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Kunststoff - Recycling : So funktionierts

Ruhrpott, Deutschland, 2006: Reto, ein waschechter Schweizer und mein damals neuer Liebster, ist zu Besuch an meinem Studienort. Was mir traurig, wenn auch alltäglich erscheint, schockiert ihn zutiefst: Den überall herumliegenden Abfall ist er aus der Schweiz nicht gewohnt – zumindest nicht in solchen Mengen. Besonders Kunststoff-Verpackungen fallen uns vielerorts ins Auge. Dabei gibt es schon seit meiner Kindheit die „gelbe Tonne“ und dahinter ein ausgefeiltes Recycling-System. Ganz zu schweigen von all den Abfalleimern im öffentlichen Raum.

Wenige Jahre später habe ich die Seiten gewechselt und musste Reto bald recht geben: Was die Abfall-Entsorgung betrifft, sind die Schweizer generell ordentlicher als meine Landsleute. Nach 10 Jahren unter den Eidgenossen wird allerdings deutlich: Auch hier wird Littering zunehmend zum Problem.

Da braucht es gar keine Horrorbilder und -meldungen von verschmutzten Stränden und Plastik in Tiermägen und dem Marianengraben, um zu begreifen, dass wir ein Problem haben.

Recycling – das Thema ist ein Dauerbrenner

Eigentlich haben wir gleich zwei Probleme:

  1. Klassische Kunststoffe sind Erdölprodukte. Sie werden also aus einem fossilen Rohstoff hergestellt, der irgendwann zur Neige geht.
  2. Klassische Kunststoffe werden kaum bis gar nicht biologisch oder von den Naturkräften abgebaut.

Beide sind nichts neues, sondern uns seit Jahrzehnten bewusst. Deshalb tüfteln Forscher und Ingenieure ebenso lang schon an Methoden, „verbrauchtes“ Plastik wieder zu verwerten. Sie entwickeln Verfahren und bauen Recycling-Kreisläufe immer weiter aus. Die Schweizer bezeichnen sich gar als Weltmeister im Recycling von Abfällen – auch von Kunststoffen.

Aber welche Kunststoffe können wirklich recycelt werden? Wie funktioniert das? Wie könnt ihr zum nachhaltigen Umgang mit Plastik beitragen?

Welche Kunststoffe sind recycelbar?

Am einfachsten wiederverwendbar sind möglichst reine Stoffe. Ein Material, das aus nur einem Stoff besteht, hat nämlich durchgehend die gleichen Eigenschaften und kann mit einem einzigen, daran angepassten Verfahren behandelt werden. Das gilt auch für Verbundmaterialien, deren einzelne Bestandteile sich leicht voneinander trennen lassen.

Nicht trennbare Verbundmaterialien und Kunststoffe, die mit vielen Zusatzstoffen, sogenannten Additiven (z.B. für Farbeffekte, Weichmacher, Brandschutz,…), vermischt sind, lassen sich nur schlecht oder gar nicht wiederverwenden.

Thermoplaste als Recycling-Favoriten

Besonders für eine Wiederverwertung geeignet sind jene Kunststoffe, die bei hohen Temperaturen weich und formbar werden – die sogenannten Thermoplaste. Die kann man nämlich schreddern, erhitzen und zu neuen Gegenständen formen, ohne dass sich ihre Moleküle dabei verändern (zumindest im Optimalfall).

Zu den Thermoplasten gehören auch die verbreitetsten Alltagskunststoffe Polyethylenterephthalat (PET), Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) (Einzelheiten zu diesen Stoffen erfahrt ihr im Plastik-1×1 hier in Keinsteins Kiste). Da verwundert es nicht, dass gerade diese Kandidaten die grösste Rolle beim Recycling von Alltagsabfällen spielen. Allerdings gelingt auch das nur dann wirklich gut, wenn die Hersteller schon bei der Erstverarbeitung dieser Kunststoffe auf die Recyclingfähigkeit achten. Wie das geht, verraten Guidelines für die Industrie, verfasst von den Recycling-Verantwortlichen.

Auch Polyvinylchlorid (PVC) ist ein Thermoplast. Bei diesem Kunststoff gestaltet sich das Recycling (wie auch die Verwendung im Lebensmittelbereich) schon kniffeliger, weil er in vielfältiger Form verwendet wird und (besonders als Weich-PVC) kaum ohne Additive auskommt. Trotzdem wird auch PVC recycelt, wenn auch vornehmlich im Bauwesen, wo grössere Mengen gleichartigen PVC-Materials anfallen.

Und was ist mit kompostierbaren Biokunststoffen?

Was nach der ultimativen Verwertbarkeit bzw. Entsorgung klingt, hat oft einen beachtlichen Haken. Biopolymere sind aus Kettengliedern zusammengesetzt, die Lebewesen entlehnt sind, wie die Milchsäure-Glieder des Polylactids (PLA). Damit sind sie grundsätzlich für den Abbau durch Lebewesen oder deren Bestandteile geeignet.

In der Praxis sind dafür aber oft Bedingungen nötig, die ein Komposthaufen oder die freie Natur nicht bieten. PLA ist beispielsweise nur in speziellen Anlagen bei unnatürlichen Temperaturen abbaubar. So macht PLA zur Abfallvermeidung bislang nur dann Sinn, wenn der Anbieter – zum Beispiel ein Park mit Imbissbetrieb – direkt mit einem PLA-Entsorger (und bestenfalls -Wiederverwerter) zusammenarbeitet.

Wie wird recycelt?

Kunststoffe kann man grundsätzlich auf zwei Arten wiederverwerten:

  1. Werkstoffliche Verwertung: Das Material (die Polymer-Ketten als solche bleiben (weitestgehend) intakt und werden nur zu neuen Gegenständen geformt. Das ist der wohl wünschenswerteste Weg, da so der grösste Teil des zur Herstellung des Kunststoffs getätigten Aufwands nicht noch einmal nötig ist. Für diesen Weg geeignet sind im Besonderen die Thermoplasten unter den Kunststoffen. In der Praxis sind solche Verfahren leider meist nicht unendlich wiederholbar: Die Polymere überstehen das Erhitzen oft nicht gänzlich unbeschadet, sodass das Recycling-Material oft eine weniger gute Qualität als der Kunststoff bei der Erstverwendung hat. Fachleute nennen diesen Effekt deshalb „Downcycling“.
  2. Rohstoffliche Verwertung: Die Polymerketten werden dabei gezielt zerlegt. Die entstehenden Kleinmoleküle sind nach wie vor wichtige Energieträger und können als Brennstoffe oder Rohmaterial für andere Erdölprodukte verwendet werden.

So werden einzelne Kunststoffe recycelt

PET (Polyethylenterephthalat)

In der Schweiz gibt einen einzigartigen, geschlossenen PET-Recycling-Kreislauf: Überall in der Öffentlichkeit findet man hier blau-gelbe Sammelbehälter für PET-Getränkeflaschen – in Geschäften, an Bahnhöfen, bei Veranstaltungen, in Parkanlagen, an Abfall-Sammelstellen und anderswo. Die darin gesammelten Flaschen können farblich sortiert und nach Abtrennung von Fremdstoffen zu Pressballen verarbeitet werden, die rund 98% reines PET ihrer jeweiligen Farbe enthalten. Infrarot-Technik und Laser machen es möglich.

Diese PET-Abfälle werden weiter gereinigt, zu Flocken geschreddert und von den Flaschendeckeln getrennt. Letztere bestehen nämlich aus PE, welches – anders als PET – weniger dicht als Wasser ist und folglich darauf schwimmt. Die PET-Flocken sinken derweil auf den Grund (Chemiker und Physiker nennen dieses Trennverfahren Sedimentation), sodassman die PE-Deckel einfach abgiessen oder abschöpfen kann.

Nach weiterer Reinigung sind die Flocken schliesslich so sauber, dass sie als Lebensmittel-Verpackungsmaterial zulässig sind. Dann werden sie eingeschmolzen und zu sogenanntem Re-Granulat, einem groben Kunststoff-Gries, verarbeitet. Als Thermoplast kann dieser PET-Gries schliesslich bei 250°C zu neuen Gegenständen zusammengesinter werden – zum Beispiel zu dickwandigen „PET-Rohlingen“, die, bereits mit Gewinde und Deckel versehen, eine Flasche erahnen lassen.

PET-Rohling: Nach Erst-Herstellung oder Recycling kann PET in dieser Form platzsparend zum Getränkehersteller transportiert werden.
Pet-Rohling oder „Petling“ mit Deckel: Daraus wird einmal eine Flasche.

In dieser platzsparenden Form werden die Rohlinge oder „Preforms“ an die Getränkeabfüller (oder auch an Geocaching-Begeisterte, die darin ihre Schätze verstecken) geliefert. In der Abfüll-Anlage werden die Rohlinge erneut erhitzt und zu fertigen Getränkeflaschen aufgeblasen.

So effektiv geht PET-Recycling

Der Betreiber des PET-Kreislaufs – im Übrigen ein Verein, also nicht-staatlich und nicht gewinnorientiert – behauptet, bei der Wiederverwertung von PET-Getränkeflaschen finde kein Downcycling statt. Zudem betrage die Recyclingquote für PET in der Schweiz mittlerweile 82%! Bei freiwilliger Beteiligung der Getränkehersteller und Abfallsammler wohlgemerkt. Das hält die Regierung, die ein Minimum von 75% zum Ziel erklärt hat, bis dato davon ab, ein Pfandsystem einzuführen.

Polyethylen und Polypropylen (PE bzw. PP)

Auch PE und PP sind Thermoplaste. So kann man sie in ähnlicher Weise wie PET-Flaschen verwerten. Allerdings erweichen sie bei wesentlich niedrigeren Temperaturen (PE schon ab 80°C, PP bleibt noch etwas weiter fest) und würden sich bei 250°C längst zersetzen. Deshalb sind für das Recycling von PE und PP jeweils eigene Kreisläufe und Anlagen nötig, um diese Kunststoffe gemäss ihren Eigenschaften zu behandeln.

Ausserdem kommen nur dafür geschaffene PE- und PP-Produkte für die Wiederverwertung in Frage. Und selbst dann geht das Einschmelzen in der Regel mit einem Downcycling einher. So kann beim Recycling von PE oder PP meist kein Material mit Lebensmittelqualität gewonnen werden. R-PE und R-PP kommen daher vornehmlich im Bauwesen, in Nicht-Lebensmittelverpackungen, der Landwirtschaft, in Fahrzeugen oder Elektronik zum Einsatz.

EPS/Styropor = „Quietschpapier“

Diese Form von Polystyrol (EPS steht für „Expandiertes Polystyrol“) birgt ein ganz besonderes Problem: Das Material, das wir als massgeschneiderte, stosssichere Verpackung oder Wärmedämmstoff kennen, besteht zu 98% aus eingeschlossener Luft und nur zu 2% aus dem eigentlichen Kunststoff und seinen Additiven. Das Ganze ist also ein enormer Platzfresser!

Der Transport zu einer Mühle, in der Styropor zermahlen und anschliessend zu Re-Granulat eingeschmolzen werden kann, braucht daher ein enormes Volumen für reichlich wenig Kunststoff-Masse. Trotzdem wird das gemacht und das Granulat kommt vornehmlich für Einsätze im Bauwesen zur Verwendung.

Um dem Transportproblem zu begegnen, hat das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV ein neues Recycling-Verfahren für EPS entwickelt (und CreaSolv® getauft). Die Abfälle sollen dabei noch an der Sammelstelle in ein Lösungsmittel, das möglichst nur Polystyrol auflöst, eingebracht werden. Dabei entweicht die ganze Luft und Beistoffe können später leicht abgetrennt werden. In der Lösung nimmt die Kunststoffmasse nur 1/50 des Raumes ein, den das ursprüngliche EPS bräuchte, was den Transport erheblich erleichtert.

Getränkekartons

Das ist auch mir neu: In der Schweiz können auch Getränkekartons („Tetrapak“) recycelt werden. Tatsächlich tragen solche, die man in den grossen Supermärkten bekommt, das Kennzeichen „für den Restmüll“. Erst bei der Recherche für diesen Artikel bin ich bei Swiss-Recycling zufällig auf den – einmal mehr privaten – Anbieter für die Wiederverwertung von Getränkekartons gestossen. Bislang gibt es nur 100 Sammelstellen, aber die nächste ist nur wenige Dörfer weiter. Da führe ich die Tetrapak-Trennung doch gleich bei uns im Haushalt ein. Anbei: Ja, es stimmt: Abfalltrennung ist hier in der Schweiz eine besondere Spezialität.

Warum ist das Tetrapak-Recycling nicht weiter verbreitet?

Getränkekartons sind ein typisches Verbundmaterial: Pappe, Kunststoff- und Aluminiumschichten sind darin fest miteinander verklebt. Das schützt den Inhalt und ist für feuchtfröhliche Experimente nützlich, aber ganz kniffelig zu recyceln.

Immerhin können die Pappfasern aus den alten Kartons herausgelöst und zu Wellpappe verarbeitet werden. Kunststoff und Aluminium werden dann als Brennstoff für die Erzeugung von Fernwärme oder Strom eingesetzt – wie übrigens auch der Restmüll oder -kehricht hierzulande.

So könnt ihr zum Recycling beitragen

In Deutschland und Österreich werden wiederverwertbare Kunststoffe gemischt gesammelt. Verpackungen, die als rezyklierbar gelten, tragen als Kennzeichen den „grünen Punkt“. Ihr könnt sie – möglichst sauber – in die gelbe Tonne bzw. den gelben Sack entsorgen, deren Inhalt die Müllabfuhr regelmässig abholt.

In der Schweiz ist, wie bereits erwähnt, viel Eigeninitiative gefragt. PET-Getränkeflaschen könnt ihr in die blau-gelben-Behälter an öffentlichen Sammelstellen werfen, um sie in den PET-Kreislauf zurückfliessen zu lassen. PE- und PP-Flaschen werden häufig von den Supermärkten zurückgenommen (haltet die Augen nach der Entsorgungswand innerhalb des Marktes offen!). Wenn ihr eine der Sammelstellen für Getränkekartons in eurer Nähe habt, könnt ihr eure Tetrapaks auch dorthin bringen. Und neu führt auch die Migros – eine der beiden grössten Supermarktketten – eine Gemischtsammlung für rezyklierbare Kunststoffe ein.

Was bringt euch der ganze Aufwand? Nicht nur ein reines Gewissen: Was immer ihr an diesen für euch kostenfreien Sammelstellen entsorgt, landet nicht im Hauskehricht (Restmüll), für den hierzulande deftige Gebühren pro Abfallsack zu entrichten sind. Bedingung für ein effektives Recycling ist allerdings, dass nur die gewünschten Abfälle in den jeweiligen Sammelstellen landen!

Warum gibt es keine zentrale Gemischtsammlung in der Schweiz?

Das Recycling aus einer Gemischtsammlung liefere eine verminderte Ausbeute und Qualität, sagen die Recyclingverantwortlichen in der Schweiz. Laut einem Beitrag des Verbrauchermagazins „Kassensturz“ beim Schweizer Fernsehen (Moderation und Interviews in Mundart, Kommentar in Hochdeutsch) liege die Ausbeute oft unterhalb dessen, was private Anbieter einer Gemischtsammlung behaupten. Ausserdem ist die nachträgliche Sortiererei teuer. So teuer, dass das Geld sinnvoller für die Umwelt eingesetzt werden könne. Viele private Anbieter von Gemischtsammlungen in der Schweiz verkaufen deshalb die gesammelten Abfälle in die Nachbarländer – und können dann nicht mehr kontrollieren, was damit geschieht.

Das Paretoprinzip und die Müllvermeidung

Das lässt mich persönlich an das Paretoprinzip denken: Wenn 100% aller Bemühungen 100% der Ergebnisse bringen, seien demnach nur 20% der Bemühungen nötig, um 80% der Ergebnisse zu erzielen (und umgekehrt brächten die übrigen 80% der Bemühungen nur 20% der Ergebnisse. Ob die Zahlenverhältnisse genau so überall anwendbar sind, sei dahingestellt. Kern der Sache ist in meinen Augen, dass Perfektionismus unglaubliche Ressourcen verschlingen und dabei vergleichsweise wenig bringen kann.

Das ist besonders dann spannend, wenn man mit begrenzten Ressourcen zurechtkommen muss. Wie auch im Umweltschutz: Wie in vielen Bereichen ist die begrenzteste Ressource hier wohl das Geld. Und das mag an anderer Stelle (sei es zum Ausbau funktionierender Kreisläufe, zur Förderung der Verwendung rezyklierbarer oder zur Entwicklung völlig neuer Materialien) effektiver eingesetzt werden können, als zum Aussondern weniger wiederverwertbarer Stoffe aus einem grossen Rest, der am Ende in der Müllverbrennungsanlage landet.

Der Kassensturz-Beitrag kommt für den Kunststoffsammelsack der Migros (bislang nur im Raum Luzern erhältlich) noch zum besten Testergebnis: Der „orange Riese“ sammelt nur ausgewählte Kunststoffe und lässt tatsächlich recyceln – noch dazu in einer Anlage in der Schweiz. Ich bin gespannt, ob das auch funktioniert, wenn die Sammlung bis zum Frühling 2021 auf das ganze Land ausgeweitet wird.

Grundsätzlich gilt: Je ausgewähltere und sauberere Abfälle ein Anbieter sammelt, desto besser ist die zu erwartende Ausbeute. Wenn ihr Säcke für die Sammlung gemischter Kunststoffe verwendet, beachtet daher unbedingt die Gebrauchsanweisung!

Wirklich effektiv gegen Plastikmüll geht so

Hier folge ich meinem persönlichen Paretoprinzip: Mit überschaubarem Aufwand möglichst viel erreichen! Klar sollte man nach Möglichkeit keinen Abfall produzieren. Aber nicht jeder hat einen Unverpackt-Laden in seiner Nähe, und eine weite Anfahrt kostet nicht nur Zeit und Geld, sondern auch Kraftstoff in irgendeiner Form, der wieder zu Lasten der Umwelt geht.

Sehr einfach sind aber folgende Massnahmen:

  • Verwendet Mehrweg-Einkaufssäcke /- behälter – nicht nur im Supermarkt, sondern auch im Kaufhaus und anderen Geschäften
  • Nutzt die Mehrweg-Gemüse-Netzbeutel, die hier in der Schweiz in beiden Grossverteiler-Ketten angeboten werden (gibt es die in D und Ö auch? Falls nicht, sind die ein tolles Andenken an euren nächsten Schweiz-Urlaub 😉 )
  • Achtet, wenn ihr Produkte in Kunststoff-Verpackungen, insbesondere Flaschen, kauft, auf ein rezyklierbares Design. Das könnt ihr an folgenden Eigenschaften (gemäss den Richtlinien für Verpackungs-Hersteller) erkennen:
    • Das Material: Das Recyclings-Symbol mit der Ziffer im Pfeil-Dreieck, oft auf dem Flaschenboden, verrät es euch: PE (Ziffer 02 bzw. 04), PP (Ziffer 05) oder PET (Ziffer 01) sind leicht wiederverwertbar.
    • Die Farbe: PE und PP sind von Natur aus matt weiss und undurchsichtig. PET ist dagegen von Natur aus durchsichtig. Oberflächeneffekte wie Fluoreszenz („grelle“ Farben!) oder „metallic“-Schimmer entstehen durch Zusatzstoffe und verhindern die Wiederverwertung!
    • Etiketten: Sollten nicht mehr als 80% (vier Fünftel) der Flaschenoberfläche bedecken.
  • Vermeidet Produkte, die übermässig verpackt sind. Ein Klassiker ist unnötig vorgeschnittenes Obst: Die meisten Früchte sind von Natur aus mit einer Schale ausgestattet, die besten Schutz vor äusseren Einflüssen bietet. Die braucht ihr nur selber aufzuschneiden.
  • Kauft Getränke in Mehrweg- oder PET-Flaschen (letztere insbesondere, wenn ihr in der Schweiz seid) und entsorgt sie wie vom Anbieter vorgesehen.
  • Achtet beim Kauf von Kunststoff-Gegenständen auf gute Qualität und nutzt sie lange bzw. „vererbt“ sie weiter, wenn ihr sie nicht mehr braucht.
  • Versucht euch im Upcycling: Viele gebrauchte Kunststoff-Verpackungen und -gegenstände könnt ihr auf neue Art verwenden oder geben prima Bastelmaterial ab – oder Rohstoffe zum Experimentieren!

Was haltet ihr von den Recycling-Bestrebungen in eurem Land? Habt ihr noch mehr Ideen zur Vermeidung von Kunststoff-Abfällen? Wie geht ihr mit euren Abfällen um?

Stärkefolien : Valentinsherzen aus DIY-Bioplastik

‚Plastik‘ ist „böse Chemie“, die aus Erdöl hergestellt wird und in der Natur nicht verrottet? Mitnichten! Wie ihr schon im Kunststoff-1×1 hier in Keinsteins Kiste nachlesen könnt, ist die Sorte Moleküle, aus denen ‚Plastik‘ besteht, eigentlich eine Erfindung der Natur! Und was die Natur erfindet, kann sie auf kurz oder lang auch wieder abbauen. Das gilt auch für ihre hauseigenen Polymeren – der Stoffgruppe, zu welchen auch die Kunststoffe gehören.

Und diese sogenannten Biopolymere könnt ihr nutzen, um euer eigenes Bioplastik herzustellen – zum Beispiel für ein echt herziges Valentinsgeschenk aus dem eigenen Forscherlabor. Hier erfahrt ihr, wie es geht!

Ihr braucht dazu

Meine Valentins-Herzen bestehen aus Stärkefolie. Wie der Name vermuten lässt, braucht ihr dafür Stärke – und zwar natürliche Stärke, nicht die lösliche Stärke aus dem Laborbedarf oder der Chemiesammlung in der Schule. Natürliche Stärke bekommt ihr auch viel einfacher, nämlich im Supermarkt. In der Schweiz ist „Maizena“ praktisch ein Synonym für Maisstärke, in Deutschland kennt man selbige unter dem Markennamen „Mondamin“. Kartoffelstärke soll aber ebenso funktionieren.

Nun aber zur Inhaltsliste für zwei bis fünf untertassengrosse Folienstücke

  • Etwa 5g trockene Stärke (hier in der Schweiz habe ich natürlich Maizena zur Hand)
  • Wasser
  • Glycerin (85%, aus der Drogerie oder Apotheke)
  • Optional: Lebensmittelfarbe
  • 1 Becherglas oder ähnliches Glasgefäss
  • Topf mit Wasserbad, Herd, Topfhandschuh oder/und Grillzange
  • Löffel oder Stab zum Umrühren, Buttermesser
  • Frischhaltedosen aus PE oder PP (Polyethylen bzw. Polypropylen, das übliche Material für „Tupper“-Dosen)
  • Optional: Backblech, Backofen

So geht’s

  • Verdünnt einige Milliliter Glycerin mit der gleichen Menge Wasser und rührt das Gemisch um, bis es klar ist. Diese Glyzerinlösung könnt ihr auch problemlos in einer geschlossenen Flasche für spätere Experimente aufbewahren.
  • Gebt zu 5g Stärke im Glasgefäss etwa 40 ml Wasser und etwa 5 ml der zuvor angefertigten Glycerinlösung und rührt gründlich um. Es entsteht ein milchiges Gemisch, aus dem sich Stärke als weisser Schlamm am Boden absetzt, sobald ihr zu Rühren aufhört. Für farbige Herzen könnt ihr zudem einige Tropfen Lebensmittelfarbe einrühren.
Mischung mit roter Lebensmittelfarbe: Die Stärke setzt sich sichtbar unten ab.
  • Stellt die Frischhaltedosen mit dem Boden nach oben auf das Backblech oder eine andere Unterlage.
  • Stellt den Topf mit dem Wasserbad auf den Herd und erhitzt das Glasgefäss mit dem Gemisch darin, während ihr immer wieder umrührt. Topfhandschuh oder/und Grillzange werden euch beim Festhalten des heissen Glases gute Dienste leisten!
  • Sobald die Flüssigkeit zu einer trüben, gelartigen Masse „bindet“ (wie eine Sauce), giesst sie auf die umgekehrten Frischhaltedosen und verstreicht sie mit dem Buttermesser gleichmässig mindestens 2 Millimeter dick. Bei dieser Dicke dauert das Trocknen länger, aber die Gefahr, dass dabei Risse entstehen, ist geringer.
  • Lasst die verstrichene Masse über Nacht an der Luft trocknen. Wenn ihr ungeduldig seid, könnt ihr sie zunächst auch bei 50-80°C (wenn ihr Lebensmittelfarbe verwendet NICHT wärmer, da die Farbstoffe sich sonst zersetzen!) eine Stunde oder länger im Backofen trocknen. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass Risse in den Folien entstehen.
Die dünne Folie links ist stärker gerissen als jene aus gut 2 Millimeter Stärkemasse rechts. Die hellen Stellen sind noch sehr feucht, sodass ich die Folien über Nacht habe trocknen lassen.
  • Wenn die Stärkemasse ausgehärtet ist, könnt ihr die Folie (ggfs. mit Hilfe eines flachen Messers) von den Dosen lösen und nach Wunsch zuschneiden.
Dank des vorne überhängenden Auswuchses lässt sich die Folie einfach von der Dose abziehen.

Achtung: Die Stärkefolien sind nicht wasserfest! Sorgt also dafür, dass eure Valentinsherzen stets im Trockenen bleiben. Für die Beschriftung habe ich dementsprechend einen Permanentschreiber mit organischem Lösungsmittel verwendet.

Die Stärkefolie lässt sich problemlos mit der Küchenschere schneiden. Da besonders die dicke Folie noch Restfeuchte enthielt, wurde sie an der Luft mit der Zeit krumm. Ein paar Stunden unter einem schweren Buch auf dem flachen Tisch und sie war wieder schön flach.

Was passiert da?

Was ist Stärkemehl?

Stärke besteht aus grossen Kettenmolekülen, sogenannten Polymeren, die aus Tausenden miteinander verknüpften Glucose- also Traubenzucker-Ringen besteht. Pflanzen stellen diese Polymere her, um ihren Traubenzucker, der ihnen als Energieträger dient, ordentlich „aufgefädelt“ zu lagern.

Es gibt zwei verschiedene Sorten Stärkepolymere:

  • Amylose, die aus einfachen Ketten aus wenigen Tausend aneinandergereihten Glucose-Einheiten besteht.
  • Amylopektin, dessen Ketten sich etwa alle 30 Glucose-Ringe verzweigen. So entstehen regelrechte Molekül-Büschel, die gut und gerne Zehntausende oder gar Hunderttausende Glucose-Ringe umfassen können.

Trotzdem sind „Maizena“ und andere Stärkemehle weit von den Eigenschaften entfernt, die wir von Kunststoffen, also „Plastik“ kennen. Im Stärkemehl sind diese Molekülketten nämlich sorgfältig zu kleinen Körnern zusammengepackt. Dabei besteht jedes Korn aus etlichen Schichten, die säuberlich um seinen Mittelpunkt herum gelagert sind – in etwa wie die Schichten einer Zwiebel. Damit ähnelt ein Stärkekorn sehr einem Kristall, also der am regelmässigsten aufgebauten Sorte Festkörper, die es gibt. Und Kristalle, ob nun die von Salz und Zucker oder von Mineralien wie Bergkristall, haben freilich wenig mit nachgiebigen Kunststoffen gemein.

Stärkekörner bei 800-facher Vergrösserung in polarisiertem Licht unter dem Mikroskop: Das x-förmige Muster auf den Körnern zeugt von einer Wechselwirkung mit polarisiertem Licht, wie sie eine kristallartige Substanz zeigt (die Stärke ist optisch aktiv).

Stärke und Wasser: Eine besondere Beziehung

In einem unterscheiden sich Stärkekörner aber völlig von den üblichen Kristallen: Die Stärkepolymere können zwischen ihren Ketten kleine Moleküle festhalten! Aus der Schule bekannt ist der Stärkenachweis durch darin eingelagerte Jod-Moleküle, die die Ketten dunkel färben (wie ihr den Nachweis mit jodhaltigen Desinfektionsmitteln aus der Hausapotheke daheim durchführen könnt, erfahrt ihr hier).

Doch besonders Amylopektin ist in der Lage, sich auch grosse Mengen Wassermoleküle „einzuverleiben“. Die Wassermoleküle dringend zwischen die Verästelungen der Amylopektinbüschel und beanspruchen reichlich Platz. Die Folge: Die Büschel und damit auch die ganzen Stärkekörner quellen auf. Die vormals fest einsortierten Molekülketten werden so beweglich und können zunehmend aus ihren Positionen verrutschen.

Wenn nun Wärme hinzukommt – die nichts anderes ist als Bewegung von Molekülen und ihren Gliedern – rutschen und wirbeln die Stärkeketten und -zweige durcheinander, bis ein furchtbares Gewirr entsteht, das keine (mir bekannte) Macht der Welt wieder auflösen kann. Aus den vormals festen Stärkekörnern in Wasser ist ein mit Wasser vollgesogenes Molekülwirrwarr geworden, das wir als gelartige Masse wahrnehmen und „Stärkekleister“ nennen. Tatsächlich besteht Tapetenkleister aus quellender Stärke oder Zellulose-Varianten!

Lassen wir simplen Stärkekleister ausgestrichen an der Luft liegen, verdunsten die aufgesogenen Wassermoleküle mit der Zeit und das Molekülwirrwarr fällt in sich zusammen. Dabei bleibt es jedoch unverändert verworren, sodass es nun einen einzigen Festkörper bildet – allerdings hart und spröde. Und hier kommt das Glycerin ins Spiel.

Von der Platte zur Folie dank Weichmacher

Glycerin ist ein Alkohol mit mehren OH-Gruppen an einem Kohlenstoff-Grundgerüst. Dank der OH-Gruppen kann es ähnlich mit der Stärke wechselwirken wie Wasser – und dementsprechend zwischen den Ketten Platz finden – verdunstet von dort aber weniger leicht. Ausserdem kann Glycerin selbst Wassermoleküle besser bei sich behalten als die Stärke. So sorgt das zu unserem Stärkekleister gegebene Glycerin dafür, dass die Stärkefolien nicht ganz und gar austrocknen, sondern flexibel bleiben.

Das Glycerin übernimmt in unserem Biokunststoff also die Rolle des Weichmachers. Für uns ist es dabei allerdings harmlos, selbst wenn es aus der Stärkefolie freigesetzt wird. Als Bestandteil jedes natürlichen Fettes kommt es naturgemäss in unseren Körpern vor, sobald diese Fettmoleküle zerlegen. So ist es auch als Lebensmittelzusatzstoff E 422 als Feuchthaltemittel ohne Höchstmengenbeschränkung zugelassen. (In Reinform trinken solltet ihr Glycerin dennoch nicht, da es auch dem Körper eine Menge Wasser entziehen und damit in rauen Mengen zur Dehydrierung führen kann!)

Polymergewirr auch bei „richtigen“ Kunststoffen

Auch in den alltäglichen Kunststoffen, die wir überall um uns herum finden, sind lange Polymer-Ketten zu mehr oder minder dichtem Molekül-Filz verstrickt und zuweilen sogar über chemische Bindungen miteinander vernetzt. Die Dichte eines solchen Filzes bzw. die Engmaschigkeit seiner Vernetzung bestimmen die Härte oder Biegsamkeit des Kunststoffs. Eingelagerte Weichmacher können einen entscheidenden Einfluss auf die Flexibilität des Materials haben.

In elastischen Kunststoffen („Gummi“) verhalten sich die Ketten zudem ähnlich wie Spiralfedern: Sie können aus ihrer natürlichen verkrümmten Lage hinaus gerade(r) gezogen werden und kehren anschliessend wieder in ihre Ausgangshaltung zurück.

Ihr molekülfilz-artiger Aufbau gibt unseren Kunststoffen ihre enorme Formbarkeit und Robustheit, die wir sonst nur von Biopolymeren kennen (Holz und Pflanzenteile aus Zellulose sind ebenfalls sehr elastisch – beobachtet einmal Bäume bei starkem Wind! – und bedenkt die gleichzeitige Biegsamkeit und Festigkeit von menschlichem Haar, das aus Faserproteinen besteht!).

Entsorgung

Reste von Stärkekleister, Lebensmittelfarbe und Glycerin könnt ihr in den Ausguss bzw. Hausmüll entsorgen. Übrige Glyzerinlösung könnt ihr aber problemlos für spätere Versuche aufbewahren. Der Stärkekleister lässt sich mit Wasser leicht von Gefässen und Besteck entfernen.

Und wem schenkt ihr euer Herz aus selbstgemachtem Biokunststoff?

Hast du das Experiment nachgemacht

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Wenn etwas nicht oder nur teilweise funktioniert haben sollte, schreibt es in die Kommentare. Ich helfe gerne bei der Fehlersuche!

Plastik überall! Ein Kunststoff - 1x1

Kein Plastik-Spielzeug für mein Kind! Kunststoff-Verpackungen gehören reduziert! Gemüse mit Plastik-Umhüllung ist ein Unding! Die Meere sind voller Plastikmüll! Mikroplastik umgibt uns überall!

Solche Aussagen, die mir immer wieder begegnen, zeigen, dass der Begriff „Plastik“, oder auch etwas ’netter‘ gesagt „Kunststoff“ mehr denn je negativ besetzt ist. Aber sind Kunststoffe wirklich so schlecht für uns und die Welt, wie ihr Image es vermuten lässt?

Sicher ist: Ohne sie geht gar nichts mehr in unserer Alltagswelt. Wo wir auch hinschauen, sind wir von den verschiedenartigsten Kunststoffen umgeben. Allein das ist schon Grund genug, sie hier in Keinsteins Kiste zum Thema zu machen. Und da ein einzelner Artikel diesen allgegenwärtigen Stoffen nicht gerecht werden könnte, habe ich mich entschlossen, in den nächsten Wochen eine ganze Serie rund um Plastik zu bringen. Einschliesslich Experimenten zur Welt der Kunststoffe.

Und die beginnt heute mit einer Übersicht: Was ist eigentlich „Kunststoff“? Welchen Nutzen und welche Schwierigkeiten bringen Kunststoffe mit sich? Welches sind die wichtigsten Kunststoffe unserer Alltagswelt?

Was ist ein Kunststoff?

Ein Kunststoff, auch „Plastik“ oder „Plaste“ genannt, ist ein Festkörper aus synthetischen oder halbsynthetischen Polymeren mit organischen Gruppen…. Moment, langsam!

„Festkörper“ ist ja noch einfach…solch ein Stoff ist eben nicht flüssig oder gasförmig, sondern (bei alltäglichen Temperaturen) fest. Aber:

Was ist ein Polymer?

Ein Polymer ist ein riesenlanges, kettenartiges Molekül (oder eben ein Stoff aus solchen Molekülen). Die Glieder solch eines Kettenmoleküls sind kleine, sich immer wiederholende Atomgruppen. Wie eine Kette aus einzelnen Gliedern zusammen geschmiedet wird, wird auch ein Polymer mittels chemischer Reaktionen aus seinen Einzelgliedern zusammengesetzt.

Ein mögliches solches Einzelglied ist das Molekül Ethen (C2H4), auch Ethylen genannt:

In einer Art Kettenreaktion verbinden sich viele Ethylen-Moleküle zu einer Polymer-Kette. Dieses Polymer heisst deshalb „Polyethylen“.

Jeweils eine der beiden C-C-Bindungen in den Ethylen-Molekülen wird aufgetrennt und die beiden „losen Enden“ für die Verknüpfung der Moleküle untereinander verwendet. So entsteht eine beliebig lange Kette aus C2H4-Einheiten mit Einfachbindungen.

Wer hat die Polymere erfunden?

Viele Polymere in der Alltagswelt sind „synthetisch“. Das heisst, sie sind von Chemikern entworfen und in einem Labor bzw. im industriellen Massstab in einer Chemiefabrik hergestellt worden. Auch das Polyethylen gehört zu dieser Sorte.

Polymere erfunden hat hingegen die Natur. Pflanzen bestehen aus grossen Teilen aus Zellulose und speichern ihre Energie in Stärke. Beide Stoffe bestehen aus langen Ketten, die in Pflanzenzellen aus Zucker-Molekülen zusammengebaut werden. Die „Erbsubstanz“ DNA besteht aus langen Ketten sogenannter Nukleotide, die sich nur in ihren Seitengruppen, den berühmten DNA-Basen, unterscheiden. Die Abfolge dieser Basen entlang der Kette bildet den Bauplan für Proteine, die ebenfalls Polymere sind: Sie sind lange Ketten aus bis zu 20 verschiedenen Aminosäuren, die zu komplexen Strukturen zusammengefaltet sind.

Es sind also Polymere, die Lebewesen erst zu solchen machen. Und diese „natürlichen“ Polymere nennen die Chemiker und Biologen deshalb auch „Biopolymere“.

Nachdem die Natur die Polymere schon erfunden hat, machen sich Polymerchemiker diese Erfindungen zuweilen zu Nutze. Dazu nehmen sie ein Biopolymer und verändern es so, dass seine Eigenschaften schliesslich ihren Wünschen entsprechen. Zellulose reagiert zum Beispiel mit Salpetersäure zu Zellulosenitrat, auch als Schiessbaumwolle bekannt. Mit Campher als Weichmacher wird daraus Zelluloid, das vor allem als Material für Filmstreifen bekannt ist.

Aus Zellulose (links) wird Zellulosenitrat (rechts). In der Praxis wird dazu „Nitriersäure“ verwendet, die neben Salpetersäure auch Schwefelsäure enthält.

Da Schiessbaumwolle aber aus gutem Grund so heisst – unbehandelt ist sie explosiv und auch Zelluloid brennt lebhaft – hat man bald Ersatz gefunden – zum Beispiel in Form von Zelluloseacetat, das durch Reaktion von Zellulose mit Essigsäure entsteht.

Diese Art von Polymeren heisst aufgrund ihrer Herstellung „halbsynthetisch“: Den ersten Teil der Arbeit erledigt die Natur, erst der zweite Teil geschieht im Labor bzw. der Chemiefabrik.

Was macht Polymere bzw. Kunststoffe so nützlich?


  • Alltags-Kunststoffe gelten als chemisch und biologisch weitestgehend inert: Das heisst, sie reagieren weder von selbst mit alltäglichen Chemikalien, noch sind solche Reaktionen im Stoffwechsel von Lebewesen möglich. Damit sind diese Polymere als solche sehr gesundheitsverträgliche Materialien für Lebensmittelbehälter und Anwendungen am und im menschlichen Körper (z.B. als Textilien, Kinderspielzeug, Medizinprodukte). Kunststoffe wie Polyethylen fallen zudem kaum der Korrosion zum Opfer, sodass man fast alle anderen Stoffe darin aufbewahren kann.

  • Alltags-Kunststoffe haben eine wesentlich geringere Dichte als Glas oder Keramik, die chemisch ähnlich unangreifbar sind: Kunststoff-Behälter sind sehr leicht. Das gilt auch für Kunststoffbauteile in Fahr- und Flugzeugen: Der Ersatz von Metallteilen durch Kunststoffe verringert den nötigen Treibstoff erheblich!

  • Viele Alltagskunststoffe sind bruchsicher: Fällt eine Kunststoffflasche zu Boden, zerbricht sie gewöhnlich nicht. Es entstehen keine gefährlichen Scherben, der Inhalt bleibt sicher darin. Das macht Kunststoffe nicht nur im Haushalt praktisch, sondern auch zu einem hervorragenden Material für sicheres Kinderspielzeug.

  • Polymere sind während der Kunststoff-Herstellung nahezu beliebig formbar: Man kann praktisch alles daraus herstellen! Bis vor wenigen Jahren bot das Spritzgussverfahren die grösste Vielfalt (weicher bzw. flüssiger Kunststoff wird in eine vorbereitete Form gespritzt – ein „Nabel“ verrät bei solchen Teilen oft die Lage der Einspritzstelle). Heute verbreiten sich zunehmend 3D-Drucker, die lange Kunststofffasern zu computergenerierten Formen zusammenschmelzen. Damit sind wesentlich präzisere und feinere Strukturen möglich als mit dem Spritzgussverfahren.

  • Die Herstellung von Kunststoffen ist kostengünstig: Bislang zumindest, denn die meisten Alltagskunststoffe sind Erdölprodukte. Wenn das Erdöl erst einmal knapp wird, werden auch diese Kunststoffe nicht mehr so günstig zu haben sein. Deshalb wird seit Jahrzehnten Recycling betrieben und Wissenschaftler suchen eifrig nach neuen Kunststoffen aus erneuerbaren Rohstoffen oder ebenso erneuerbaren Rohstoffquellen für die gängigen Polymere.

Welche Schwierigkeiten verursachen Kunststoffe?


  • Die für uns so vorteilhafte chemische und biologische Inertheit bedeutet leider auch: Unsere Alltags-Kunststoffe sind so gut wie gar nicht biologisch abbaubar. Die Geister, die wir riefen, werden wir nun also nicht mehr los: Wo immer unsere Kunststoff-Abfälle hingeraten, bleiben sie über lange Zeiträume, vermüllen unsere Umwelt und gefährden ihre Bewohner. Auch das ist ein Grund, weshalb Wissenschaftler fleissig an neuen, besser abbaubaren Kunststoffen forschen und solche zunehmend auf den Markt gebracht werden.

  • Viele ihrer nützlichen Eigenschaften erhalten die Polymere erst durch Zusätze (die Polymerchemiker nennen sie „Additive“). Und diese Zusatzstoffe sind – im Gegensatz zu den eigentlichen Polymeren – oft weniger inert. Zudem bestehen sie aus relativ kleinen Molekülen, sodass sie leicht beweglich sind. Im Zweifelsfall bewegen sie sich aus dem Kunststoff hinaus und in dessen Umgebung – zum Beispiel den Inhalt von Kunststoffbehältern – hinein. Und da wollen wir die reaktionswilligen, im schlimmsten Fall gesundheitsschädlichen Additive absolut nicht haben. Zu den besonders berüchtigten Zusatzstoffen zählen Weichmacher, wie sie in Weich-PVC zu finden sind.

  • Viele Kunststoffe sind nicht besonders lichtbeständig: Intensiver Sonneneinstrahlung ausgesetzt verändern sich viele Kunststoffe früher oder später. Sie verlieren nicht nur ihre Farbe, sondern werden vor allem brüchig. Zugesetzte Lichtschutzmittel sollen diese Entwicklung verlangsamen.

  • Kunststoffe sind mehr oder weniger empfindlich gegenüber Wärme: Die meisten Alltagskunststoffe sind sogenannte Thermoplaste, d.h. sie werden bei höheren Temperaturen weich und verformen sich, ehe sie sich bei noch höheren Temperaturen zersetzen. Bei der Zersetzung können je nach Kunststoff giftige Kleinmoleküle freigesetzt werden. Zugesetzte Wärmestabilisatoren können jedoch dafür sorgen, dass z.B. Küchenbehälter der Temperatur von Gargut (also um die 100°C ) standhalten.

  • Kunststoffe sind brennbar: Wie die allermeisten organischen Verbindungen brennen auch Kunststoffe, wobei nur im besten Fall CO2 entsteht. Viel häufiger sind andere, teils giftige Zersetzungsprodukte, die auch den typischen Gestank eines Kunststoffbrandes mit sich bringen. Zugesetzte Flammschutzmittel sollen insbesondere in Gebäuden und Fahrzeugen verhindern, dass verbaute Kunststoffe in Flammen aufgehen und zum Niederbrennen des Gebäudes führen.

  • Die meisten Kunststoffe werden aus Erdöl, also aus einer endlichen Rohstoffquelle, gewonnen.

Welche Kunststoffe begegnen uns im Alltag?

Polyethylen und Polypropylen (PE bzw. PP)

Diese beiden Polymere bestehen aus chemisch eng miteinander verwandten Kettengliedern. So sind ihre Eigenschaften und damit auch ihre Einsatzgebiete ähnlich. Beide Kunststoffe sind sehr reaktionsträge. Polypropylen bleibt allerdings bis zu höheren Temperaturen fest als Polyethylen. Deshalb sind Küchengefässe meistens aus Polypropylen, während z.B. Medikamentendosen und Laborbehälter, die nicht erhitzt werden sollen, oft aus Polyethylen („HDPE“ – high density PE mit geringfügig höherer Dichte). Auch die durchsichtigen Folienbeutel mit Clip-Verschluss bestehen entweder aus Polypropylen oder Polyethylen („LDPE“ – low density PE mit geringfügig niedrigerer Dichte).

Medikamentendosen, Kosmetikverpackung, Gefrierdose und Folienbeutel aus Polyethylen
Medikamenten- und Kosmetikbehälter sowie der Gefrierdosen-Deckel und die Folienbeutel sind aus Polyethylen. Die Recycling-Symbol mit „04“ und „PE-LD“ bzw. „02“ und „PE-HD“ verraten uns das Material.
DVD-Hülle, Gefrierdose und Mehrfachsteckdosengehäuse aus Polypropylen
In die Gefrierdose können nicht nur kalte, sondern auch heisse Speisen gefüllt werden: Sie ist aus hitzebeständigerem Polypropylen. Daraus bestehen auch DVD-Hüllen und das Gehäuse der Mehrfachsteckdose. Das Recyclings-Symbol dafür zeigt „05“ und „PP“.

Polyvinylchlorid (PVC)

Wie der Name vermuten lässt, enthält jedes Kettenglied dieses Polymers ein Chlor-Atom. Dadurch ist dieser Kunststoff schwerer entflammbar als viele andere. Wenn er aber einmal brennt, entstehen daraus Chlorwasserstoff („Salzsäure“) und andere giftige Stoffe. Reines PVC ist hart und spröde und wird für die Herstellung von Fensterrahmen, Rohre und Schallplatten (daher die Bezeichnung „Vinyl-Platten“) verwendet. Durch die Zugabe von Weichmachern kann es elastisch gemacht werden. Dann kommt es z.B. als Kabelumhüllung, Bodenbelag oder in Spielzeugen wie Kunststoffpuppen zum Einsatz. Einige dieser Weichmacher gelten jedoch als gesundheitsschädlich, was PVC gerade im Spielzeugbereich in Verruf gebracht hat.

Kabelummantelungen und Badeente aus PVC
Kabelummantellungen und die Badeente sind aus Weich-PVC. Das Recycling-Symbol für Polyvinylchlorid zeigt „03“ und „PVC“.

Polyethylenterephthalat (PET)

Das bekannte Material für Einweg-Getränkeflaschen („PET-Flaschen“) gehört zur Gruppe der Polyester. Es ist sehr reaktionsträge und bruchsicher, sodass es sich nicht nur für Getränkeflaschen, sondern auch für Textilfasern (zum Beispiel für schnelltrocknende Sportbekleidung) wunderbar eignet. PET lässt sich zudem sehr wirtschaftlich recyceln. Die Schweiz hat ein eigenes Recycling-System dafür: Die blau-gelben Container mit dem PET-Dino sind speziell für die PET-Flaschen gedacht (alle anderen Kunststoffe landen hierzulande nämlich oft über den Restmüll in der Müllverbrennung).

PET-Flaschen, PET-Rohling und Butterdose aus PET
Nicht nur Getränke, sondern auch Reinigungschemikalien und Butter werden in PET-Flaschen verkauft. Aus dem PET-Rohling rechts vorne kann durch Aufblasen des erwärmten Kunststoffs eine PET-Flasche produziert werden. Das Recyclings-Symbol zeigt „01“ und „PET“.

Polystyrol (PS), auch bekannt als Styropor

Dieser Kunststoff lässt sich zu extrem leichtem Material aufschäumen („Quietschpapier“), das wir vor allem als Verpackungsmaterial oder Wärmedämmung kennen. Es gilt als biologisch inert, sodass es auch als Lebensmittelverpackung (z.B. Fleischschalen) zum Einsatz kommt. Polystyrol wird jedoch auch in massiver Form verarbeitet: Dann ist es glasklar und begegnet uns z.B. als Plastikbesteck, CD-Hüllen oder Spielzeug.

Styropor, CD-Hülle, Joghurtbecher und Plastikbesteck aus Polystyrol
Polystyrol begegnet uns nicht nur als Styropor, sondern auch in Form von CD-Hüllen, Plastikbesteck und Joghurtbechern. Das Recyclings-Symbol zeigt „06“ und „PS“.

Polyurethane (PU, PUR)

Diese Kunststoffe lassen sich aufschäumen, sodass wir ihn hauptsächlich als „Schaumstoff“ in Polstern, Wärmedämmung oder Putzschwämmen kennen. Auch der gelbe Hartschaum, den man in manchen Gebäuden um Rohrleitungen oder in Fugen findet, ist ein Polyurethan-Kunststoff. In massiverer Form begegnen uns Polyurethane zudem Lacke, Kunstharze oder „Kunstleder“ – zum Beispiel als Material für Schläuche oder Fussbälle.

Schaumstoffe und Schwamm aus Polyurethan
Schwämme und andere Schaumstoffteile bestehen aus Polyurethanen.

Polyamid (PA)

Diese Bezeichnung kennen wir vor allem von Kleidungsetiketten. Tatsächlich begegnen uns Polyamide (auch das ist eine ganze Kunststoff-Gruppe) meistens als Textilfasern. Berühmte Handelsnahmen solcher Kunstfasern sind „Nylon“ und „Perlon“. Auch Zahnbürsten-Borsten, Instrumentensaiten, Kunststoffseile und Angelschnur bestehen aus Polyamiden. In der Schweizer Mundart wird solche Nylonschnur auch als „Silch“ bezeichnet.

Sporthose, Küchenbesteck und Zahnbürste aus Polyamid
Nicht nur meine Sporthose, sondern auch das Küchenbesteck und die Borsten der Zahnbürste bestehen aus Polyamiden. Kürzel wie „PA 6“ oder „PA 6.6“ auf dem Besteck verraten dieses Material.

Polyester

Diese Bezeichnung auf Kleideretiketten ist im Grunde genommen eine recht ungenaue Bezeichnung für eine sehr grosse Familie von chemisch ähnlich hergestellten Kunststoffen. Besonders wichtige Vertreter sind das schon genannte PET, aber auch die Polycarbonate und die Polymilchsäure / Polylactid PLA. Die Polyesterfaserstoffe in Textilien oder Mikrofasern werden kurz als PES bezeichnet. Weitere Familienmitglieder sind Polyesterharze, die im Gegensatz zu den Fasermaterialien nach dem Aushärten stets hart und fest bleiben.

Polycarbonate (PC)

Diese Vertreter der Polyesterfamilie sind besonders hart, schlag- und kratzsicher – und überdies glasklar. Zudem sind sie zwar entflammbar, brennen aber nicht ohne Flamme von aussen weiter. Ihre Herstellung ist allerdings teurer als die anderer Kunststoffe, sodass sie nur dort zum Einsatz kommen, wo andere Kunststoffe nicht hart genug sind: Für CDs, Brillengläser, als Ersatz für Glas, Koffer oder medizinische Einmalprodukte.

CD, DVD und Brillengläser aus Polycarbonat
Aus Polycarbonaten sind vor allem Gegenstände, die kratzfest sein müssen: Zum Beispiel Brillengläser und CDs bzw. DVDs.

Polymilchsäuren oder Polylactide (PLA)

Dieser Vertreter der Polyester besteht aus Kettengliedern, die in jedem Lebewesen vorkommen: Aus Milchsäure bzw. deren Anion „Lactat“. Der Rohstoff für diese Kunststoffe wächst also nach – zum Beispiel in Mikrobenkulturen! Dementsprechend haben Lebewesen auch Enzyme entwickelt, die mit Milchsäureestern umzugehen wissen: PLA ist deshalb biologisch abbaubar. ABER: Dazu sind besondere Umweltbedingungen (u.A. eine erhöhte Temperatur) nötig, die nur in industriellen Kompostieranlagen gegeben sind! Trotzdem verbreiten sich PLA zunehmend, zum Beispiel als Material für Einweggeschirr oder für den 3D-Druck. Auch in „physiologischer Umgebung“ in lebenden Körpern werden PLA mit der Zeit abgebaut, sodass sie auch als selbstauflösendes chirurgisches Garn zum Einsatz kommen. Mehr über PLA könnt ihr hier in Keinsteins Kiste nachlesen.

Kautschuke („Gummi“)

Der Naturkautschuk, der aus Kautschukpflanzen gewonnen wird, ist ein echter Naturstoff, kein Kunststoff. Das gilt auch für das daraus gewonnene Naturlatex – ein Kautschukprodukt (deshalb kann Latex Allerdien auslösen: Es kann – wie viele Naturprodukte – Spuren von allergenen Proteinen enthalten). Haupteinsatzgebiet von Kautschuk ist die Herstellung von Autoreifen. Während der Weltkriege haben Wissenschaftler anhand des natürlichen Vorbilds synthetische Kautschuke – also Kunststoffe – entwickelt, um von den Kautschukplantagen in tropischen Gebieten unabhängig zu sein. Doch in jüngerer Zeit wird ein zunehmender Anteil des Gummibedarfs durch Naturkautschuk gedeckt – mit allen Umweltproblemen, die der Anbau in grossem Massstab mit sich bringt. So sind LKW- und Flugzeugreifen meist aus Naturkautschuk, während PKW-Reifen meist aus Synthesekautschuken bestehen. Spezielle Synthesekautschuke sind überdies das Neopren, aus dem Taucheranzüge bestehen, und der Nitrilkautschuk, aus dem die besonders undurchlässigen blauen Einmalhandschuhe in Labor und Arztpraxis gefertigt sind.

Silikone

Diese Polymere sind Exoten unter den Kunststoffen. Denn ihre Ketten bestehen nicht wie bei den übrigen Kunststoffen aus Kohlenstoff, sondern aus Silizium- und Sauerstoffatomen. Diese besondere Struktur verleiht Silikonen eine besonders gute Verträglichkeit mit unseren Körpergeweben, was sie als Material für Implantate (z.B. „Silikon-Brüste“) und andere Medizinprodukte beliebt macht. Die meisten Silikone im Alltag erscheinen elastisch wie „Gummi“. Deshalb sprechen Fachleute auch von „Silikonkautschuk“. Auch Küchengeräte sowie Schnuller („Nuggi“ in der Schweiz) aus Silikonkautschuk sind weit verbreitet, ebenso wie Fugendichtungsmasse in Badezimmer und Küche.

ABS-Kunststoffe (Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymere)

Als Copolymere bezeichnet man Polymere, deren Ketten sich aus verschiedenartigen Gliedern zusammensetzen. Damit sind auch DNA und Proteine Copolymere: Erstere bestehen aus 4, zweitere aus 20 verschiedenen Gliedersorten. Die ABS-Kunststoffe bestehen aus 3 grundlegenden Gliedersorten. Sie zeichnen sich durch besondere Schlagzähigkeit aus und lassen sich gut mit Metallen oder anderen Polymeren beschichten. Legosteine und Playmobil bestehen aus ABS-Kunststoffen, und diese Spielzeuge sind ja bekanntlich nahezu „unkaputtbar“. Ausserdem sind ABS-Kunststoffe als Material für Gehäuse von elektronischen Geräten, auch in Autos oder für robuste Teile von Musikinstrumenten und Sportgeräten begehrt.

Legosteine und Blutdruckmessgerät aus ABS-Kunststoff
Legosteine und das Gehäuse des Blutdruckmessgeräts bestehen aus robusten ABS-Kunststoffen. Auf der Innenseite der Batterieklappe des Blutdruckmessgeräts habe ich das Kürzel „ABS“ entdeckt, welches auf das Material hinweist.

Fazit

Kunststoffe bestehen aus sogenannten Polymeren – langen Molekülketten aus sich wiederholenden Gliedern – die vollständig oder teilweise im Labor bzw. industriell hergestellt werden. Der Ausgangsstoff für die Herstellung der meisten Kunststoffe ist Erdöl, doch kommen zunehmend Kunststoffe aus anderen, bestenfalls erneuerbaren Rohstoffquellen zum Einsatz.

Die Materialeigenschaften von Kunststoffen lassen sich nahezu nach Wunsch gestalten. Allerdings sind dazu oft Zusatzstoffe (Additive) nötig, die den Kunststoffen einen grossen Teil ihres schlechten Rufs eingebracht haben. Dennoch ist die Welt der Kunststoffe äusserst vielfältig und „Plastik“ längst nicht gleich „Plastik“. Es lohnt sich, nicht alle Kunststoffe über einen Kamm zu scheren. Insbesondere, da wir heutzutage kaummehr ohne sie auskommen.

Zu meinen Lieblingskunststoffen zählen wohl Polyethylen (darin kann man wirklich fast alles aufbewahren), die Polylactide (Biokunststoffe sind irgendwie cool) und die ABS-Kunststoffe (fast unkaputtbar…und ich liebe Lego… 😉 ). Welcher ist denn euer Lieblingskunststoff?

Slime ? Wie du ihn wirklich herstellst

Was passt besser zu Halloween als schaurig-schlabbriger Slime? Und am besten noch selbstgemacht? Dieser Gedanke liess mich in den letzten Tagen nicht los, sodass ich mich auf die Suche nach Anregungen für die Slime-Herstellung aus Haushaltszubehör gemacht.

Dabei habe ich festgestellt: Ich bin bei weitem nicht die Einzige, die auf solch eine Idee gekommen ist. Vielmehr wird das Netz von verschiedenen Slime-Rezepten und DIY-Videos geradezu überflutet. Und da jetzt noch ein Slime-Rezept auf den Markt werfen? Das erschien mir nicht gerade sinnvoll.

Allerdings fiel mir, vor allem in den Kommentaren auf Youtube und Co, noch etwas anderes auf: Viele der vorgestellten Slime-Rezepturen scheinen unter realen Bedingungen gar nicht zu funktionieren. Warum das so ist? Weil in der Regel weder die Blog-Autoren oder Video-Produzenten noch ihre Leser, die die Rezepte nachmachen, wissen, wie der spassige Schleim funktioniert. Chemisch gesehen. Wer das nämlich weiss, kann schon vor dem Ausprobieren abschätzen, was überhaupt nicht funktionieren kann.

Deswegen zeige ich euch heute, was Slime eigentlich ist und wie er entsteht – oder eben nicht. Ausserdem gebe ich euch solche Rezepte weiter, die wirklich funktionieren können. So könnt ihr euch möglichst frustfrei an die Herstellung von fantastisch gruseligem Schleim wagen!

Das Grundprinzip: Von der Flüssigkeit zum Slime

Schon vor zwei Wochen habe ich euch mit einem Experiment gezeigt, dass Flüssigkeiten aus vielen, vielen winzigkleinen Teilchen bestehen, die sich zwar dicht zusammenrotten, aber frei gegeneinander beweglich sind. Dieser Umstand ermöglicht es einer Flüssigkeit, sich der Schwerkraft folgend in einem Gefäss so auszubreiten, dass sie den Hohlraum darin ganz und vollkommen ausfüllt.

In dünnflüssigen Flüssigkeiten sind die Teilchen in der Regel klein und rollen ziemlich ungehindert aneinander vorbei. Manche Flüssigkeiten enthalten dagegen grössere Teilchen, meistens lange „Würmer“ aus einer Kette von Atomen. Solche Flüssigkeiten sind oft zähflüssig, denn die „Würmer“ verschlingen sich miteinander oder mit anderen Teilchen. Und wie bei einem Wollfaden-Salat wird ihre Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt. So brauchen zähe Flüssigkeiten – wie zum Beispiel Speiseöl, Flüssigseife oder Klebstoff – länger, um sich in einem Gefäss vollständig zu verteilen.

Ein guter Slime ist dagegen schwabbelig, lässt sich kneten, formen und reissen, und haftet im Idealfall leicht an Oberflächen und Fingern, ohne sich dabei aufzulösen und Reste zu hinterlassen. In keinem Fall sollte er einfach zerlaufen!

Damit ist ein guter Slime keine wirkliche Flüssigkeit. Ein echter Feststoff ist er allerdings auch nicht – sondern etwas dazwischen. Tatsächlich besteht Slime teils aus fest miteinander verbundenen Teilchen, teils aus Teilchen im „flüssigen“ Zustand, die in einem Netzwerk aus den fest verbundenen Teilchen eingeschlossen sind. Ein solches Teilchengemisch nennt man landläufig ein „Gel“.

Aus welchen Stoffen kann man Slime herstellen?

Um die Zutaten für das Gel – also den Schleim – ordentlich miteinander mischen zu können, verwendet man dazu Flüssigkeiten und ggfs. Pulver. Ausgangstoff ist deshalb normalerweise eine Flüssigkeit (bzw. ein Flüssigkeitsgemisch), welches lange „Würmer“-Teilchen enthält. Dazu kommt ein Stoff, der mit diesen „Würmern“ reagieren und sie dabei zu einem Netz verknüpfen kann. Da das Ausgangs-Flüssigkeits-Gemisch in der Regel auch Wasser enthält, ist für kleine Flüssigkeitsteilchen zum Einschliessen ebenfalls gesorgt.

Das „Original“ aus den USA

Der Slime-Trend ist einmal mehr aus den USA über den grossen Teich zu uns geschwappt. Dort drüben ist es nämlich ziemlich einfach, die idealen Zutaten für DIY-Slime zu bekommen. Hier in der Schweiz bekommt man sie in Reinform allenfalls noch im Schullabor zu fassen – in den EU-Ländern sollte auch das heute nicht mehr möglich sein.

Rezept für DIY-Slime im Schullabor

Du brauchst:
– Polyvinylalkohol (PVA, PVAL), ein Feststoff aus Molekül-„Würmern“, der sich in heissem Wasser lösen lässt
– Borax (Natriumtetraborat), ein wasserlösliches Pulver

2g Polyvinylalkohol werden in 48ml heissem (90°C) Wasser, 2,5g Borax in 50ml lauwarmem Wasser gelöst. Beide Lösungen werden zusammengegeben und verrührt, bis ein Gel mit den gewünschten Eigenschaften entsteht – der Slime! (Eine ausführlichere Anleitung gibt es hier.)

Warum man Borax nicht mehr findet

Das Problem dabei: Borax und andere Verwandte der Borsäure können nach neuesten Forschungsergebnissen Ungeborene im Mutterleib schädigen und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen. Deshalb werden sie in den EU-Staaten (Deutschland und Österreich) nicht mehr an jedermann verkauft und aus den Schullabors verbannt.

Wenn du in der Schweiz, den USA oder anderen Ländern die Gelegenheit hast, im Labor mit Borax zu arbeiten, achte darauf, das Pulver nicht einzuatmen oder gar zu verschlucken. Wenn du ganz sicher gehen willst, trage Einmal-Handschuhe aus Nitril-Kautschuk (die blauen), um deine Hände zu schützen.

Was passiert bei der Reaktion?

Die „Würmer“-Moleküle des Polyvinylalkohols sehen so aus:

Strukturformel Polyvinylalkohol

 Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus seiner sehr langen Kette aus Kohlenstoffatomen. An jedem „Glied“ dieser Kette sitzt noch ein Pärchen aus Sauerstoff und Wasserstoff. Diese OH-Gruppe ist kennzeichnend für einen Alkohol und kann mit anderen Stoffen reagieren.

Wenn man Borax in Wasser auflöst, entsteht daraus Borsäure, die zu ganz besonderen Teilchen weiterreagiert:

Strukturformel Tetrahydroxyborat

 Diese Teilchen (sie heissen Tetrahydroxyborat) können nun mit den PVA-Würmern reagieren:

Slime - Entstehung: Polykondensation von PVA mit Tetrahydroxyborat

 Dabei vereinigen sich die OH-Gruppen beider Teilchen zu festen Verbindungen, sodass die Borat-Anionen wie doppelköpfige Wäscheklammern zwischen den Würmern hängen und so zu „Knoten“ in einem Netz werden. Dabei bleiben Wasser-Teilchen übrig, die gleich als Füllteilchen im Gel Verwendung finden können.

Die PVA-„Würmer“ sind dabei keinesfalls steif, sondern in ihren Gelenken biegsam, sodass das Gel nicht hart wird, sondern sich eher wie ein vollgesogener Teilchen-Schwamm benimmt!

Wie du trotzdem daheim Slime machen kannst

Auch wenn man die Labor-Zutaten für guten Slime – ganz besonders Borax – nicht einfach kaufen kann, findet man sie in verschiedenen Haushaltszutaten.

Polyvinylalkohol findet man vor allem in verschiedenen Leimen und Klebstoffen. Zudem habe ich auf der Zutatenliste der Colgate-Zahncreme meines Mannes ein wahrscheinlich auch brauchbares „Würmer“-Molekül entdeckt.

Und obwohl Borax in Reinform nicht mehr erhältlich ist, findet man Borsäure und ihre Verbindungen in kleinen Mengen zum Beispiel in Kontaktlinsen-Flüssigkeiten oder Augentropfen. Auf der Liste der Inhaltstoffe können sie als „Borsäure“, „Borat“, „Borat-Puffer“ oder ähnlich erscheinen. Diese kleinen Mengen – zumal nur zum äusseren Kontakt mit dem Menschen bestimmt – sind nicht gefährlich, können aber für die Schleim-Herstellung reichen. Das Rezept für den funktionsfähigen Heim-Schleim findest du in diesem Video:

Die basische Rolle des Natrons

Wozu braucht es da das Natron (anders als von der Youtuberin vorgemacht wird das Wort auf der ersten Silbe betont und das „o“ kurz gesprochen)?

Das Geheimnis eines wirklich schaurig-schwabbeligen Schleims ist, dass die „Knoten“ im PVA-Borat-Netzwerk nicht besonders festgezurrt sind: Die Bindungen zwischen beiden lösen sich relativ leicht und können anderswo neu gebildet werden. So ist das Netzwerk in diesem Gel beim Kneten sehr wandelbar – was den Schleim erst richtig schleimig macht.

Da es sich bei den Bindungen zwischen PVA und Borat um sogenannte „Ester“ handelt – eine Verbindungssorte, die sich in der Gegenwart einer Base besonders leicht zerlegen lässt – vermute ich, dass die Youtuberin das Natron genau deshalb zum Einsatz bringt: Weil es eine Base ist. So macht es meiner Vermutung nach das Netzwerk besonders wandelbar – und den Schleim damit besonders schleimig.

Beim Experimentieren im (Schweizer) Schullabor habe ich nämlich gelernt: Wenn man nur genügend Borax mit dem richtigen Leim vermischt (ohne Base), erhält man statt schleimigem Slime elastische, springende Gummibälle (in denen die Netzwerk-„Knoten“ entsprechend fest gezogen und nicht mehr veränderbar sind)!

Andere Rezepte und warum sie nicht funktionieren

Einkomponenten-Schleime zum Tiefkühlen

Durch das Abkühlen werden die „Würmer“-Moleküle – zum Beispiel die Tenside in Seifen – in zähen Flüssigkeiten steif, sodass der Salat aus versteiften „Würmern“ Ähnlichkeit mit einem Netzwerk annimmt und das Ganze mitunter wie Schleim aussieht. Es entstehen allerdings keine festen Verbindungen zwischen den Molekülen. Das merkst du spätestens dann, wenn du die kalte Masse aus ihrem Behälter nehmen möchtest und sie sich eher wie eine Creme ähnlich verteilt. Ausserdem wird das Ganze wieder flüssig, sobald es warm wird.

Seife mit Salz oder Zucker

Seife enthält Fettsäurereste – das sind vergleichsweise kurze Teilchen-„Würmer“. Kochsalz (NaCl) besteht aus Ionen, die jeweils nur ein Atom enthalten. Damit lassen sich keine festen Bindungen zu zwei verschiedenen Atom-Ketten bilden. Dafür entzieht das Salz der Flüssigseife Wasser, was eine ursprünglich cremige Flüssigseife „schleimiger“ macht – aber wiederum nicht zu festen „Knoten“ führt.

Auch Zucker zieht Wasser an. Zudem enthalten Zucker-Moleküle einige OH-Gruppen, die möglicherweise zur Bildung von Ester-„Knoten“ geeignet sind. Also habe ich das ausprobiert und Spülmittel mit Zucker verrührt. Als ich ein bis drei Tropfen Haushaltsessig dazugegeben habe (die Gegenwart einer Säure kann die Entstehung von Estern fördern), ist tatsächlich ein „Glibber“ entstanden, der sich an meinem Rührstab festgeklammert hat. Aber wirklich brauchbarer Schleim wurde das nicht.

Kein Wunder: Schliesslich sind weder die Fettsäure- noch die Zucker-„Würmer“ auch nur annähernd so lang oder haben so viele Verbindungsmöglichkeiten wie PVA. Was immer ich da dazu gebracht habe, sich zu verbinden – das Ergebnis war allenfalls Möchtegern-Schleim.

Und wenn man für Borax einen Ersatz findet?

Manche Slime-Experimentatoren berichten, dass sie mit bestimmten Flüssig-Waschmitteln und PVA-haltigem Leim zum Erfolg gefunden haben (solchen Slime made in Switzerland gibt es hier). Ich habe mir die Inhaltsstoff-Liste eines solchen „geeigneten“ Waschmittels angesehen und verdächtige die darin enthaltenen „optischen Aufheller“, einen brauchbaren Ersatz für die Borat-„Knoten“ abzugeben. Die sehen nämlich (zum Beispiel) so aus:

optischer Aufheller - Borax-Ersatz?

 Anstelle der Bor-Sauerstoff-„Klammern“ enthalten diese Moleküle Schwefel-Sauerstoff-Gruppen (sogenannte Sulfonsäure-Gruppen), die ebenfalls für die Entstehung von Ester-Bindungen in Frage kommen.

Fazit

Wenn du wirklich brauchbaren Slime herstellen möchtest, brauchst du unbedingt lange, reaktionsfreudige Molekül-Würmer (sogenannte Polymere, z.B. Polyvinylalkohol) und eine Verbindung aus der Borsäure-Familie (z.B. Borat-Puffer) oder einen würdigen Ersatz dafür. Achte also beim Einkauf von Zutaten genau darauf, ob diese wichtigen Stoffe auf der Inhaltsstoff-Liste zu finden sind und probiere mit kleinen Mengen, ob das Ganze funktioniert – oder mache das Experiment (in der Schweiz) im (Schul-)Labor, wo du die Stoffe in Reinform in sicherer Umgebung verwenden kannst!

Entsorgung

Das gesundheitsschädliche Borax muss als Sondermüll entsorgt werden, Leim- oder Waschmittelreste gemäss den Angaben auf der Verpackung. Wenn Schleim-Reste Borax enthalten, gehören sie damit in den Sondermüll – denn der gefährlichste Bestandteil gibt bei der Entsorgung den Ton an!

Polylactid - Werkstoff mit Potential in Sachen Umweltschutz

Kürzlich haben Reto und ich im Urlaub eine spannende Entdeckung gemacht. An einem heissen Tag im den Denver Botanic Gardens im US-Bundesstaat Colorado trieb uns der Durst in die dortige Freilicht-Cafeteria. Wir erstanden dort handgebrauten Eistee in grossen, durchsichtigen Plastikbechern – und diese Becher waren das Spannende – besonders für Chemiker, Science-Begeisterte und Umweltfreunde. Sie trugen nämlich eine aufgedruckte grüne Banderole mit der grossen Aufschrift „100% compostable – please discard in marked containers“ – also „100% kompostierbar – bitte in vorgesehene (beschriftete) Abfallbehälter entsorgen“.

Kompostierbarer Kunststoff als Mittel gegen Müllberg und Erdöl-Krise?

Ein kompostierbarer Plastikbecher? Der sich zudem noch wie ein ganz normaler Plastikbecher anfühlt und zu verhalten scheint? Meine wissenschaftliche Neugier war sofort geweckt. Als der Eistee seiner Bestimmung zugeführt worden war, entdeckte ich auf dem Boden des Bechers ein vertrautes Symbol: Ein Dreieck aus drei umlaufenden Pfeilen mit der Ziffer 7 in der Mitte. Und den drei Buchstaben „PLA“.

Das Pfeildreieck ist heutzutage auf praktisch allen Kunststoff-Verpackungen zu finden und gibt Auskunft über die Art des Kunststoffs, und in welchen Recyclingweg er einfliessen soll. Dafür wird den verbreitetsten Kunststoff-Typen je eine Ziffer zugeordnet. Die Ziffer 7 steht dabei für „sonstige Kunststoffe“ – eben jene, die noch nicht so verbreitet sind. Die Buchstaben darunter geben die genaue Kunststoffsorte an. „PLA“ steht für Polymilchsäure (engl. Poly Lactic Acid), oder auch Polylactid. Beide Namen stehen für den gleichen Stoff und beziehen sich auf zwei verschiedene Herstellungswege.

Bei Milchsäure klingeln bei Biochemikern und Medizinern, aber auch bei Molkereimitarbeitern die Glocken: Das (oder besser das Anion der Milchsäure, Lactat) ist ein Stoff, der im Stoffwechsel fast jedes Lebewesens produziert wird und dort häufig als „Abfall“ anfällt. Und aus diesem Naturstoff hat jemand ein Polymer gemacht und Plastikbecher hergestellt, die sich wieder zu Naturstoffen kompostieren lassen? Lässt sich mit solch einem Biokunststoff etwa das immer rarer werdende Erdöl als Rohstoff für herkömmliche Kunststoffe ersetzen? Könnten damit unsere stetig wachsenden Müllberge bald der Vergangenheit angehören?

Aber fangen wir am Anfang an:

Was ist ein Polymer?

Die Vorsilbe „Poly“ ist aus dem Altgriechischen abgeleitet und steht für „viel“. Und Polymere sind in der Tat Moleküle mit viel drin: nämlich mit vielen Atomen. Im Chemieunterricht in der Schule bekommt man es häufig mit sehr kleinen Molekülen mit zwei bis zehn Atomen zu tun. Für die organischen Chemiker sind diese Moleküle geradezu winzig. Sie bezeichnen nämlich auch noch Moleküle wie unsere Vitamine mit (ca. 50) Atomen als klein. Dahingegen sind Polymere wahre Riesenmoleküle mit tausenden von Atomen, die lange Ketten und manchmal richtige Netzwerke bilden.

Das Besondere dabei ist, dass diese Ketten aus sich immer wiederholenden Kettengliedern bestehen. Es gibt nämlich bestimmte sehr kleine Moleküle, die unter den richtigen Umständen miteinander reagieren und sich wie Glieder zu einer Kette verbinden können. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Gas Ethen – auch als Ethylen bekannt. Das kann man in Gasflaschen füllen und herumtransportieren und bei Bedarf verbrennen – es ist nämlich sehr reaktionsfreudig. Wenn man allerdings ein Ethylen-Molekül auf die richtige Weise reaktiv macht, d.h. „aktiviert“, kann es ein anderes Ethylen-Molekül angreifen, sich mit diesem verbinden und es wiederum aktivieren. So entsteht Glied für Glied ein lange Kettenmoleküle, aus denen ein fester, reaktionsträger Kunststoff hergestellt werden kann: Polyethylen.

Ein Polymer ist also Stoff, der aus kettenartigen Riesenmolekülen besteht, die wiederum aus miteinander verbundenen kleinen Molekülen aufgebaut sind. Diese kleinen Moleküle werden vor der Reaktion zur Kette Monomere genannt.

Und eine solche Polymerisationsreaktion, oder kurz Polymerisation kann man auch mit Milchsäure machen. Das Schöne daran ist: Milchsäure kann man billig in einem weit verbreiteten Verfahren herstellen. Oder besser, man lässt sie herstellen.

Milchsäureherstellung mittels Fermentierung

Fast jedes Lebewesen kann Glucose – Traubenzucker – zu Milchsäure (bzw. ihrem Anion Lactat) abbauen. Damit können diese Lebewesen Energie gewinnen. Im Zuge das Abbaus wird chemische Energie aus dem Zucker frei, welche in einem sehr vielseitigen Molekül, genannt ATP (Adenosintriphosphat), zwischengespeichert wird. ATP wiederum dient als „Kraftstoff“ für vielerlei Reaktionen und Prozesse in einem Organismus, die Energie benötigen.

Milchsäuregärung


Schema für die Milchsäuregärung: Der Abbau von Glucose zu Pyruvat ist eine Redox-Reaktion. Das hierfür benötigte Oxidationsmittel NAD+ wird im Zuge der Weiterreaktion des Pyruvats zu Lactat (dem Anion der Milchsäure) zurückgewonnen.

Der Abbau von Glucose zu Lactat zwecks ATP-Erzeugung wird von verschiedenen Enzymen katalysiert. Der gesamte Prozess wird Fermentierung oder auch Milchsäure-Gärung genannt. Es gibt eine ganze Reihe von Bakterienstämmen, deren Lebensinhalt darin besteht Zucker zu Milchsäure (und nichts anderem) zu vergären. Diese Bakterien der Gattung Lactobacillus werden seit je her zur Herstellung von Milchprodukten wie Käse, Joghurt oder Kefir eingesetzt. So liegt nahe, dass diese Bakterien für den Menschen nicht gefährlich sind. Im Gegenteil: Bestimmte Lactobacillus-Arten besiedeln unsere Schleimhäute und sorgen dafür, dass Krankheitserreger dort keinen Platz finden um sich zu vermehren.

Und eben diese Bakterien werden genutzt, um Milchsäure als Rohstoff für Polylactid-Kunststoff zu gewinnen. Dazu muss man die Bakterien mit Glucose füttern. Und Glucose findet man reichlich in Pflanzen, zum Beispiel in Stärke (Stärke ist nämlich nichts anderes als ein Polymer aus Zuckermolekülen). Deshalb wird in den USA Mais angebaut um Bakterienfutter für die Milchsäuregärung zu gewinnen (andere Pflanzen tun es aber mindestens genauso, wie z.B. Zuckerrohr). Aktuell wird sogar daran geforscht, Pflanzenabfälle, die beim Ackerbau entstehen, als Bakterienfutter zu verwenden (Assoziation Ökologischer Lebensmittelhersteller (AÖL), 2014).

Von der Milchsäure zum Plastik

Die fertig gegorene Milchsäure kann auf zwei Wegen zu dem Polylactid genannten Kunststoff verarbeitet werden.

Zum einen kann Polymilchsäure (chemisch dasselbe wie Polylactid) durch eine Polykondensation von Milchsäure-Monomeren hergestellt werden. Wer die drei organischen Reaktionstypen an unserer Grillparty kennengelernt hat, weiss, dass bei der chemischen Reaktion namens Kondensation zwei Moleküle (bei der Polykondensation sind das die angefangene Kette und das jeweils nächste Monomer) zu einem grösseren Molekül reagieren und stets ein neues, kleines Molekül übrig bleibt. Bei der Polykondensation von Milchsäure ist dies ein Wassermolekül für jedes angehängte Monomer. Und all diese Wassermoleküle müssen irgendwo hin.

Polykondensation von Milchsäure


Polykondensation von Milchsäure: Der grüne Rahmen markiert ein Milchsäure-Kettenglied, die roten Rahmen markieren die Atome, die als Wassermolekül übrig bleiben. Anfang und Ende der Kette aus n Milchsäure-Molekülen entstehen aus einem weiteren (n + 1) Milchsäure-Molekül.

Deshalb muss die Polykondensation von Milchsäure in einem Lösungsmittel durchgeführt werden, in welchem sich das Wasser löst. Und dieses Lösungsmittel muss anschliessend vom Kunststoff getrennt und bestenfalls aufbereitet und wiederverwendet werden. Das ist im industriellen Massstab aufwändig und relativ teuer.

So geht man bevorzugt den zweiten Weg.

Polylactid kann nämlich zum anderen durch eine ringöffnende Polymerisation von Lactid-Monomeren gewonnen werden. Ein Lactid-Molekül besteht aus zwei Milchsäure-Molekülen, die miteinander zu einem Ring aus sechs Atomen verbunden sind. Solch ein Lactid-Ring kann eine Komplexreaktion mit bestimmten metallorganischen Verbindungen (also organischen Molekülen, die mindestens ein Metall-Atom enthalten) eingehen und im Zuge dessen geöffnet werden. Das so aktivierte Lactid kann einen weiteren Lactid-Ring öffnen und ihn zwischen sich und dem Metall-Atom einfügen (wie das genau vor sich geht ist noch nicht ganz geklärt). Dabei bleibt, anders als bei der Polykondensation, kein kleines Molekül übrig.

Ringöffnungspolymerisation zur Herstellung von Polylactid


Ringöffnungs-Polymerisation von Dilactid: Die metallorganische Verbindung XiM-OR (M steht für ein Metallatom, Xi für i weitere daran gebundene Atome, R für einen organischen Rest) bildet mit Dilactid einen Komplex. Anschliessend binden das Metall und der organische Rest in noch ungeklärter Weise an die markierten Atome und nehmen den geöffneten Ring in die Mitte. Das C-Atom rechts oben steht in der zweiten Zeile ganz links neben dem RO, und die Atome des Rings gegen den Urzeigersinn gelesen finden sich von links nach rechts in der unteren Zeile wieder. So werden n weitere Ringe (n LA) geöffnet und in die Kette eingefügt, ehe das Metall-Atom am Kettenende gegen ein Wasserstoff-Atom ausgetauscht wird.

So kann die ringöffnende Polymerisation ohne Lösungsmittel durchgeführt werden. Allerdings muss die metallorganische Verbindung in kleinen Mengen als Katalysator dazugegeben werden. Zudem neigen die Polylactid-Ketten dazu miteinander zu reagieren, sodass man weitere Stoffe (Radikalfänger) beimengt, um eben dies zu verhindern.

Alles in allem können zur industriellen Herstellung von Polylactid auf diesem Weg lange, schraubenartige Reaktoren, sogenannte Extruder, eingesetzt werden, an deren einem Ende die Monomere samt Katalysator und Zusätzen hineingegeben werden, während am anderen Ende das Polymer in Form von Kunststoff-Fäden oder -Folie hinauskommt. Die Polymerisation findet während des Durchlaufs durch die Maschine statt.

Wofür kann man PLA benutzen?

In der Medizintechnik ist Polylactid schon lange als Werkstoff beliebt. Da der menschliche Körper selbst Lactat erzeugt, werden Polylactid und seine Abbauprodukte (letztlich Lactat) vom Organismus nicht als Fremdstoffe wahrgenommen. Darüber hinaus kann Polylactid im menschlichen Körper abgebaut werden. So werden schon seit 1966 bei Operationen Nähfäden aus Polylactid verwendet, die nach ein paar Wochen im Körper zersetzt sind und somit nicht gezogen werden müssen. Eine andere Anwendung in dieser Richtung ist die Herstellung von Knochenprothesen, die aufgrund ihrer Abbaubarkeit mit der Zeit durch nachwachsendes Knochengewebe ersetzt werden können.

Im Botanischen Garten in Denver haben wir das Polylactid jedoch in einer viel alltäglicheren Anwendung kennengelernt: Als Einweggeschirr bzw. Verpackungsmaterial (denn nicht nur die Becher, auch Trinkhalme, Plastik-Teller und -besteck – eigentlich alles, was in der Cafeteria ausgegeben wurde, war mit dem Hinweis auf Kompostierbarkeit versehen).

Bei der Verwendung eines Kunststoffs ist man jedoch gut beraten, auf seine besonderen Eigenschaften zu achten. Reines Polylactid nämlich wird schon ab 50-60 °C sehr weich und verformt sich. Deshalb muss es mit Zusatzstoffen hitzebeständig gemacht werden, bevor man heisse Speisen und Getränke darin servieren kann.

Kunststoff auf dem Komposthaufen?

Die Aufschrift „100% compostable“ verleitet in der Tat dazu anzunehmen, wir könnten unsere Becher nun einfach auf den Komposthaufen werfen und warten, bis sie von selbst verrotten. Mit bestimmten anderen Biokunststoffen klappt das wirklich, aber mit Polylactid ist das leider nicht ganz so einfach.

Um Polylactid zu kompostieren muss man es nämlich in industriellen Anlagen in 95% Luftfeuchtigkeit auf 60°C warm halten und passende Mikroorganismen dazugeben, die bei solch hohen Temperaturen leben können (AÖL, 2014). Kompostierung ist nämlich der von Enzymen katalysierte Abbau von organischem Material – idealerweise zu nährstoffreichem Humus. Und Enzyme werden von Lebewesen bereitgestellt und genutzt. Für den Abbau von Polylactid übernehmen das thermophile, also wärmeliebende Bakterien.

Es ist also keine gute Idee Polylactid-Verpackungen einfach in die Landschaft zu werfen. Dort werden sie nicht von selbst verrotten. Deshalb hatte der Betreiber des Botanischen Gartens rund um die Cafeteria Abfalleimer mit dem Hinweis „nur für kompostierbare Kunststoffabfälle“ aufgestellt um das gebrauchte Geschirr zu sammeln und in seine eigene oder eine externe Kompostieranlage zu schaffen.

Wie umweltfreundlich ist das Ganze?

Wenn man bestimmen möchte, wie umweltfreundlich ein Kunststoff tatsächlich ist, gibt es eine ganze Reihe von Faktoren zu berücksichtigen, die von der Erzeugung und Verwendung bis hin zur Entsorgung des Kunststoffs eine Rolle spielen. Wichtige solche Faktoren sind:

Landnutzung und Nahrungsmittelkonkurrenz

Zur Herstellung von Milchsäure, dem Ausgangstoff für die Erzeugung von Polylactid, müssen (zumindest heute) Pflanzen angebaut werden, um daraus Bakterienfutter zu gewinnen. Die dazu nötige Ackerfläche nimmt Platz ein, und der Mais oder andere Pflanzen, die als Bakterienfutter dienen, können nicht als Nahrungsmittel für Menschen genutzt werden.

Im Augenblick wird noch so wenig PLA produziert, dass der Platzbedarf verschwindend ist und der Ackerbau zwecks Erzeugung von Biogas und Biosprit eine vielfach grössere Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau darstellt. Für die Zukunft stehen für einen vollständigen Ersatz unserer Kunststoffe durch Biokunststoffe Schätzungen von 1 bis 12% der weltweit verfügbaren Ackerfläche für den dafür notwendigen Rohstoffanbau im Raum (AÖL, 2007).

Umweltverträglichkeit des Rohstoff-Anbaus

Bei jeder Art von Ackerbau ist kritisch abzuwägen, inwieweit Monokulturen und der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln sich schädlich auswirken und minimiert werden können. Zudem werfen gentechnisch veränderte Nutzpflanzen (der in den USA zur PLA-Herstellung angebaute Mais ist in der Regel gentechnisch verändert) immer wieder heftige Diskussionen auf.

Sozialverträglichkeit

Werden die Rohstoffe für die PLA-Herstellung unter „fairen“ Bedingungen angebaut und verarbeitet? Wie bei allen Ackerbau- und anderen Produkten ist hier oft massgeblich, in welchen Ländern mit welcher Gesetzgebung die Rohstoffe angebaut werden.

Umweltverträglichkeit von Zusatzstoffen

Nicht nur der Katalysator, der zur Herstellung des Polylactids erforderlich ist, bleibt ein Teil des entstehenden Kunststoffs. Auch zur Vermeidung von unerwünschten Quervernetzungen, zur Erhöhung der Biegsamkeit (reines PLA ist relativ spröde) und der Wärmebeständigkeit werden Zusätze verwendet, deren Auswirkungen auf die Umwelt in die Bewertung des fertigen Kunststoffprodukts mit einfliessen. Denn wieviel nützt ein vollständig kompostierbares Polymer, wenn der Hitzeschutz-Stoff darin am Ende übrig bleibt und auch noch Schwierigkeiten bereitet?

Sicherheit

Neben der Sicherheit beziehungsweise der Schonung unserer Umwelt legen wir mindestens genauso viel Wert auf unsere eigene, gesundheitliche Sicherheit. Da PLA aus Milchsäure, einem in unserem Organismus allgegenwärtigen Stoff, aufgebaut ist, gilt es als gesundheitlich unbedenklich. Aber wie sieht das mit den Zusatzstoffen aus?

Recycling/Kompostierung

PLA lässt sich industriell herstellen und vielseitig anwenden…aber wohin damit, wenn man es nicht mehr braucht? Der Kunststoff ist kompostierbar, allerdings nur in speziellen industriellen Anlagen. Die müssen zuerst gebaut und dann unterhalten werden, zumal eine gemeinsame Entsorgung mit vergleichbaren herkömmlichen Kunststoffen wie PET nicht möglich ist. Denn die von PET abweichenden Eigenschaften des Polylactids würden in auf PET ausgerichteten Maschinen zu erheblichen technischen Problemen führen (AÖL, 2014).

Ökobilanz

Anbau und Transport von Rohstoffen, Herstellung und Entsorgung von Produkten gehen mit der Entstehung von teils umweltbelastenden Abfallstoffen einher. Da Pflanzen ihre Glucose und andere Kohlenstoffverbindungen letztlich mittels Fotosynthese aus Kohlendioxid (CO2) gewinnen, welches sie der Atmosphäre entnehmen, kann bei der Entsorgung (Kompostierung, Verbrennung,…) von Pflanzen und reinen Pflanzenprodukten nicht mehr CO2 entstehen, als sie zuvor aufgenommen haben.

Das deutsche Bundesumweltamt äussert in einer Broschüre aus dem Jahr 2009, dass durch die Nutzung von Biokunststoffen wie PLA anstelle von herkömmlichen Kunststoffen, die aus Erdöl hergestellt werden, fossile Rohstoffvorkommen geschont werden, da diese durch nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden. Darüber hinaus kann der CO2-Ausstoss dank der oben beschriebenen CO2-Bilanz verringert werden.

Die Gesamt-Umweltbelastung, die die Nutzung von PLA-Bechern wie unseren im Botanischen Garten mit sich bringt, entspreche jedoch jener, die PET-Becher mit sich bringen. Das bedeutet, Mehrweg-Becher seien in ökologischer Hinsicht auch kompostierbaren Kunststoffen deutlich überlegen.

Fazit

Polylactid, kurz PLA, zählt zu den Biokunststoffen und ist – unter industriell herstellbaren speziellen Bedingungen – biologisch abbaubar. Da PLA aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird, trägt seine Verwendung zur Schonung begrenzter fossiler Rohstoffe wie Erdöl bei und mindert den CO2-Ausstoss.

Allerdings sind PLA laut dem Bundesumweltamt ganzheitlich (also unter Berücksichtigung aller genannter Faktoren) betrachtet (noch) nicht umweltfreundlicher als der gängige Kunststoff PET. Ein System mit Mehrweg-Getränkebehältern ist also immer noch um Längen schonender.

In einem Betrieb wie dem Botanischen Garten Denver, der seinen PLA-Abfall zentral sammelt und kompostiert oder recycelt, finde ich diesen und andere Biokunststoffe nichts desto trotz spannend. Zumal gerade ein Gartenbetrieb den anfallenden Kompost wiederum weiterverwenden kann. Und wenn die Forschung bezüglich der Vergärung von Pflanzenabfällen zu Ergebnissen führt, tut sich hier womöglich ein attraktiver Ersatz für unsere Kunststoffe aus Erdöl auf. Die Zukunft wird es zeigen.

Und wo hattet ihr schonmal mit kompostierbaren oder anderen Biokunststoffen zu tun?

Der Blogtour Fahrplan

07.09. pyramideneulehttp://welt.pyramideneule.de Thema: Wildvögel füttern
08.09. Kathi Keinsteinhttps://www.keinsteins-kiste.ch/ Thema: Kompostierbare Kunststoffe
09.09. MrAndroid http://www.mrmrs-android.de/ Thema: Jedes Jahr ein neues da – Wieso du dein Smartphone behalten solltest
10.09. Zaxumo – http://zaxumo.blogspot.de/ Thema: Umweltfreundliche Kosmetik

12.09. Lilyanahttp://www.buecherfunke.de/ Thema: Ebooks
13.09. Lebenslounge – http://www.lebenslounge.com/ Thema: Recycling im Haushalt