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Wie funktioniert Fahrbahnmarkierung?

Dieses Jahr sind all unsere Ferienpläne C-bedingt ins Wasser gefallen. Trotzdem haben wir doch noch ein paar Tage auf der Strasse zugebracht – zwecks Kurz-Roadtrip durch den Alpenraum. Reto, der nicht fährt, kommt dabei oft auf Gedanken, für die ich am Steuer oft gar keine Muddr habe. Zum Beispiel während der Durchfahrt durch die x-te Strassenbaustelle des Tages. Hier in der Schweiz weist dort orange Ersatz-Fahrbahnmarkierung darauf hin, wo es vorübergehend lang geht.

„Aber woraus besteht diese Fahrbahnmarkierung eigentlich“, fragte Reto, „und wie zum Teufel bekommen sie die wieder ab, wenn die Baustelle fertig ist?“

Was da aus dem Mund eines Ingenieurs kommt, hört sich vielleicht nicht wie eine Chemiefrage an. Trotzdem ist es eine – und erst noch eine interessante. Denn immer, wenn es um Materialien, ihre Verarbeitung und Entsorgung geht, sind Chemiker gefragt. Die beschreiben und charakterisieren Stoffe schliesslich nicht nur, sondern erschaffen sie geradewegs nach ihren Wünschen.

Was muss Fahrbahnmarkierung können?

Dies ist die wichtigste Frage, die Chemiker zu beantworten haben, wenn sie einen Stoff für einen bestimmten Zweck auswählen oder erschaffen wollen.

Und gerade an Fahrbahnmarkierungen haben wir ziemlich harte Anforderungen. Sie soll den Autofahrern schliesslich zeigen, wo sie lang sollen – und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Eine Fahrbahnmarkierung muss also stets gut sichtbar sein, im Hellen wie auch bei Dunkelheit, bei trockenen Verhältnissen wie auch bei strömendem Regen.

Ausserdem muss sie für eine lange Zeit sichtbar bleiben – wir wollen ja nicht überall Strassenbaustellen, weil alle paar Wochen alles nachgepinselt werden muss. Und während ihrer langen Lebensdauer fahren abertausende schwere Autos und Lastwagen mit dreckigen Reifen darüber.

Abgenutzte Parkverbot-Markierung in der Schweiz
„Hier ist Parkverbot!“ bedeuten gelbe Markierungen in der Schweiz. Diese hier ist hoffentlich schon Jahrzehnte alt – denn eine Erneuerung ist längst fällig.

Eine Fahrbahnmarkierung muss sich somit deutlich von der Strasse abheben. Da der Asphalt meist dunkelgrau bis schwarz ist, sind dauerhafte Markierungen darauf in praktisch allen Ländern weiss. Und dieses Weiss darf weder von den darüberfahrenden Autos abgerieben werden, noch Sonne, Wind und Wetter zu schnell zum Opfer fallen. Folglich ist da ein besonders robustes Material gefragt.

Richtig kniffelig wird es jedoch bei vorübergehenden Markierungen in Baustellen. Für die gilt nämlich im Grossen und Ganzen das Gleiche – und sie sollen nach Abschluss der Bauarbeiten rückstandslos wieder entfernt werden können. Das ist nämlich Vorschrift: Nach dem Entfernen einer temporären Fahrbahnmarkierung dürfen keine Spuren davon zurückbleiben. Einfach überkleben ist – obwohl immer wieder praktiziert – eigentlich nicht erlaubt.

Für Baustellenmarkierungen braucht man also ein Material, das Wind, Wetter und Tausende Autos aushält, sich bei Bedarf aber vollständig wieder entfernen lässt.

Welche Stoffe können das?

Wie so oft haben Chemiker zur Lösung dieses Problems massgeschneiderte Stoffe erschaffen. Mit anderen Worten: Fahrbahnmarkierungen bestehen aus speziell dafür entworfenen Kunststoffen. Die gibt es in mehreren Varianten.

Bei dauerhaften Markierungen steht die Haltbarkeit der Stoffe im Vordergrund. Denn die sollen ja gar nicht von der Strasse verschwinden.

Farbe zum Auftragen

Ganz simple Farbe zum Aufsprühen oder -walzen, im Strassenbau Fahrbahnmarkierung Typ 1 genannt, kommt heutzutage höchstens noch in wenig befahrenen Bereichen, meist innerorts, zum Einsatz oder hat schon etliche Jahre auf dem Buckel. Denn heutzutage kennt man allerlei Tricks und Kniffe, um die Markierungen vor allem bei Regen besser sichtbar zu gestalten.

So streut man für Fahrbahnmarkierung vom Typ 2 Glitzerperlen und Streugut für bessere Griffigkeit (niemand möchte auf Linien und Pfeilen plötzlich ins Rutschen kommen) auf frisch aufgetragene Streifen oder mischt diese Zutaten gleich in die Farbe hinein. Letzteres hat den Vorteil, dass das Streugut nicht einfach von drüberfahrenden Autos von der Oberfläche abgerieben werden kann. Denn das Glitzerzeug ist dann ebenso in den tiefen Schichten wie obenauf.

Eine Maschine spritzt Fahrbahnmarkierung auf und streut Glitzerperlen hinterher. (Summysung / CC BY-SA)

Die Glitzerperlen funkeln deutlich sichtbar in der Sonne oder dem Licht von Strassenlaternen und Autoscheinwerfern. Ausserdem können sie aus einem Wasserfilm herausragen und bleiben so auch bei Regen sichtbar.

Ebenfalls gut bei Regen sichtbar sind Farben, die auf der Fahrbahn ein klumpiges Gitter bilden. Denn diese Gitter ragen nicht nur über der Fahrbahn empor. Die offenen Maschen und Streben erlauben Regenwasser ausserdem, zwischen ihnen hindurch abzufliessen, anstatt sie einfach zu überfluten. Dabei sind die Maschen gerade so dicht, dass sie aus der Sicht der Autofahrer wie eine durchgezogene Linie erscheinen.

Gitterartige Fahrbahnmarkierung
Gitterartige Fahrbahnmarkierung: Hier kann Regen leicht ablaufen (Dantor / CC BY-SA)

Kunststoff-Einlegearbeiten

Die haltbarste Fahrbahnmarkierung erhält man, wenn man Vertiefungen in Form der geplanten Linien und Pfeile in den Asphalt fräst und sie anschliessend mit Kunststoffmasse ausfüllt.

Dazu gibt es Kunststoffe, die „unfertig“ verkauft werden: Ihre Zutaten werden in zwei getrennten Portionen geliefert, die jede für sich unfertig aufbewahrt werden können. Mischt man die beiden Portionen (manche muss man zunächst erhitzen, damit sie schmelzen) und lässt sie an der Luft liegen, reagieren sie miteinander zu den Riesenmolekülnetzen, aus denen feste Kunststoffe bestehen. So müssen die Strassenarbeiter nur schnell genug sein und die Mischung in die ausgefrästen Vertiefungen füllen, bevor sie hart wird.

Da Fahrbahnmarkierungen innerhalb eines Landes überall gleich aussehen sollen, kann man Linien, Pfeile und Schriftzeichen aus Kunststoff auch in einer Fabrik fertig herstellen. Dann brauchen die Strassenarbeiter sie nur noch in die vorgesehenen Vertiefungen zu kleben – mit einem superfesten Klebstoff, den Chemiker für genau diesen Zweck geschaffen haben.

Klebefolien

All diese aufwändigen, superhaltbaren Markierungen eignen sich aber schlecht für Baustellen, in denen die Fahrbahnmarkierung nur für eine begrenzte Zeit halten und dann spurlos verschwinden soll. Deshalb gibt es die Pfeile und Linien auch als Aufkleber – komplett mit Farbe und Glitzerperlen beschichtet. So lassen sie sich rasch auf den Asphalt aufkleben, ohne dass viel Zeit fürs Fräsen, Pinseln oder Bestreuen aufgewendet werden muss.

Ausserdem lassen sich Aufkleber relativ leicht wieder von der Strasse abziehen. Das birgt jedoch auch ein Problem, das ich schon oft in Baustellen beobachtet habe: Wenn tausende Autos darüber fahren, lösen sich die Klebestreifen irgendwann ab und werden geknickt oder verschoben wieder auf die Fahrbahn gepresst. Das Ergebnis entspricht sicherlich nicht den gesetzlichen Regeln für Fahrbahnmarkierung, die besonders in Deutschland sehr streng sind. Und im schlimmsten Fall könnte so eine beschädigte Markierung gefährlich werden.

Um der Sicherheit willen gibt es deshalb Fahrbahnmarkierungs-Aufkleber, die mit einem massgeschneiderten Leim zusammen verkauft werden: Ähnlich wie bei den Einlegearbeiten ist auch dieser Klebstoff „unfertig“ und in zwei Portionen geteilt. Die eine befindet sich auf der Unterseite des Aufklebers, die andere wird auf den Asphalt aufgetragen. Legt man den Aufkleber auf diese „Grundierung“ und drückt ihn fest an, dann mischen sich die beiden Klebstoffe und reagieren zu einem bombenfesten Molekülgefüge.

Damit lösen sich die Baustellenmarkierungen nicht vorzeitig – allerdings bekommt man sie auch nach den Bauarbeiten nicht mehr so einfach von der Strasse. Dementsprechend grobschlächtig muss dazu vorgegangen werden: Entweder fräst man die oberste Asphaltschicht mitsamt der Aufkleber weg, oder man fackelt den Kunststoff mit einer Art Flammenwerfer ab (da Asphalt feuerfest und dunkel ist, leidet er ja nicht darunter).

Schaden diese Kunststoffe der Umwelt?

Wenn Chemiker Stoffe erschaffen und so nah an die Umwelt bringen wie auf Strassen, die mitten durch die „Natur“ verlaufen, ist auch dies eine entscheidende Frage. Denn zum Einen entsteht beim Wegfräsen von Fahrbahnmarkierung feiner Staub, und beim Verbrennen entstehen Abgase und Rauch.

Noch viel wichtiger ist aber, dass all die Autoreifen, die über die Markierungen fahren, winzigkleine Mengen davon abreiben. Und wenn tausende oder gar Millionen Autos vorbei kommen, werden diese winzigkleinen Mengen ganz schnell gross. Und Sand und Staub, die durch das Abschmirgeln von Kunststoffen entstehen, kennen die meisten von euch unter dem Begriff „Mikroplastik“. Das ja niemand haben will – und das trotzdem überall zu finden ist.

Das von der Fahrbahnmarkierung abgeriebene Mikroplastik wird vom Wind davongeweht oder vom Regen in den Boden gespült und gelangt mit dem Wasserkreislauf irgendwann in die Meere. Laut der Ergebnisse einer Studie des Dachverbands von Umweltorganisationen und -behörden IUCN machen abgeriebene Fahrbahnmarkierungen 7% des vom Land in die Meere geratenden Mikroplastiks aus. Ausgehend von geschätzten 1,5 Millionen Tonnen Mikroplastik-Eintrag im Jahr entspricht das rund 105 Tonnen Kunststoff-Staub von Fahrbahnmarkierungen (Klingt viel – der Löwenanteil des Mikroplastiks entsteht aber direkt in den Gewässern aus grösserem Plastikabfall: bis rund 10,5 Millionen Tonnen im Jahr!).

Ist Mikroplastik gefährlich?

Kann Mikroplastik unserer Gesundheit oder der von Lebewesen in den Meeren und anderen Lebensräumen gefährlich werden? Das ist eine wirklich schwierige Frage – denn man weiss die Antwort (noch) nicht. Was den menschlichen Körper angeht, geht man zur Zeit davon aus, dass es uns nicht gross schadet. Denn vornehmlich könnte Mikroplastik über den Verdauungstrakt in unsere Körper gelangen – und auf diesem Weg auch gleich wieder hinaus, da der Körper keinen Grund hat, die Kunststoffpartikel aus dem Nahrungsbrei heraus aufzunehmen. Eine andere Möglichkeit ist das Einatmen von Mikroplastik-Stäuben. Was das für Folgen haben kann, ist jedoch – wie so vieles in dem Bereich, noch nicht erforscht.

Was Meereslebewesen betrifft, gibt es Hinweise darauf, dass einzelne Arten unter Mikroplastik-Belastung leiden, besonders dann, wenn bestimmte Umweltbedingungen erschwerend dazukommen. Andere Arten scheinen sich dagegen gar nicht an den Kunststoffpartikeln zu stören. Wie beim Menschen auch gilt hier: Die Auswirkungen von Mikroplastik auf die Umwelt sind grösstenteils noch nicht erforscht.

Schon allein der erzeugten Mengen an Mikroplastik lohnt es sich, in diesen Bereichen weiter zu forschen. Und während die Forscher daran arbeiten, lohnt es sich ebenso, Vorsicht walten zu lassen und nicht unnötig Mikroplastik in die Umwelt gelangen zu lassen. Das gilt auch für die Gestaltung von Fahrbahnmarkierung, die wie so viele Kunststoff-Materialien laufend weiterentwickelt werden.

Chemie machts möglich: Markierungen der Zukunft

Fahrbahnmarkierung, die als Ganzes haltbar, zu Mikroplastik zerrieben aber biologisch abbaubar wäre (sodass kein Mikroplastik übrig bliebe, das in die Meere gelangen könnte), wäre ein Träumchen. Allerdings sind solche recht widersprüchlichen Eigenschaften meist nicht leicht zu realisieren.

Bereits Wirklichkeit ist dagegen eine Entwicklung hin zu noch besserer Sichtbarkeit bei schlechtem Wetter.

Sicher kennt ihr alle „Glow-in-the-dark“-Farbe oder ebensolche Klebesterne und andere Deko fürs Kinderzimmer. Diese Farben und Kunststoffgegenstände lassen sich mit Licht „aufladen“ und leuchten später stundenlang im Dunkeln. (Dieser Vorgang heisst Phosphoreszenz – wie er funktioniert erfahrt ihr hier in Keinsteins Kiste!) Der Niederländer Daan Roosegarde hat Fahrbahnmarkierung aus solch einem phosphoreszierenden Kunststoff gemacht: Tagsüber speichert er Sonnen- bzw. Tageslicht, und nachts leuchten die Streifen aus sich selbst heraus! Das sieht nicht nur cool aus, sondern ist für die Autofahrer unabhängig von den Lichtverhältnissen draussen gut sichtbar.

Die Idee mit den selbstleuchtenden Fahrbahnmarkierungen lässt sich sogar noch weiter spinnen: Mit Kunststoffen, die nur in einem bestimmten Temperaturbereich phosphoreszieren, zum Beispiel bei weniger als 4°C, könnte man Glatteis-Warnungen aufbringen, die nur dann leuchten, wenn es kalt genug für Glatteis ist.

Zusammenfassung

Fahrbahnmarkierung muss viel und lange aushalten – und deshalb aus besonders widerstandsfähigen Stoffen bestehen. Chemiker können Kunststoffe mit genau diesen Eigenschaften entwickeln. Vorübergehende Markierungen in Baustellen müssen sowohl widerstandsfähig als auch leicht zu entfernen sein. Solch widersprüchliche Eigenschaften sind für Kunststoffdesigner besonders herausfordernd und nicht selten unlösbar.

Eine weitere Herausforderung ist der Abrieb von Fahrbahnmarkierungen, der als Mikroplastik in die Umwelt gelangt. Das zu vermeiden ist ein lohnendes Ziel der stetigen Weiterentwicklung von künstlichen Werkstoffen wie Fahrbahnmarkierung. Andere Ziele können ganz neuartige Eigenschaften dieser Stoffe sein, wie Phosphoreszenz, die selbstleuchtende Markierungen ermöglicht.

Ein Kunst- bzw. Werkstoff ist somit kaum ein „fertiges“ Material, das unverändert bis in alle Ewigkeit weiter verwendet wird. Stattdessen entwickeln Chemiker die Materialien unserer Alltagswelt ständig weiter, um sie nützlicher, weniger gesundheitsschädlich und umweltverträglicher zu machen.

Und welche Arten Fahrbahnmarkierung sind euch schon begegnet? Habt ihr bestimmte Eigenschaften oder Mängel beobachten können? Seid ihr vielleicht sogar schon einmal auf Roosegardes phosphoreszierender Teststrecke in den Niederlanden unterwegs gewesen? Oder habt ihr beruflich mit Fahrbahnmarkierung zu tun?

Silikone - Pro und Kontra - Nützlich oder gefährlich?

Der letzte Teil der Kunststoff-Serie in Keinsteins-Kiste ist einer ganz besonderen Familie von Kunststoffen gewidmet: Es geht um Silikone. Vor vielen Jahren ist mir diese Stoff-Gruppe im Studium zum ersten Mal begegnet, als ich vor den versammelten Kommilitonen und Dozenten einen Vortrag darüber halten durfte.

So war ich nun besonders neugierig, wie sich der Wissensstand rund um Silikone in den letzten eineinhalb Jahrzehnten verändert hat. Das ist nämlich eine wesentliche Eigenschaft von „Wissen“ im Sinne der Wissenschaft: Es ist nicht unverrückbar festgelegt, sondern kann durch neue Forschungsergebnisse ständig verändert – z.B. verbessert oder überholt – werden.

Deshalb konnte ich nicht einfach mein altes Vortrags-Skript als Grundlage für diesen Artikel hernehmen. Stattdessen habe ich dessen Kernaussagen neu recherchiert, um sie dem heutigen Stand entsprechen anzupassen. Und wie sich dabei zeigte, hat sich bezüglich der Eigenschaften der Silikone gar nicht so viel getan. Einzig in Punkto Abbaubarkeit ist man heute spürbar weniger optimistisch als vor 15 Jahren.

Die anderen Beiträge rund um Kunststoffe findet ihr übrigens hier:

Was sind Silikone?

Silikone sind ganz besondere Kunststoffe. Wie die anderen Materialien, die wir landläufig gern als „Plastik“ bezeichnen, bestehen auch sie aus Polymeren – also langen Molekülketten.  Doch die Molekülketten der Silikon-Ketten bestehen nicht wie die des üblichen „Plastiks“ aus Kohlenstoffatomen. Die sind nämlich nicht die einzigen Atome, die bis zu vier kovalente Bindungen eingehen und damit vielfältige Möglichkeiten zur Vernetzung und Verkettung bieten können.

Der Kohlenstoff hat nämlich einen nahen chemischen Verwandten: Das Element Silizium (Si). Ihr findet es im Periodensystem der Elemente direkt unter dem Kohlenstoff in der vierten Hauptgruppe (wer sich mit Chemie auskennt, weiss, dass verwandte Elemente in dieser Weise untereinander stehen). In Reinform glänzt Silizium wie ein Metall und findet als Rohstoff für Halbleiter und Solarzellen Verwendung. Daneben kann es jedoch wie Kohlenstoff vier kovalente Bindungen eingehen. Oder sogar etwas mehr.

Zum Beispiel in Silikonen (der Name verrät das enthaltene Element). So haben die Ketten der Silikone ein Rückgrat aus Silizium- und Sauerstoff-Atomen, die sich immer abwechseln. Das erinnert Mineralienfans nicht von ungefähr an Quarz (SiO2) und die verschiedenen Silikat-Minerale, die meistens ziemlich harte Steine sind.

Silizium-Sauerstoff-Bindungen sind nämlich ausserordentlich stabil. In ihnen ist nämlich mehr Elektronendichte versammelt, als für eine normale kovalente Bindung üblich ist. Damit hat eine Si-O-Bindung, die der Einfachheit und der Edelgasregel wegen als Einfachbindung dargestellt wird, tatsächlich etwas von einer Doppelbindung! Anders als die Doppelbindungen zwischen Sauerstoff- und Kohlenstoffatomen sind diese Bindungen in natürlicher Umgebung aber kaum reaktiv.

Brustimplantate aus Silikon
So sind Silikone legendär geworden: Als Brustimplantate! Die Aussenhülle besteht aus Silikonkautschuk, gefüllt sind sie mit Silikonöl. Moderne Implantate haben sogar zwei Hüllen, zwischen denen sich Kochsalzlösung befindet. So soll bestmöglich verhindert werden, dass Silikonöl durch einen Riss in den Körper laufen kann.

Sind Silikone organisch oder anorganisch?

Während jedes Siliziumatom im Silikon also zwei Bindungen zu den benachbarten Sauerstoffatomen hat, bleiben zwei weitere Bindungsstellen frei, um daran Kohlenwasserstoffgruppen zu binden, wie wir sie aus organischen Verbindungen kennen. Chemiker nennen die Silikone deshalb auch Poly(organo)siloxane. Der einfachste Vertreter dieser Gattung ist Poly(dimethyl)siloxan, in welchem jedes Siliziumatom zwei Methyl-, also CH3-Gruppen trägt.

Strukturformel für Polydimethylsiloxan
Poly(dimethyl)siloxan : Zwischen den beiden Enden befinden sich n gleichartige Glieder.

Damit sind Silikone sowohl anorganischer als auch organischer Natur – oder weder noch. Ihr Rückgrat enthält schliesslich keinen Kohlenstoff (und organische Verbindungen sind als alle Kohlenstoffverbindungen abzüglich einiger Ausnahmen definiert). Stattdessen ist es an (Halb-)Metalloxide angelehnt, die klassische anorganische Verbindungen sind. Die Seitenketten sind wiederum organisch, sodass Silikone auch nicht einfach als anorganisch bzw. mineralisch gelten können.

Silikone sind ein Kunstprodukt

So etwas gibt es in der Natur (meineswissens) nicht. Silikone sind denn auch vollkommen künstliche Produkte – und tragen die Bezeichnung „Kunststoff“ damit völlig zu Recht. Diese Künstlichkeit verleiht ihnen jedoch einzigartige und nützliche Eigenschaften, die dazu führen, dass Silikone in unserem Alltag heute nicht mehr wegzudenken sind.

Silikone haben Vor- und Nachteile

Wie jeder Stoff bzw. jede Stoffgruppe, den/die wir für irgendetwas verwenden, bringen auch die Eigenschaften von Silikonen sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. In meinen Augen wiegen die vorteilhaften Eigenschaften der Silikone gegenüber ihren Nachteilen jedoch viel schwerer als bei anderen Kunststoffen.

Vorteile von Silikonen

  • Sie sind chemisch und physiologisch inert, d.h. sehr reaktionsträge. Für etwas, das es in der Natur nicht gibt, kennt die (belebte) Natur auch keine Prozesse zur Verstoffwechselung oder Abwehr. Deshalb sind Silikone nach heutigem Stand ungiftig für Lebewesen!
  • Sie sind schwer entflammbar: Auch gegenüber Reaktionen in der unbelebten Umwelt sind Silikone widerstandsfähig – selbst bei Einfluss grosser Mengen Energie, die zum Entstehen von Feuer nötig sind.
  • Temperaturbeständigkeit: Silikone sind von etwa -40 bis 250°C stabil. Das sind wesentlich höhere Temperaturen, als praktisch alle anderen Alltagskunststoffe vertragen!
  • Silikone sind hydrophob: Sie bilden wasserabweisende Beschichtungen.

Nachteile

  • Silikone sind nur schwerlich biologisch abbaubar: Was die Natur nicht kennt, kann auch nicht von Lebewesen abgebaut werden. So bleiben Silikone, die in die Umwelt gelangen, dort lange Zeit erhalten. Auch die gute Witterungsbeständigkeit trägt zu diesem Umstand bei.
  • Silikone lassen sich nur schwerlich in Flüssigkeiten lösen: Sie sind weder wasser- noch fettliebend. Das heisst, sie lösen sich weder in Wasser noch in unpolaren organischen Lösungsmitteln wie Benzin wirklich gut. So lassen sie sich ohne besondere Hilfsmittel (Tenside mit auf sie abgestimmter Superwaschkraft) kaum abwaschen oder mit anderen Stoffen mischen und reichern sich dementsprechend leicht an.

Erscheinungsformen und Verwendung der Silikone

Silikonöle

Silikonöle bestehen in der Regel aus Ketten von Poly(dimethyl)siloxan, dem einfachsten Vertreter der Silikone. Sie sind bei Temperaturen von -60 / -35°C bis 250°C flüssig. Zum Vergleich: Wasser erstarrt bei 0°C und verdampft bei 100°C, Pflanzenöle verdampfen oft schon zwischen 100 und 150°C, wenn sie sich nicht zuvor zersetzen, und werden oft noch über dem Gefrierpunkt von Wasser zunehmend fest. Nicht so Silikonöle: Die sind immer gleich flüssig, ob bei Frost oder auf über 200°C erhitzt. Dazu kommen eine niedrige Oberflächenspannung und gute Durchlässigkeit für Gase.

Anwendungen für Silikonöle

  • Wärmeüberträger (Heizbad im Labor)
  • Gleit- und Schmiermittel
  • Hydraulikflüssigkeit, z.B. im frostkalten Sibirien
  • Antihaftbeschichtungen (Sektkorken, Aufkleberuntergrund, Garne,…)
  • Füllstoff für Implantate
  • Bestandteil von Kosmetik und Pflegeprodukten wie Haar-Conditionern

Silikone in Pflegeprodukten? Sind die nicht furchtbar böse?

In letzterem Bereich, Kosmetik und Haarpflegeprodukte, sind Silikone in den Medien sehr umstritten. Das rührt letztlich von ihrer Funktionsweise her. In Pflegeprodukten werden die unlöslichen Silikone durch aufwändige und genau abgestimmte ‚Formulierungen‘ mit den anderen Bestandteilen mischbar gemacht. So können wir sie z.B. mit einer Pflegespülung in die Haare einmassieren.

Beim Auswaschen mit Wasser geht diese Feinabstimmung allerdings verloren. Die Silikone verlassen folglich das Gemisch (Chemiker sagen „sie fallen aus“) und bleiben auf den Oberflächen, die sie gerade antreffen: Unseren Haaren. Und genau das ist ihr Sinn und Zweck: Die glatte, andere Stoffe abweisende Silikonschicht lässt die Haare glatt und glänzend wirkend. Da Silikone aber schlecht löslich sind, besteht die Gefahr, dass sie sich in immer dickeren Schichten ansammeln (Haarpflege-Experten nennen das „Build-up“). Den Haaren schadet das nicht direkt, aber sie werden dadurch immer dicker und schwerer.

Gleiches gilt auch für die Hautoberfläche: Ein sich dort bildender Silikonfilm kann allerdings auch den Stoffaustausch über die Haut und ihre Poren beeinträchtigen. So kann er die Entstehung bzw. Verschlimmerung von Hautunreinheiten fördern. Überdies gelangen ab- und ausgewaschene Silikonöle mit dem Abwasser in die Klärwerke, wo sie mangels Abbaubarkeit im unlöslichen Klärschlamm landen.

„Böse“ ist sehr relativ

ABER: Bei all dem sind Silikone nicht giftig. Anders als viele andere Stoffe stellen sie somit keine direkte Gefahr für uns und die Lebewesen in unserer Umwelt dar. Überdies sind sie laut meiner Kollegin Mai die am besten wirkenden Haar-Conditioner, die wir kennen. Hier ist das spannende Mailab-Video, in dem es auch um Silikone geht:

Deshalb haben sich die Hersteller von Haarpflegemitteln auch darum gekümmert, uns das Abwaschen von Silikonölen leichter zu machen.  Mit Hilfe von passenden Tensiden können Silikone nämlich durchaus mit Wasser gemischt werden (wenn auch nicht wirklich gelöst: „wasserlösliche Silikone“ sind Werbesprech für ebendiese Kombination von Silikonen mit „ihrem“ Tensid!). Es macht also durchaus Sinn, Conditioner (mit dem Silikonöl) und Shampoo (mit dem passenden Tensid) der gleichen Produktreihe zu verwenden, sodass etwaige Silikonreste von der letzten Behandlung vor dem Eintreffen der nächsten Ladung beseitigt werden können.

Polyquaternium: (K)Eine Alternative

Eine verbreitete Alternative zu Silikonen in Kosmetik sind Polyquaterniumverbindungen. Das sind Polymere, die z.B. Zellulose ähneln, aber zusätzlich Stickstoffatome mit vier Bindungen enthalten. Da Stickstoffatome aber auf nur drei Bindungen ausgelegt sind, sind solche „quartären Amine“ positiv geladen. Die funktionieren als Conditioner nicht ganz so gut wie Silikone, machen aber die gleichen Schwierigkeiten.

Zudem können Polyquaterniumverbindungen (wie z.B. Polyquaternium-7) Pigmentpartikel binden und so zu hartnäckigen Flecken auf Textilien (Handtüchern!), mit denen sie in Berührung kommen, führen. Und das lässt sich, nachdem sich die Verbindungen beim Duschen auf Haut und Haaren abgelagert haben, beim Abtrocknen kaum vermeiden.

Dahingegen ist die Angst vor Verunreingigungen von Polyquaternium-Verbindungen mit Acrylamid, unbegründet: Heute weiss man, dass wir mit der Nahrung wesentlich mehr (und immer noch zu wenig, um uns zu schaden) davon aufnehmen, als dass Spuren in Pflegeprodukten eine Rolle spielen würden.

Verwenden oder nicht?

Wie oft ist eine pauschale Aussage dazu schwierig, da Menschen so verschieden sind. Ich halte es da mit Mai: Sie hat lange, asiatisch-dicke Haare, bei denen ein Conditioner viel bewirken kann. Deshalb zieht Mai die wirksamen Silikone den Alternativen vor. Um eine Belagerung der Kopfhaut zu vermeiden, trägt sie den Conditioner allerdings nicht auf die Kopfhaut, sondern nur auf die unteren Enden der Haarsträhnen auf.

Menschen wie ich mit feinen Haaren, die zum Fetten neigen, haben allerdings weniger von der Wirkung eines Conditioners und mehr von seinen unerwünschten Eigenheiten. Deshalb benutze ich in der Regel auch keinen. Nichts desto trotz hat ein professioneller Conditioner vom Coiffeur (Friseur) mit Silikonöl (den habe ich für „Notfälle“) auch bei mir neulich Wunder in Sachen Kämmbarkeit gewirkt, nachdem sich meine Mähne nach einem Ausflug vollkommen verzottelt hatte.

Auch meine Sonnencreme enthält übrigens Silikonöl – das würde erklären, warum ich das Gefühl habe, dass der Wärmeaustausch über die beschmierte Haut beeinträchtigt ist. Aber ich vertrage das Produkt sonst sehr gut und sein Nutzen ist unumstritten, sodass ich es weiter verwenden werde.

Wer allerdings zu Hautunreinheiten neigt, sollte von Silikonen (und Polyquaternium) auf der Haut besonders Abstand nehmen.

Woran ihr Silikone in Produkten erkennt

Auf der Verpackung jedes Kosmetik- und Pflegeprodukts findet ihr eine Liste mit seinen Inhaltsstoffen gemäss der Internationalen Nomenklatur für Kosmetik-Inhaltsstoffe (INCI). Auch wenn diese Bandwurmnamen Nicht-Chemikern oft kryptisch erscheinen, sind Silikone doch leicht zu erkennen, da sie auf -cone oder -xane enden. Ein verbreitetes Beispiel ist Dimethicone – eine INCI-Bezeichnung für Poly(dimethyl)siloxan.

Polyquaternium-Verbindungen erscheinen in der Liste übrigens als „Polyquaternium“ in Verbindung mit einer Zahl, z.B. „Polyquaternium-7“.

Silikonkautschuk

Flexible Backform aus Silikonkautschuk im Vergleich mit klassischer Backform aus Metall
Links: Flexible Kuchenform aus Silikonkautschuk: Dieser Kunststoff hält locker eine Stunde im Backofen aus! (EvaK / CC BY-SA)

Silikonkautschuk hat mit echtem Kautschuk, einem Naturprodukt, nichts gemein ausser der gummiartigen Konsistenz. Die bewahrt Silikonkautschuk dafür in dem grossen Temperaturbereich von -75 bis 250°C. Und das ganz ohne Weichmacher! Diese Konsistenz, die ihn zu einem praktischen Ersatz für echten Kautschuk macht, hat dem Silikonkautschuk seinen Namen gegeben. Er besteht aus miteinander vernetzten Silikonketten. Die sind allerdings auch unvernetzt als Paste oder Gussmasse lagerbar, sodass die Vernetzung zum „Gummi“ an der Luft binnen Stunden oder Minuten herbeigeführt werden kann. Zudem ist Silikonkautschuk nicht nur wie alle Silikone sehr reaktionsträge, sondern man kann – anders als bei Naturprodukten – leicht nachvollziehen, was genau darin ist.

Silikonkautschuk...aber was ist das?
Was ist das wohl? (Tatsuo Yamashita / CC BY)

Anwendungen für Silikonkautschuk

  • Elastische Back- und Eiswürfelformen
  • Nuggis (Schnuller) und Sauger für Babyflaschen
  • Dichtungsmasse für Fugen (zum Aushärten an der Luft)
  • Implantate
  • Technische Bauteile, Kabelummantelungen, elektrisches Isoliermaterial
Faltbarer Becher aus Silikonkautschuk
Ein faltbarer Becher aus Silikonkautschuk! Platzsparend für die Handtasche… Den Symbolen auf der Packung nach nehmen Japaner mit dessen Hilfe wohl ihre Tabletten. (Tatsuo Yamashita / CC BY)

Silikonharze

Noch stärker vernetzt als im Silikonkautschuk sind die Ketten in Silikonharzen. Dementsprechend sind diese Stoffe hart oder thermoplastisch (d.h.. nur bei höheren Temperaturen formbar). Sie können in flüssiger bzw. plastischer, also wenig vernetzter Form vertrieben und nach dem Auftragen durch Hitzeeinwirkung zum Aushärten gebracht werden. Die gehärteten Silikonharze sind dann sehr beständig gegenüber Wettereinflüssen.

Strukturformel für ein Silikonharz
Dicht vernetzt: Struktur eines Silikonharzes

Anwendungen für Silikonharze

  • Temperatur- und witterungsbeständige Lacke und Beschichtungen
  • Gebäude-Schutzüberzüge (wasserabweisend)
  • Isolierlacke
  • Giessharz für Isoliermaterial

Zusammenfassung

Silikone sind reine Kunstprodukte, die einzigartige Vorteile für viele Anwendungen bieten. Vor allem in Bereichen, in welchen sie mit dem Körper in Kontakt kommen oder hohe Temperaturen herrschen, denen andere Kunststoffe nicht standhalten, sind sie sehr beliebt. Nachteilig ist die schwierige Abbaubarkeit in der Umwelt – die aber dadurch relativiert wird, dass Silikone für Organismen nicht giftig sind!

Wie rund um alle Kunststoffe wird auch zu Silikonen laufend geforscht und Materialien weiterentwickelt, sodass von früher bekannte Nachteile heute immer weniger von Bedeutung sind. So ordne ich die Silikone heute mehr denn je als „sauberste“, also ungiftigste und risikoärmste Vertreter der grossen Familie die Kunststoffe ein.

Und wie steht ihr zu Silikonen? Achtet ihr darauf, wo ihr ihnen begegnet? Verwendet ihr gezielt silikonfreie Pflegeprodukte? Wenn ja, zu welchen Alternativen greift ihr? Oder seht ihr den Silikonen ähnlich gelassen entgegen wie Mai und ich?

Kunststoff - Recycling : So funktionierts

Ruhrpott, Deutschland, 2006: Reto, ein waschechter Schweizer und mein damals neuer Liebster, ist zu Besuch an meinem Studienort. Was mir traurig, wenn auch alltäglich erscheint, schockiert ihn zutiefst: Den überall herumliegenden Abfall ist er aus der Schweiz nicht gewohnt – zumindest nicht in solchen Mengen. Besonders Kunststoff-Verpackungen fallen uns vielerorts ins Auge. Dabei gibt es schon seit meiner Kindheit die „gelbe Tonne“ und dahinter ein ausgefeiltes Recycling-System. Ganz zu schweigen von all den Abfalleimern im öffentlichen Raum.

Wenige Jahre später habe ich die Seiten gewechselt und musste Reto bald recht geben: Was die Abfall-Entsorgung betrifft, sind die Schweizer generell ordentlicher als meine Landsleute. Nach 10 Jahren unter den Eidgenossen wird allerdings deutlich: Auch hier wird Littering zunehmend zum Problem.

Da braucht es gar keine Horrorbilder und -meldungen von verschmutzten Stränden und Plastik in Tiermägen und dem Marianengraben, um zu begreifen, dass wir ein Problem haben.

Recycling – das Thema ist ein Dauerbrenner

Eigentlich haben wir gleich zwei Probleme:

  1. Klassische Kunststoffe sind Erdölprodukte. Sie werden also aus einem fossilen Rohstoff hergestellt, der irgendwann zur Neige geht.
  2. Klassische Kunststoffe werden kaum bis gar nicht biologisch oder von den Naturkräften abgebaut.

Beide sind nichts neues, sondern uns seit Jahrzehnten bewusst. Deshalb tüfteln Forscher und Ingenieure ebenso lang schon an Methoden, „verbrauchtes“ Plastik wieder zu verwerten. Sie entwickeln Verfahren und bauen Recycling-Kreisläufe immer weiter aus. Die Schweizer bezeichnen sich gar als Weltmeister im Recycling von Abfällen – auch von Kunststoffen.

Aber welche Kunststoffe können wirklich recycelt werden? Wie funktioniert das? Wie könnt ihr zum nachhaltigen Umgang mit Plastik beitragen?

Welche Kunststoffe sind recycelbar?

Am einfachsten wiederverwendbar sind möglichst reine Stoffe. Ein Material, das aus nur einem Stoff besteht, hat nämlich durchgehend die gleichen Eigenschaften und kann mit einem einzigen, daran angepassten Verfahren behandelt werden. Das gilt auch für Verbundmaterialien, deren einzelne Bestandteile sich leicht voneinander trennen lassen.

Nicht trennbare Verbundmaterialien und Kunststoffe, die mit vielen Zusatzstoffen, sogenannten Additiven (z.B. für Farbeffekte, Weichmacher, Brandschutz,…), vermischt sind, lassen sich nur schlecht oder gar nicht wiederverwenden.

Thermoplaste als Recycling-Favoriten

Besonders für eine Wiederverwertung geeignet sind jene Kunststoffe, die bei hohen Temperaturen weich und formbar werden – die sogenannten Thermoplaste. Die kann man nämlich schreddern, erhitzen und zu neuen Gegenständen formen, ohne dass sich ihre Moleküle dabei verändern (zumindest im Optimalfall).

Zu den Thermoplasten gehören auch die verbreitetsten Alltagskunststoffe Polyethylenterephthalat (PET), Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) (Einzelheiten zu diesen Stoffen erfahrt ihr im Plastik-1×1 hier in Keinsteins Kiste). Da verwundert es nicht, dass gerade diese Kandidaten die grösste Rolle beim Recycling von Alltagsabfällen spielen. Allerdings gelingt auch das nur dann wirklich gut, wenn die Hersteller schon bei der Erstverarbeitung dieser Kunststoffe auf die Recyclingfähigkeit achten. Wie das geht, verraten Guidelines für die Industrie, verfasst von den Recycling-Verantwortlichen.

Auch Polyvinylchlorid (PVC) ist ein Thermoplast. Bei diesem Kunststoff gestaltet sich das Recycling (wie auch die Verwendung im Lebensmittelbereich) schon kniffeliger, weil er in vielfältiger Form verwendet wird und (besonders als Weich-PVC) kaum ohne Additive auskommt. Trotzdem wird auch PVC recycelt, wenn auch vornehmlich im Bauwesen, wo grössere Mengen gleichartigen PVC-Materials anfallen.

Und was ist mit kompostierbaren Biokunststoffen?

Was nach der ultimativen Verwertbarkeit bzw. Entsorgung klingt, hat oft einen beachtlichen Haken. Biopolymere sind aus Kettengliedern zusammengesetzt, die Lebewesen entlehnt sind, wie die Milchsäure-Glieder des Polylactids (PLA). Damit sind sie grundsätzlich für den Abbau durch Lebewesen oder deren Bestandteile geeignet.

In der Praxis sind dafür aber oft Bedingungen nötig, die ein Komposthaufen oder die freie Natur nicht bieten. PLA ist beispielsweise nur in speziellen Anlagen bei unnatürlichen Temperaturen abbaubar. So macht PLA zur Abfallvermeidung bislang nur dann Sinn, wenn der Anbieter – zum Beispiel ein Park mit Imbissbetrieb – direkt mit einem PLA-Entsorger (und bestenfalls -Wiederverwerter) zusammenarbeitet.

Wie wird recycelt?

Kunststoffe kann man grundsätzlich auf zwei Arten wiederverwerten:

  1. Werkstoffliche Verwertung: Das Material (die Polymer-Ketten als solche bleiben (weitestgehend) intakt und werden nur zu neuen Gegenständen geformt. Das ist der wohl wünschenswerteste Weg, da so der grösste Teil des zur Herstellung des Kunststoffs getätigten Aufwands nicht noch einmal nötig ist. Für diesen Weg geeignet sind im Besonderen die Thermoplasten unter den Kunststoffen. In der Praxis sind solche Verfahren leider meist nicht unendlich wiederholbar: Die Polymere überstehen das Erhitzen oft nicht gänzlich unbeschadet, sodass das Recycling-Material oft eine weniger gute Qualität als der Kunststoff bei der Erstverwendung hat. Fachleute nennen diesen Effekt deshalb „Downcycling“.
  2. Rohstoffliche Verwertung: Die Polymerketten werden dabei gezielt zerlegt. Die entstehenden Kleinmoleküle sind nach wie vor wichtige Energieträger und können als Brennstoffe oder Rohmaterial für andere Erdölprodukte verwendet werden.

So werden einzelne Kunststoffe recycelt

PET (Polyethylenterephthalat)

In der Schweiz gibt einen einzigartigen, geschlossenen PET-Recycling-Kreislauf: Überall in der Öffentlichkeit findet man hier blau-gelbe Sammelbehälter für PET-Getränkeflaschen – in Geschäften, an Bahnhöfen, bei Veranstaltungen, in Parkanlagen, an Abfall-Sammelstellen und anderswo. Die darin gesammelten Flaschen können farblich sortiert und nach Abtrennung von Fremdstoffen zu Pressballen verarbeitet werden, die rund 98% reines PET ihrer jeweiligen Farbe enthalten. Infrarot-Technik und Laser machen es möglich.

Diese PET-Abfälle werden weiter gereinigt, zu Flocken geschreddert und von den Flaschendeckeln getrennt. Letztere bestehen nämlich aus PE, welches – anders als PET – weniger dicht als Wasser ist und folglich darauf schwimmt. Die PET-Flocken sinken derweil auf den Grund (Chemiker und Physiker nennen dieses Trennverfahren Sedimentation), sodassman die PE-Deckel einfach abgiessen oder abschöpfen kann.

Nach weiterer Reinigung sind die Flocken schliesslich so sauber, dass sie als Lebensmittel-Verpackungsmaterial zulässig sind. Dann werden sie eingeschmolzen und zu sogenanntem Re-Granulat, einem groben Kunststoff-Gries, verarbeitet. Als Thermoplast kann dieser PET-Gries schliesslich bei 250°C zu neuen Gegenständen zusammengesinter werden – zum Beispiel zu dickwandigen „PET-Rohlingen“, die, bereits mit Gewinde und Deckel versehen, eine Flasche erahnen lassen.

PET-Rohling: Nach Erst-Herstellung oder Recycling kann PET in dieser Form platzsparend zum Getränkehersteller transportiert werden.
Pet-Rohling oder „Petling“ mit Deckel: Daraus wird einmal eine Flasche.

In dieser platzsparenden Form werden die Rohlinge oder „Preforms“ an die Getränkeabfüller (oder auch an Geocaching-Begeisterte, die darin ihre Schätze verstecken) geliefert. In der Abfüll-Anlage werden die Rohlinge erneut erhitzt und zu fertigen Getränkeflaschen aufgeblasen.

So effektiv geht PET-Recycling

Der Betreiber des PET-Kreislaufs – im Übrigen ein Verein, also nicht-staatlich und nicht gewinnorientiert – behauptet, bei der Wiederverwertung von PET-Getränkeflaschen finde kein Downcycling statt. Zudem betrage die Recyclingquote für PET in der Schweiz mittlerweile 82%! Bei freiwilliger Beteiligung der Getränkehersteller und Abfallsammler wohlgemerkt. Das hält die Regierung, die ein Minimum von 75% zum Ziel erklärt hat, bis dato davon ab, ein Pfandsystem einzuführen.

Polyethylen und Polypropylen (PE bzw. PP)

Auch PE und PP sind Thermoplaste. So kann man sie in ähnlicher Weise wie PET-Flaschen verwerten. Allerdings erweichen sie bei wesentlich niedrigeren Temperaturen (PE schon ab 80°C, PP bleibt noch etwas weiter fest) und würden sich bei 250°C längst zersetzen. Deshalb sind für das Recycling von PE und PP jeweils eigene Kreisläufe und Anlagen nötig, um diese Kunststoffe gemäss ihren Eigenschaften zu behandeln.

Ausserdem kommen nur dafür geschaffene PE- und PP-Produkte für die Wiederverwertung in Frage. Und selbst dann geht das Einschmelzen in der Regel mit einem Downcycling einher. So kann beim Recycling von PE oder PP meist kein Material mit Lebensmittelqualität gewonnen werden. R-PE und R-PP kommen daher vornehmlich im Bauwesen, in Nicht-Lebensmittelverpackungen, der Landwirtschaft, in Fahrzeugen oder Elektronik zum Einsatz.

EPS/Styropor = „Quietschpapier“

Diese Form von Polystyrol (EPS steht für „Expandiertes Polystyrol“) birgt ein ganz besonderes Problem: Das Material, das wir als massgeschneiderte, stosssichere Verpackung oder Wärmedämmstoff kennen, besteht zu 98% aus eingeschlossener Luft und nur zu 2% aus dem eigentlichen Kunststoff und seinen Additiven. Das Ganze ist also ein enormer Platzfresser!

Der Transport zu einer Mühle, in der Styropor zermahlen und anschliessend zu Re-Granulat eingeschmolzen werden kann, braucht daher ein enormes Volumen für reichlich wenig Kunststoff-Masse. Trotzdem wird das gemacht und das Granulat kommt vornehmlich für Einsätze im Bauwesen zur Verwendung.

Um dem Transportproblem zu begegnen, hat das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV ein neues Recycling-Verfahren für EPS entwickelt (und CreaSolv® getauft). Die Abfälle sollen dabei noch an der Sammelstelle in ein Lösungsmittel, das möglichst nur Polystyrol auflöst, eingebracht werden. Dabei entweicht die ganze Luft und Beistoffe können später leicht abgetrennt werden. In der Lösung nimmt die Kunststoffmasse nur 1/50 des Raumes ein, den das ursprüngliche EPS bräuchte, was den Transport erheblich erleichtert.

Getränkekartons

Das ist auch mir neu: In der Schweiz können auch Getränkekartons („Tetrapak“) recycelt werden. Tatsächlich tragen solche, die man in den grossen Supermärkten bekommt, das Kennzeichen „für den Restmüll“. Erst bei der Recherche für diesen Artikel bin ich bei Swiss-Recycling zufällig auf den – einmal mehr privaten – Anbieter für die Wiederverwertung von Getränkekartons gestossen. Bislang gibt es nur 100 Sammelstellen, aber die nächste ist nur wenige Dörfer weiter. Da führe ich die Tetrapak-Trennung doch gleich bei uns im Haushalt ein. Anbei: Ja, es stimmt: Abfalltrennung ist hier in der Schweiz eine besondere Spezialität.

Warum ist das Tetrapak-Recycling nicht weiter verbreitet?

Getränkekartons sind ein typisches Verbundmaterial: Pappe, Kunststoff- und Aluminiumschichten sind darin fest miteinander verklebt. Das schützt den Inhalt und ist für feuchtfröhliche Experimente nützlich, aber ganz kniffelig zu recyceln.

Immerhin können die Pappfasern aus den alten Kartons herausgelöst und zu Wellpappe verarbeitet werden. Kunststoff und Aluminium werden dann als Brennstoff für die Erzeugung von Fernwärme oder Strom eingesetzt – wie übrigens auch der Restmüll oder -kehricht hierzulande.

So könnt ihr zum Recycling beitragen

In Deutschland und Österreich werden wiederverwertbare Kunststoffe gemischt gesammelt. Verpackungen, die als rezyklierbar gelten, tragen als Kennzeichen den „grünen Punkt“. Ihr könnt sie – möglichst sauber – in die gelbe Tonne bzw. den gelben Sack entsorgen, deren Inhalt die Müllabfuhr regelmässig abholt.

In der Schweiz ist, wie bereits erwähnt, viel Eigeninitiative gefragt. PET-Getränkeflaschen könnt ihr in die blau-gelben-Behälter an öffentlichen Sammelstellen werfen, um sie in den PET-Kreislauf zurückfliessen zu lassen. PE- und PP-Flaschen werden häufig von den Supermärkten zurückgenommen (haltet die Augen nach der Entsorgungswand innerhalb des Marktes offen!). Wenn ihr eine der Sammelstellen für Getränkekartons in eurer Nähe habt, könnt ihr eure Tetrapaks auch dorthin bringen. Und neu führt auch die Migros – eine der beiden grössten Supermarktketten – eine Gemischtsammlung für rezyklierbare Kunststoffe ein.

Was bringt euch der ganze Aufwand? Nicht nur ein reines Gewissen: Was immer ihr an diesen für euch kostenfreien Sammelstellen entsorgt, landet nicht im Hauskehricht (Restmüll), für den hierzulande deftige Gebühren pro Abfallsack zu entrichten sind. Bedingung für ein effektives Recycling ist allerdings, dass nur die gewünschten Abfälle in den jeweiligen Sammelstellen landen!

Warum gibt es keine zentrale Gemischtsammlung in der Schweiz?

Das Recycling aus einer Gemischtsammlung liefere eine verminderte Ausbeute und Qualität, sagen die Recyclingverantwortlichen in der Schweiz. Laut einem Beitrag des Verbrauchermagazins „Kassensturz“ beim Schweizer Fernsehen (Moderation und Interviews in Mundart, Kommentar in Hochdeutsch) liege die Ausbeute oft unterhalb dessen, was private Anbieter einer Gemischtsammlung behaupten. Ausserdem ist die nachträgliche Sortiererei teuer. So teuer, dass das Geld sinnvoller für die Umwelt eingesetzt werden könne. Viele private Anbieter von Gemischtsammlungen in der Schweiz verkaufen deshalb die gesammelten Abfälle in die Nachbarländer – und können dann nicht mehr kontrollieren, was damit geschieht.

Das Paretoprinzip und die Müllvermeidung

Das lässt mich persönlich an das Paretoprinzip denken: Wenn 100% aller Bemühungen 100% der Ergebnisse bringen, seien demnach nur 20% der Bemühungen nötig, um 80% der Ergebnisse zu erzielen (und umgekehrt brächten die übrigen 80% der Bemühungen nur 20% der Ergebnisse. Ob die Zahlenverhältnisse genau so überall anwendbar sind, sei dahingestellt. Kern der Sache ist in meinen Augen, dass Perfektionismus unglaubliche Ressourcen verschlingen und dabei vergleichsweise wenig bringen kann.

Das ist besonders dann spannend, wenn man mit begrenzten Ressourcen zurechtkommen muss. Wie auch im Umweltschutz: Wie in vielen Bereichen ist die begrenzteste Ressource hier wohl das Geld. Und das mag an anderer Stelle (sei es zum Ausbau funktionierender Kreisläufe, zur Förderung der Verwendung rezyklierbarer oder zur Entwicklung völlig neuer Materialien) effektiver eingesetzt werden können, als zum Aussondern weniger wiederverwertbarer Stoffe aus einem grossen Rest, der am Ende in der Müllverbrennungsanlage landet.

Der Kassensturz-Beitrag kommt für den Kunststoffsammelsack der Migros (bislang nur im Raum Luzern erhältlich) noch zum besten Testergebnis: Der „orange Riese“ sammelt nur ausgewählte Kunststoffe und lässt tatsächlich recyceln – noch dazu in einer Anlage in der Schweiz. Ich bin gespannt, ob das auch funktioniert, wenn die Sammlung bis zum Frühling 2021 auf das ganze Land ausgeweitet wird.

Grundsätzlich gilt: Je ausgewähltere und sauberere Abfälle ein Anbieter sammelt, desto besser ist die zu erwartende Ausbeute. Wenn ihr Säcke für die Sammlung gemischter Kunststoffe verwendet, beachtet daher unbedingt die Gebrauchsanweisung!

Wirklich effektiv gegen Plastikmüll geht so

Hier folge ich meinem persönlichen Paretoprinzip: Mit überschaubarem Aufwand möglichst viel erreichen! Klar sollte man nach Möglichkeit keinen Abfall produzieren. Aber nicht jeder hat einen Unverpackt-Laden in seiner Nähe, und eine weite Anfahrt kostet nicht nur Zeit und Geld, sondern auch Kraftstoff in irgendeiner Form, der wieder zu Lasten der Umwelt geht.

Sehr einfach sind aber folgende Massnahmen:

  • Verwendet Mehrweg-Einkaufssäcke /- behälter – nicht nur im Supermarkt, sondern auch im Kaufhaus und anderen Geschäften
  • Nutzt die Mehrweg-Gemüse-Netzbeutel, die hier in der Schweiz in beiden Grossverteiler-Ketten angeboten werden (gibt es die in D und Ö auch? Falls nicht, sind die ein tolles Andenken an euren nächsten Schweiz-Urlaub 😉 )
  • Achtet, wenn ihr Produkte in Kunststoff-Verpackungen, insbesondere Flaschen, kauft, auf ein rezyklierbares Design. Das könnt ihr an folgenden Eigenschaften (gemäss den Richtlinien für Verpackungs-Hersteller) erkennen:
    • Das Material: Das Recyclings-Symbol mit der Ziffer im Pfeil-Dreieck, oft auf dem Flaschenboden, verrät es euch: PE (Ziffer 02 bzw. 04), PP (Ziffer 05) oder PET (Ziffer 01) sind leicht wiederverwertbar.
    • Die Farbe: PE und PP sind von Natur aus matt weiss und undurchsichtig. PET ist dagegen von Natur aus durchsichtig. Oberflächeneffekte wie Fluoreszenz („grelle“ Farben!) oder „metallic“-Schimmer entstehen durch Zusatzstoffe und verhindern die Wiederverwertung!
    • Etiketten: Sollten nicht mehr als 80% (vier Fünftel) der Flaschenoberfläche bedecken.
  • Vermeidet Produkte, die übermässig verpackt sind. Ein Klassiker ist unnötig vorgeschnittenes Obst: Die meisten Früchte sind von Natur aus mit einer Schale ausgestattet, die besten Schutz vor äusseren Einflüssen bietet. Die braucht ihr nur selber aufzuschneiden.
  • Kauft Getränke in Mehrweg- oder PET-Flaschen (letztere insbesondere, wenn ihr in der Schweiz seid) und entsorgt sie wie vom Anbieter vorgesehen.
  • Achtet beim Kauf von Kunststoff-Gegenständen auf gute Qualität und nutzt sie lange bzw. „vererbt“ sie weiter, wenn ihr sie nicht mehr braucht.
  • Versucht euch im Upcycling: Viele gebrauchte Kunststoff-Verpackungen und -gegenstände könnt ihr auf neue Art verwenden oder geben prima Bastelmaterial ab – oder Rohstoffe zum Experimentieren!

Was haltet ihr von den Recycling-Bestrebungen in eurem Land? Habt ihr noch mehr Ideen zur Vermeidung von Kunststoff-Abfällen? Wie geht ihr mit euren Abfällen um?

Stärkefolien : Valentinsherzen aus DIY-Bioplastik

‚Plastik‘ ist „böse Chemie“, die aus Erdöl hergestellt wird und in der Natur nicht verrottet? Mitnichten! Wie ihr schon im Kunststoff-1×1 hier in Keinsteins Kiste nachlesen könnt, ist die Sorte Moleküle, aus denen ‚Plastik‘ besteht, eigentlich eine Erfindung der Natur! Und was die Natur erfindet, kann sie auf kurz oder lang auch wieder abbauen. Das gilt auch für ihre hauseigenen Polymeren – der Stoffgruppe, zu welchen auch die Kunststoffe gehören.

Und diese sogenannten Biopolymere könnt ihr nutzen, um euer eigenes Bioplastik herzustellen – zum Beispiel für ein echt herziges Valentinsgeschenk aus dem eigenen Forscherlabor. Hier erfahrt ihr, wie es geht!

Ihr braucht dazu

Meine Valentins-Herzen bestehen aus Stärkefolie. Wie der Name vermuten lässt, braucht ihr dafür Stärke – und zwar natürliche Stärke, nicht die lösliche Stärke aus dem Laborbedarf oder der Chemiesammlung in der Schule. Natürliche Stärke bekommt ihr auch viel einfacher, nämlich im Supermarkt. In der Schweiz ist „Maizena“ praktisch ein Synonym für Maisstärke, in Deutschland kennt man selbige unter dem Markennamen „Mondamin“. Kartoffelstärke soll aber ebenso funktionieren.

Nun aber zur Inhaltsliste für zwei bis fünf untertassengrosse Folienstücke

  • Etwa 5g trockene Stärke (hier in der Schweiz habe ich natürlich Maizena zur Hand)
  • Wasser
  • Glycerin (85%, aus der Drogerie oder Apotheke)
  • Optional: Lebensmittelfarbe
  • 1 Becherglas oder ähnliches Glasgefäss
  • Topf mit Wasserbad, Herd, Topfhandschuh oder/und Grillzange
  • Löffel oder Stab zum Umrühren, Buttermesser
  • Frischhaltedosen aus PE oder PP (Polyethylen bzw. Polypropylen, das übliche Material für „Tupper“-Dosen)
  • Optional: Backblech, Backofen

So geht’s

  • Verdünnt einige Milliliter Glycerin mit der gleichen Menge Wasser und rührt das Gemisch um, bis es klar ist. Diese Glyzerinlösung könnt ihr auch problemlos in einer geschlossenen Flasche für spätere Experimente aufbewahren.
  • Gebt zu 5g Stärke im Glasgefäss etwa 40 ml Wasser und etwa 5 ml der zuvor angefertigten Glycerinlösung und rührt gründlich um. Es entsteht ein milchiges Gemisch, aus dem sich Stärke als weisser Schlamm am Boden absetzt, sobald ihr zu Rühren aufhört. Für farbige Herzen könnt ihr zudem einige Tropfen Lebensmittelfarbe einrühren.
Mischung mit roter Lebensmittelfarbe: Die Stärke setzt sich sichtbar unten ab.
  • Stellt die Frischhaltedosen mit dem Boden nach oben auf das Backblech oder eine andere Unterlage.
  • Stellt den Topf mit dem Wasserbad auf den Herd und erhitzt das Glasgefäss mit dem Gemisch darin, während ihr immer wieder umrührt. Topfhandschuh oder/und Grillzange werden euch beim Festhalten des heissen Glases gute Dienste leisten!
  • Sobald die Flüssigkeit zu einer trüben, gelartigen Masse „bindet“ (wie eine Sauce), giesst sie auf die umgekehrten Frischhaltedosen und verstreicht sie mit dem Buttermesser gleichmässig mindestens 2 Millimeter dick. Bei dieser Dicke dauert das Trocknen länger, aber die Gefahr, dass dabei Risse entstehen, ist geringer.
  • Lasst die verstrichene Masse über Nacht an der Luft trocknen. Wenn ihr ungeduldig seid, könnt ihr sie zunächst auch bei 50-80°C (wenn ihr Lebensmittelfarbe verwendet NICHT wärmer, da die Farbstoffe sich sonst zersetzen!) eine Stunde oder länger im Backofen trocknen. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass Risse in den Folien entstehen.
Die dünne Folie links ist stärker gerissen als jene aus gut 2 Millimeter Stärkemasse rechts. Die hellen Stellen sind noch sehr feucht, sodass ich die Folien über Nacht habe trocknen lassen.
  • Wenn die Stärkemasse ausgehärtet ist, könnt ihr die Folie (ggfs. mit Hilfe eines flachen Messers) von den Dosen lösen und nach Wunsch zuschneiden.
Dank des vorne überhängenden Auswuchses lässt sich die Folie einfach von der Dose abziehen.

Achtung: Die Stärkefolien sind nicht wasserfest! Sorgt also dafür, dass eure Valentinsherzen stets im Trockenen bleiben. Für die Beschriftung habe ich dementsprechend einen Permanentschreiber mit organischem Lösungsmittel verwendet.

Die Stärkefolie lässt sich problemlos mit der Küchenschere schneiden. Da besonders die dicke Folie noch Restfeuchte enthielt, wurde sie an der Luft mit der Zeit krumm. Ein paar Stunden unter einem schweren Buch auf dem flachen Tisch und sie war wieder schön flach.

Was passiert da?

Was ist Stärkemehl?

Stärke besteht aus grossen Kettenmolekülen, sogenannten Polymeren, die aus Tausenden miteinander verknüpften Glucose- also Traubenzucker-Ringen besteht. Pflanzen stellen diese Polymere her, um ihren Traubenzucker, der ihnen als Energieträger dient, ordentlich „aufgefädelt“ zu lagern.

Es gibt zwei verschiedene Sorten Stärkepolymere:

  • Amylose, die aus einfachen Ketten aus wenigen Tausend aneinandergereihten Glucose-Einheiten besteht.
  • Amylopektin, dessen Ketten sich etwa alle 30 Glucose-Ringe verzweigen. So entstehen regelrechte Molekül-Büschel, die gut und gerne Zehntausende oder gar Hunderttausende Glucose-Ringe umfassen können.

Trotzdem sind „Maizena“ und andere Stärkemehle weit von den Eigenschaften entfernt, die wir von Kunststoffen, also „Plastik“ kennen. Im Stärkemehl sind diese Molekülketten nämlich sorgfältig zu kleinen Körnern zusammengepackt. Dabei besteht jedes Korn aus etlichen Schichten, die säuberlich um seinen Mittelpunkt herum gelagert sind – in etwa wie die Schichten einer Zwiebel. Damit ähnelt ein Stärkekorn sehr einem Kristall, also der am regelmässigsten aufgebauten Sorte Festkörper, die es gibt. Und Kristalle, ob nun die von Salz und Zucker oder von Mineralien wie Bergkristall, haben freilich wenig mit nachgiebigen Kunststoffen gemein.

Stärkekörner bei 800-facher Vergrösserung in polarisiertem Licht unter dem Mikroskop: Das x-förmige Muster auf den Körnern zeugt von einer Wechselwirkung mit polarisiertem Licht, wie sie eine kristallartige Substanz zeigt (die Stärke ist optisch aktiv).

Stärke und Wasser: Eine besondere Beziehung

In einem unterscheiden sich Stärkekörner aber völlig von den üblichen Kristallen: Die Stärkepolymere können zwischen ihren Ketten kleine Moleküle festhalten! Aus der Schule bekannt ist der Stärkenachweis durch darin eingelagerte Jod-Moleküle, die die Ketten dunkel färben (wie ihr den Nachweis mit jodhaltigen Desinfektionsmitteln aus der Hausapotheke daheim durchführen könnt, erfahrt ihr hier).

Doch besonders Amylopektin ist in der Lage, sich auch grosse Mengen Wassermoleküle „einzuverleiben“. Die Wassermoleküle dringend zwischen die Verästelungen der Amylopektinbüschel und beanspruchen reichlich Platz. Die Folge: Die Büschel und damit auch die ganzen Stärkekörner quellen auf. Die vormals fest einsortierten Molekülketten werden so beweglich und können zunehmend aus ihren Positionen verrutschen.

Wenn nun Wärme hinzukommt – die nichts anderes ist als Bewegung von Molekülen und ihren Gliedern – rutschen und wirbeln die Stärkeketten und -zweige durcheinander, bis ein furchtbares Gewirr entsteht, das keine (mir bekannte) Macht der Welt wieder auflösen kann. Aus den vormals festen Stärkekörnern in Wasser ist ein mit Wasser vollgesogenes Molekülwirrwarr geworden, das wir als gelartige Masse wahrnehmen und „Stärkekleister“ nennen. Tatsächlich besteht Tapetenkleister aus quellender Stärke oder Zellulose-Varianten!

Lassen wir simplen Stärkekleister ausgestrichen an der Luft liegen, verdunsten die aufgesogenen Wassermoleküle mit der Zeit und das Molekülwirrwarr fällt in sich zusammen. Dabei bleibt es jedoch unverändert verworren, sodass es nun einen einzigen Festkörper bildet – allerdings hart und spröde. Und hier kommt das Glycerin ins Spiel.

Von der Platte zur Folie dank Weichmacher

Glycerin ist ein Alkohol mit mehren OH-Gruppen an einem Kohlenstoff-Grundgerüst. Dank der OH-Gruppen kann es ähnlich mit der Stärke wechselwirken wie Wasser – und dementsprechend zwischen den Ketten Platz finden – verdunstet von dort aber weniger leicht. Ausserdem kann Glycerin selbst Wassermoleküle besser bei sich behalten als die Stärke. So sorgt das zu unserem Stärkekleister gegebene Glycerin dafür, dass die Stärkefolien nicht ganz und gar austrocknen, sondern flexibel bleiben.

Das Glycerin übernimmt in unserem Biokunststoff also die Rolle des Weichmachers. Für uns ist es dabei allerdings harmlos, selbst wenn es aus der Stärkefolie freigesetzt wird. Als Bestandteil jedes natürlichen Fettes kommt es naturgemäss in unseren Körpern vor, sobald diese Fettmoleküle zerlegen. So ist es auch als Lebensmittelzusatzstoff E 422 als Feuchthaltemittel ohne Höchstmengenbeschränkung zugelassen. (In Reinform trinken solltet ihr Glycerin dennoch nicht, da es auch dem Körper eine Menge Wasser entziehen und damit in rauen Mengen zur Dehydrierung führen kann!)

Polymergewirr auch bei „richtigen“ Kunststoffen

Auch in den alltäglichen Kunststoffen, die wir überall um uns herum finden, sind lange Polymer-Ketten zu mehr oder minder dichtem Molekül-Filz verstrickt und zuweilen sogar über chemische Bindungen miteinander vernetzt. Die Dichte eines solchen Filzes bzw. die Engmaschigkeit seiner Vernetzung bestimmen die Härte oder Biegsamkeit des Kunststoffs. Eingelagerte Weichmacher können einen entscheidenden Einfluss auf die Flexibilität des Materials haben.

In elastischen Kunststoffen („Gummi“) verhalten sich die Ketten zudem ähnlich wie Spiralfedern: Sie können aus ihrer natürlichen verkrümmten Lage hinaus gerade(r) gezogen werden und kehren anschliessend wieder in ihre Ausgangshaltung zurück.

Ihr molekülfilz-artiger Aufbau gibt unseren Kunststoffen ihre enorme Formbarkeit und Robustheit, die wir sonst nur von Biopolymeren kennen (Holz und Pflanzenteile aus Zellulose sind ebenfalls sehr elastisch – beobachtet einmal Bäume bei starkem Wind! – und bedenkt die gleichzeitige Biegsamkeit und Festigkeit von menschlichem Haar, das aus Faserproteinen besteht!).

Entsorgung

Reste von Stärkekleister, Lebensmittelfarbe und Glycerin könnt ihr in den Ausguss bzw. Hausmüll entsorgen. Übrige Glyzerinlösung könnt ihr aber problemlos für spätere Versuche aufbewahren. Der Stärkekleister lässt sich mit Wasser leicht von Gefässen und Besteck entfernen.

Und wem schenkt ihr euer Herz aus selbstgemachtem Biokunststoff?

Hast du das Experiment nachgemacht

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Wenn etwas nicht oder nur teilweise funktioniert haben sollte, schreibt es in die Kommentare. Ich helfe gerne bei der Fehlersuche!

Plastik überall! Ein Kunststoff - 1x1

Kein Plastik-Spielzeug für mein Kind! Kunststoff-Verpackungen gehören reduziert! Gemüse mit Plastik-Umhüllung ist ein Unding! Die Meere sind voller Plastikmüll! Mikroplastik umgibt uns überall!

Solche Aussagen, die mir immer wieder begegnen, zeigen, dass der Begriff „Plastik“, oder auch etwas ’netter‘ gesagt „Kunststoff“ mehr denn je negativ besetzt ist. Aber sind Kunststoffe wirklich so schlecht für uns und die Welt, wie ihr Image es vermuten lässt?

Sicher ist: Ohne sie geht gar nichts mehr in unserer Alltagswelt. Wo wir auch hinschauen, sind wir von den verschiedenartigsten Kunststoffen umgeben. Allein das ist schon Grund genug, sie hier in Keinsteins Kiste zum Thema zu machen. Und da ein einzelner Artikel diesen allgegenwärtigen Stoffen nicht gerecht werden könnte, habe ich mich entschlossen, in den nächsten Wochen eine ganze Serie rund um Plastik zu bringen. Einschliesslich Experimenten zur Welt der Kunststoffe.

Und die beginnt heute mit einer Übersicht: Was ist eigentlich „Kunststoff“? Welchen Nutzen und welche Schwierigkeiten bringen Kunststoffe mit sich? Welches sind die wichtigsten Kunststoffe unserer Alltagswelt?

Was ist ein Kunststoff?

Ein Kunststoff, auch „Plastik“ oder „Plaste“ genannt, ist ein Festkörper aus synthetischen oder halbsynthetischen Polymeren mit organischen Gruppen…. Moment, langsam!

„Festkörper“ ist ja noch einfach…solch ein Stoff ist eben nicht flüssig oder gasförmig, sondern (bei alltäglichen Temperaturen) fest. Aber:

Was ist ein Polymer?

Ein Polymer ist ein riesenlanges, kettenartiges Molekül (oder eben ein Stoff aus solchen Molekülen). Die Glieder solch eines Kettenmoleküls sind kleine, sich immer wiederholende Atomgruppen. Wie eine Kette aus einzelnen Gliedern zusammen geschmiedet wird, wird auch ein Polymer mittels chemischer Reaktionen aus seinen Einzelgliedern zusammengesetzt.

Ein mögliches solches Einzelglied ist das Molekül Ethen (C2H4), auch Ethylen genannt:

In einer Art Kettenreaktion verbinden sich viele Ethylen-Moleküle zu einer Polymer-Kette. Dieses Polymer heisst deshalb „Polyethylen“.

Jeweils eine der beiden C-C-Bindungen in den Ethylen-Molekülen wird aufgetrennt und die beiden „losen Enden“ für die Verknüpfung der Moleküle untereinander verwendet. So entsteht eine beliebig lange Kette aus C2H4-Einheiten mit Einfachbindungen.

Wer hat die Polymere erfunden?

Viele Polymere in der Alltagswelt sind „synthetisch“. Das heisst, sie sind von Chemikern entworfen und in einem Labor bzw. im industriellen Massstab in einer Chemiefabrik hergestellt worden. Auch das Polyethylen gehört zu dieser Sorte.

Polymere erfunden hat hingegen die Natur. Pflanzen bestehen aus grossen Teilen aus Zellulose und speichern ihre Energie in Stärke. Beide Stoffe bestehen aus langen Ketten, die in Pflanzenzellen aus Zucker-Molekülen zusammengebaut werden. Die „Erbsubstanz“ DNA besteht aus langen Ketten sogenannter Nukleotide, die sich nur in ihren Seitengruppen, den berühmten DNA-Basen, unterscheiden. Die Abfolge dieser Basen entlang der Kette bildet den Bauplan für Proteine, die ebenfalls Polymere sind: Sie sind lange Ketten aus bis zu 20 verschiedenen Aminosäuren, die zu komplexen Strukturen zusammengefaltet sind.

Es sind also Polymere, die Lebewesen erst zu solchen machen. Und diese „natürlichen“ Polymere nennen die Chemiker und Biologen deshalb auch „Biopolymere“.

Nachdem die Natur die Polymere schon erfunden hat, machen sich Polymerchemiker diese Erfindungen zuweilen zu Nutze. Dazu nehmen sie ein Biopolymer und verändern es so, dass seine Eigenschaften schliesslich ihren Wünschen entsprechen. Zellulose reagiert zum Beispiel mit Salpetersäure zu Zellulosenitrat, auch als Schiessbaumwolle bekannt. Mit Campher als Weichmacher wird daraus Zelluloid, das vor allem als Material für Filmstreifen bekannt ist.

Aus Zellulose (links) wird Zellulosenitrat (rechts). In der Praxis wird dazu „Nitriersäure“ verwendet, die neben Salpetersäure auch Schwefelsäure enthält.

Da Schiessbaumwolle aber aus gutem Grund so heisst – unbehandelt ist sie explosiv und auch Zelluloid brennt lebhaft – hat man bald Ersatz gefunden – zum Beispiel in Form von Zelluloseacetat, das durch Reaktion von Zellulose mit Essigsäure entsteht.

Diese Art von Polymeren heisst aufgrund ihrer Herstellung „halbsynthetisch“: Den ersten Teil der Arbeit erledigt die Natur, erst der zweite Teil geschieht im Labor bzw. der Chemiefabrik.

Was macht Polymere bzw. Kunststoffe so nützlich?


  • Alltags-Kunststoffe gelten als chemisch und biologisch weitestgehend inert: Das heisst, sie reagieren weder von selbst mit alltäglichen Chemikalien, noch sind solche Reaktionen im Stoffwechsel von Lebewesen möglich. Damit sind diese Polymere als solche sehr gesundheitsverträgliche Materialien für Lebensmittelbehälter und Anwendungen am und im menschlichen Körper (z.B. als Textilien, Kinderspielzeug, Medizinprodukte). Kunststoffe wie Polyethylen fallen zudem kaum der Korrosion zum Opfer, sodass man fast alle anderen Stoffe darin aufbewahren kann.

  • Alltags-Kunststoffe haben eine wesentlich geringere Dichte als Glas oder Keramik, die chemisch ähnlich unangreifbar sind: Kunststoff-Behälter sind sehr leicht. Das gilt auch für Kunststoffbauteile in Fahr- und Flugzeugen: Der Ersatz von Metallteilen durch Kunststoffe verringert den nötigen Treibstoff erheblich!

  • Viele Alltagskunststoffe sind bruchsicher: Fällt eine Kunststoffflasche zu Boden, zerbricht sie gewöhnlich nicht. Es entstehen keine gefährlichen Scherben, der Inhalt bleibt sicher darin. Das macht Kunststoffe nicht nur im Haushalt praktisch, sondern auch zu einem hervorragenden Material für sicheres Kinderspielzeug.

  • Polymere sind während der Kunststoff-Herstellung nahezu beliebig formbar: Man kann praktisch alles daraus herstellen! Bis vor wenigen Jahren bot das Spritzgussverfahren die grösste Vielfalt (weicher bzw. flüssiger Kunststoff wird in eine vorbereitete Form gespritzt – ein „Nabel“ verrät bei solchen Teilen oft die Lage der Einspritzstelle). Heute verbreiten sich zunehmend 3D-Drucker, die lange Kunststofffasern zu computergenerierten Formen zusammenschmelzen. Damit sind wesentlich präzisere und feinere Strukturen möglich als mit dem Spritzgussverfahren.

  • Die Herstellung von Kunststoffen ist kostengünstig: Bislang zumindest, denn die meisten Alltagskunststoffe sind Erdölprodukte. Wenn das Erdöl erst einmal knapp wird, werden auch diese Kunststoffe nicht mehr so günstig zu haben sein. Deshalb wird seit Jahrzehnten Recycling betrieben und Wissenschaftler suchen eifrig nach neuen Kunststoffen aus erneuerbaren Rohstoffen oder ebenso erneuerbaren Rohstoffquellen für die gängigen Polymere.

Welche Schwierigkeiten verursachen Kunststoffe?


  • Die für uns so vorteilhafte chemische und biologische Inertheit bedeutet leider auch: Unsere Alltags-Kunststoffe sind so gut wie gar nicht biologisch abbaubar. Die Geister, die wir riefen, werden wir nun also nicht mehr los: Wo immer unsere Kunststoff-Abfälle hingeraten, bleiben sie über lange Zeiträume, vermüllen unsere Umwelt und gefährden ihre Bewohner. Auch das ist ein Grund, weshalb Wissenschaftler fleissig an neuen, besser abbaubaren Kunststoffen forschen und solche zunehmend auf den Markt gebracht werden.

  • Viele ihrer nützlichen Eigenschaften erhalten die Polymere erst durch Zusätze (die Polymerchemiker nennen sie „Additive“). Und diese Zusatzstoffe sind – im Gegensatz zu den eigentlichen Polymeren – oft weniger inert. Zudem bestehen sie aus relativ kleinen Molekülen, sodass sie leicht beweglich sind. Im Zweifelsfall bewegen sie sich aus dem Kunststoff hinaus und in dessen Umgebung – zum Beispiel den Inhalt von Kunststoffbehältern – hinein. Und da wollen wir die reaktionswilligen, im schlimmsten Fall gesundheitsschädlichen Additive absolut nicht haben. Zu den besonders berüchtigten Zusatzstoffen zählen Weichmacher, wie sie in Weich-PVC zu finden sind.

  • Viele Kunststoffe sind nicht besonders lichtbeständig: Intensiver Sonneneinstrahlung ausgesetzt verändern sich viele Kunststoffe früher oder später. Sie verlieren nicht nur ihre Farbe, sondern werden vor allem brüchig. Zugesetzte Lichtschutzmittel sollen diese Entwicklung verlangsamen.

  • Kunststoffe sind mehr oder weniger empfindlich gegenüber Wärme: Die meisten Alltagskunststoffe sind sogenannte Thermoplaste, d.h. sie werden bei höheren Temperaturen weich und verformen sich, ehe sie sich bei noch höheren Temperaturen zersetzen. Bei der Zersetzung können je nach Kunststoff giftige Kleinmoleküle freigesetzt werden. Zugesetzte Wärmestabilisatoren können jedoch dafür sorgen, dass z.B. Küchenbehälter der Temperatur von Gargut (also um die 100°C ) standhalten.

  • Kunststoffe sind brennbar: Wie die allermeisten organischen Verbindungen brennen auch Kunststoffe, wobei nur im besten Fall CO2 entsteht. Viel häufiger sind andere, teils giftige Zersetzungsprodukte, die auch den typischen Gestank eines Kunststoffbrandes mit sich bringen. Zugesetzte Flammschutzmittel sollen insbesondere in Gebäuden und Fahrzeugen verhindern, dass verbaute Kunststoffe in Flammen aufgehen und zum Niederbrennen des Gebäudes führen.

  • Die meisten Kunststoffe werden aus Erdöl, also aus einer endlichen Rohstoffquelle, gewonnen.

Welche Kunststoffe begegnen uns im Alltag?

Polyethylen und Polypropylen (PE bzw. PP)

Diese beiden Polymere bestehen aus chemisch eng miteinander verwandten Kettengliedern. So sind ihre Eigenschaften und damit auch ihre Einsatzgebiete ähnlich. Beide Kunststoffe sind sehr reaktionsträge. Polypropylen bleibt allerdings bis zu höheren Temperaturen fest als Polyethylen. Deshalb sind Küchengefässe meistens aus Polypropylen, während z.B. Medikamentendosen und Laborbehälter, die nicht erhitzt werden sollen, oft aus Polyethylen („HDPE“ – high density PE mit geringfügig höherer Dichte). Auch die durchsichtigen Folienbeutel mit Clip-Verschluss bestehen entweder aus Polypropylen oder Polyethylen („LDPE“ – low density PE mit geringfügig niedrigerer Dichte).

Medikamentendosen, Kosmetikverpackung, Gefrierdose und Folienbeutel aus Polyethylen
Medikamenten- und Kosmetikbehälter sowie der Gefrierdosen-Deckel und die Folienbeutel sind aus Polyethylen. Die Recycling-Symbol mit „04“ und „PE-LD“ bzw. „02“ und „PE-HD“ verraten uns das Material.
DVD-Hülle, Gefrierdose und Mehrfachsteckdosengehäuse aus Polypropylen
In die Gefrierdose können nicht nur kalte, sondern auch heisse Speisen gefüllt werden: Sie ist aus hitzebeständigerem Polypropylen. Daraus bestehen auch DVD-Hüllen und das Gehäuse der Mehrfachsteckdose. Das Recyclings-Symbol dafür zeigt „05“ und „PP“.

Polyvinylchlorid (PVC)

Wie der Name vermuten lässt, enthält jedes Kettenglied dieses Polymers ein Chlor-Atom. Dadurch ist dieser Kunststoff schwerer entflammbar als viele andere. Wenn er aber einmal brennt, entstehen daraus Chlorwasserstoff („Salzsäure“) und andere giftige Stoffe. Reines PVC ist hart und spröde und wird für die Herstellung von Fensterrahmen, Rohre und Schallplatten (daher die Bezeichnung „Vinyl-Platten“) verwendet. Durch die Zugabe von Weichmachern kann es elastisch gemacht werden. Dann kommt es z.B. als Kabelumhüllung, Bodenbelag oder in Spielzeugen wie Kunststoffpuppen zum Einsatz. Einige dieser Weichmacher gelten jedoch als gesundheitsschädlich, was PVC gerade im Spielzeugbereich in Verruf gebracht hat.

Kabelummantelungen und Badeente aus PVC
Kabelummantellungen und die Badeente sind aus Weich-PVC. Das Recycling-Symbol für Polyvinylchlorid zeigt „03“ und „PVC“.

Polyethylenterephthalat (PET)

Das bekannte Material für Einweg-Getränkeflaschen („PET-Flaschen“) gehört zur Gruppe der Polyester. Es ist sehr reaktionsträge und bruchsicher, sodass es sich nicht nur für Getränkeflaschen, sondern auch für Textilfasern (zum Beispiel für schnelltrocknende Sportbekleidung) wunderbar eignet. PET lässt sich zudem sehr wirtschaftlich recyceln. Die Schweiz hat ein eigenes Recycling-System dafür: Die blau-gelben Container mit dem PET-Dino sind speziell für die PET-Flaschen gedacht (alle anderen Kunststoffe landen hierzulande nämlich oft über den Restmüll in der Müllverbrennung).

PET-Flaschen, PET-Rohling und Butterdose aus PET
Nicht nur Getränke, sondern auch Reinigungschemikalien und Butter werden in PET-Flaschen verkauft. Aus dem PET-Rohling rechts vorne kann durch Aufblasen des erwärmten Kunststoffs eine PET-Flasche produziert werden. Das Recyclings-Symbol zeigt „01“ und „PET“.

Polystyrol (PS), auch bekannt als Styropor

Dieser Kunststoff lässt sich zu extrem leichtem Material aufschäumen („Quietschpapier“), das wir vor allem als Verpackungsmaterial oder Wärmedämmung kennen. Es gilt als biologisch inert, sodass es auch als Lebensmittelverpackung (z.B. Fleischschalen) zum Einsatz kommt. Polystyrol wird jedoch auch in massiver Form verarbeitet: Dann ist es glasklar und begegnet uns z.B. als Plastikbesteck, CD-Hüllen oder Spielzeug.

Styropor, CD-Hülle, Joghurtbecher und Plastikbesteck aus Polystyrol
Polystyrol begegnet uns nicht nur als Styropor, sondern auch in Form von CD-Hüllen, Plastikbesteck und Joghurtbechern. Das Recyclings-Symbol zeigt „06“ und „PS“.

Polyurethane (PU, PUR)

Diese Kunststoffe lassen sich aufschäumen, sodass wir ihn hauptsächlich als „Schaumstoff“ in Polstern, Wärmedämmung oder Putzschwämmen kennen. Auch der gelbe Hartschaum, den man in manchen Gebäuden um Rohrleitungen oder in Fugen findet, ist ein Polyurethan-Kunststoff. In massiverer Form begegnen uns Polyurethane zudem Lacke, Kunstharze oder „Kunstleder“ – zum Beispiel als Material für Schläuche oder Fussbälle.

Schaumstoffe und Schwamm aus Polyurethan
Schwämme und andere Schaumstoffteile bestehen aus Polyurethanen.

Polyamid (PA)

Diese Bezeichnung kennen wir vor allem von Kleidungsetiketten. Tatsächlich begegnen uns Polyamide (auch das ist eine ganze Kunststoff-Gruppe) meistens als Textilfasern. Berühmte Handelsnahmen solcher Kunstfasern sind „Nylon“ und „Perlon“. Auch Zahnbürsten-Borsten, Instrumentensaiten, Kunststoffseile und Angelschnur bestehen aus Polyamiden. In der Schweizer Mundart wird solche Nylonschnur auch als „Silch“ bezeichnet.

Sporthose, Küchenbesteck und Zahnbürste aus Polyamid
Nicht nur meine Sporthose, sondern auch das Küchenbesteck und die Borsten der Zahnbürste bestehen aus Polyamiden. Kürzel wie „PA 6“ oder „PA 6.6“ auf dem Besteck verraten dieses Material.

Polyester

Diese Bezeichnung auf Kleideretiketten ist im Grunde genommen eine recht ungenaue Bezeichnung für eine sehr grosse Familie von chemisch ähnlich hergestellten Kunststoffen. Besonders wichtige Vertreter sind das schon genannte PET, aber auch die Polycarbonate und die Polymilchsäure / Polylactid PLA. Die Polyesterfaserstoffe in Textilien oder Mikrofasern werden kurz als PES bezeichnet. Weitere Familienmitglieder sind Polyesterharze, die im Gegensatz zu den Fasermaterialien nach dem Aushärten stets hart und fest bleiben.

Polycarbonate (PC)

Diese Vertreter der Polyesterfamilie sind besonders hart, schlag- und kratzsicher – und überdies glasklar. Zudem sind sie zwar entflammbar, brennen aber nicht ohne Flamme von aussen weiter. Ihre Herstellung ist allerdings teurer als die anderer Kunststoffe, sodass sie nur dort zum Einsatz kommen, wo andere Kunststoffe nicht hart genug sind: Für CDs, Brillengläser, als Ersatz für Glas, Koffer oder medizinische Einmalprodukte.

CD, DVD und Brillengläser aus Polycarbonat
Aus Polycarbonaten sind vor allem Gegenstände, die kratzfest sein müssen: Zum Beispiel Brillengläser und CDs bzw. DVDs.

Polymilchsäuren oder Polylactide (PLA)

Dieser Vertreter der Polyester besteht aus Kettengliedern, die in jedem Lebewesen vorkommen: Aus Milchsäure bzw. deren Anion „Lactat“. Der Rohstoff für diese Kunststoffe wächst also nach – zum Beispiel in Mikrobenkulturen! Dementsprechend haben Lebewesen auch Enzyme entwickelt, die mit Milchsäureestern umzugehen wissen: PLA ist deshalb biologisch abbaubar. ABER: Dazu sind besondere Umweltbedingungen (u.A. eine erhöhte Temperatur) nötig, die nur in industriellen Kompostieranlagen gegeben sind! Trotzdem verbreiten sich PLA zunehmend, zum Beispiel als Material für Einweggeschirr oder für den 3D-Druck. Auch in „physiologischer Umgebung“ in lebenden Körpern werden PLA mit der Zeit abgebaut, sodass sie auch als selbstauflösendes chirurgisches Garn zum Einsatz kommen. Mehr über PLA könnt ihr hier in Keinsteins Kiste nachlesen.

Kautschuke („Gummi“)

Der Naturkautschuk, der aus Kautschukpflanzen gewonnen wird, ist ein echter Naturstoff, kein Kunststoff. Das gilt auch für das daraus gewonnene Naturlatex – ein Kautschukprodukt (deshalb kann Latex Allerdien auslösen: Es kann – wie viele Naturprodukte – Spuren von allergenen Proteinen enthalten). Haupteinsatzgebiet von Kautschuk ist die Herstellung von Autoreifen. Während der Weltkriege haben Wissenschaftler anhand des natürlichen Vorbilds synthetische Kautschuke – also Kunststoffe – entwickelt, um von den Kautschukplantagen in tropischen Gebieten unabhängig zu sein. Doch in jüngerer Zeit wird ein zunehmender Anteil des Gummibedarfs durch Naturkautschuk gedeckt – mit allen Umweltproblemen, die der Anbau in grossem Massstab mit sich bringt. So sind LKW- und Flugzeugreifen meist aus Naturkautschuk, während PKW-Reifen meist aus Synthesekautschuken bestehen. Spezielle Synthesekautschuke sind überdies das Neopren, aus dem Taucheranzüge bestehen, und der Nitrilkautschuk, aus dem die besonders undurchlässigen blauen Einmalhandschuhe in Labor und Arztpraxis gefertigt sind.

Silikone

Diese Polymere sind Exoten unter den Kunststoffen. Denn ihre Ketten bestehen nicht wie bei den übrigen Kunststoffen aus Kohlenstoff, sondern aus Silizium- und Sauerstoffatomen. Diese besondere Struktur verleiht Silikonen eine besonders gute Verträglichkeit mit unseren Körpergeweben, was sie als Material für Implantate (z.B. „Silikon-Brüste“) und andere Medizinprodukte beliebt macht. Die meisten Silikone im Alltag erscheinen elastisch wie „Gummi“. Deshalb sprechen Fachleute auch von „Silikonkautschuk“. Auch Küchengeräte sowie Schnuller („Nuggi“ in der Schweiz) aus Silikonkautschuk sind weit verbreitet, ebenso wie Fugendichtungsmasse in Badezimmer und Küche.

ABS-Kunststoffe (Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymere)

Als Copolymere bezeichnet man Polymere, deren Ketten sich aus verschiedenartigen Gliedern zusammensetzen. Damit sind auch DNA und Proteine Copolymere: Erstere bestehen aus 4, zweitere aus 20 verschiedenen Gliedersorten. Die ABS-Kunststoffe bestehen aus 3 grundlegenden Gliedersorten. Sie zeichnen sich durch besondere Schlagzähigkeit aus und lassen sich gut mit Metallen oder anderen Polymeren beschichten. Legosteine und Playmobil bestehen aus ABS-Kunststoffen, und diese Spielzeuge sind ja bekanntlich nahezu „unkaputtbar“. Ausserdem sind ABS-Kunststoffe als Material für Gehäuse von elektronischen Geräten, auch in Autos oder für robuste Teile von Musikinstrumenten und Sportgeräten begehrt.

Legosteine und Blutdruckmessgerät aus ABS-Kunststoff
Legosteine und das Gehäuse des Blutdruckmessgeräts bestehen aus robusten ABS-Kunststoffen. Auf der Innenseite der Batterieklappe des Blutdruckmessgeräts habe ich das Kürzel „ABS“ entdeckt, welches auf das Material hinweist.

Fazit

Kunststoffe bestehen aus sogenannten Polymeren – langen Molekülketten aus sich wiederholenden Gliedern – die vollständig oder teilweise im Labor bzw. industriell hergestellt werden. Der Ausgangsstoff für die Herstellung der meisten Kunststoffe ist Erdöl, doch kommen zunehmend Kunststoffe aus anderen, bestenfalls erneuerbaren Rohstoffquellen zum Einsatz.

Die Materialeigenschaften von Kunststoffen lassen sich nahezu nach Wunsch gestalten. Allerdings sind dazu oft Zusatzstoffe (Additive) nötig, die den Kunststoffen einen grossen Teil ihres schlechten Rufs eingebracht haben. Dennoch ist die Welt der Kunststoffe äusserst vielfältig und „Plastik“ längst nicht gleich „Plastik“. Es lohnt sich, nicht alle Kunststoffe über einen Kamm zu scheren. Insbesondere, da wir heutzutage kaummehr ohne sie auskommen.

Zu meinen Lieblingskunststoffen zählen wohl Polyethylen (darin kann man wirklich fast alles aufbewahren), die Polylactide (Biokunststoffe sind irgendwie cool) und die ABS-Kunststoffe (fast unkaputtbar…und ich liebe Lego… 😉 ). Welcher ist denn euer Lieblingskunststoff?