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Dieser Artikel enthält Affiliate-Links aus dem Amazon-Partnerprogramm (gekennzeichnet mit (*) ) – euch kosten sie nichts, mir bringen sie vielleicht etwas für meine Arbeit ein. Ich habe für diese Rezension ein Rezensionsexemplar des Buches erhalten. Es besteht kein Interessenkonflikt hinsichtlich des Inhalts in diesem Beitrag und dessen Publikation.

Die Geschichten in Keinsteins Kiste drehen sich in der Regel um den Alltag von heute – und der allein hat reichlich Spannendes zu bieten. Und manchmal scheint es gar so, als wäre die Wissenschaft fertig, könne alles erklären, was das Leben bietet, als könne die Technik alles leisten, was man zum Leben braucht. Und doch erwarten uns im Alltag von morgen unzählige neue Geschichten, die heute noch geradezu unglaublich klingen mögen – oder eben nach Science Fiction. Und genau diesen Geschichten widmet sich der Physiker Gerd Ganteför in seinem spannenden Buch „Heute Science Fiction, morgen Realität? – An den Grenzen des Wissens und darüber hinaus“.

[…]Doch Forschung ist nie am Ende und die Faszination der Wissenschaft ist ungebrochen, so Ganteför. Schliesslich gebe es Tausende von offenen und sehr spannenden Fragen.

Gibt es ein Ende der Welt? Sind wir dazu verurteilt, alt und schwach zu werden und zu sterben? Gibt es ausserirdisches Leben? Werden wir neue und unerschöpfliche Energiequellen entwickeln?

Diese und viele andere Fragen aus verschiedenen Diziplinen der Naturwissenschaft, die heute längst nicht nur Wissenschaftler bewegen, diskutiert Ganteför in seinem Buch – und die Häufigkeit, mit welcher er dabei zu der Antwort „möglich“ oder gar „bald möglich“ kommt, lässt mich staunen.

Zum Inhalt des Buches

Gibt es eigentlich noch etwas zu entdecken oder wissen wir schon alles? Werden wir immer einen Grossteil unseres Lebens arbeiten müssen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen? Wird es immer Krankheiten geben? […] Werden wir jemals die Sterne erreichen?

Diese Fragen, welche am Anfang des Buches stehen, lassen schon erahnen, dass die Forschung nicht nur in Ganteförs Augen noch lange nicht „fertig“ ist. Es gibt noch zahlreiche spannende und überaus weltbewegende Fragen zu beantworten. Überdies sind Visionen und die Forschung daran notwendig für eine weitere Entwicklung und damit den Erhalt der menschlichen Zivilisation.

So soll Ganteförs Buch in einer Zeit, in welcher viele Menschen dem wissenschaftlichen Fortschritt skeptisch gegenüber stehen, Möglichkeiten bzw. Chancen für die Bewältigung der heutigen grossen Probleme der Gesellschaft, die die Wissenschaft von morgen eröffnet, aufzeigen. Dazu sollen in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft die Grenzen des heutigen Wissens aufgezeigt werden, um dann einen Blick darüber hinaus auf das zu wagen, was uns hinter diesen Grenzen Aufregendes und Nützliches erwartet.

Ganteför beginnt seinen Rundgang ganz und gar nicht bescheiden mit dem Universum selbst. Zu Beginn miit den Eckdaten unseres Kosmos ausgerüstet geht es an die Fragen nach einer zweiten Erde irgendwo da draussen und möglichem Leben darauf. Mit Wasser scheint beides möglich, doch angesichts des unermesslichen Platzes im Universum und der Zeit, die die Evolution benötigt, ist laut Ganteför fraglich, ob zwei intelligente Zivilisationen in erreichbarer Nähe und zeitgleich erscheinen.

Daraus ergibt sich förmlich die Frage nach Reisen zu den Sternen. Da der Hyperraum uns, könnten wir ihn erreichen, uns der unverletzlichen Kausalität wegen die Rückkehr verweigern und das Beamen an den gleichen unfasssbaren Ressourcenmengen, wie sie schon Lawrence M. Krauss vor 19 Jahren in „Die Physik von Star Trek“ beschrieb, scheitern würde, bleibt uns für Langstreckenreisen im Weltraum letztlich die Kombination von Fusionsenergie und einem Staubstrahltriebwerk, das seinen Treibstoff während seiner Reise aus dem Raum aufliest.

Bei der näheren Betrachtung möglicher Energiequellen der Zukunft beschreibt Ganteför neben schwarzen Löchern als recht unwahrscheinliche künftige Energiequelle die Fusionsreaktoren, an welchen heute schon geforscht wird. Die Kernfusion bekommt man darin sogar hin – allerdings sie die Geräte für irgendeine Anwendung noch bei Weitem zu sperrig.

So wendet sich Ganteför als nächstes den Visionen der Biologie zu. Können die Dinosaurier wiederz um Leben erweckt werden? Das ist seit Jurassic Park wohl eine der populärsten Fragen an die Biologie. Unglücklicherweise hält sich DNA, wie gut sie auch konserviert ist, nicht länger als etwa eine Million Jahre, was die Dinos unerreichbar macht. Der Wiederbelebung in jüngerer Zeit ausgestorbener Arten sind Wissenschaftler jedoch aufregend nahe gekommen – wie auch der Molekularbiologie Martin Moder in „Treffen sich zwei Moleküle im Labor“ zu berichten weiss.

Eine weitere grosse Frage der Biologie ist jene nach dem Ursprung des Lebens – der heute im Umfeld heisser Quellen am Meeresgrund vermutet wird, wo die ersten Moleküle, die sich selbst reproduzieren können, entstanden sein mögen. Und da man über derartige Moleküle schon ziemlich viel weiss, ist laut Ganteför auch eine „synthetische“ Biologie von Menschenhand designter Lebewesen denkbar.

Die grossen Visionen der Medizin sind bei Ganteför die Fragen nach der Heilbarkeit aller Krankheiten einschliesslich Nervenverletzungen durch Unfälle, nach einem ewigen Leben oder zumindest einem verlangsamten Altern und der Erschaffung von „Supermenschen“. In allen drei Bereichen führt Ganteför das Verstehen von Körperfunktionen im ganz Kleinen (also auf molekularer Ebene) als Voraussetzung für diese grundsätzlich möglichen Errungenschaften an und gewährt spannende Einblicke in Gegenstände heutiger Forschung unter anderem zu personalisierter Medizin, Regeneration von Nervengewebe und zu den möglichen Gründen dafür, dass wir altern.

Von der Regeneration von Nervengewebe geht es im Kapitel „Geist und Bewusstsein“ zu den Möglichkeiten der Direktverbindung zwischen Computer und Gehirn: Kann man Daten von einem Computer ins Gehirn laden – oder umgekehrt den Inhalt eines Gehirns samt Bewusstsein auf einen Computer-Speicher schreiben? Können Computer Gedanken lesen? Oder gar selbst eine künstliche Intelligenz entwickeln? Was hier reichlich nach Fantasy klingt, ist tatsächlich Gegenstand heutiger Forschung, die Ganteför hier vorstellt.

Von den Visionen geht es schliesslich zu den Grenzen des Wissens in der Physik: Zunächst gibt Ganteför eine Übersicht über das heute etablierte, wenn auch nicht ganz problemfreie Standardmodell der Teilchenphysik, aus welchem sich die Fragen nach einer Weltformel, nach der Natur von Raum und Zeit und Teilchen als solchen bis hin zur Bedeutung des erst vor wenigen Jahren experimentell bestätigten Higgs-Feldes ergeben.

Neben den Teilchen gehören auch scheinbar unverrückbare Naturgesetze und -konstanten zu unserer heutigen physikalischen Welt. Warum die Naturgesetze so sind, wie sie sind, was die Werte der Naturgesetze bestimmt und warum in unserem Universum Leben möglich ist, sind heute noch weitgehend offene Fragen.

Auch das Universum selbst wirft noch unbeantwortete Fragen auf. Heute ist die Urknall-Theorie als Entstehungsgeschichte des Universums anerkannt, obwohl sie Fragen offen lässt: Warum gibt es im Universum keine Antimaterie? Expandierte das Universum am Anfang seines Daseins mit Überlichtgeschwindigkeit? Was war vor dem Urknall? Was ist dunkle Materie und woher kommt die dunkle Energie?

Das elfte und letzte Kapitel ist schliesslich eine Zusammenfassung des vorangehenden bunten Reigens von Visionen und offenen Fragen.

Mein Eindruck vom Buch

Gerd Ganteför bietet seinen Lesern einen spannenden und für Laien gut verständlichen Rundgang durch die Themen der Forschung von morgen: Da erwartet uns in Zukunft viel Aufregendes, das sich in Ganteförs überaus klarem und nüchternem Schreibstil sehr angenehm lesen lässt.

So vielfältig die diskutierten Fragen sind, so oberflächlich werden die einzelnen Forschungsgebiete im begrenzten Umfang des Buches auch dargestellt. Das wird besonders in den Kapiteln deutlich, welche Themen behandeln, die mir besonders vertraut sind: Dort sind mir wiederholt kleine inhaltliche Ungenauigkeiten ins Auge gefallen, wie das Aufzählen der Lichtgeschwindigkeit als Naturkonstante ohne zu erwähnen, dass Licht sich nur im Vakuum mit dieser Geschwindigkeit bewegt, oder die Behauptung, man sei heute noch nicht in der Lage, Energie aus Masse zu gewinnen (genau das ist die Grundlage der Energiegewinnung mittels Kernspaltung!).

Solche Ungenauigkeiten zu erwähnen mag als Korinthenkackerei angesehen werden, aber ich vermag nicht einzuschätzen, inwiefern sie auch in den Abschnitten auftauchen, die mir weniger vertraute Themen behandeln und dort womöglich zur Entstehung fehlerhafter Vorstellungen beitragen.

Wer sich für die beschriebenen Themengebiete näher interessiert, findet jedoch in den Literaturlisten am Ende jedes Kapitels reichlich vertiefendes Material zum Weiterlesen. Dabei kommen auch und vor allem die Netz-Nutzer unter den Lesern nicht zu kurz, denn erstaunlich viele Verweise führen zu Wikipedia und andere Wissens-Sammlungen (was in meinen Augen für die zunehmende Qualität der Inhalte solcher Portale spricht).

Darüber hinaus stellt Ganteför die behandelten Visionen und Möglichkeiten auffallend unkritisch dar. So findet man in seinem Buch keine tödlichen Designerviren, feindlichen Alien-Zivilisationen, ethischen Diskussionen über Tierversuche zur Wiederbelebung ausgestorbener Arten oder Nebenwirkungen von „Verbesserungen“ von Menschen.

Das entspricht der Zielsetzung, die der Autor gemäss Einleitung mit seinem Buch verfolgt: Nämlich in einer Zeit, in welcher Wissenschafts- und Fortschritts-Skeptiker vielerorts den Ton angeben, einen positiven Einblick in die Möglichkeiten, die uns die Forschung in Zukunft eröffnen kann, zu gewähren. Und diese Möglichkeiten sind gemäss Ganteför dafür geeignet, die grossen Probleme der Menschheit zu lösen.

Für eine sachliche Diskussion der Möglichkeiten und Anforderungen künftigen wissenschaftlichen Fortschritts an die Gesellschaft liefert das Buch nur eine Seite der Medaille. Wenn man die andere Seite durch den verbreiteten Wissenschafts-Skeptizismus als gegeben annimmt, liefert „Heute Science Fiction, morgen Realität“ ein wohltuendes, wenn nicht gar aufregendes Gegengewicht zu weit verbreitetem Pessimismus und vielfältiger Panikmache.

Eckdaten rund um das Buch

(*)

Textlink (Amazon): Gerd Ganteför: Heute Science Fiction, morgen Realität? – An den Grenzen des Wissens und darüber hinaus (*)
WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 2016
Hardcover, 224 Seiten
ISBN: 978-3-527-33881-8

 

Fazit

Mit „Heute Science Fiction, morgen Realität?“ bietet Gerd Ganteför auch und gerade absoluten Wissenschafts-Laien einen spannenden und leicht verständlichen Einblick in die Möglichkeiten der Wissenschaft von morgen, welche ebenso vielfältig bunt sind wie das Cover des Buches. Doch dank ebendieser Themenvielfalt bin auch ich als „Wissenschafts-Profi“ bei der Lektüre hier und da ins Staunen gekommen.

Die dargestellten Visionen kritisch zu betrachten und ethische Gesichtspunkte abzuwägen bleibt dabei ganz dem Leser überlassen. Wer gerne unkritisch staunt und sich von spannenden Aussichten verzaubern lässt, wird in diesem Buch eine kurzweilige und letztlich auch ermutigende Lektüre finden.

Und was ist eure liebste Zukunfts-Vision?

Der Weihnachtsstern : Himmelsphänomen oder Fantasieprodukt?

Als Beitrag zum Blogger-Adventskalender im Forum auf meinbloggerforum.de gibt es heute eine kleine vorweihnachtliche Geschichte…

Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg,
Führ uns zur Krippe hin, zeig, wo sie steht,
Leuchte du uns voran, bis wir dort sind,
Stern über Bethlehem, führ uns zum Kind…

Sarah sang leise vor sich hin, während sie eiligen Schrittes den langen Korridor entlang lief, darum bemüht mit ihrem Onkel Schritt zu halten. ‚Heute finde ich den Weihnachtsstern‘, dachte sie voller Vorfreude. Onkel Balthasar war Astronom in einer grossen Sternwarte, und heute hatte Sarah ihn dorthin begleiten dürfen, um das grosse Teleskop zu sehen und die Himmelsforscher bei ihrer Arbeit zu beobachten. Und um den Weihnachtsstern zu finden. Genauer gesagt, um heraus zu finden, was den Weihnachtsstern, den „Stern von Bethlehem“, so besonders machte.

Die Himmelsforscher waren nämlich furchtbar kluge Leute, die mehr über Sterne wussten als jeder andere. Schliesslich hatten sie all diese kompliziert aussehenden Instrumente und Computer, die Sarah nun vor sich sah, als die grosse Tür zum Kontrollraum sich vor ihnen öffnete. Rings umher blinkte und funkelte es von unzähligen Anzeigen und Armaturen. Und in der Mitte, gleich gegenüber der Tür, gewährte eine grosse Glasscheibe den Blick auf das grosse Teleskop in seiner Kuppelhalle.

Während Sarah sich mit staunenden Augen umsah, bemerkte sie kaum, wie der Onkel sie behutsam durch den Türrahmen in den Raum hinein schob. Zwei Männer wandten sich ihnen auf ihren Drehstühlen von den Armaturen her zu und sehen Onkel Balthasar und Sarah freundlich an.

„Das sind meine Kollegen Kaspar Kälin und Melchior Moretti“, stellte der Onkel sie vor, und beide nickten ihnen zu.

„Und du bist bestimmt Sarah, von welcher uns dein Onkel schon so viel erzählt hat.“

Kurz sah Sarah zu ihrem Onkel empor, ehe sie den beiden aufgeregt zunickte und grüsste. Wäre sie nur nicht so klein! Dann müsste sie nicht so angestrengt zu den grossen Kerlen hinaufschauen. Aber das war eben die Welt der Neunjährigen. Fast alles in der Welt war ein kleines Stück zu gross. Und gross waren nicht nur die Astronomen und ihre blinkenden Armaturen, sondern vor allem das Teleskop hinter der Glasscheibe.

„Wow“, entfuhr es Sarah, als ihre Füsse sie wie von selbst auf das Fenster zu trugen. „Damit schaut ihr jede Nacht in den Himmel? Damit muss man ja eine Menge sehen können…Da kennt ihr bestimmt jeden Stern und wisst alles über sie!“

„Sagen wir, ziemlich viel“, erklang Kaspars Stimme hinter ihr, und Sarah konnte ihn geradezu schmunzeln hören. Der sollte mal nicht so bescheiden tun.

„Was denn zum Beispiel?“, fragte Sarah herausfordernd, noch während sie sich umwandte.

„Was weisst du denn schon über die Sterne?“, gab Kaspar die Frage ruhig zurück, „Weisst du, warum sie am Himmel leuchten?“

„Na klar“, antwortete Sarah ohne Zögern. „Die Sterne sind superriesengrosse, wahnsinnig heisse Gaskugeln, die wie Feuer leuchten! Onkel Balthasar sagt, tief innen drin in einem Stern werden kleine Atome zu Grösseren zusammengeschmolzen, was das Feuer in Gang hält. Aber sie sind ganz, ganz weit weg, sodass wir sie nur als ganz kleine Punkte am Himmel sehen und nicht merken, dass sie heiss sind.“

Noch während Kaspar nicht ohne Erstaunen zu ihr hinabsah und nickte, kam Sarah ein Gedanke, der sie anfügen liess: „Habt ihr das Zusammenschmelzen in eurem Riesenteleskop gesehen?“

Kaspar mass den Onkel mit einem vielsagenden Blick und sah dann zum Teleskop hinüber. „Nein, so stark ist nicht einmal unser Teleskop. Selbst in die Sonne können wir damit nicht so genau hinein schauen. Aber die Sterne verraten uns trotzdem eine Menge über die Atome, aus denen sie bestehen.“

Nun machte Sarah grosse Augen. „Wie denn das?“

Der andere Himmelsforscher mit Namen Melchior schaltete sich ein. „Hast du schon einmal ein Prisma gesehen? Einen regelmässig geschliffenen Glasgegenstand, der das Licht in Regenbogenfarben zerlegt?“

Sarah nickt eifrig. Bei Onkel Balthasar hatte sie einmal solch ein Prisma gefunden und mit grosser Freude Regenbögen aus jedem Lampenschein gemacht.

Und Melchior fährt fort: „So eine Art Prisma können wir auch in das Teleskop einbauen. Wenn wir es dann auf einen Stern richten, sehen wir das Sternenlicht nicht mehr weisslich, sondern in all seine Farben zerlegt – als Regenbogen. Und das sieht dann so aus.“ Damit deutete er auf einen Bildschirm, welcher nun eine bunte Regenbogen-Grafik zeigte:

 

Lichtspektrum mit Fraunhofer-Linien

 

„So schön!“, ruft Sarah aus und betrachtet aufmerksam das Bild. „Nur schade, dass der Bildschirm irgendwie kaputt ist. Da sind ja überall schwarze Linien drauf!“

Melchior lachte leise, während er sich von hinten über sie beugte. „Der Bildschirm ist in bester Ordnung. Diese Linien gehören zu dem Bild – man nennt es ein Spektrum des Sternenlichts – und sie sind das, was für uns Himmelsforscher so spannend ist. Überall, wo eine schwarze Linie auftaucht, fehlt nämlich die entsprechende Regenbogenfarbe.“

„Die Farben fehlen? Wo sind sie den weggekommen? Hat irgendwas sie aufgefressen?“

„Hm…so könnte man es sagen“, erwidert Melchior. „Die Lichtfresser, die hier am Werk sind, sind die Atome des Sterns. Jede Sorte von Atomen ist nämlich auf seine ganz eigene Weise gebaut und kann Licht in ganz bestimmten Farben schlucken.“

Sarah dachte ein Weilchen scharf nach, ehe sie langsam nickte. Onkel Balthasar hatte ihr einmal von den Atomhüllen-Häusern erzählt, in welchen die Elektronen mit Hilfe der Lichtenergie zwischen den Etagen Aufzug fahren. Nur wenn ein Elektron die passende Energieportion erhält, kann es ein höher gelegenes Stockwerk erreichen und „schluckt“ dabei das Licht.

„Dann entsteht also jede schwarze Linie, weil es Elektronen gibt, die genau die dortige Farbe schlucken?“

„So ist es“, bestätigt Melchior. „Und weil wir wissen, in welchen Atomsorten es welche Etagen-Abstände gibt, verraten uns die schwarzen Linien, welche Sorten von Atomen zwischen uns und dem Ursprung des Lichtes sind.“

„Aber Onkel Balthasar sagt, im Weltraum ist gar nichts, zumindest fast!“, wendet Sarah ein.

„Deswegen funktioniert der Trick mit den Linien ja so wunderbar. Das Licht eines Sterns kommt tief aus seinem Inneren. Das heisst, es muss an den Atomen seiner Aussenschicht vorbei, wenn es nach draussen strahlt. Dabei werden bestimmte Farben geschluckt, während das Licht auf seinem Weg durch den Weltraum nahezu ungestört bleibt. Sofern uns die Atome in der Lufthülle der Erde nicht in die Quere kommen, können wir so die Linien sehen, die in der Aussenschicht des Sterns entstanden sind.“

„Und die Linien zeigen auch, wie die Atome verschmelzen?“

„Nicht direkt. Das Verschmelzen findet nämlich ganz tief in der Mitte des Sterns statt. Und leider sind Sterne innen völlig undurchsichtig. Aber wenn wir einmal wissen, welche Atome es in der Aussenschicht gibt, kann ein Computer ausrechnen, wie sie dort hingekommen sind.“

„Wie kamen sie denn dort hin?“

„Die meisten Atome, Wasserstoff und fast alles Helium, sind freilich Urzeit-Staub, der schon so uralt ist wie das Universums selbst und sich irgendwann zu einem Stern zusammengeballt hat. Ein paar Atome schwererer Elemente sind allerdings jünger. Diese sind, so haben Computer es ausgerechnet, im Innern von Urzeit-Sternen, wo es unglaublich heiss war und die Atome unglaublich dicht aufeinander gedrückt wurden, zusammengeschmolzen worden. Anschliessend sind die Urzeit-Sterne wieder zu Staub geworden, der sich zu unseren heutigen Sternen zusammengeballt hat. Und da es in deren Innern wieder heiss und dicht ist, können dort wieder Atome verschmolzen werden und die Sterne zum Leuchten bringen.“

Darüber musste Sarah eine ganze Weile nachdenken. „Und der Weihnachtsstern, der über Bethlehem geschienen hat“, fragt sie schliesslich, „war der so ein Urzeit-Stern? Sind in ihm vielleicht ganz besondere Atome entstanden?“

Diese Frage hatte dazu geführt, dass Onkel Balthasar ihr den Besuch in der Sternwarte versprochen hatte und sie nun hier war. Voller Spannung sah Sarah zu den Himmelsforschern auf – und verspürte aufkommende Enttäuschung, als sie die hilflosen Blicke las, welche die drei untereinander austauschten. Echt jetzt? Da hatten sie so viel Wissen und all diese Geräte… und waren schon damit am Ende?

Doch noch ehe ihre Enttäuschung sich wirklich zeigen konnte, ergriff Kaspar wieder das Wort: „Weisst du, der Weihnachtsstern macht selbst uns gewisse Schwierigkeiten. Denn er hat ja vor sehr, sehr langer Zeit, vor über 2000 Jahren, geleuchtet und war, nach allem, was wir wissen, nur wenige Wochen am Himmel zu sehen. Aber ein Urzeit-Stern war er nicht. Die ersten Sterne haben nämlich vor über 10 Milliarden Jahren geleuchtet – das ist eine 1 mit 10 Nullen, oder eine Million mal früher als der Weihnachtsstern zu sehen war.“

„Das ist unvorstellbar lang…Damit ist der Weihnachtsstern ja irgendwie schon wieder…modern“, überlegte Sarah. „Dann könnten in seinem Innern trotzdem neue Atome entstanden sein…“

„Was der Weihnachtsstern über Betlehem wirklich war, können wir heute nur raten“, erklärte Kaspar weiter. „Denn die Himmelsforscher, die damals die Sterne beobachtet haben und einem von ihnen nach Betlehem gefolgt sein wollen, hatten weder Teleskope noch Computer. Sie konnten nur deuten, was sie mit ihren eigenen Augen sahen und mit einem Schreibstäbchen auf ihren Tontafeln rechnen und für später aufschreiben konnten.“

„Und was habt ihr daraus erraten können?“, drängte Sarah weiter. Konnte das Rätsel um den Weihnachtsstern nun doch eine Lösung haben?

Onkel Balthasar liess sich auf einem Drehstuhl nieder und zog sie auf seinen Schoss, um sich mit ihr einem weiteren Terminal zuzudrehen. Ein paar Tastendrücke später erschien darauf ein farbenfroher Weltraum-Nebel.

„Es kommt vor“, erklärte der Onkel, „dass ein scheinbar neuer Stern aufleuchtet, wenn ein uralter Stern am Ende seines Lebens explodiert. Eine solche Explosion, die wir Nova oder, wenn sie richtig heftig ist, Supernova nennen, hinterlässt aber „Dreck“: leuchtende Nebel im Weltraum, die man auch Jahrtausende danach noch sehen kann.

Krebs-Nebel : Überrest einer Supernova, die für den Weihnachtsstern rund 1000 Jahre zu spät erschien.

Die Explosion dieses Sterns wurde im Jahr 1054 nach Christi Geburt am Himmel sichtbar. Himmelsforscher haben den hellen neuen Stern, der damals ganz plötzlich aufgetaucht war, bemerkt und ihre Beobachtung aufgeschrieben. Dieses Bild hat allerdings das Teleskop „Hubble“, das im leeren Weltraum um die Erde kreist, erst vor ein paar Jahren aufgenommen. Computer können den Weg der Nebelschleier zurückrechnen und kommen zu dem Ergebnis, dass sie im Jahr 1054 in einem Stern vereint waren und von da an auseinandergeflogen sind. Damit passt der „Krebs-Nebel“ wunderbar zu den Notizen von damals. Einen solchen Nebel, der um das Jahr 0 herum entstanden sein muss, hat aber noch niemand gefunden.“

„Dann war der Weihnachtsstern also keine Sternenexplosion…irgendwie schade“, kommentiert Sarah.

Der Onkel tippte schon wieder auf der Konsole herum, und als nächstes erschien ein Bild von einem leuchtenden Himmelskörper mit einem beeindruckenden Schweif.

„Der sieht ja aus wie der Stern auf unserer Holzkrippe!“, ruft Sarah aus.

„Allerdings“, stimmt Onkel Balthasar zu und fährt fort, „Das ist ein Komet – ein grosser Klumpen aus Stein und Eis, der auf einer sehr, sehr langen Bahn um die Sonne kreist und immer dann, wenn er in ihre Nähe gerät, vom Sonnen-Gegenwind einen Schweif bekommt.“

„So wie der Wind beim Radfahren meinen Pferdeschwanz hinter mir her flattern lässt! – Dann ist der Weihnachtsstern auch so ein Komet?“

„Das glaubten zumindest die Bibelforscher in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christi Geburt, weshalb schon auf sehr alten Bildern vom Stall in Bethlehem der Stern als Komet mit Schweif dargestellt wird. Allerdings können wir heute die Bahnen der Kometen ziemlich genau berechnen und wissen, wann sie an der Sonne vorbeikommen – und vorbeigekommen sind.“

„Und…?“

„Unglücklicherweise ist einer der berühmtesten Kometen, der Halley’sche Komet, im Herbst des Jahres 12 vor  Christi Geburt am Himmel erschienen – also eindeutig ein paar Jahre zu früh, selbst wenn man alle Ungenauigkeiten berücksichtigt, die die Historiker erlauben. Um das Jahr 0 herum gab es dafür keinen Kometen. Dafür spricht übrigens auch, dass scheinbar niemand ausser den Gestalten in der Bibel einen bemerkt und etwas darüber aufgeschrieben hat.“

Wieder spürte Sarah die Enttäuschung aufkommen. „Aber…Was ist der Weihnachtsstern dann gewesen?“

Noch einmal tippte der Onkel auf den Tasten, und dieses Mal erschien ein Abbild des Sternenhimmels, auf welchem sich zwei einzelne Sterne langsam zwischen den anderen hindurch und aufeinander zu bewegten.

„Die hellsten scheinbaren Sterne am Himmel sind die Planeten unseres Sonnensystems, die von der Sonne angeleuchtet werden. Anders als richtige Sterne, die gemeinsam auf- und untergehen, wandern Planeten auf Bahnen, die wir berechnen können, über den Nachthimmel. Man findet sie deshalb jede Nacht ein Stück weitergerückt, sodass sie sich über Wochen am Himmel entlang zu bewegen scheinen. Und wenn sich zwei der ohnehin schon hell leuchtenden Planeten dabei am gleichen Flecken „begegnen“, erscheinen sie dem blossen Auge gemeinsam als ein noch hellerer Stern.“

„Und das ist im Jahr 0 passiert?“

„Wenn man die Bewegungen der Planeten auf ihren Bahnen zurückrechnet, stellt man fest, dass Jupiter und Venus sich im Jahre 3 vor Christi Geburt auf diese Weise am Himmel begegnet sein müssen. Und das gleich 3 Mal innerhalb weniger Wochen! Drei Jahre zu früh liegt ausserdem im Bereich der Ungenauigkeiten, die die Historiker dulden. Darüber, ob die Himmelsforscher aus dem Morgenland sich daraus ihrer Zeit einen Reim auf Bethlehem als Geburtsort eines neuen Königs machen konnten, ist man sich heute allerdings nicht einig.“

„Aber möglich wärs?“

„Hm…vermutlich“, räumt Onkel Balthasar ein. „Am wahrscheinlichsten ist, dass die weisen Himmelsforscher die Wege und Standorte der Planeten am Himmel, zu denen auch das Treffen zwischen Jupiter und Venus gehörte, mit ihrer eigenen Astrologie gedeutet haben. Und weil diese Astrologie wohl ziemlich kompliziert war, hat der Evangelist Matthäus, der in seiner Weihnachtsgeschichte in der Bibel von den Weisen aus dem Morgenlang geschrieben hat, das Ganze schlicht und einfach als ‚Stern über Bethlehem‘ beschrieben.“

„Dann gibt es also kein Regenbogenspektrum, das euch etwas über den Weihnachtsstern erzählen könnte? Ich hatte so gehofft, es würde etwas ganz Besonderes sein…“

Jetzt kamen die drei Himmelsforscher in der Sternwarte gehörig ins Grübeln.

„Vielleicht doch“, meinte Kaspar schliesslich, „Wenn die Weisen aus dem Morgenland über den Aufbau der Atome und die Linien im Spektrum Bescheid gewusst und ein Teleskop mit Prisma zur Hand gehabt hätten, hätten sie damit das Sonnenlicht sehen können, das von den angestrahlten Planeten zurückgeworfen wurde. Und damit hätten sie, wenn sie die Linien der Sonne gekannt hätten, etwas über die Atome in den Gashüllen der Planeten erfahren können.“

Sarah konnte das breite Lächeln ihres Onkels in der spiegelnden Bildschirmoberfläche sehen, als der hinzufügte: „Der Weihnachtsstern mag zwar keine leuchtende Gaskugel sein, wie die anderen Sterne. Aber dass er etwas über die Planeten unseres Sonnensystems zu erzählen wusste, macht ihn trotzdem zu etwas ganz besonderem, findest du nicht?“

Lächelnd nickt Sarah dem Bildschirm zu, dann drehte sie sich um: „So wie du! Wer hat schon einen Onkel, der so schlaue Freunde hat und so viel über Sterne weiss?“

„Und wer hat schon eine Nichte, die sich so für Sterne begeistern kann?“

Anstatt etwas zu erwidern schlang Sarah dem Onkel die Arme um den Hals und drückte ihn einfach an sich. Dann sah sie mit leuchtenden Augen zu ihm auf. „Zeigst du mir jetzt, wie das grosse Teleskop funktioniert…?“

 

Und wer (oder was) ist für euch (nicht nur an Weihnachten) etwas Besonderes?