Liebe Leser,
Ich freue mich, heute Franziska Hufsky von BioInfoWelten hier begrüssen zu dürfen! Franziska ist Bioinformatikerin und schreibt auf ihrem Blog herrlich zweideutig von Mäusen, Bäumen, Viren und Co – mit anderen Worten von der Verknüpfung von Biochemie und Biologie mit der Programmierung und Nutzung von Computern. Hier und heute geht es aber vornehmlich chemisch zu und her, denn Franziska führt uns in die spannende Welt der Halogene ein, einer Gruppe von chemischen Elementen, die aus unserem Alltag nicht wegzudenken ist.
Viel Spass beim Lesen wünscht
Eure Kathi Keinstein
Halogene: von A(ntibiotikum) bis (Sal)Z
Halogen bedeutet eigentlich (aus dem Altgriechischen übersetzt) „Salzerzeuger“. Das bekannteste Beispiel dafür dürfte wohl Natriumchlorid (NaCl) sein. Sagt euch nichts? Die Rede ist von Kochsalz, also dem handelsüblichen Speisesalz. Kochsalz besteht (wie der Name schon sagt) aus Natrium und Chlor. Natrium (Na) ist ein Alkalimetall. Chlor (Cl) ist ein Halogen. Natriumchlorid ist also das Natriumsalz der Chlorwasserstoffsäure, auch bekannt als Salzsäure. Zu den Halogenen zählen außerdem noch Fluor, Brom, Iod, das seltene radioaktive Astat und das künstliche, sehr instabile Ununseptium.
Nun bin ich selbst kein Chemiker und weiß auch nicht viel mehr über die Chemie der Halogene zu erzählen. Dafür kenne ich aber eine andere Geschichte über Halogene und die beginnt im Krankenhaus
Panik im Krankenhaus
Krankenhauskeime. Ein Wort, welches immer häufiger durch die Medien geht und Angst und Schrecken verbreitet. Aber was soll das überhaupt sein und warum ist das angeblich gefährlich? Zunächst einmal sind Krankenhauskeime einfach Erreger, die man sich erst bei einem Aufenthalt im Krankenhaus einfängt. In der Regel handelt es sich dabei um Bakterien. Klingt jetzt erstmal nicht so schlimm. Man hat den Arzt ja schon vor Ort. Warum also diese Panikmache?
In den meisten Fällen sind Krankenhauskeime nicht schlimm. In der Regel werden sie vom Immunsystem in Schach gehalten oder können durch die Einnahme von Antibiotika bekämpft werden. Problematisch sind sie aber für immungeschwächte Patienten. Also Patienten, deren Immunsystem durch eine andere Krankheit, durch Alter oder durch Einnahme bestimmter Medikamente nicht auf vollen Touren läuft.
Multiresistente Bakterien
Das eigentliche Problem beginnt aber erst, wenn die Bakterien sich nicht mehr durch Antibiotika töten lassen. Man spricht von „Resistenz“. „Antibiotika“ ist ein Begriff für eine ganze Gruppe an Medikamenten unterschiedlicher Wirkstoffe, die eines gemeinsam haben: sie töten Bakterien. Antibiotika stammen aus den unterschiedlichsten Stoffgruppen und haben die unterschiedlichsten Wirkungsweisen im Kampf gegen Bakterien: zum Beispiel lösen sie die Zellwände der Bakterien auf oder hindern die Bakterien daran, sich zu vermehren. Nicht jedes Antibiotikum hilft gegen jedes Bakterium. Es gibt also ganz natürliche Resistenzen gegen Antibiotika. Bakterien können aber auch neue Resistenzen entwickeln. Durch den oft verantwortungslosen Umgang mit Antibiotika (zum Beispiel, indem man die Packung nicht bis zum Ende einnimmt oder mit Antibiotika vollgepumptes Billigfleisch kauft) züchten wir geradezu solche Resistenzen. Wird ein Bakterienstamm gegen mehrere oder gar alle uns bekannten Antibiotika resistent, dann spricht man von „Multiresistenz“. Und genau ab diesem Punkt sind wir ziemlich hilflos, denn wir können die Erreger nicht mehr töten.
Was tun?
Es ist also wichtig, dass wir verantwortungsvoller im Umgang mit Antibiotika handeln. Aber um die multiresistenten Bakterien bekämpfen zu können, brauchen wir vor allem eines: neue Wirkstoffe. Und zwar möglichst Wirkstoffe, die sich stark von den uns bekannten Antibiotika unterscheiden. Und jetzt sind wir endlich wieder auf meinem Fachgebiet angelangt. Und bei den Halogenen.
Die Salzerzeuger im Antibiotikum
Viele der bekannten antibiotischen Wirkstoffe enthalten Halogene, nämlich Chlor, Fluor oder Brom. Die ersten chlorhaltigen Antibiotika gab es schon gegen Ende der 40er Jahre. In den 50er Jahren kam das chlorhaltige Antibiotikum Vancomycin auf den Markt; in den 80ern wurde es als wirksames Mittel gegen multiresistente Staphylokokken erkannt. Vancomycin ist ein Reserveantibiotikum: es wird erst eingesetzt, wenn andere Antibiotika aufgrund von Resistenz nicht mehr wirksam sind. Vancomycin war daher oft die „letzte Hoffnung“. Aber auch diese endete, als die ersten Vancomycin-resistenten Erreger in Krankenhäusern auftraten. Eines der wichtigsten Reserveantibiotika heute ist das fluorhaltige Linezolid. Es tötet sowohl die bereits erwähnten Vancomycin-resistenten Erreger, als auch Methicillin-resistente Stämme und Penicillin-resistente Stämme bestimmter Bakterien.
In den 80ern gab es einen regelrechten Antibiotika-Boom. Viele neue Wirkstoffe kamen auf den Markt, darunter viele fluorhaltige. Ab Mitte der 90er gab es einen Einbruch in der Entdeckung neuer Antibiotika. Das lag vor allem daran, dass neu entdeckte Wirkstoffe zu ähnlich zu den bereits bekannten waren. Resistente Bakterien sind gegen ähnliche Wirkstoffe häufig auch resistent. Seit 2010 kamen sieben neue Wirkstoffe auf den Markt, von denen fünf halogenhaltig sind. In den letzten Jahren scheinen sich Forscher in der Pharmazie mehr und mehr auf solche halogenhaltigen Wirkstoffe zu konzentrieren und gezielt danach zu suchen.
Die Schatzsuche
Wie findet man neue Antibiotika? Halogenhaltige organische Stoffe, die giftig für Bakterien sind, werden von anderen Bakterien oder Pilzen zur Abwehr hergestellt. Vielleicht habt ihr schon einmal von der Entdeckung des Penicillin gehört. Alexander Fleming wollte eigentlich Staphylokokken-Kulturen (Bakterien) züchten, aber ein Schimmelpilz verunreinigte die Kultur und tötete die Bakterien. Heute lässt man verschiedene Bakterienstämme gegeneinander „kämpfen“, in der Hoffnung, sie produzieren dabei interessante, neue, potentielle Wirkstoffe. Diese Wirkstoffe müssen zunächst einmal identifiziert werden — und das ist gar nicht so einfach. Sie sollen ja möglichst neu und unbekannt sein, man kann also nicht einfach in einer Datenbank nachschauen. Statt mühseliger Analyse per Hand, greift man dabei heute auf bioinformatische Methoden zurück. Zuerst wird die Summenformel bestimmt. Um das zu erleichtern, kann man zuerst testen, ob Halogene enthalten sind. Kennt man die Summenformel, wird die Bestimmung der Strukturformel einfacher. Das ist ein aufwendiger und kostenintensiver Prozess, der aber mittels bioinformatischer Methoden wesentlich beschleunigt werden kann.
K wie Krebs, N wie Narkose und T wie Teflon
Neben antibiotisch — also gegen Bakterien — wirkenden Medikamenten findet man Halogene noch in vielen weiteren Wirkstoffen. Das chlorhaltig Toremifen zum Beispiel ist ein Brustkrebsmedikament; Mitotan wird zur Behandlung der Symptome bei Nebennierenkrebs eingesetzt, wenn dieser nicht operiert werden kann. Die flourhaltigen Gase Desfluran, Sevofluran und Enfluran nutzen Anästhesisten zur Einleitung der Narkose. Halogene verbessern viele wichtige Eigenschaften von Medikamenten, wie zum Beispiel die Aufnahme in die Blutbahn oder die Wirkungsdauer des Medikaments.
Organische Halogenverbindungen spielen aber nicht nur in der Pharmazie eine große Rolle. Sie werden auch oft als Insektizide oder Pestizide eingesetzt. Dichlordiphenyltrichlorethan (C14H9Cl5) zum Beispiel war jahrzehntelang das weltweit meistverwendete Insektizid, insbesondere, weil es kaum toxisch für Säugetiere ist. Das chlorhaltige Gas Vinylchlorid (C2H3Cl) ist die Grundsubstanz zur Herstellung von Polyvinylchlorid (PVC), ein Kunststoff, den ihr sicher alle aus Fensterrahmen oder Bodenbelägen kennt. Und die Teflon-Beschichtung eurer Küchenpfanne besteht aus einer Kette aus Tetrafluorethylen (C2F4).
Jetzt kennt ihr die vielfältige Bedeutung von Halogenen außerhalb der Halogenglühlampen (die im Übrigen Iod oder Brom enthalten). Sicher findet man noch mehr Anwendungen von A wie Antibiotikum bis Z wie salZ.
Und ihr? Kanntet ihr Halogene schon vorher? Welche Anwendungen sind euch bekannt?