert“ worden ist, also eine Sensibilisierung stattgefunden hat, können die dazu passenden Antikörper mitunter auch an sehr ähnliche Moleküle binden und so eine allergische Reaktion darauf auslösen.

Deshalb sollte sich jemand, der auf Bienenstiche allergisch reagiert, zum Beispiel auch vor Wespen hüten, denn das Gift beider Gattungen enthält ganz ähnliche Proteine. Aber auch verschiedene Pollensorten und Nahrungsmittel können einander ähnliche Allergene enthalten, sodass es nicht einfach wäre, den oder die Verursacher meiner Pollenallergie eindeutig zu entlarven.

 

Nicht alle Symptome, die wie allergische Reaktionen aussehen, gehen auf eine Allergie zurück

Viele Reaktionen des Körpers auf Einflüsse von aussen werden landläufig als „Allergien“ bezeichnet, obwohl ihre Ursache keine allergische Reaktion ist. Eine solche ist schliesslich nur gegeben, wenn das adaptive Immunsystem einen Fremdstoff fälschlich als Gefahr vermerkt und folglich darauf „anspringt“. Einige entzündliche Reaktionen haben aber ganz andere Ursachen:

Pseudoallergische Reaktion

Es kommt vor, dass der Kontakt mit Fremdstoffen ohne Einbezug des adaptiven Immunsystems zu einer „allergischen“ Reaktion führt. In diesen Fällen springt das angeborene Immunsystem, das keine Einzelmoleküle wiedererkennen kann, sondern allgemein auf Fremdstoffe losgeht, auf den Auslöser an. Damit hängt das Ausmass der pseudoallergischen Reaktion direkt von der Menge der Eindringlinge ab, während bei einer „echten“ Allergie schon kleine Mengen des Allergens das adaptive Immunsystem im grossen Stil aufscheuchen können.

Hängt also die Stärke der Reaktion von der Dosis des Auslösers ab, die ein Betroffener abbekommt, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine pseudoallergische Reaktion. Und die ist überaus weit verbreitet: Bekannte „Pseudoallergene“ sind Duftstoffe, flüchtige Bestandteile von Sprays oder Klebstoffen, Feinstaub, Rauch und andere Umweltschadstoffe.

Nahrungsmittel-Intoleranzen

Eine Fehlfunktion im Stoffwechsel führt bei einigen Menschen dazu, dass sie bestimmte Nahrungsmittel nicht wie Andere verdauen können. Die Folge sind Verdauungsbeschwerden von Bauchweh bis Durchfall, wie sie auch Folge einer „echten“ Nahrungsmittelallergie sein können.

Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Laktoseintoleranz, die dadurch entsteht, dass besonders erwachsenen Menschen oft das Enzym Laktase fehlt, welches dafür zuständig ist, Milchzucker (Laktose) in seine verwertbaren Bestandteile zu zerlegen. Der unzerlegte Milchzucker führt dann zu Darmbeschwerden – ohne dass das Immunsystem darin verwickelt wäre.

Sonnenallergie

Es kommt vor, dass Menschen Hautausschlag bekommen, wenn sie direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt worden sind. Diese Erscheinung wird auch als Sonnenekzem oder Polymorphe Lichtdermatose bezeichnet. Da Licht aber kein „Stoff“ ist, sondern aus elektromagnetischen Wellen besteht, enthält es nichts, woran sich das adaptive Immunsystem erinnern könnte. Eine Allergie gegen Licht kann es damit nicht geben.

Tatsächlich ist die Ursache der Sonnenekzeme noch unklar. Möglicherweise löst die Lichtenergie chemische Reaktionen aus, in welchen körpereigene Stoffe in „fremde“ Allergene oder einfach in reaktive Teilchen, die das Gewebe direkt angreifen, umgewandelt werden.

Wasserallergie

Äusserst selten kommt es vor, dass Menschen auf die Berührung mit Wasser mit Hautauschlag reagieren. Das Phänomen wird auch Wassernesselsucht oder auf medizinisch aquagener Pruritus genannt. Das winzige Wassermolekül kommt jedoch als „echtes“ Allergen nicht in Frage. Dazu ist es viel zu allgegenwärtig in jedem menschlichen Körper und zu simpel, als dass es von Antikörpern eindeutig „erkannt“ werden könnte. Die tatsächliche Ursache der Wassernesselsucht ist hingegen noch nicht geklärt.

Zuckerallergie

Manche Menschen möchten beobachtet haben, dass sie oder ihre Angehörigen eine allergische Reaktion auf Haushalts- und andere Zucker zeigen. Letztlich sind aber genau diese Zucker im menschlichen Körper praktisch allgegenwärtig, sodass sie – ähnlich Wasser – als Allergene nicht in Frage kommen.

Da Zucker gewöhnlich als Bestandteil verschiedenster Nahrungsmittel aufgenommen werden, liegt die Vermutung nahe, dass die als „Zuckerallergie“ beschriebenen Reaktionen in Wirklichkeit allergische oder pseudoallergische Reaktionen auf andere Bestandteile gezuckerter Nahrungsmittel sind.

 

Welche Stoffe können Allergien auslösen?

Grundsätzlich kann jeder Stoff, gleich ob natürlicher oder synthetischer Herkunft, zum Allergen werden, sofern er nicht dem eigenen Körper entstammt. In der Regel sind Allergene aber grössere bis sehr grosse Moleküle, insbesondere Proteine. Diese grossen, Ihre Grösse und ihr komplexer Aufbau machen Protein- und ähnliche Moleküle so einzigartig, dass sie von Antikörpern (fast) verlässlich wiedererkannt werden können – womit die Grundvoraussetzung für eine Allergie gegeben ist.

Proteine kommen praktisch überall in der Natur vor. Bekannte Quellen für die Allergene unter ihnen sind zum Beispiel Pollen, Tierhaare oder Nahrungsmittelbestandteile. Aber auch „Designermoleküle“, die im Labor entworfen und geschaffen wurden, können Allergien auslösen. Aber Achtung: Viele kleinere, als Umweltschadstoffe bekannte Moleküle lösen eine pseudoallergische Reaktion und keine Allergie aus!

Keine Allergien auslösen können zudem Bestandteile des eigenen Körpers, wie Wasser, reines Kochsalz, kurzkettige Zucker und Fette.

 

Was kann man gegen Allergien machen?

 

Allergene meiden

Die simpelste und effektivste Massnahme gegen jede Form von Allergie liegt auf der Hand: Meidet das Allergen!

Zuerst: Wissen, was zu meiden ist

Das klingt jedoch einfacher, als es oft ist. Denn dazu muss das Allergen (oder im Fall von Kreuzallergien: die Allergene), welches die allergische Reaktion auslöst, erst einmal gefunden werden. Das gestaltet sich allein schon deshalb aufwändig, weil jedes Immunsystem auf seine Art reagiert. So gibt es keine Stoffe, die grundsätzlich Allergien auslösen – sondern allenfalls solche, die dafür bekannt sind, dass sie häufiger als andere zu allergischen (oder pseudoallergischen) Reaktionen führen. Damit muss wohl oder übel jeder Allergiker mit der Suche nach seinen persönlichen Allergenen „von vorn“ anfangen.

In einfachen Fällen genügt es, sich und seine Gewohnheiten genau zu beobachten und durch Weglassen von Nahrungsmitteln oder Änderung von Gewohnheiten den Übeltäter zu stellen. Oft gestaltet sich die Suche aber so kompliziert, insbesondere bei möglichen Kreuzallergien, dass ein Facharzt durch gezieltes Nachforschen mit Hilfe von Allergietests schneller und sicherer zum Ziel kommt.

Dem Allergen aus dem Weg gehen – wenn möglich

Ist der Auslöser der Allergie erst einmal identifiziert, könnt ihr euer Möglichstes tun, um ihn zu meiden – und zwar konsequent : Nahrungsmittel mit Allergenen vermeiden, Körperpflegeprodukte mit Allergenen nicht länger verwenden, Tieren, die Allergene tragen, aus dem Weg gehen, Medikamente, die zu allergischen Reaktionen führen, ersetzen,… Dabei gibt es jedoch kein Patentrezept und keine allgemeingültige schwarze Liste mit Allergenen. Denn während der eine Mensch heftig auf einen Stoff reagiert, kommt der andere mitunter prima mit ihm klar – und reagiert womöglich auf etwas ganz anderes allergisch.

Manchmal ist es jedoch geradezu unmöglich, einem Allergen aus dem Weg zu gehen. So ist im Frühling, wenn die allergieauslösenden Pflanzen blühen, unweigerlich die Luft voller Pollen – denn die werden mit dem Wind umher getragen. Und da ich schliesslich atmen muss und möchte, kommen diese Pollen unweigerlich mit meinen Schleimhäuten in Kontakt, sobald ich geschlossene Räume verlasse. So bleibt mir nichts anderes übrig, als den Heuschnupfen zu ertragen oder Massnahmen dagegen zu ergreifen:

Symptome behandeln

Die Wirkung von Histamin und Co kann durch Medikamente gedämpft werden: Antihistaminika, Cortison und andere lindern die Entzündungssymptome. So können sie den unweigerlichen Kontakt mit Allergenen erträglicher machen oder sogar zur Bekämpfung lebensbedrohlicher Zustände eingesetzt werden. Einfache Mittel gegen Heuschnupfen-Symptome gibt es rezeptfrei in der Apotheke, während schwere Geschütze wie viele Cortison-Präparate auf Rezept vom Arzt oder aus der Hand des Notarztes zum Einsatz kommen. Die Ursache der allergischen Reaktionen – die Fehlprägung des Immunsystems – lässt sich damit aber nicht beseitigen.

Hyposensibilisierung

Mit diesem Verfahren – auch Desensibilisierung genannt – wird die Ursache von allergischen Reaktionen direkt angegangen. Dem Körper eines Typ I – Allergikers werden dazu über lange Zeiträume (mehrere Jahre – und zur Erhaltung lebenslang) gezielt kleine Mengen eines Allergens zugeführt, wobei die Dosis langsam ein wenig gesteigert wird. Dadurch sollen die B-Zellen veranlasst werden, statt der verhängnisvollen IgE-Antikörper an Zellen geheftete IgG zu produzieren. Diese sollen letzlich Fresszellen dazu bewegen, später wieder auftretende Allergene unschädlich zu machen (wie bei einer Allergie Typ III), bevor etwaige verbliebene IgE sie finden und eine Sofortreaktion anzetteln können.

Besonders bei Insektengiftallergien (beim Stechen befördern Insekten das Allergen direkt unter die Haut!), die nach einem Stich oft zu schweren Symptomen bis hin zum anaphylaktischen Schock führen können, kann dieses aufwändige Vorgehen Leben retten.

 

Zusammenfassung

Eine allergische Reaktion ist eine Reaktion des adaptiven – also lernfähigen – Immunsystems auf einen Stoff, den dieses sich unnötigerweise als Gefahr „gemerkt“ hat. Der erste Kontakt mit solch einem Stoff – dem Allergen – führt zum symptomlosen Merkvorgang, auch Sensibilisierung genannt. Dabei werden meist Antikörper gebildet, die bei jedem weiteren Kontakt mit dem Allergen das Immunsystem alarmieren und so das Auftreten von Entzündungserscheinungen – der allergischen Reaktion – verursachen. Der Umstand, dass eine Sensibilisierung stattgefunden hat (und fortan entsprechende Allergene Symptome auslösen), wird als Allergie bezeichnet.

Es gibt verschiedene Signalwege, die vom Allergen zur Entzündung führen. Allen gemein ist dabe die tragende Rolle des adaptiven Immunsystems. Andere Vorgänge, die ohne Einbezug des adaptiven Immunsystems zu Entzündungen führen, sind folglich keine allergischen Reaktionen.

Die wirksamste Massnahme gegen allergische Reaktionen ist das Meiden von Allergenen. Da jedoch jedes Immunsystem einzigartig ist, muss jeder Allergiker für sich herausfinden (lassen), auf welche Stoffe er reagiert. Eine allgemeingültige schwarze Liste gibt es nicht.

Wenn das jedoch – wie bei meinem Heuschnupfen – unmöglich ist, können die Entzündungserscheinungen mit Medikamenten gelindert werden. In besonders schweren Fällen – wenn z.B. gefährliche Sofort-Reaktionen zu erwarten sind – kann das Immunsystem im Zuge einer Hyposensibilisierung „umprogrammiert“ werden, um eine gefährliche, schnell überschiessende Reaktion durch eine langsamere und weniger gefährliche zu ersetzen. Das Verfahren ist jedoch aufwändig und mit jahrelangen Behandlungen verbunden.

So bin ich besonders neugierig darauf, was die Forschung bezüglich Allergien in Zukunft an neuen Behandlungswegen eröffnen wird.

Übrigens: Wenn ihr aufmerksam gelesen habt – zu welchem Allergietyp zählt eigentlich meine allergische Bindehautentzündung?

Und leidet ihr auch unter Allergien? Wie geht ihr damit um?

Glasreiniger - Streifenfrei auch ohne Ammoniak

Die spannenden Antworten, die ich einer Leserin zur Wirkweise von WC-Reinigern gab, haben eine weitere Verfolgerin dazu bewegt, auch gleich nach der Funktion eines anderen Putzmittels zu fragen: Wie funktioniert ein Glasreiniger?

Wenn wir sauber machen, benutzen wird fast überall Seifen – denn die Superwaschkraft der Tenside darin ist einfach unschlagbar. Beinahe jedenfalls. Doch wer schon einmal Fenster geputzt hat, kennt ein leidiges Phänomen: Streifen an den Scheiben. Die entstehen entweder aus nicht gänzlich entferntem Schmutz – oder sind ein Souvenir, das die oberflächenliebenden Tenside uns hinterlassen.

Deshalb scheinen Glasreiniger anders zu funktionieren als gewöhnliche Seife, die man nach der Verwendung gründlich abwaschen muss: Einmal rasch aufgesprüht lösen sie den Schmutz ratzfatz, und nach dem Abwischen verschwinden die verbleibenden Streifen innerhalb von Sekunden. Was aber macht Glasreiniger so besonders?

 

Was im Glasreiniger drin ist

Wer Glas streifenfrei reinigen möchte, braucht eine Substanz, die sowohl ein Talent zum Schmutzlösen hat, als auch leicht und rückstandslos entfernbar ist. Deshalb enthalten Glasreiniger in der Regel

  • Organische Lösungsmittel: Ethanol oder/und andere Alkohole mit ähnlichen Eigenschaften. Organische Lösungsmittel können, was ihr Name verspricht: In ihnen lösen sich viele Stoffe leicht auf, die sich in Wasser weniger leicht lösen. Alkohole aus kleinen Molekülen lassen sich trotzdem leicht mit Wasser mischen, sodass man gemeinsam mit Wasser verwenden kann. Dabei setzen Alkohole die Oberflächenspannung von Wasser herab, sodass nicht nur sie selbst, sondern auch das Wasser schnell verdunsten kann: Flüssigkeitsreste verschwinden schnell vom Glas.
  • Wenig oder gar keine Seife: Die würde ja Streifen hinterlassen. Deshalb wird in Glasreinigern weitgehend darauf verzichtet.
  • Duftstoffe
  • Konservierungsmittel
  • Farbstoffe
  • Manche Glasreiniger enthalten zudem Ammoniak, dem eine zusätzliche Reinigungskraft zugeschrieben wird.

 

Alkohole sind umweltfreundlicher als Seifen

Organische Lösungsmittel haben vielerorts ein anrüchiges Image – aber keine Panik: Diese Stoffe sind nicht immer so schlimm, wie ihnen nachgesagt wird. Das gilt ganz besonders für Ethanol – den uns wohlbekannten Trink-Alkohol – und seine Verwandten. Die sind nämlich viel umweltverträglicher als viele Tenside in Seifen!

Als natürlicher Bestandteil vieler lebender Systeme (viele Kleinlebewesen stellen im Zuge der alkoholischen Gärung Ethanol selbst her und noch mehr – uns Menschen eingeschlossen – können ihn verstoffwechseln) ist Ethanol, anders als viele Tenside, leicht biologisch abbaubar.

In hoher Konzentration verursacht Ethanol allerdings nicht nur uns einen Kater oder schlimmeres, sondern ist auch für viele Kleinstlebewesen tödlich – was ihn zu einem beliebten Desinfektionsmittel macht. So sollten Glasreiniger auf Ethanol-Basis ohne weitere Konservierungsmittel auskommen können.

Denn die Duftstoffe und Konservierungsmittel in vielen Glasreinigern sind die gleichen zweischneidigen Schwerter wie in anderen Reinigungsmitteln, sodass mit solchen Zusätzen auch ein Glasreiniger nicht pauschal als „vollkommen harmlos“ angesehen werden kann.

 

Warum Duftstoffe bedenklich sind

Duftstoffe leisten keinen direkten Beitrag zur Funktion des Reinigungsmittels: Sie reinigen nicht. Stattdessen sollen sie dem Produkt einen angenehmen Duft verleihen, welcher dem Konsumenten vermitteln soll, dass die Anwendung ungefährlich, angenehm, mit Sauberkeit und „Frische“ und damit mit Gesundheit verbunden ist. Im „schlimmsten“ Fall werden dabei sogar unangenehme Gerüche überdeckt, die andernfalls dem Körper als (lebens-)wichtige Warnung dienen: Ich stinke, also bin ich ungesund.

In Reinigungs- und anderen Produkten ist eine Vielzahl verschiedener Duftstoffe im Einsatz, die – praktisch alle körperfremd – auch gleich eine Vielzahl möglicher Allergieauslöser darstellen. Und das gilt für „naturnahe“ bzw. natürliche ätherische Öle ebenso wie für Molekül-Kreationen aus dem Labor, wie ich hier näher erläutert habe.

Ebenso besonderes Augenmerk verdienen Konservierungsmittel: Die können nicht nur ebenso Allergien auslösen wie Duftstoffe. Sie sind überdies dem Leben nicht zuträglich – zwangsweise, denn sie sollen ja verschiedenste Kleinstlebewesen daran hindern, in unseren angebrochenen Putzmittel-Flaschen zu hausen und zu gedeihen. Das Problem dabei ist, dass viele solcher „Biozide“ – lebensvernichtende Stoffe – auch für menschliche Zellen giftig sind.

Wenn wir Reinigungsmittel in normalem Umfang dafür benutzen, wozu sie gedacht sind, werden wir kaum eine gefährliche Dosis solcher Konservierungsmittel abbekommen. Die Dämpfe solcher Produkte einzuatmen empfiehlt sich trotzdem nicht. Denn was für die Vernichtung unliebsamer Kleinstlebewesen geschaffen ist, wird auch vor den unverzichtbaren Bewohnern unserer Haut und Schleimhäute nicht Halt machen. Wer viel putzen muss, ist deshalb nicht nur möglicher Allergien wegen mit Handschuhen gut bedient.

 

Ammoniak – Warum dieser Inhaltsstoff die Geister scheidet

Manche Glasreiniger enthalten neben Alkoholen oder anderen Reinigungskünstlern Ammoniak (der gern auch als „Salmiak“ umschrieben wird). Ammoniak, NH3, ist ein Gas, das sich sehr gut in Wasser löst. Die wässrige Lösung, heute Ammoniak-Wasser genannt, war vor allem früher als Salmiakgeist bekannt.

Ammoniak ist eine Base: Beim Lösen in Wasser kann ein Ammoniak-Molekül ein H+-Ion von einem Wassermolekül aufnehmen („aq“ im Index deutet an, dass das betreffende Teilchen in Wasser gelöst ist):

Unter den alten Sammelbegriff „Salmiak“ fallen deshalb auch die Salze des Ammonium-Ions NH4+, wie sie zum Beispiel in Salmiakpastillen vorkommen! Anders als Ammoniak sind Ammoniumsalze, wenn man sie in Wasser löst, jedoch sehr schwache Säuren (das Ammonium-Ion muss schliesslich ein H+-Ion abgeben, damit daraus Ammoniak entstehen kann) – haben also ganz andere Eigenschaften!

In einer Ammoniak-Lösung liegen stets Ammoniak-Moleküle und Ammonium-Ionen zugleich vor: Ammoniak ist eine relativ schwache Base. Das bedeutet aber auch, dass sich stets gelöste Ammoniak-Moleküle im Gleichgewicht mit gasförmigem Ammoniak befinden.

Diese Moleküle können wir riechen, sodass eine Ammoniak-Lösung durch ihren mehr oder weniger stechenden Geruch auffällt.

Eine Base als Reinigungsmittel

Die Basizität ist wohl auch der Grund für die „reinigungsverstärkende“ Wirkung des Ammoniaks. Denn die Gegenwart von Basen, genauer gesagt OH-Ionen, führt dazu, dass verschiedene grössere Biomoleküle leicht in kleinere, einfach abwaschbare Bruchstücke zerfallen. Fette beispielsweise sind mittelgrosse, wasserunlösliche Moleküle, die zu den Estern gehören und deshalb in Gegenwart von Basen gespalten werden. Die Bruchstücke – Glycerin und Fettsäuren – lassen sich leicht mit Wasser oder Ethanol aufnehmen. Auch Eiweisse, d.h. Proteine, werden in Gegenwart von Basen leicht hydrolysiert, also in Bruchstücke bis hin zu ihren Aminosäuren zerlegt.

Das Problem: Ammoniak ist giftig

  • Wie alle stärkeren Säuren und Basen wirkt Ammoniak ätzend – auch auf unsere Schleimhäute – und kann, wenn es eingeatmet wird, im schlimmsten Fall ein Lungenödem verursachen.
  • Ammoniak ist ausserdem ein Nervengift, das je nach Konzentration zu neurologischen Ausfällen, Koma und Tod führen kann.
  • Da es sich um ein Gas handelt, das aus der wässrigen Lösung leicht flüchtig ist und sich im Wasser auf unseren Schleimhäuten erneut lösen kann, ist Ammoniak schwer unter Kontrolle zu halten.
  • Ammoniak ist sehr giftig für Wasserorganismen: In natürlichen Gewässern sind praktisch immer Ammoniumionen zugegen (denn die Lebewesen darin scheiden sie als Stoffwechselabfall aus). Wenn eine Base wie Ammoniak-Lösung da hinein gerät, wird der pH-Wert angehoben (d.h. es gibt vermehrt OH -Ionen und damit wenig H+-Ionen im Wasser). Gemäss Le Chateliers Prinzip des kleinsten Zwangs wird dadurch das Gleichgewicht zwischen Ammonium-Ionen und Ammoniak, das natürlicherweise weit auf der Seite von NH4+ liegt, auf die Seite von NH3 – Ammoniak – geschoben:
  • Und Ammoniak ist auch für viele Wasserlebewesen bis hin zu Fischen giftig – ganz davon abgesehen, dass sich die meisten Lebewesen bei einem erhöhten pH-Wert ohnehin nicht wohlfühlen werden.

Es gibt also genug Gründe, um auf Ammoniak in Reinigungsmitteln zu verzichten.

 

Wie du dem Ammoniak aus dem Weg gehen kannst

Das ist eigentlich ganz leicht: Ammoniak hat einen extrem unangenehmen, stechenden Geruch – wenn du einem solchen begegnest, hör auf das Fluchtsignal deines Körpers und gehe auf Abstand.

Ich habe mal vielleicht 100-200 Milliliter konzentrierte Ammoniak-Lösung in einem Labor-Abzug (einem per Schiebetür verschliessbaren Kleinraum mit eingebauter „Dunstabzugshaube“) verschüttet. Ich musste mich selbst bewusst am Weglaufen hindern und stattdessen den Abzug schliessen, um das Gas an der Ausbreitung zu hindern, bevor ich das Zeug ordnungsgemäss entsorgen konnte!)

Das heisst: Wenn du zur Zeit einen Glasreiniger mit Ammoniak verwendest:

  • Atme den Sprühnebel bzw. die Dämpfe möglichst nicht ein (auch möglicher Duft- und Konservierungsstoffe wegen)-
  • Brauche den Glasreiniger auf. Das ist meiner Meinung nach sinnvoller als Wegwerfen – es sei denn, das Mittel bereitet dir schon gesundheitliche Probleme wie beispielsweise eine Allergie. Dann bringe die Reste zur Sondermüll-Entsorgung: Ammoniak darf nicht ins Abwasser gelangen!

Wenn du einen neuen Glasreiniger kaufen möchtest:

  • Achte darauf, dass der neue keinen Ammoniak (Ammoniak-Wasser, Salmiak, Salmiakgeist,…) enthält.
  • Achte ebenso darauf, dass Stoffe, die dir bereits Allergien auslösen, nicht enthalten sind.
  • Am empfehlenswertesten ist ein Glasreiniger auf Alkohol-Basis (Spiritus-Reiniger).

Glas reinigen mit Hausmitteln

Statt einem Glasreiniger aus dem Supermarkt kannst du auch einfach Brennsprit (Spiritus) in eine Zerstäuberflasche füllen und zum Reinigen verwenden. Statt – wie oft genannt – Zeitungspapier solltest du dabei aber ein Mikrofasertuch zum Wischen verwenden. Das fusselt ebenso wenig und enthält keine Druckerschwärze, die abfärben könnte.

Beim Umgang mit Brennsprit bzw. Spiritus und anderen organischen Lösungsmitteln gilt ausserdem: Kein offenes Feuer in ihre Nähe bringen! Diese Substanzen gehen sehr leicht in Flammen auf: Rauchen oder brennende Kerzen sind beim Fensterputz daher tabu!

Ausserdem gilt auch hier: Dämpfe nicht einatmen – die können benommen oder zumindest Kopfschmerzen machen!

Überdies sind dem Brennsprit aus dem Supermarkt Spuren sehr unangenehm riechender und schmeckender Substanzen wie Denatonium (dem bittersten bekannten Stoff der Welt) oder Butanon (Methylethylketon, MEK) beigemengt. Mit anderen Worten: Der Ethanol ist vergällt. Das lässt vermutlich die meisten Menschen nicht nur Abstand davon nehmen, den Sprit zu trinken um die Alkoholsteuer zu umgehen, sondern auch davon, daran zu schnüffeln. Ich zumindest empfinde den Geruch meines Brennsprits als viel unangenehmer als jenen des wirklich reinen Labor-Ethanols. Somit ergibt sich das „nicht einatmen“ mehr oder weniger von selbst.

 

Wie ich meine Scheiben praktisch streifenfrei sauber bekomme

Ich verwende, der vermutlich vorwiegend aus Alkoholen besteht und keinen Ammoniak enthält (Ausser den Duft- und Konservierungsstoffen sind die Inhaltsstoffe nicht auf der Flasche angegeben. Der pH-Wert ist allerdings laut pH-Streifen neutral (und nicht basisch wie in Gegenwart von Ammoniak) und die Farbstoffe aus dem pH-Streifen lösen sich schnell in der Flüssigkeit (viele wasserunlösliche Farbstoffe lösen sich leicht in organischen Lösungsmitteln). Da der Reiniger beim Aufsprühen leicht schäumt, könnte überdies ein kleiner Anteil Seife enthalten sein).

  • Stark verschmutzte Aussenscheiben besprühe ich mit etwas Glasreiniger und rubble sie gründlich mit einem triefnassen Schwamm ab.
  • Das Alkohol-Wasser-Gemisch ziehe ich dann gründlich mit einem Gummi-Abzieher ab. Ein betagtes, einfaches Markenprodukt leistet mir dabei bessere Dienste als sein No-Name-Gegenstück aus Studentenzeiten.
  • Ganz wichtig: Den Abzieher wische ich nach jedem Zug über die Scheibe kurz an einem Tuch ab, sodass kein Wasser/Reiniger mehr daran klebt, das/der tropfen könnte!
  • Falls doch noch Streifen bleiben, poliere ich mit einem trockenen Mikrofasertuch kurz nach.

Und wie putzt ihr eure Fenster? Welche Glasreiniger verwendet ihr? Und wie wichtig ist euch die Zusatz-Reinigungskraft von Ammoniak?

WC-Reiniger enthalten Säure : Achtung ätzend!

Wie funktioniert WC-Reiniger? Gibt es Hausmittel-Alternativen? Dies sind die Leser-Fragen der Woche.

Die meisten unter euch kennen sie wahrscheinlich – wie ich – als relativ dicke, knallig gefärbte Flüssigkeit aus der Flasche mit dem seltsamen Entenhals. Doch die Mutter aller WC-Reiniger war ein festes Granulat zum Aufschäumen. Farbgebung und Geruch dieser Substanzen lassen auch den Otto-Normalverbraucher erahnen, dass mit ihnen nicht zu spassen ist. Doch was verbirgt sich wirklich dahinter?

Woraus bestehen WC-Reiniger?

Die vielleicht wichtigsten – und oft nicht auf der Verpackung aufgeführten – Bestandteile von flüssigen WC-Reinigern sind Säuren. Das können Salzsäure (HCl), Phosphorsäure (H3PO4) oder Salpetersäure (HNO3) sein. Diese Säuren verleihen dem üblichen WC-Reiniger einen pH-Wert von etwa 1 (ich habe das mit einem einfachen pH-Streifen an dem Reiniger aus der Entenhals-Flasche nachgemessen!), was in etwa unserer Magensäure entspricht.

Dazu kommen Tenside, also „Seife“, Farb- und Duftstoffe sowie irgendeine Form von Verdickungsmittel.

Feste WC-Reiniger-Granulate enthalten zusätzlich Salze wie Soda (Natriumcarbonat, Na2CO3) oder Natron (Natriumhydrogencarbonat, NaHCO3), die in Wasser mit sauren Bestandteilen reagieren und dabei CO2-Gas freisetzen, welches das Ganze aufschäumen lässt (dieser Effekt lässt sich für spektakuläre Experimente nutzen).

Wie funktionieren WC-Reiniger?

Der wichtigste Wirkstoff in WC-Reinigern ist die Säure. Die reagiert nämlich mit festem Kalk (CaCO3) und Urinstein zu wasserlöslichen Stoffen, die leicht abgebürstet und weggespült werden können.

Von starken und schwachen Säuren

Eine Säure ist ein Stoff, der H+-Ionen abgeben kann. Dabei bleibt zwangsläufig ein Anion übrig, welches theoretisch das oder die H+-Ion(en) wieder aufnehmen kann: Das Anion ist eine Base. Allerdings ist das Bestreben, H+-Ionen abzugeben, nicht bei jeder Säure gleich stark. So gilt, wenn sich zwei Säuren begegnen, die Regel: Die stärkere Säure gibt H+-Ionen an die Anionen der schwächeren Säure ab – und löst diese Anionen dazu notfalls auch aus einem Salzkristall:

Salzsäure (HCl in Wasser)* ist eine starke, Kohlensäure (H2CO3) eine schwache Säure. So führt die Gegenwart von Salzsäure dazu, dass sich die Anionen der Kohlensäure (Carbonat, CO32-) aus dem festen Kalk (einem Ionenkristall) lösen, um je 2 H+-Ionen aufzunehmen. Anders als Calcium- und Carbonat-Ionen sind Calcium- und Chlorid-Ionen gemeinsam in Wasser gut löslich und können einfach fortgespült werden.

*Für jene, die es ganz genau nehmen: Tatsächlich ist Wasser auch eine Base, sodass Chlorwasserstoff-Moleküle (HCl) all ihre H+-Ionen erst einmal an Wasser-Moleküle abgeben:

Das Hydronium-Ion H3O+ ist damit in Wirklichkeit die stärkere Säure in der ersten Reaktion, welche die Kohlensäure aus dem Kalk freisetzt.

Und wer meine früheren Beiträge, zum Beispiel zum Experimentieren mit Natron und Essig, aufmerksam gelesen hat, weiss auch, dass freie Kohlensäure in Wasser nicht beständig ist. Stattdessen zerfällt sie in Wasser und CO2-Gas – ein Umstand, der, wie Le Chatelier auf dem Flughafen zu erklären weiss, das Auflösen von Kalk in Säuren nur mehr fördert.


Und was ist Urinstein?

Urinstein ist ein gelblich-braunes Kristallgemisch, das durch die Reaktion von Urin-Bestandteilen mit im Spülwasser gelöstem Kalk bei basischem, also hohem pH-Wert entsteht. Er kann unter anderem die schwerlöslichen Salze Calcium- und Magnesiumcarbonat, -sulfat, -oxalat, -phosphat, -hydroxid sowie ebenfalls abgelagerten Harnstoff (eine elektrisch ungeladene organische Verbindung) enthalten.

Poröse Ablagerungen von Kalk und Urinstein können Bakterien eine Heimat bieten, die wiederum mit ihren Stoffwechselausscheidungen für einen basischen pH-Wert in ihrer Umgebung sorgen können.

In Gegenwart von Säure lösen sich die Urinstein-Bestandteile jedoch leichter in Wasser, sodass saure WC-Reiniger auch bei der Entfernung von unschönem Urinstein samt enthaltener Bakterien (die in stark saurer Umgebung meist nicht lange überleben) helfen.


Die ausserdem im WC-Reiniger enthaltenen Tenside helfen mit ihrer Super-Waschkraft, angelöste Ablagerungen gänzlich von den Oberflächen im WC zu lösen. Ausserdem verbleiben zähflüssige WC-Reiniger länger auf den verschmutzten Oberflächen als dünnflüssigeres Wasser, sodass die Säuren Zeit zum Reagieren haben.

Die knalligen Warnfarben der WC-Reiniger-Flüssigkeit dienen schliesslich in meinen Augen der Abschreckung: Was giftig blau erscheint, nehmen wir meist instinktiv als „nicht zum Verzehr geeignet“ wahr – und in den Mund genommen oder gar verschluckt können die ätzenden Flüssigkeiten unseren Schleimhäuten und schlimmstenfalls unserem Leben sehr gefährlich werden.

Welche Gefahren gehen von WC-Reinigern aus?

Kontakt mit Umgebung und anderen Reinigern

WC-Schüsseln bestehen in der Regel aus Keramik, die nicht mit Säuren reagiert und daher problemlos damit gereinigt werden kann. Das gilt jedoch nicht für Marmoroberflächen im Bad, kalkhaltige Füllungen von Fliesen-Fugen und einige Kunststoffe und Textilien! Gebt also gut acht, dass eure WC-Reiniger-Flüssigkeit nur dahin gelangt, wo sie hin soll (nämlich in die WC-Schüssel).

Die Säuren im WC-Reiniger können zudem mit starken Basen (zum Beispiel in Abflussreinigern!) unter Freigabe von viel Energie reagieren: Gebt das eine nicht mit dem anderen zusammen – schäumende und spritzende ätzende Flüssigkeit und aufsteigende ätzende Dämpfe wären die gefährliche Folge!

Gebt besonders mit chlorhaltigen Bleichmitteln (Javel-Wasser!) acht: Die Säuren können aus solchen hochgiftiges Chlor-Gas freisetzen! Bringt also niemals Javel-Wasser und WC-Reiniger zusammen!

Gesundheit

Doch auch WC-Reiniger als solche wirken ätzend, aber mindestens reizend auf Haut und Schleimhäute. Haltet sie – wie alle Reinigungsmittel – von Kindern (und allen anderen, bei welchen der Instinkt „knatschbunt ist nicht essbar“ nicht funktioniert) fern. Wenn ihr selbst etwas davon auf die Haut bekommt, spült es rasch mit viel Wasser ab. Bei Schleimhaut-Reizungen entfernt euch von den Dämpfen und geht an die frische Luft. Solltet ihr einen Spritzer in die Augen bekommen, spült sie mehrere Minuten lang gründlich mit Wasser und geht bestenfalls zur Sicherheit zum Augenarzt.

Wenn trotz aller Vorsicht jemand WC-Reiniger verschluckt hat: Ruft in der Giftnotruf-Zentrale (Schweiz, Deutschland, Österreich) an, lasst euch Anweisungen geben und alarmiert schlimmstenfalls gleich den Rettungsdienst. Grundsätzlich gilt nach Verschlucken ätzender Stoffe: Kein Erbrechen herbeiführen, viel Wasser oder anderes Getränk (ohne Kohlensäure, ohne Alkohol) schluckweise trinken.

Umwelt

Nahezu alle Lebewesen sind für eine Umgebung mit mehr oder weniger neutralem pH-Wert (pH = 7) geschaffen. Starke Säuren in grossen Mengen sind also nahezu jedem Leben abträglich – je kleiner die Lebewesen, desto schneller. Je stärker eine Säure verdünnt ist, desto weniger gefährlich ist sie allerdings.

Lasst deshalb unverdünnten WC-Reiniger nicht in die Umwelt gelangen. Braucht ihn möglichst ganz auf – und wenn ihr doch einmal grössere Reste loswerden möchtet, bringt sie zur Sondermüll-Entsorgung. Kleine Reste können mit viel Wasser in den Ausguss gespült werden.

Es ist zwar möglich, WC-Reiniger vor der Entsorgung mit Natriumcarbonat-Lösung oder verdünnter Natronlauge zu neutralisieren, allerdings erfordert das Sicherheitsmassnahmen (Schutzbrille, ggfs. Handschuhe!), eine Möglichkeit, den pH-Wert zu messen, viel Umsicht und einiges an Geschick, sodass dieses Vorgehen im Haushalt kaum praktikabel ist.

Verwendet WC-Reiniger daher grundsätzlich sparsam und spült nach der Reinigung der WC-Schüssel reichlich nach!

Gibt es Hausmittel-Alternativen für WC-Reiniger?

Vor der Markteinführung von WC-Reinigern in den 1950er Jahren wurden WCs mit verdünnter Salzsäure gereinigt. Die ist dünnflüssig und farblos, sodass man ihr ihre ätzenden Eigenschaften äusserlich nicht ansieht. So findet man Salzsäure heute nur noch selten bis gar nicht im Putzmittelregal – dafür aber etwas anderes: Haushaltsessig.

Auch Essigsäure ist eine stärkere Säure als Kohlensäure und in der Lage, Urinstein aufzulösen – wenn sie auch nicht ganz so stark ist, wie die im WC-Reiniger enthaltenen Säuren. Damit eignet sich auch Haushaltsessig – eine Lösung von etwa 10% Essigsäure oder mehr („Essigessenz“) in Wasser – zum Reinigen von WCs, auch wenn man damit vielleicht etwas kräftiger schrubben muss. Denn der dünnflüssige Essig haftet weniger gut auf der Keramik-Oberfläche und reagiert weniger schnell mit den Ablagerungen darauf.

Dafür ist Haushaltsessig generell weniger stark ätzend als Salzsäure und Co und grundsätzlich haut- und umweltverträglicher (im Allgemeinen gelten die gleichen Sicherheitsvorkehrungen wie für die starken Säuren – die Gefahr ernster Verletzungen ist aber geringer).

Mit Marmor und anderen carbonathaltigen Stoffen reagiert Essig allerdings ebenso wie andere Säuren. Das gilt auch für Javel-Wasser und basische Abflussreiniger. Gebt diese auch mit Essig nie zusammen!

Fazit

WC-Reiniger sind meist flüssige Reinigungsmittel, die starke Säuren enthalten. Sie lösen Kalk und Urinstein in der WC-Schüssel, reagieren aber ebenso gut mit säureempfindlichen Stoffen wie Marmor oder Körpergeweben. Beim Umgang damit ist daher Vorsicht angesagt!

Haushaltsessig ist ebenfalls eine – wenn auch schwächere – Säure und eignet sich damit auch zum Reinigen von WCs, auch wenn er weniger effektiv ist.

Damit haben WC-Reiniger in meinen Augen durchaus eine Daseinsberechtigung – wenn sie sparsam eingesetzt werden. Ich setze meinen Reiniger alle ein bis zwei Wochen ein. So können sich keine nennenswerten, hartnäckigen Ablagerungen bilden, sodass ich jeweils mit relativ wenig Reinigungsflüssigkeit auskomme. Nach dem Schrubben leere ich dann zwei komplette Spültanks, um alles sorgfältig und verdünnt wegzuspülen.

Und wie reinigt ihr eure WCs?

Javel-Wasser : Chlorbleiche!

Was ist Javel-Wasser?

Javel-Wasser oder Eau de Javel ist der volkstümliche Name für eine Lösung des Salzes Kaliumhypochlorit (KClO) oder Natriumhypochlorit (NaClO) in Wasser. Benannt ist die Lösung nach ihrem ersten Herstellungsort Javel (früher Javelle) bei Paris in Frankreich. Ein anderer volkstümlicher Name für die gleiche Lösung ist Eau de Labarraque – nach ihrem Erfinder. Der chemische Name sowie der stechende Geruch der Lösung lassen es schon vermuten: Das Element, das dem Javel-Wasser seinen Charakter gibt, ist Chlor.

Natriumhypochlorit und Kaliumhypochlorit werden in Wasser in ihre Einzelionen zerlegt:

Welche Metall-Ionen – Natrium oder Kalium – enthalten sind, macht hinsichtlich der chemischen Eigenschaften und damit der Gefährlichkeit der Lösung keinen Unterschied. Auf das Hypochlorit-Ion ClO kommt es an: Es ist eine merklich starke Base, d.h. es kann ein H+-Ion aus einem anderen Teilchen aufnehmen – zum Beispiel aus Wasser:

Die dabei entstehende hypochlorige Säure HClO ist ein Oxidationsmittel, das mit vielen anderen Verbindungen reagiert, indem es ihnen Elektronen „wegnimmt“.

 

Was kann man damit machen?

Fette und Proteine („Eiweisse“) sind grosse, sperrige Moleküle, die sich zu oft wasserunlöslichen Flecken zusammenrotten. Wenn sie allerdings mit Basen in Berührung kommen, werden sie leicht gespalten und können in Bruchstücken ausgewaschen werden. Die zerstörerische Wirkung auf Proteine trägt ausserdem dazu bei, dass Javel-Wasser desinfizierend wirkt: Es macht Bakterien, Viren und Pilzen effektiv den Garaus.

Das nutzen nicht nur Schwimmbad- und Pool-Besitzer, die in Natriumhypochlorit einen zahmeren Ersatz für das giftige Chlor-Gas zur Desinfektion ihrer Becken gefunden haben, sondern auch der Zahnarzt, der im Zuge einer Wurzelbehandlung gerne Hypochlorit-Lösung als Bakterienkiller in den ausgeräumten Wurzelkanal gibt, wie mein Zahn 16 aus eigener Erfahrung weiss.

Zudem verlieren viele organische Stoffe ihre Farbe, wenn sie oxidiert werden, sodass Oxidationsmittel als Bleichmittel eingesetzt werden können.

Da ist es kein Wunder, dass ein basisches, bleichendes und desinfizierendes Reinigungsmittel sich grosser Beliebtheit erfreut. In Schweizer Supermärkten findet man Javel-Wasser für wenig Geld in fast jedem Reinigungsmittelregal.

 

Schadet Javel-Wasser der Gesundheit?

Bei falscher Anwendung ja – wie eigentlich alle Stoffe, die wir kennen. Darüber hinaus haben alle reaktionsfreudigen Stoffe wie Hypochlorit den Haken, dass sie nicht wählerisch sind. Das heisst, Basen können alle Fette und Proteine zerlegen – auch diejenigen, aus welchen unsere Körper bestehen – und Oxidationsmittel oxidieren alles, was ihnen in die Quere kommt und sich oxidieren lässt – auch uns. Ebenso wenig macht es vor den nützlichen Mikroorganismen halt, die sich auf unserer Haut tummeln.

Mit anderen Worten: Javel-Wasser wirkt ätzend. Deshalb sind Behälter mit der Lösung mit dem Hinweis „Verursacht schwere Verätzungen der Haut und schwere Augenschäden.“ beschriftet.

Wenn ihr mit Javel-Wasser umgehen müsst, tragt dabei unbedingt Putzhandschuhe und bestenfalls eine (Schutz-)Brille – und gebt acht, dass ihr die Dämpfe nicht einatmet! Auch und gerade die Schleimhäute der Atemwege sind anfällig für Reizungen und gefährliche Verätzungen!

Wenn ihr trotz aller Vorsicht etwas Javel-Wasser auf die Haut bekommt, spült es gründlich – ruhige mehrere Minuten lang – unter fliessendem Wasser ab. Einen Spritzer in die Augen spült noch gründlicher aus – mindestens 10 Minuten lang sagen die Labor-Sicherheitsexperten – und geht danach sicherheitshalber gleich zum Augenarzt. Das gleiche gilt, wenn ihr nach dem Einatmen der Dämpfe Beschwerden habt: Sprecht mit eurem Arzt oder der Giftnotrufzentrale (Schweiz: 145, Deutschland: Ortsvorwahl + 19240, Österreich: 01 / 406 43 43).

 

Schadet es der Umwelt?

Wie schon erwähnt sind Oxidationsmittel auch als Mikrobenkiller nicht wählerisch. So sind Kalium- und Natriumhypochlorit je nach Konzentration sehr giftig für Wasserorganismen. Das Javel-Wasser aus dem Putzmittel-Regal im hiesigen Supermarkt enthält weniger als 5% Hypochlorit („Chlorbleiche“), womit es nicht mit dem GHS-Symbol für „umweltgefährlich“ gekennzeichnet werden muss, sondern mit dem allgemeinen Gefahrensymbol auskommt.

Nichts desto trotz bin ich nachdenklich geworden, als ich auf der Verpackung Toilettenreinigung und Maschinenwäsche als mögliche Anwendungsbereiche aufgeführt gefunden habe. Denn wenn zahllose Menschen kleine Mengen solcher Substanzen in den Wasserkreislauf befördern, kommt letztlich einiges zusammen, welche Klein- und Kleinstlebewesen uns sicher nicht danken werden. Ich kann mir die Zulassung als Reinigungsmittel nur so erklären, dass Abwässer aus Toiletten und Waschmaschinen hierzulande praktisch immer durch ein Klärwerk gehen, das mit Chlorverbindungen aufräumt, bevor es irgendwo anders hingeleitet wird.

Trotzdem: Gebt grössere Mengen Javel-Wasser oder andere Produkte, die Hypochlorit enthalten (zum Beispiel solche zur Poolreinigung) nicht in den Ausguss oder Abfall, sondern bringt sie zur Sondermüll-Entsorgung!

Das Wichtigste aber:

Gebt niemals Javel-Wasser mit Säuren (z.B. Essig oder Zitronensäure) oder anderen Oxidationsmitteln (z.B. Wasserstoffperoxid) zusammen oder verwendet beide miteinander!

Dabei kann nämlich aus der enthaltenen hypchlorigen Säure giftiges Chlor-Gas (Cl2) entstehen, das lebensgefährliche Verätzungen nicht nur unserer Atemwege verursachen kann, sondern auch für praktisch alle anderen Lebewesen giftig ist.

Das Javel-Wasser aus dem Supermarkt enthält deshalb in der Regel einen Puffer, d.h. einen Stoff, der eine gewisse Menge Säure sofort unschädlich machen kann und die Lösung damit basisch hält. So müsst ihr nicht fürchten, dass euch eure Putzmittel eines verspritzten Tropfens wegen sofort vergiften. Da ihr aber nicht wissen könnt, wie viel Puffer in eurem Javel-Wasser vorhanden bzw. bereits verbraucht ist (der Puffer-Gehalt ist auf der Flasche nicht unbedingt angegeben!), verlasst euch nicht darauf!

 

Was nützt mehr? Javel-Wasser oder Essig?

Javel-Wasser ist eine oxidierende Base, Essig eine nicht-oxidierende Säure. Damit sind diese beiden eigentlich gar nicht miteinander zu vergleichen.

Ihr könnt Essig zum Lösen von Kalk verwenden, der mit der Säure zu wasserlöslichen Ionen und gasförmigem Kohlenstoffdioxid (CO2) reagiert.

Javel-Wasser spaltet und oxidiert hingegen organischen Schmutz, während Kalk in basischer Umgebung fest bleibt. Es eignet sich ausserdem zur Behandlung von Schimmelflecken.

Verwendet trotz der sich ergänzenden Wirkungen aber niemals Essig und Javel-Wasser miteinander!

Persönlich habe ich grossen Respekt vor der oft gefährlichen Chlor-Chemie und habe kein Javel-Wasser im Putzschrank stehen. Wenn es um Fett und anderen organischen Schmutz geht, ziehe ich Seife und Wasser als Reinigungsmittel vor. Wie die Seife zu ihrer Super-Waschkraft ganz ohne oxidierende Wirkung kommt, könnt ihr übrigens hier genauer nachlesen.

Tenside – von dieser Stoffklasse hat bestimmt jeder schon einmal irgendwo gehört – aber weiss denn auch jeder, was Tenside eigentlich sind?

Auf meinen Rundgang durch den Haushalt entdecke ich sie überall: Auf der Packung meines Universal-Waschmittels heisst es „enthält 5 – 15% anionische Tenside sowie < 5% nichtionische Tenside. In meinem Handgeschirrspülmittel sind es sogar 15 bis 30% anionische Tenside und < 5% nichtionische und amphotere Tenside.

Aber Tenside finden sich auch andernorts, zum Beispiel in Lebensmitteln wie Kakaopulver für Trinkschokolade oder in Unkrautvernichtern, die auch den berüchtigten Wirkstoff Glyphosat enthalten.

Was hinter der Bezeichnung „Tensid“ jedoch steckt, mag überraschen: Sie steht für eine Gruppe von Chemie-Produkten, die schon seit rund 5000 Jahren von Menschen genutzt werden! Wie der Chemische Reporter berichtet, haben die Sumerer nämlich vor ebenso langer Zeit schon Seife hergestellt und verwendet. Und Seife ist ein Stoff, wenn nicht der Stoff, der aus Tensiden besteht.

 

Wie man Seife macht

Die Ursprünglichsten der Tenside lassen sich vergleichsweise einfach herstellen – nämlich aus pflanzlichen Fetten. Bei Fetten – unter Chemikern auch Triglyzeride genannt – handelt es sich nämlich um Ester des Glyzerins mit verschiedenen Fettsäuren. Und Verbindungen der Gruppe der Ester können ziemlich einfach zerlegt werden, zum Beispiel durch Zugabe einer Base.

Eine Base ist ein Stoff, der H+-Ionen aufnehmen kann, die er zum Beispiel Wassermolekülen „entwenden“ kann. Das führt dazu, dass Basen in Wasser häufig OH-Ionen erzeugen, falls sie solche nicht selbst schon mitbringen:

Calciumoxid – besser: Das Oxid-Anion – ist eine Base und reagiert mit Wasser zu zwei Hydroxid-Ionen. Das Calcium-Ion bleibt dabei in Wasser gelöst zurück.

Calciumoxid und weitere wasserlösliche Oxide der Alkali- und Erdalkalimetalle finden sich in Pflanzenasche, sodass die Asche basisch reagiert. Und das haben schon die findigen Sumerer zu nutzen gewusst (obwohl die noch nicht wussten was Basen sind), indem sie Asche zu warmen Pflanzenfetten gaben und eine weiche, aber formfeste Masse mit erstaunlichen Eigenschaften erzeugten: Seife. Heutzutage wird Seife noch genauso hergestellt – nur verwendet man anstelle der Asche Natriumhydroxid (NaOH), ein Salz, das mit Wasser die stark basische Natronlauge bildet.

 

Reaktionsschema zur Seifenherstellung : Wie Tenside seit 5000 Jahren gemacht werden

Seifenherstellung: Reaktion von Fetten mit einer Base zu Glyzerin und Fettsäure-Anionen

 

Wer Seife selbst herstellen möchte, findet hier ein Rezept dafür. Natriumhydroxid und Natronlauge sind jedoch stark ätzende Substanzen, die mit gebührender Vorsicht verwendet werden sollten!

Einfache Seife ist also ein Gemisch aus Glyzerin und den Anionen der verschiedenen Fettsäuren (eine gute Seife enthält praktisch keine Hydroxid-Ionen mehr, was erreicht wird, indem die Base bei der Herstellung etwas unterdosiert zum Einsatz kommt, sodass sie während der „Reifezeit“ der Seife von mehreren Wochen praktisch vollständig aufgebraucht wird). Und diese Fettsäure-Anionen sind ganz besondere Moleküle: Sie wechselwirken nämlich auf zweierlei Art mit ihrer Umgebung!

 

Mischung oder Trennung: Alles eine Frage der Anziehung

Die Art und Weise, wie ein Molekül mit anderen Molekülen in seiner Nachbarschaft wechselwirkt, hängt von der Verteilung der Elektronenladung im Molekül ab. Wenn diese nämlich ungleichmässig ausfällt, können Anhäufungen von negativer und positiver Ladungen in verschiedenen Molekülen einander anziehen. Und solche Anhäufungen gibt es, weil verschiedene Atomsorten ihre Elektronen (einschliesslich derer, die an Elektronenpaar-Bindungen beteiligt sind) unterschiedlich stark zu sich hinziehen. So entstehen polare, d.h. unsymmetrische Bindungen. Wie das im Einzelnen vor sich geht und welche Folgen das hat, könnt ihr in der Geschichte um die 13 Vitamine nachlesen.

Festzuhalten ist: Wenn in einem Molekül räumlich getrennte Anhäufungen von Elektronenladung entstehen (man spricht dann von einem Dipol-Molekül), können sich diese Anhäufungen und Bereiche mit einem Mangel an Elektronenladung gegenseitig anziehen. Und wenn Moleküle einander anziehen, lassen die Stoffe, welche aus ihnen bestehen, sich mischen.

Wasser ist der vielleicht bekannteste Stoff, der aus Dipol-Molekülen besteht. Und Stoffe, die sich mit Wasser mischen lassen, die also ebenfalls aus Dipol-Molekülen bestehen, nennt man hydrophil (griechisch für „wasserliebend“).

Auch in vielen organischen Molekülen gibt es solch unregelmässige Ladungsverteilung. Dazu zählen die sogenannten Carbonsäuren – solche Moleküle, die eine Carboxyl-Gruppe beinhalten.

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Essigsäure, eine einfache Carbonsäure, mit Anhäufungen von Ladung

Essigsäure ist eine einfache Carbonsäure. Die Carboxyl-Gruppe enthält Kohlenstoff- und Sauerstoff-Atome, auf welche die Elektronenladung nicht gleichmässig verteilt ist. So können die Essigsäure-Moleküle einander, aber auch andere Moleküle mit ungleichmässiger Ladungsverteilung anziehen: Essigsäure ist deshalb sehr gut mit Wasser mischbar!

Moleküle aus ähnlich „starken“ Atomen, deren Elektronenladung weitgehend gleichmässig verteilt ist, können keine Dipole sein. Und trotzdem ziehen sie einander an – auf eine andere Weise, die sich massgeblich von der Anziehung zwischen Dipolen unterscheidet. Moleküle mit gleichmässiger Ladungsverteilung lassen sich deshalb gut miteinander mischen, jedoch nicht Molekülen, welche die Anziehung zwischen Dipolen bevorzugen!

Da die Fette zu den „gleichmässigen“ Molekülen zählen, nennt man Stoffe aus solchen Molekülen lipophil (griechisch „fettliebend“).

 

Ein einfaches Modell für ein vielseitiges Molekül

Das Besondere an Fettsäure-Anionen ist: Sie sind sowohl hydrophil als auch lipophil! Das heisst allerdings nicht, dass sie sich gleichermassen gut mit Wasser und mit Fetten mischen lassen. Es sind vielmehr unterschiedliche Abschnitte der Moleküle, die entweder hydrophil oder lipophil sind.

So heissen Fettsäuren wie sie heissen, weil sie Carbonsäuren sind. Das heisst, ein Fettsäuremolekül enthält eine Carboxylgruppe, die ein H+-Ion abgeben und zur Carboxylat-Gruppe werden kann, dank welcher die Fettsäure zum Fettsäure-Anion wird. Und ein Anion enthält eine Extremform der Anhäufung von Elektronenladung: Diese Anhäufung ist so gross, dass ihre elektrische Ladung derer eines oder mehrerer ganzer Elektronen entspricht (Die Ladungs-Anhäufungen in Dipol-Molekülen sind stets kleiner als die Ladung eines Elektrons!).

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Und Carboxylgruppen sind (wie Carboxylat-Gruppen auch) hydrophil.

Allerdings befindet sich die Carboxylgruppe einer Fettsäure am Ende einer langen Atom-Kette aus Kohlenstoff- und Wasserstoff-Atomen. Und die sind in Sachen Elektronen-Anziehen nahezu gleich stark. Deshalb sind solche Kohlenwasserstoff-Ketten lipophil.

Während die Carboxylatgruppe eines Fettsäure-Anions also mit Wasser mischbar ist, ist seine Kohlenwasserstoff-Kette mit Fett (und nicht mit Wasser) mischbar. Und beide sind fest miteinander verbunden! Solch ein Molekül gleicht damit einer Schlange: Der Kopf beisst, und der Schwanz kann sich um einen Ast winden. Beide zusammen ergeben ein Tier, das in Bäumen Beute jagen kann.

Oder noch einfacher: Die Carboxylatgruppe sei wie der Kopf eines Streichholzes, der sich an einer Reibefläche entzünden lässt, während die Kohlenwasserstoff-Kette den Schaft zum Festhalten der Flamme bildet.

Streichholzmodell für Tenside

Carboxylat-Anion als „Streichholz“: Der rote Kopf ist wasserliebend, der blaue Schaft ist fettliebend.

 

Damit brauchen wir uns nicht länger mit Atomen, Atomgruppen und ungleichmässig verteilter Elektronenladung herum zu schlagen. Es genügt zu wissen: Die Streichholz-Köpfe mischen sich mit Wasser, die Streichholzschäfte mit Fett und anderen lipophilen Stoffen. Deshalb heissen solche „Streichholz“-Teilchen amphiphil – beides liebend – oder auch „Tensid“.

Die Fettsäure-Anionen, deren „Köpfe“ also eine negative Ladung tragen, gehören zu den „anionischen“ Tensiden. Doch auch Fettsäuren, welche ihr H+-Ion nicht abgegeben haben, sind amphiphil. Sie gehören mangels einer ganzen elektrischen Ladung zu den nichtionischen Tensiden. Ebenso gibt es kationische Tenside mit einer positiven ganzen Ladung am Kopf, und schliesslich amphotere Tenside, die sowohl eine positive als auch eine negative Ladung am Kopf tragen.

 

Wie Seife funktioniert: Streichholz-Tenside und Grenzflächen

Stellt man ein Gefäss mit Wasser an der Luft, hat man zwei Stoffe oder Stoffgemische direkt nebeneinander, die unterschiedlich wechselwirken: Wasser ist hydrophil, während die meisten Luftmoleküle (Luft besteht hauptsächlich aus Stickstoff, N2 und Sauerstoff, O2) lipophil sind. Folglich wollen beide nicht viel miteinander zu tun haben und bilden ihre eigenen Cliquen. Wassermoleküle halten sogar so stur zusammen, dass sie die meisten Luft-Moleküle strikt draussen halten.

Teilchen, die aus der Luft ins Wasser oder umgekehrt passieren möchten, müssen damit Auflagen erfüllen und Mühen auf sich nehmen wie wir mancherorts, wenn wir eine Landesgrenze überschreiten wollen. Dementsprechend wird solch eine trennende Fläche zwischen Luft und Wasser (aber auch zwischen anderen Stoffen) Grenzfläche genannt.

Das Bollwerk, das die zusammenhaltenden Wassermoleküle an der Wasseroberfläche bilden zeigt sich uns als „Oberflächenspannung“: Es ist so fest, dass kleine Tiere wie Wasserläufer darauf laufen können!

Wenn man Seife (Tenside) ins Wasser gibt, sortieren die sich in der bequemsten Ausrichtung – an der Grenzfläche zwischen Luft und Wasser, sodass die hydrophilen Köpfe ins Wasser und die lipophilen Schwänze in die Luft weisen! Damit stören sie den Zusammenhalt der Wassermoleküle an der Oberfläche so empfindlich, dass jeder Wasserläufer auf Seifenwasser umgehend untergehen würde.

Streichholzmodell: Tenside an einer Grenzfläche

Das könnt ihr ganz einfach ausprobieren – aber bitte nicht mit Tieren! Als Ersatz für einen Wasserläufer schwimmt auch eine eiserne Büroklammer (seiner Dichte wegen sollte Eisen sofort sinken!) auf Wasser, wenn man sie vorsichtig darauf legt. Sobald man jedoch Seife in eine Schale Wasser gibt, auf welchem eine Büroklammer schwimmt, wird diese umgehend untergehen.

Die Oberfläche des Wassers in einem Behälter hat jedoch eine begrenzte Grösse. Wenn man genügend Seife hineingibt, wird sie irgendwann gänzlich von Tensiden besetzt sein, sodass die Übrigen keinen Platz mehr finden werden. Diesen ausgegrenzten Molekülen bleibt nichts anderes übrig, als Zuflucht in „Selbsthilfegruppen“ zu suchen: Sie lagern ihre Schwänze so zu einer Kugel zusammen, dass alle Schwanzenden auf deren Zentrum weisen. Damit befinden sich alle Köpfe aussen – dem Wasser zugewandt – sodass sich diese Tensid-Kugeln wunderbar mit dem Wasser mischen können, während ihr lipophiler Anteil in ihrem Inneren verborgen bleibt. Solche Kugeln oder ähnlich abgeschlossenen Tensid-Gebilde werden von Chemikern auch Mizellen genannt.

Streichholzmodell: Tenside bilden eine Mizelle

 

Das Geheimnis der Superwaschkraft

Die Fähigkeit zur Bildung von Mizellen ist auch das Geheimnis der Waschkraft von Seife. Jeder, der schon einmal versucht hat, eine fettige Pfanne bloss mit Wasser zu reinigen, wird festgestellt haben, dass das Fett sich von Wasser reichlich wenig beeindruckt zeigt und kaum von der Stelle weicht. Taucht man die Pfanne samt Fett jedoch in seifenhaltiges Wasser, eröffnen sich für die Tenside darin ganz neue Möglichkeiten:

Jetzt können sich die lipophilen Schäfte nämlich an die Oberfläche der Fettpartikel anlagern und diese dicht an dicht besetzen. So verschaffen die Tenside den Fetten eine mit Wasser mischbare Oberfläche aus „Streichholzköpfen“. Das Ganze geht sogar so weit, dass die Tenside sich regelrecht zwischen Fettpartikel und Pfannenoberfläche drängen, sodass die Partikel bald abgelöst werden und als vollständig geschlossene „Mizellen mit was drin“ durch das Wasser treiben und weggespült werden können!

Streichholzmodell : Die Super - Fettlösekraft der Tenside

 

Tenside als Spielzeug

Nicht nur für die Waschkraft von Seife zeichnen Tenside verantwortlich, sondern auch für ein seit Generationen beliebtes Spielzeug: Seifenblasen. Wenn man die kauft, erhält man meist einen handlichen Kunststoffzylinder mit einer Seifenlösung und einem kleinen Ring am Stab zum Hineintauchen. Wenn man den Ring aus der Lösung nimmt, spannt sich darin ein dünner Film aus Seife, der sich, sobald man sanft hineinbläst, zu einer Blase ausdehnt, abschnürt und in schillernden Regenbogenfarben langsam durch die Luft davontreibt.

Aber woraus bestehen die ätherischen, fast gewichtslos wirkenden Seifenblasen eigentlich?

Hauptsächlich aus Tensiden, die eine besonders trickreiche Anordnung einnehmen! Ausserhalb und innerhalb einer Seifenblase befindet sich nämlich Luft, sodass es sich anbietet, an der Innen- und Aussenfläche einer Seifenblase Schwänze zu haben. Tatsächlich ordnen sich die Tenside dicht an dicht zu einer doppelten Schicht, wobei alle Schäfte der inneren Schicht nach innen und jene der äusseren Schicht nach aussen weisen. Folglich weisen alle Streichholzköpfe in die Mitte zwischen den Schichten. Und da bietet es sich an, gleich noch eine sehr dünne Schicht Wassermoleküle zwischendrin einzuschliessen, damit es zwischen einzelnen Ladungen der gegenüberliegenden Köpfe nicht zu Abstossung kommt.

Streichholzmodell: Tenside formen eine Seifenblase

Seifenblase, dargestellt als Streichholzmodell (Nach: „Schaumbläschen“ by Roland.chem [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons)

 

Die Anziehung zwischen den geordneten Tensiden ist damit so gross, dass sie selbst in bewegter Luft zu einem hauchdünnen, aber sichtbaren Film zusammenhalten und die eingeschlossene Wasser-Schicht tragen können….fast zumindest. Denn wer Seifenblasen genau beobachtet, wird feststellen, dass sie in der Regel zerplatzen bevor sie ganz zu Boden gleiten oder auf ein Hindernis treffen. Und wer besonders grosse Seifenblasen macht und noch genauer hinschaut (oder eine Zeitlupenkamera sein Eigen nennt), mag bemerken, dass die Blasen zuerst oben aufreissen, ehe sie ganz zerfallen.

Das zeigt uns, dass die Schwerkraft am Ende doch gewinnt. Früher oder später werden die Wassermoleküle der Zwischenschicht nämlich doch zu schwer und in der Seifenblassen-Hülle nach unten gezogen. Dort sammeln sie sich an, während die Blase im oberen Bereich zunehmend trocken fällt – bis sich die Tensid-Köpfe schliesslich berühren und abstossen. So gerät die geniale Streichholz-Doppelschicht gänzlich aus den Fugen und reisst auseinander. Die einstmals schillernde Blase wird wieder zu einem schlichten, ungeordneten Tropfen Seifenlösung, der eben dort landet, wo die Seifenblase ihr kurzes Dasein beendet hat.

 

Tenside als Bausteine des Lebens

Auch in und um Lebewesen gibt es zahlreiche mehr oder minder überwindbare Grenzflächen wie jener zwischen Luft und Wasser. So atmen Landsäugetiere wie wir Menschen Sauerstoff-Moleküle, indem wir ihnen ermöglichen, in unseren Lungenbläschen aus der Luft hinaus und in unsere wasserhaltige Blutbahn einzutreten. Wasserlebewesen bewerkstelligen das Gleiche in ihren Kiemen, die dafür geschaffen sind, im Wasser gelösten Sauerstoff in den Körper hinein zu lassen.

Um mit solchen und vielen anderen Grenzflächen umzugehen, hat sogar das Leben seine ganz eigenen Tenside geschaffen! Diese Moleküle unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von Seife, können jedoch ebenfalls in einen hydrophilen Kopf und einen lipophilen Schwanz gegliedert werden. Aus solchen Tensiden besteht zum Beispiel die Aussenhülle von Körperzellen: Dabei handelt es sich um eine doppelte Schicht aus dicht gepackten „Streichhölzern“, deren Schäfte allesamt nach innen und die Köpfe nach aussen weisen – also quasi um eine umgekehrte Seifenblase.  Das ist praktisch, weil sowohl das Innere der Zelle mit Wasser (und vielem anderen) gefüllt ist, als auch Wasser die Zellen im Körper umgibt. Da die Hülle der Zellen jedoch innendrin lipophil sind (dort befinden sich die Tensid-Schäfte!), können sich das Wasser draussen und das Wasser drinnen nicht einfach vermischen! Was hydrophil ist und in die Zelle hinein- oder aus ihr hinaus soll, muss durch speziell dafür vorgesehene „Fenster-“ oder „Tunnel-„Moleküle hindurch.

 

Wann Tenside zum Problem werden

Der Umstand, dass viele Lebewesen sich hervorragend mit den Grenzflächen zwischen ihnen selbst und ihrem Lebensraum „draussen“ arrangiert und allerlei Tricks entwickelt haben, um ihrer Umgebung Nahrung und Sauerstoff zu entnehmen, führt dazu, dass viele Tenside, die wir erfunden haben um ebensolche Grenzflächen zu zerstören (um zum Beispiel Fettreste mit Wasser lösen zu können), für solche Lebewesen giftig sind. Das gilt besonders für Wasserlebewesen, welche die dichten Grenzflächen ihres Lebensraums in vielerlei Hinsicht zum Leben brauchen.

Deshalb müssen die Seifen und anderen Tenside, die wir tagtäglich verwenden, erst abgebaut werden, bevor sie in die Umwelt gelangen dürfen! Das besorgt zum Beispiel ein Klärwerk, in dem Bakterien für genau diesen Job „angeheuert“ werden. Diese Bakterien, die sich im Klärbecken über Tenside hermachen, haben zum Beispiel die zwei folgenden Möglichkeiten, die „Streichholz“-Moleküle unschädlich zu machen:

  1. Sie trennen den Streichholzkopf vom Schaft. Damit bleiben zwei Teilmoleküle, eines wasser- eines fettliebend, die jedes für sich ihre Lieblingsumgebung suchen und keinen Schaden mehr anrichten können.
  2. Sie verpassen dem Schaftende einen zweiten Kopf. So entsteht ein zweiköpfiges „Streichholz“, das nach beiden Enden wasserliebend ist und somit für das Zusammenspiel der Tenside nicht mehr brauchbar ist.

Wer also ein nützliches Tensid „erfinden“ möchte, tut gut daran, nicht nur über die mögliche Giftigkeit des Tensids nachzudenken. Wenn nämlich dessen Abbauprodukte, welche die Bakterien im Klärwerk daraus herstellen, für sich aus irgendeinem Grund ebenso giftig sind, würde die Entsorgung der Tenside damit ihres Sinnes beraubt.

So sind die Seifen unseres täglichen Gebrauchs wohl für viele Wasserlebewesen gefährlich, aber auch für den Abbau im Klärwerk geschaffen. Aus diesem Grund gehört Seifenwasser unbedingt in einen Haushaltsabfluss entsorgt, der an ein Abwassersystem und damit möglichst direkt an eine Kläranlage angeschlossen ist.

Innerhalb eines Gebäudes ist das hierzulande kein Problem. Ein Auto passt jedoch in den seltensten Fällen ins Haus, und das Seifenwasser samt Öl- und anderen Resten beim Autowaschen einfach in die Gegend laufen zu lassen erachten viele wichtige Lebewesen in Wasser und Boden als ganz schlechte Idee (und ist je nach Art des vorhandenen Entwässerungssystems sogar verboten!). Deshalb verdient jedes Auto, das nach einer Wäsche mit Seife verlangt, eine Fahrt durch eine Autowaschanlage, die eine umweltschonende Entsorgung ihrer Abwässer übernimmt.

Richtig problematisch wird es damit erst, wenn Tenside zum Einsatz kommen, um Unmischbares zu mischen, das dazu bestimmt ist, in der Landschaft verteilt zu werden. So stecken in Pflanzenschutzmitteln, die (nicht nur) den berüchtigten Wirkstoff Glyphosat enthalten, in der Regel auch Tenside. Und die gelangen beim Spritzen von Pflanzen auf Äckern und in Gärten ungehindert in die Umwelt, was, wie Sebastian auf Nullius in Verba schreibt der Abschnitt über die Tenside findet sich am Schluss des Beitrags) , die Problematik des eigentlichen Glyphosats, letztlich in den Schatten stellt!

 

Fazit

Tenside gehöhren in Form von Seife zu den am längsten von Menschen genutzten Chemikalien der Welt. Ihre Fähigkeit auf zweierlei Weise mit ihrer Umgebung zu wechselwirken und Grenzflächen durchlässig zu machen macht sie zu starken und vielseitigen Helfern im Alltag. Wo Grenzflächen allerdings lebensnotwendig sind, werden Tenside schnell zur Gefahr. So nützlich ihre Superwasch- und mischkraft auch ist, setzt Seife und andere Tenside mit Bedacht ein und geniesst ihren Nutzen ohne bitteren Beigeschmack!

Und wo begegnen euch Tenside in eurem Alltag?

Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2016. Deshalb gibt es ihn für einmal auswärts zu lesen – und eure Mitwirkung ist gefragt!

 

Letztes Jahr erhielt ich von meiner Schwägerin ein duftiges Weihnachtsgeschenk: Ein Fläschchen mit einer Duft-Essenzmischung. „Diese Essenzen lassen aufatmen“ steht darauf, und aus 100% naturreinen ätherischen Ölen soll der Inhalt bestehen. Wunderbar! Das natürliche Aroma von Wald, Kräutern und Gewürzen für das eigene Zimmer, ganz ohne Zusatzstoffe – mag so mancher denken, der von der Sanftheit und Verträglichkeit der Natur überzeugt sein mag. Und der das Fläschchen noch nicht umgedreht hat.

Auf dessen Rückseite prangen nämlich gleich vier rotumrandete Rauten mit alarmierenden Symbolen darin, wie man sie von Chemikalien-Verpackungen her kennt: Die GHS-Gefahrensymbole für „entzündlich“, „gesundheitsschädlich“, „Gefahr“ und „umweltgefährdend“. Gefahrstoffe in der naturreinen Essenzmischung? Was ist da noch drin nebst den natürlichen Duftstoffen? Bin ich etwa einem Skandal auf der Spur….?

 

Warum Naturstoffe und gefährliche Chemie in einer Flasche keinen Widerspruch darstellen, könnt ihr in meinem Wettbewerbsbeitrag auf Astrodicticum Simplex nachlesen und eure eigene Stimme beim Leser-Voting hinterlassen. Dabei könnt ihr sogar etwas gewinnen! Die Einzelheiten zu Ablauf und Abstimmung sind am Anfang des Wettbewerbsbeitrags verlinkt!

Dieser Artikel ist gleichermassen ein Beitrag zur Blogparade „Liebe zur Natur“ von Frank Ohlsen auf „Finde dich selbst“ und zur Blogparade „Souvenirs, Souvenirs – was sammelst du?“ von Renate auf „Raus ins Leben“. In meinem Leben sind diese beiden Themen nämlich unweigerlich miteinander verbunden. Schliesslich bestimmt meine Liebe zur Natur unweigerlich meine Reiseziele mit.

Eigentlich hat die Liebe zur Natur schon immer einen zentralen Platz in meinem Leben. Schon als Kinder haben meine Schwestern und ich in den Ferien an naturbelassenen Nord- und Ostseestränden gespielt, in den Mittelgebirgen auf dem Bauernhof gespielt und Pilze gesammelt und die unfassbar weitläufigen Wälder Südschwedens kennengelernt. Und was wir nicht bereisten, habe ich mir kiloweise aus der Sachbuchabteilung der Stadtbibliothek mit nach Hause geschleppt.

Auf der Umwelt-Aktivismus-Welle der 1990er haben wir mit Freunden unser eigenes „Greenteam“ gegründet und den gar zu vermüllten Stadtwald aufgeräumt (in Deutschland war und ist das Littering-Problem um vieles grösser als ich es in der Schweiz jemals beobachtet habe). Denselben Stadtwald, in welchem ich „vor der Haustüre“ den exotisch anmutenden Gefleckten Aronstab finden oder (mehrfach!) einen Eisvogel beobachten konnte.

Und je älter ich wurde, desto mehr packte mich der Sog, das Verlangen zu verstehen, wie diese Wunder funktionieren, was im ganz Kleinen in all diesen Dingen – Pflanzen, Tieren, dem Menschen, aber auch im Planeten Erde und im Kosmos – vor sich geht. So hat die Liebe zur Natur schliesslich auch meine Berufswahl beeinflusst: Ich habe Chemie studiert und bin den ganz kleinen Dingen und Vorgängen wirklich tief auf den Grund gegangen.

Das Staunen und Geniessen habe ich dabei jedoch nie verlernt. So spiegelt sich meine Liebe zur Natur in einem weiteren Bereich meines Lebens: Dem Reisen. Wo auch immer mein Weg mich hinführt stehen die verschiedensten Naturwunder auf dem Programm, ob auf den Vulkanen der Kanaren, den Nationalparks in den USA oder beim Samstagsausflug in meiner Wahlheimat, der Schweiz. Das wiederum funktioniert nur, weil ich meine Liebe uneingeschränkt mit meinem Lebensgefährten teilen kann – sodass wir praktisch keine Meinungsverschiedenheiten kennen, wenn es um die Auswahl von Reisezielen und -routen geht.

Und dafür möchte ich meinem Schatz Reto an dieser Stelle von Herzen danken! Es war wunderbar, mit dir den Vulkangipfel des Monte Teide auf Teneriffa zu erreichen, die Geysire und Bisons und vieles mehr im Yellowstone-Nationalpark zu bestaunen, einen unglaublichen Sonnenuntergang auf der Überfahrt von Nanaimo nach Vancouver zu erleben, die südfranzösischen Tropfsteinhöhlen zu erkunden, am endlos weiten (Fast-)Algarve-Strand im Atlantik zu baden, im Sequoia-Nationalpark mit einer Bärenfamilie auf Tuchfühlung zu gehen, die Erinnerung an eine Wanderung durch unberührten Schnee auf unserem Hausberg (die ich zur Abwechslung mal allein gemacht habe) zu teilen – und noch so vieles mehr erlebt zu haben.

Souvenirs mit Liebe zur Natur gewählt

Bei so vielen grossartigen Reisezielen entsteht unweigerlich das Verlangen nach Souvenirs – nach Erinnerungen an die unbeschreiblichen Eindrücke. Doch gerade Souvenirs aus der Natur oder mit Bezug dazu sind oft mit Kontroversen behaftet: Zerstörte Stätten und Missachtung von Artenschutz-Gesetzen dämpfen nicht nur unsere Freude an Reisezielen, sondern machen auch deutlich, wie bitter nötig unsere Erde die Achtsamkeit all ihrer menschlichen Bewohner hat.

Aber welche Andenken an die Natur können wir mit heimnehmen und dabei Achtsamkeit zeigen oder gar den Schutz ihrer Wunder fördern anstatt sie zu zerstören? Hier sind meine bzw. unsere liebsten Souvenirs und Mitbringsel als Anregungen:

 

1. Fotos

Im heutigen Digitalzeitalter muss mit Aufnahmen nicht mehr gespart werden. Dahingegen sind immer mehr Pflanzen (und Tiere) aus gutem Grund geschützt. Nachdem ich als Kind noch das Pressen von Pflanzen gelernt und das „klassische“ Alpenkräuter-Herbarium meiner Mutter bewundert habe, habe ich mir vor einigen Jahren ein „digitales Herbarium“ angelegt.

Souvenirs , die der Natur nicht schaden: Feuerlilie im digitalen Herbarium

Eintrag im digitalen Herbarium, Marke Eigenbau mit MS Access. Die wilde Feuerlilie ist eine streng geschützte Rarität aus dem Engadin im Kanton Graubünden.

 

Hier hat man zwar das Material selbst nicht in der Hand, aber die Vorteile sind bestechend: So kann ich die auf Fotografien „gesammelten“ Pflanzen nicht nur jederzeit frisch und in ihrer natürlichen Umgebung bewundern, sondern auch seltene, gefährdete oder/und in Schutzgebieten wachsende Arten ohne Skrupel in die Sammlung aufnehmen.

Und auf die gleiche Weise können Insekten und andere Tiere, Bäume und vieles mehr ohne Schaden an der Natur gesammelt werden.

 

2. Steine, Mineralien, Fossilien, Sand

Versteinerte Lebewesen oder gar Kristalle selbst zu finden ist nicht nur für Kinder ein eindrückliches Erlebnis mit Erinnerungswert und im besten Fall mit einem Gratis-Andenken obendrauf. Bevor die Suche danach jedoch erfolgreich enden kann, ist oft eine sorgfältige Recherche von Fundstätten und möglichen Verboten oder Genehmigungsmöglichkeiten für eine Suche nötig. In Schutzgebieten dürfen auch Sand und Steine nicht mitgenommen werden – es sei denn, das ist ausdrücklich erlaubt! (Besonders auf dem amerikanischen Kontinent haben wir Gegenden und Naturparks entdeckt, in denen das Schürfen nach Mineralien oder das Goldwaschen gar als Attraktion vermarktet wird.)

Dafür gibt es in vielen Besucherzentren und Museumsshops sowie in Mineralienfachgeschäften in geologisch spannenden Gebieten Mineralien und Fossilien zu kaufen (und die sind nicht einmal zwingend teuer). Allerdings gibt es auch hier viel Kitsch: Insbesondere Achat-Scheiben in leuchtendem Grün, Blau oder gar Pink sind garantiert künstlich eingefärbt! Zu meinen Favoriten unter den käuflichen Souvenirs zählen daher naturbelassene Mineralien aus der bereisten Gegend.

Souvenirs, die nicht schaden: Mineralien aus dem Museumsshop

Einblick in meine Mineraliensammlung – enthält viele, grösstenteils gekaufte Mitbringsel

 

3. Muscheln und Schnecken

Die allermeisten Menschen, die schonmal am Strand gewesen sind, werden dort auch Muscheln gesammelt haben. Trotzdem oder gerade deshalb gibt es um diese beliebten Souvenirs in der Onlinewelt heisse Kontroversen.

In meinen Augen sind diese jedoch, zumindest was das Auflesen von Muschelschalen am Badestrand betrifft, übertrieben – zumal es unmöglich sein dürfte, der Menschheit einen derart eingefahrenen Brauch einfach „abzugewöhnen“.

Natürlich kann auch am Strand Schalen einer geschützten Art auftauchen (wer ganz sichergehen will, sollte sich daher vor dem Sammeln gründlich informieren, welche Fundstücke „Ärger machen“ können, zum Beispiel in der Artenschutz-Datenbank beim deutschen Zoll). Viel wahrscheinlicher ist die Begegnung mit solchen – auch mit lebenden Exemplaren – beim Schnorcheln, Tauchen oder in Souvenirshops, zumal die Herkunft der Waren in letzteren oft unklar und die Aussagen von Händlern nicht verlässlich sind.

Deshalb nehme ich mir lieber selbst eine Muschel als Souvenir vom Strand mit und weiss, woher sie kommt, und lasse möglicherweise bedenkliche und nicht selten kitschige Souvenirs in Läden links liegen.
Manche Länder verbieten allerdings generell die Ausfuhr von Naturalien wie Muscheln und Steinen, sodass ich nur empfehlen kann, sich vorab über die Gesetzeslage am Ziel der Reise zu informieren.

Weichtierschalen aus der Nordsee, die ich vor knapp 20 Jahren am Strand gesammelt und bestimmt habe.

Weichtierschalen aus der Nordsee, die ich vor knapp 20 Jahren am Strand gesammelt und bestimmt habe.

 

4. Samen und Setzlinge

Pflanzen können ebenso – und ebenso berechtigt – unter Artenschutz stehen wie Tiere, weshalb ich das Foto-Herbarium aus Punkt 1. führe anstatt Wildpflanzen zu sammeln. Viele botanische Gärten und Naturparks bieten inzwischen jedoch Setzlinge oder Saatgut aus eigener Nachzucht an, die mein Lebensgefährte und ich als Andenken sehr schätzen – zumal Reto praktisch alles erfolgreich zum Keimen bringt. Er hat jedoch nicht einfach nur einen grünen Daumen, sondern informiert sich gründlich, welche – oft zeitaufwändigen – Sonderbehandlungen exotisches Saatgut oft „verlangt“.

Dabei sind besonders die exotischeren Souvenirs nicht nur der klimatischen Anforderungen wegen nur als Zimmer- oder allenfalls Balkon-Kübelpflanzen geeignet, sondern sollten auch daran gehindert werden in unserer heimischen Umgebung zu verwildern. Denn viele „fremde“ Arten haben hierzulande keine natürlichen Feinde und können so ungehindert eine regelrechte Invasion in hiesige Ökosysteme starten. Deshalb gehören exotische Setzlinge nicht in den Garten.

Retos Jungpflanzenzucht - Mitbringsel, die wachsen

Retos Jungpflanzenzucht – Mitbringsel, die wachsen

 

5. Geocaching

Mit dem GPS-Gerät oder einer entsprechenden App auf dem Smartphone rund um den Globus nach von Mitspielern versteckten Schätzen suchen ist für uns auch eine Form der Souvenir-Jagd. Denn für jeden gefundenen Geocache darf ein Cacher einen Kommentar (ein „Log“) zum Eintrag dieses Schatzes im Verzeichnis auf www.geocaching.com hinterlassen und bekommt diesen Fund fortan als solchen auf der persönlichen Geocaching-Googlemap als solchen angezeigt.

So haben uns nicht nur die Erschaffer vieler Geocaches an unseren Reiserouten an überraschende und unbekannte Orte geführt, sondern das Eintragen der Fundlogs in die Land- bzw. Weltkarte ermöglicht es uns, unsere Reiserouten noch einmal nachzuvollziehen und Erinnerungen – die wohl wertvollsten Souvenirs wieder aufleben zu lassen.

An vielen geologisch interessanten Stätten wartet zudem ein sogenannter „Earthcache“, an dessen Koordinaten anstelle der Suche nach einem Behälter Aufgaben gelöst oder Fragen zur Umgebung beantwortet werden sollen. So lässt sich vielerorts einiges über die Wunder der Natur lernen – und Wissen ist ein weiteres völlig unverfängliches Souvenir aus der Natur.

 

6. Patenschaften

Während unserer Reise durch die grossen Nationalparks der Vereinigten Staaten im Sommer 2014 haben wir eine Möglichkeit entdeckt mit dem Kauf von Souvenirs sogar direkt zum Schutz der Natur beizutragen: In den Besucherzentren mehrerer Parks können Besucher an Ort und Stelle eine Tierpatenschaft übernehmen. Für eine einmalige Spende von 30$, welche dem Schutz der Tiere im Park zugute kommen sollen, gab es eine Patenurkunde und ein Plüsch-Exemplar des „Aushänge-Tiers“ des jeweiligen Parks.

So haben wir Retos Schwester anstelle irgendeines Gegenstands von fraglichem Nutzen kurzerhand eine Paten-Urkunde aus dem Zion-Nationalpark mitgebracht und hatten überdies ein Maskottchen für die weitere Tour:
Im Sommer 2015 haben wir die Patentiere in den Parks im nördlicheren Teil der Staaten leider nicht wiedergesehen, doch hoffe ich auf ihre Rückkehr (2017 werden wir wieder nachsehen) und ebenso darauf, dass dieses Beispiel für wirklich nützliche Andenken auch andernorts Schule macht.

Souvenirs , die Nutzen haben: "Little Bighorn", unser Maskottchen als Beigabe zur Patenschaft für ein Desert Bighorn Sheep.

„Little Bighorn“, unser Maskottchen als Beigabe zur Patenschaft für ein Desert Bighorn Sheep.

Fazit

Die Suche nach Souvenirs, welche mit der Liebe zur Natur vereinbar sind, verlangt in den meisten Fällen ein wenig (oder ein wenig mehr) Sachkenntnis. Doch gerade das Lernen über die Natur am Reiseziel vorab und vor Ort macht eine Besichtigung oder gar ein Erlebnis gleich noch einmal so spannend – und bringt mich der Natur erst richtige nahe.Tatsächlich gebe ich meiner Liebe zur Natur durch das Lernen – und Lehren – über sie erst Ausdruck.

Der einfachste und unverfänglichste Weg zu Souvenirs aus der Natur führt in meinen Augen heutzutage über Hilfsmittel aus der digitalen Welt, wie der Fotografie, welche uns erlaubt selbst geschützte Arten und einzigartige Stätten mit nach Hause zu nehmen ohne sie zu gefährden.

Und welche Souvenirs aus der Natur bringt ihr mit heim?

Feuerwerk - Tradition oder Umweltsünde?

Der Legende nach gründeten Vertreter der drei Ur-Kantone Schwyz, Uri und Unterwalden am 1. August 1291 die Eidgenossenschaft, aus welcher sich die heutige Schweiz entwickelt hat. Deshalb wird der „Geburtstag der Schweiz“ jedes Jahr mit einem Nationalfeiertag voller Bräuche und Traditionen begangen.

Eine dieser Traditionen scheidet jedoch selbst in der Schweiz, ebenso wie an Silvester in Deutschland, Österreich und anderen Ländern, die Geister: Das Feuerwerk. Ähnlich wie zum Jahreswechsel in den Nachbarländern (aber auch in der Schweiz selbst), brennen die Schweizer am Abend ihres Nationalfeiertags traditionell im privaten Rahmen Feuerwerk ab. Im Unterschied zu Silvester jedoch nicht vornehmlich innerhalb von 15 bis 30 Minuten nach Mitternacht, sondern über den ganzen Abend verteilt.

Umso mehr Zündstoff liefert dieses Geburtstagsfeuerwerk auch Tierbesitzern, Lärmempfindlichen oder Atemwegserkrankten, für welche Tage wie diese nicht selten zur Belastung werden. Um den Bedürfnissen sowohl der Anhänger der Tradition als auch der Belasteten gerecht zu werden, hat das Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) reichlich Zahlen und Studien rund um Feuerwerk und seine Auswirkungen auf die Umwelt gesammelt, die auch Grundlage für diese Geschichte um die Chemie in Feuerwerkskörpern und ihre Bedeutung für die Umwelt sind.

 

Eine Schweizer Tradition: Zahlen zum Feuerwerk – nicht nur am Nationalfeiertag

Das BAFU schätzt, dass in der Schweiz in jüngeren Jahren (2009 bis 2013) jährlich rund 2000 Tonnen Feuerwerkskörper zum Einsatz kommen – der Löwenanteil davon am 1. August und an Silvester. Dabei besteht solch ein Feuerwerkskörper jedoch zu rund 75% aus Hüllenmaterial, also Pappe, Papier, Ton oder Kunststoff, sodass tatsächlich „nur“ 500 Tonnen eigentliches Feuerwerksmaterial (pyrotechnische Sätze) abgebrannt werden.

Die Hälfte davon, also rund 250 Tonnen, machen Treibladungen aus Schwarzpulver aus, die andere Hälfte sogenannte Effekt-Ladungen, welche unter anderem verschiedene Metalle zur Erzeugung farbenfroher Leuchterscheinungen enthalten.

 

Wie funktioniert ein Feuerwerkskörper/eine Rakete?

Feuerwerks-Rakete

Die klassische zylindrische Feuerwerks-Rakete ist „zweistufig“ aufgebaut: Die untere Stufe enthält Schwarzpulver als Treibladung sowie die Anzündung („Lunte“).

Schwarzpulver ist ein Gemisch, in der Regel aus 75% Kaliumnitrat (KNO3), 15% Holzkohlepulver (Kohlenstoff) und 10% Schwefel. Bei Zündung zersetzt sich das Kaliumnitrat und liefert in der von der Aussenluft abgeschlossenen Treiberhülse reichlich Sauerstoff für die Verbrennung der übrigen Komponenten. Dabei entstehen rasch grosse Mengen verschiedener Gase, die durch die Düse gebündelt nach unten austreten und die Rakete mittels Rückstoss in die Luft befördern. Der Leitstab sorgt dabei für eine ruhige Flugbahn der Rakete.

Schwarzpulver in „natürlicher“ Umgebung enthält immer etwas Feuchtigkeit (Wasser, H2O). Beim Entzünden des Gemischs entstehen aus einer kleinen, kompakten Menge von Feststoffen eine grosse Menge von Gasteilchen (Stickstoff – N2, Kohlenstoffdioxid – CO2, Kohlenstoffmonoxid – CO – reagiert mit Sauerstoff weiter zu CO2, Methan – CH4, Schwefelwasserstoff – H2S, Wasserstoff – H2 – reagiert mit Sauerstoff weiter zu Wasserdampf, H2O), die von Natur aus Platz einnehmend und mit hoher Bewegungsenergie (entspricht Wärme!) auseinanderstreben.

Der wesentlich kleinere Anteil der Reaktionsprodukte sind feste Salze (Kaliumcarbonat – K2CO3, Kaliumsulfat – K2SO4, Kaliumsulfit – K2SO3, Kaliumsulfid – K2S, Kaliumthiocyanat oder -rhodanid – KSCN (im Übrigen wie alle anderen genannten Feststoffe ungefährlich), Ammoniumcarbonat – (NH4)2CO3, und Reste von Kohle – 〈C〉 und Schwefel – 〈S〉, die zur Entstehung von Rauch beitragen.

Die schnelle Freisetzung von Gasen verleiht Sprengstoffen wie dem Schwarzpulver ihre Sprengkraft. Triebkraft des Ganzen ist jedoch das Streben der beteiligten Stoffe nach Redox-Reaktionen, also dem Austausch von Elektronen: Bestandteile des Schwarzpulvers wie Kohlenstoff und Schwefel werden oxidiert – sie geben Elektronen an Sauerstoff ab, welcher mit der Aufnahme dieser Elektronen reduziert wird. Vergleichbares geschieht beim Rosten von Eisen und ist in der Geschichte zur Rostparade genauer beschrieben – nur um vieles gemächlicher als bei einer Sprengstoff-Explosion.

 

Während des Flugs verhindert die Trennladung eine vorzeitige Zündung der zweiten Stufe durch das verbrennende Schwarzpulver. Erst die Überzündung im oberen Teil der Treiberhülse ermöglicht nach dem Ausbrennen der Treibladung die Zündung der Zerlegerladung, welche die zweite Stufe der Rakete – die Effekthülle samt Effektladung – auseinander sprengt. Die dabei gezündete Effektladung leuchtet, während sie auseinandergerissen wird, farbig auf und erscheint uns für wenige Sekunden als bunte Sternenkaskade am Himmel.

Damit das funktioniert, enthält die Effektladung ihrerseits sauerstoffliefernde Stoffe, also Nitrate (wie Kaliumnitrat – KNO3) oder/und Perchlorate (wie Kaliumperchlorat – KClO4), und Metalle, die sehr hell und sehr heiss verbrennen – also Magnesium oder Aluminium, oder beide als Legierung „Magnalium“.

Die Verbrennung dieser Metalle geht mit Temperaturen bis 2000°C (!) einher. In einem solchen Inferno können chlorhaltige organische Verbindungen, wie der bekannte Kunststoff Polyvinylchlorid (PVC), Chlor-Atome abgeben, die mit den farbgebenden Metallen neue Verbindungen bilden, welche angeregt von der in den explosionsartigen Reaktionen freigesetzten Energie farbig  am Himmel leuchten (wie das Leuchten vor sich geht, erzählt die Geschichte um Farben, Licht und Glanz).

Dabei gibt zum Beispiel Barium grünes Licht, Strontium rotes, Kupfer blaues und Natrium orangegelbes Licht. Und ebenso entstehen im Feuer der Raketen-Explosion zahlreiche Nebenprodukte.

 

Welche Gefahren gehen von Feuerwerkskörpern aus?

Für Menschen:

Unfall-/Verbrennungsgefahr

Feuerwerkskörper brennen sehr, sehr heiss (wie bereits erwähnt mit bis zu 2000°C – während selbst ein guter Pizzaofen gerade einmal etwa 400°C zustande bringt): Das ist notwendig, um die gewünschten Leuchteffekte zu erzeugen. Deshalb gibt es zu Feuerwerkskörpern, die den Vorgaben der EU entsprechen, stets eine Bedienungsanleitung, die ausweist, wie sie zu handhaben sind, damit man sich verbrennt oder schlimmere Verletzungen erleidet. Deshalb gehören Feuerwerkskörper, vor allem solche mit Leuchteffekt, ebenso wenig in die Hände von (unbeaufsichtigten) Kindern wie in vollbesetzte Fussballstadien – denn auch die als „Pyros“ berüchtigten bengalischen Feuer erreichen derart hohe Temperaturen, bei denen nahezu alles zerstört wird, was man in einem Station finden kann: Menschen, Kleidung, Kunststoffe und vieles mehr. So stellen  Feuerwerkskörper gerade im dichten Gedränge eine erhebliche Verletzungsgefahr dar!

Gehörschädigungen

Feuerwerkskörper sollen laut sein – die Bedienungsanleitung gibt an, wie sie zu verwenden sind, damit sie nicht zu laut werden (Abstand einhalten!): Trotzdem können schnell Grenzwerte überschritten werden – wie Messungen zeigen auch bei Grossfeuerwerken von professionellen Feuerwerkern. Gehörschutz ist daher für Feuerwerker – professionelle wie private dringend, für ihre Zuschauer aber ebenfalls empfohlen. Ich selbst trage bei Grossfeuerwerken, die ich im Freien beobachte, auch wenn sie scheinbar weit entfernt auf Booten auf dem Zürichsee gezündet werden, stets Ohrstöpsel.

Belastung durch Chemikalien: Feinstaub!

Die aus der Sicht des BAFU einzig beachtenswerte Belastung mit Chemikalien aus Feuerwerkskörpern ist die kurzfristige Erzeugung von Feinstaub beim Abbrennen: Aus den 500 Tonnen jährlich verfeuerter pyrotechnischer Sätze werden schätzungsweise rund 360 Tonnen der Sorte Feinstaub, die in unsere Lungen gelangen kann (PM10 genannt) , freigesetzt (bis in unsere Lungenbläschen gelangt davon wiederum ein Bruchteil). Das klingt nach viel, erscheint aber weitaus nebensächlicher, wenn man die Menge dieses Feinstaubs dagegen stellt, die während eines Jahres insgesamt in der Schweiz durch Strassenverkehr und andere Quellen erzeugt wird: 19’000 Tonnen! Der eher kleine feuerwerksbedingte Anteil daran wird jedoch vornehmlich in zwei Nächten freigesetzt: Am Abend des 1. Augusts und in der Silvesternacht. So wird es nicht verwundern, dass in den 24 Stunden rund um ebendiese Nächte in besiedelten Gebieten die vorgeschriebenen Grenzwerte für den Feinstaubgehalt der Luft überschritten werden. Das wiederum kommt allerdings auch an anderen Tagen ziemlich häufig vor – in allen Gebieten der Schweiz bis auf das sehr dünn besiedelte Hochgebirge mindestens 5, in städtischen Gebieten bis zu 30 mal im Jahr.

So stellt der Feuerwerks-Feinstaub denn auch für gesunde Menschen keine nachweisbare Belastung der Atemwege dar. Anders sieht das bei Menschen mit bereits bestehenden Atemwegs- (zum Beispiel Asthma!) oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus: Unter solchen wurden in und unmittelbar nach Feuerwerksnächten (zusätzliche) Beeinträchtigungen der Lungenfunktion nachgewiesen und Fälle von akuten Beschwerden nach Umgang mit Feuerwerkskörpern registriert. Das BAFU empfiehlt daher Menschen mit solchen Erkrankungen, die direkte Begegnung mit Feuerwerksrauch zu vermeiden.

 

Was die Vielzahl von chemischen Verbindungen betrifft, die bei einem Feuerwerk freigesetzt werden (dazu zählen neben den Salzen verschiedener Schwermetalle diverse Verbrennungsgase sowie organische Verbindungen – die bedenklichen unter diesen werden von Umweltchemikern gern als „VOC“, „volatile organic compounds“ zusammengefasst):

Die allermeisten dieser Stoffe gelangen aus anderen Quellen in unserer technisierten Welt in wesentlich grösserem Umfang als durch Feuerwerk in unsere Umgebung, sodass eine Feuerwerksnacht in Sachen Belastung damit kaum ins Gewicht fällt. Überdies dürfen die hier verwendeten Feuerwerkskörper besonders giftige Schwermetalle – Blei, Arsen, Quecksilber, aber auch Cadmium – gar nicht enthalten (man findet sie darin auch nur in Spuren, wenn überhaupt, die als Verunreinigungen geduldet werden). Dementsprechend sind Quellen für die Belastung von Menschen mit Schwermetallen und anderen Stoffen wohl anderswo zu  suchen als im Feuerwerk.

 

Für Tiere:

Ein Feuerwerk hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf Menschen – die Tiere in seiner Umgebung sind mindestens ebenso davon betroffen:

Gehörschädigungen

Die meisten Wirbeltiere haben einen Hörsinn, das heisst Ohren, wie wir Menschen, auch wenn man diese – wie bei Vögeln – nicht immer sieht. Und dieser Hörsinn kann ebenso Schaden nehmen wie der unsere. Zudem ist der Hörsinn vieler Tiere – auch unserer Haustiere – um Vieles empfindlicher als menschliche Ohren.

Folgen von Schreckreaktionen

So können unsere Tiere nicht nur ebenso wie wir Hörschäden in Form von Ohrgeräuschen oder Taubheit erleiden, sondern auch durch die knallenden Geräusche eines Feuerwerks erschrecken oder gar in Panik geraten und blindlinks flüchten – im schlimmsten Fall direkt vor ein fahrendes Auto oder in einen Abgrund. Haustierbesitzern wird daher empfohlen, ihre Tiere vor und während Feuerwerks-Nächten im Haus zu behalten und ihnen eine schallgeschützte Zuflucht zu bieten.

Wildtiere, zum Beispiel Wasservögel, die keine menschliche Behausung als Zuflucht haben, werden nicht selten von Feuerwerk vertrieben und lassen sich erst Wochen nach dem Ereignis wieder an ihren angestammten Plätzen blicken. Daher empfiehlt das BAFU, bei der Planung von Feuerwerk im Rahmen von Veranstaltungen stets auch einen Tierschutz-Experten mit einzubeziehen.

 

Welche Feuerwerkskörper sind in der Schweiz (bzw. in der EU) zugelassen?

  • Das Schweizerische Sprengstoffgesetz und die Sprengstoffverordnung, welche Anweisungen zur Umsetzung dieses Gesetzes enthält, sind der EU-Richtlinie 2007/23/EG angepasst, sodass in den EU-Staaten, unter anderem Deutschland und Österreich, vergleichbare Regeln gelten werden: Feuerwerkskörper dürfen in Verkehr gebracht werden, wenn sie den Sicherheitsvorgaben der EU-Richtlinie entsprechen, einer der 4 Kategorien zugeordnet werden können und den Regeln entsprechend gekennzeichnet sind (Bedienungsanleitung!).
  • Die hochgiftigen Schwermetalle Blei, Arsen und Quecksilber und ihre Verbindungen sowie der organische Chlorlieferant Hexachlorbenzol (HCB) sind als Inhaltsstoffe verboten. Ausserdem dürfen Feuerwerkskörper keine Stoffe enthalten, die gemäss dem Chemikaliengesetz verboten sind.
  • Knallkörper am Boden sind verboten (ausgenommen ist Kleinfeuerwerk der Kategorie 1).
  • Die Kantone können weitere Bedingungen stellen und den Verkauf bzw. Gebrauch von Feuerwerk auf bestimmte Anlässe/Tage limitieren
  • Die 4 Kategorien sind:
    • 1: Feuerwerkskörper, die eine sehr geringe Gefahr darstellen und vernachlässigbar laut sind: z.B. Knallteufel, „Frauenfürze“ (Ladycrackers), Tischfeuerwerk. Die Abgabe ist an Personen ab 12 Jahren erlaubt.
    • 2: Feuerwerkskörper, die eine geringe Gefahr darstellen, wenig laut sind und in eingegrenzten Bereichen draussen abzubrennen sind: Vulkane bis 250g Nettoexplosivmasse (NEM), Raketen bis 75g NEM, Römische Fackeln bis 50g NEM. Die Abgabe ist an Personen ab 16 Jahren erlaubt.
    • 3: Feuerwerkskörper, die eine mittlere Gefahr darstellen, draussen im Freien abgebrannt werden müssen, und deren Lärm bei sachgemässer Verwendung nicht gefährlich ist:  Raketen bis 500g NEM, Batterien bis 1000g NEM, Vulkane bis 750g NEM. Die Abgabe ist an Personen ab 18 Jahren erlaubt.
    • 4: Feuerwerkskörper, die eine grosse Gefahr darstellen und daher nur von Inhabern eines Verwendungsausweises ab 18 Jahren – also Profi-Feuerwerkern – verwendet werden dürfen. Solche Feuerwerkskörper sind nicht im freien Handel erhältlich und können nur von Inhabern eines Erwerbsscheins oder einer Abbrandbewilligung bezogen werden: Darunter fällt alles, was die Beschränkungen für Kategorie 3 übersteigt.

(Quelle: Kantonspolizei St.Gallen)

 

Fazit:

Feuerwerkskörper enthalten eine wahrhaft explosive Mischung der verschiedensten Stoffe, die gemeinsam zu wunderschönem – aber geräuschvollem Farbenspiel am Himmel und am Boden führen können. Wie bei vielen unserer technisierten Vergnügungen scheiden sich auch beim Feuerwerk die Geister: Tradition und bestaunenswerter Lichterzauber stehen gegenüber Belästigung oder gar Belastung durch Lärm, Rauch und Chemikalien.

Ich persönlich liebe das Spiel von Licht und Farben am Himmel, kann jedoch auf die Knallerei gut und gern verzichten. So kann ich die Argumente von Traditionsanhängern und Lärmemfindlichen oder Tierbesitzern gleichermassen nachvollziehen. Definierte Abbrandzeiten (bei Grossfeuerwerken und an Silvester weitgehend gegeben) und eine rechtzeitige Vorbereitung (Haustiere einsperren, Gehörschutz zur Hand haben) sollten in meinen Augen einen für beide Seiten vertretbaren Kompromiss ermöglichen.

Jene Kommentare von Tierbesitzern und -freunden auf sozialen Medien oder im Schnellzug, die ich unmittelbar nach dem eben erst begangenen 1.August 2016 zu lesen und zu hören bekam, lassen jedoch vermuten, dass die mir eigentlich sympathische und kompromissförderliche Gesetzgebung der Schweiz in Sachen Feuerwerk leider reichlich Beugung oder gar Umgehung erfährt.

Dabei gefährden jene, die Feuerwerkskörper unsachgemäss verwenden oder gar illegale, ungeprüfte „Polen-Böller“ aus Osteuropa oder anderen Quellen abbrennen, nicht nur ihre Umgebung, sondern vor allem sich selbst. Denn die Energiemengen, die bei der Explosion von Feuerwerkskörpern in Form von Hitze und Schall freigesetzt werden, sind enorm. Und enorme Energiemengen können enormen, nicht wieder gut zu machenden Schaden anrichten.

Was die Chemikalien betrifft, die in Feuerwerk Verwendung finden oder beim Abbrennen entstehen, weckt nicht das Feuerwerk als solches meine Bedenken, sondern der Umstand, dass einige jener Inhaltsstoffe und Produkte des Feuerwerks, die wir nicht gern in unserer Umwelt wissen, so reichlich aus anderen menschlichen Quellen eben da hineingetragen werden, dass der Beitrag durch privates Feuerwerk dazu in den meisten Fällen nicht mehr sonderlich ins Gewicht fällt.

Alles in allem plädiere ich für Kompromissbereitschaft und gegenseitige Rücksichtnahme, ob am 1. August oder in der Silvesternacht – denn nur so können wir alle einen entspannten Feiertag verbringen.

Und wie steht ihr zum Feuerwerk? Brennt ihr selbst welches ab? Beobachtet ihr lieber, oder seid ihr mit euren Tieren beschäftigt? Habt ihr auch das Gefühl, dass das Feuerwerk sich hin zur Knallerei verändert? Ich freue mich über eure Kommentare!