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Experiment: Gips für alle Sinne

In der Alltagskiste hat kürzlich eine Leserin die Frage gestellt, warum Gips sich nur einmal verwenden lässt. Die Antwort: Gips härtet aus, indem die winzigen Kristalle im Gipspulver Wasser aufnehmen und – weil sich ihr innerer Aufbau dabei ändert – zu einem dichten Gestrüpp verwachsen. Und wenn einmal Wasser drin ist, kann nicht noch mehr davon eingebaut werden.

Darüber zu lesen ist eine Sache, diese Chemie mit allen Sinnen zu erleben – und vielleicht sogar selbst Gips zu recyceln – ist eine ganz andere. Deshalb habe ich mich in den Baumarkt aufgemacht und Gips gesucht, um das Ganze auszutesten. Was dabei herauskommt und wie ihr die spannenden Eigenschaften dieses Werkstoffs selbst erforschen könnt, verrate ich euch hier.

Das richtige Ausgangsmaterial

Gipspulver besteht aus Calciumsulfat mit ein wenig Kristallwasser (CaSO4*1/2 H2O), d.h. aus gebranntem Gips. Das Aushärten und anschliessende Recycling funktioniert nur mit diesem Stoff, weshalb ihr unbedingt darauf achten solltet, dass euer Gipspulver wirklich aus gebranntem Gips besteht. In der Bastelabteilung meines Schweizer Baumarkts im Dorf habe ich nämlich verschiedene Kunststoff-Zubereitungen mit ähnlichen Eigenschaften gefunden – aber keinen Gips.

In der Männer-Domäne hatte ich dann mehr Glück: Dort gibt es die klassische Fugen-Spachtelmasse „auf Naturgips-Basis“ der auch in Deutschland bekannten Firma Molto (und nein, das ist keine Schleichwerbung – Moltofill-Pulver kam dem blossen Calciumsulfat am nächsten, ist in handlich kleinen Mengen erhältlich und erst noch günstiger als die Produkte in der Bastel-Abteilung), für das ich mich aus genannten Gründen entschieden habe.

Was ihr sonst noch braucht

  • Drei Einweg-Behälter zum Ansetzen der Gipsmischung: Zwei davon werdet ihr nach dem Experiment nicht mehr reinigen können, mindestens einen müsst ihr schlimmstenfalls zerstören. Ich habe deshalb saubere Joghurt-Becher verwendet
  • Einen Holzstab oder ähnliches zum Umrühren
  • Wasser aus der Leitung
  • Zeitungspapier oder eine ähnliche Unterlage, um euren Arbeitsplatz zu schonen
  • Einen Hammer und ggfs. Mörser und Stössel
  • Schutzbrillen
  • Eine Alu-Schale oder ein ähnlich ofenfestes Behältnis, das nicht (mehr) zum Kochen Verwendung findet
  • Einen Backofen, bestenfalls mit Umluft-Beheizung

Gips ansetzen

Die Anleitung auf der Packung ist einfach: Gebt einen Teil Wasser in einen Joghurt-Becher und zwei Teile Gips-Pulver dazu. Rührt das Ganze um, bis sich eine gleichmässig matschige Pampe bildet (der Hersteller hat mit Zusätzen dafür gesorgt, dass die Masse beim Umrühren nicht sofort aushärtet). Wartet nun mindestens eine Stunde und beobachtet die Gipsmasse.

Wenn ihr währenddessen den Becher mit der Gipsmasse in die Hand nehmt und vorsichtig drückt, könnt ihr feststellen: Die Masse wird hart und dabei deutlich warm (keine Angst: nicht heiss): Beim Einbau des Wassers in die Gips-Kristalle wird nämlich Energie in Form von Wärme frei!

Da die Natur bequem ist und alle Dinge einen möglichst energiearmen Zustand bevorzugen, laufen Vorgänge, bei welchen Energie frei wird, von selbst ab – so auch das Aushärten von Gips.

Lasst den Gips nun einige Stunden abkühlen und weiter aushärten. Holt den festen Gipsblock dann (z.B. am nächsten Tag) aus dem Behälter (vielleicht müsst ihr den Joghurtbecher dazu zerschneiden: Der Gips wird beim Aushärten auch ein wenig grösser, sodass er ziemlich fest im Becher sitzen kann). Lagert ihn ein paar Tage an einem warmen, trockenen Ort an der Luft, bis er wirklich hart und nicht mehr feucht ist.

Vorbereitung zum Recycling

Stellt die Alu-Schale auf einen harten Boden (ich habe den nackten Boden meines Balkons gewählt, der durch Hammerschläge keinen Schaden nimmt) und legt euren Gipsblock hinein. Zieht nun unbedingt eine Schutzbrille an! Dann zerkleinert ihr den Block, indem ihr mit dem Hammer darauf schlagt.

Gips zertrümmert in Aluschale

Ihr werdet feststellen: Die feste Gipsmasse ist wirklich sehr hart! Die Sache erfordert daher Geduld und Ausdauer, aber schlagt den Gips sorgfältig in kleine Stücke. Geht dabei behutsam vor, damit nicht alles herumspritzt und die Nachbarn vom Lärm nicht wahnsinnig werden. Anschliessend könnt ihr den Gipsgries in einem Mörser zu Pulver zerreiben.

Gipsgries und Mörser mit Stössel

Es ist atemberaubend (im wahrsten Sinne des Wortes!), wie aus dem ursprünglichen Gipspulver ein derart hartes, steinähnliches Material geworden ist – und das nur durch etwas Wasser!

Für alle Skeptiker: Die Gegenprobe

Nehmt einen kleinen Teil des Pulvers, das ihr aus dem gehärteten Gips hergestellt habt und vermengt ihn in einem neuen Joghurtbecher mit etwas Wasser, bis wieder eine weiche Pampe entsteht – und lasst sie eine Weile stehen. Dieses Mal wird der Gips nicht aushärten.

Gips brennen

Verteilt das übrige Pulver in der Aluschale und platziert diese im Backofen. Stellt die Temperatur auf 150°C und wählt, wenn vorhanden, einen Betriebsmodus mit Umluft (Heissluft). Ich habe den Pizza-Modus verwendet, in welchem neben dem Umluftgebläse auch Unterhitze zum Einsatz kommt. Die bewegte Luft im Umluft-Modus trägt das verdampfende Wasser zügig vom Gipspulver fort, sodass der Gips zügig „trocknen“ kann.

Nachdem bei der Aufnahme des Wassers in den Gips Wärme frei geworden ist, verlassen die Wasserteilchen die Kristalle nicht mehr so ohne Weiteres. Ihr müsst Energie aufwenden, um  – dem Lauf der Natur entgegengesetzt – aus dem „bequemen“, energiearmen Gips mit viel Wasser einen energiereicheren Gips mit wenig Kristall-Wasser zu machen. Der Ofen liefert diese Energie in Form von Wärme.

Schaltet den Ofen nach mindestens 90 Minuten ab und lasst das Pulver an einem trockenen Ort abkühlen.

Der grosse Augenblick: Den selbstgebrannten Gips neu ansetzen

Gebt euer Pulver wie anfangs beschrieben in den dritten Joghurt-Becher. Auch hier gilt: Auf einen Teil Wasser kommen zwei Teile Gips. Beobachtet die so entstehende Masse. Härtet sie aus? Wird sie genauso warm wie die originale Spachtelmasse?

Gips ansetzen im Joghurtbecher

Ich habe meinen Becher in der Hand gehalten, während ich mein selbstgebranntes Gipspulver mit kaltem Wasser vermischt habe. Das Gemisch ist sofort warm geworden! Das heisst: Der Gips hat Wasser aufgenommen! Wie erwartet ist er in der folgenden Stunde hart geworden – nicht so steinhart wie das originale Moltofill,  aber eindeutig fest. In den nächsten Tagen muss meine Probe noch vollständig durchtrocknen. Sobald das geschehen ist, gibt es hier noch ein Update zur endgültigen Härte der recycelten Gipsmasse.

In jedem Fall könnt ihr damit beweisen: Gips kann wirklich mehr als einmal härten – wenn man sich die Mühe macht und ihm die dazu nötige Energie wiedergibt!

Und wie funktioniert das Recyceln von Gips bei euch?

Hast du das Experiment nachgemacht: 

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Wenn etwas nicht oder nur teilweise funktioniert haben sollte, schreibt es in die Kommentare. Ich helfe gerne bei der Fehlersuche!

Gips- Ein Einmal-Werkstoff?

Warum kann man Gips nach dem Aushärten nicht einfach in Wasser aufweichen und wiederverwenden? – fragt der neugierige Sohn einer Leserin.

Diese spannende Frage habe ich samt Antwort zur Blogparade „Krasse Alltagsfragen“ auf 100Woerter.de eingereicht.

Die gute Nachricht: Wiederverwenden kann man Gips schon, sogar vollständig und beliebig oft!

Die schlechte Nachricht: Einfach wieder aufweichen funktioniert tatsächlich nicht (und für viele Anwendungen, wie Gipsverbände und -modelle ist das ja eigentlich sehr praktisch).

Aber warum wird Gipsmasse eigentlich hart, und wie kann man sie nun wiederverwenden?

 

Was ist Gips?

Gips ist aus Chemikersicht eine Ionenverbindung, also ein „Salz“ namens Calciumsulfat. Er setzt sich also aus Calcium- (Ca2+-) und Sulfat(SO42--)Ionen zusammen, die sich zu einem regelmässig aufgebauten Kristallgitter anordnen. Das besondere an diesem Ionenkristall ist allerdings, dass zwischen den Ionen auch Wassermoleküle in den Kristall eingebaut sind. Die vollständige chemische Formel für Gips – wie er in der Natur vorkommt – lautet daher

CaSO4 * 2H2O (zu lesen: Calciumsulfat mit 2 Wasser).

Der vollständige chemische Name lautet damit „Calciumsulfat-Diyhdrat“. Die Formel verrät uns: In diesem Kristall findet man für jedes Calcium- bzw. Sulfat-Ion zwei Moleküle Wasser. Das Wasser, welches auf solche Weise in Ionenkristallen steckt, wird auch „Kristallwasser“ genannt.

Gips ist ein sehr häufig vorkommendes Mineral und wird von den Mineralienforschern auch Gipsspat oder Selenit genannt.

Mineral: Gips-Kristalle (Gipsspat, Selenit) aus meiner Mineraliensammlung

Gipskristalle aus meiner Mineraliensammlung

Solche Gipskristalle sind genauso wie ausgehärtete Gips-Modelle oder -verbände in Wasser praktisch unlöslich.

 

Wie macht man daraus den Werkstoff zum „Gipsen“?

Die Wassermoleküle in einem Ionenkristall sind nicht fest in das Gitter eingebaut – sie stecken vielmehr passgenau in den Lücken. So kann das Kristallwasser wie flüssiges Wasser verdampfen, wenn man den Kristall erwärmt: Die Wassermoleküle machen sich in die umgebende Luft davon, sodass der Kristall, CaSO4, ohne Wasser zurückbleibt.

Um Gipspulver zum Handwerken, Modellieren oder zur Versorgung von Knochenbrüchen herzustellen, werden Gipsgestein oder Gipsabfälle von anderen Prozessen in der Chemie-Industrie fein gemahlen und auf ca. 130°C erhitzt. Wenn man den Gips nicht zu lange bei dieser Temperatur „brennt“, verdampfen rund drei Viertel des ursprünglichen Kristallwassers aus dem Gips. Zurück bleiben Kristallgitter der Zusammensetzung

Halbe Wassermoleküle gibt es natürlich nicht! Vielmehr sagt uns die Formel, dass nun nurmehr auf jedes zweite Calcium- bzw. Sulfat-Ion ein Wassermolekül kommt.

Diesen „gebrannten“ Gips, auch Calciumsulfat-Halbhydrat oder Bassanit genannt, kannst du im Baumarkt oder im Bastelbedarf in Pulverform zum Ansetzen kaufen.

 

Warum wird angesetzter Gips hart?

Das gebrannte, wasserarme Gipspulver kann sich das fehlende Kristallwasser aus der Umgebung zurückholen – wenn es in der Umgebung Wasser hat. So ist gebrannter Gips mässig wasserlöslich. Sobald du das Gipspulver in Wasser streust (laut Gipsherstellern ca. 150g Gips in 100ml Wasser), wachsen darin binnen Minuten neue Kristalle, welche die ursprüngliche Menge an Kristallwasser (CaSO4* 2H2O) enthalten:

Diese Kristalle haben die Form langer, feiner Nadeln, die in der Enge des Gipsbreies zunehmend miteinander verfilzen. Dieser Kristallfilz erscheint uns schliesslich als feste, starre Masse: Der Gips „bindet ab“.

Dabei wächst die Gipsmasse ein kleines Bisschen: Ihr Volumen wird um ca. 1% grösser! Ausserdem wird beim Abbinden Energie frei (die Reaktion ist exotherm). Die Natur ist nämlich faul, sodass alle Dinge danach streben, möglichst viel Energie loszuwerden. Und Calciumsulfat mit 2 Wasser ist ein energieärmerer („bequemerer“) Zustand als Calciumsulfat mit 1/2 Wasser. So sorgt die Bequemlichkeit der Natur dafür, dass Gipsmasse ohne dein Zutun „von selbst“ abhärtet. Die Temperatur der Gipsmasse kann dabei anfangs sogar um ein paar Grad, also merklich ansteigen!

Gebrannter Gips kann sich sein Wasser damit überigens auch aus feuchter Luft holen – bewahre Gipspulver daher unbedingt trocken und in luftdicht verschlossenen Behältern auf!

 

Wie lange dauert das Abbinden? Kann man die Abbindezeit steuern?

Heimwerker und Gipshersteller geben für frischen Gips, der ohne Umrühren in sauberen Gefässen angesetzt wird, eine Zeit von bis zu 20 Minuten bis zum Abbinden an.

Das Wachstum von Kristallen kann allerdings erleichtert bzw. beschleunigt werden, indem man ihnen einen „Ansatz“ zum Weiterwachsen bietet. Am einfachsten wachsen bereits vorhandene Gipskristalle weiter. So geben Partikel in altem Gips, die sich bereits Wassermoleküle aus der Luft einverleibt haben, oder alte, bereits ausgehärtete Gipsreste im Gefäss perfekte „Kristallisationskeime“ ab. Doch auch andere Salze aus kleinen Ionen, wie Kochsalz, Natron, Kalk oder andere, basische Sulfate können den nötigen „Anreiz“ zum Anwachsen bieten.

Setze deinen Gips daher unbedingt in einem wirklich sauberen Gefäss an – es sei denn, du möchtest, dass er sehr schnell abbindet. Dann kann ein wenig zugegebenes Salz oder auch schon blosses Umrühren der Gipsmasse gemäss Erfahrungen von Heimwerkern das Härten massgeblich beschleunigen.

Erhitze den Gips allerdings nicht, wenn zu viel Wasser darin sein sollte! Kristalle brauchen nämlich Zeit zum Wachsen. Werden sie, zum Beispiel durch das gezielte Verdampfen des Wassers, gehetzt, werden die Kristalle weniger formschön oder gar gross – und der abgebundene Gips damit weniger beständig.

Grosse bis sehr grosse Moleküle in der Gipsmasse stören den Aufbau der Kristalle: Essig und andere organische Verbindungen bestehen aus solchen mehr oder minder sperrigen, oft verzweigten Molekülen. Zu den ganz Grossen zählt auch Tapetenkleister (der besteht aus Methylzellulose, regelrechten „Spaghetti-Molekülen“  aus tausenden bis zehntausenden Atomen!), den manche Heimwerker zur Verzögerung des Abbindens in Gipsmasse mischen. Es ist nämlich ziemlich mühsam, solche Molekülbrocken in regelmässige Kristalle einzubauen – und das Ergebnis ist dann auch nicht gerade schön. So bindet Gips mit solchen Zusätzen nicht nur langsamer ab, sondern ist nachher meist auch weniger beständig.

 

Wie kann man Gips wiederverwenden?

Das Bisherige zusammengefasst: Gips ist ein Mineral, das in der Natur vorkommt. Das Gipspulver, aus dem man Gipsmasse zum Verarbeiten ansetzen kann, wird daraus hergestellt, indem man durch Erhitzen einen Teil des Kristallwassers aus dem Gips entfernt. Beim Abbinden der Gipsmasse wird dann neues Wasser in die Kristalle eingebaut.

Das bedeutet, dass auch bereits ausgehärteter Gips zerkleinert und erneut gebrannt, d.h. erhitzt und um einen Teil seines Kristallwassers gebracht werden kann. Die dazu nötige Temperatur von 130°C kann theoretisch schon in einem Haushaltsbackofen erreicht werden. Anschliessend kann der Gips neu mit Wasser angesetzt und verarbeitet werden.

Deshalb wird Gips von der Industrie auch als „vollständig recycelbarer Rohstoff“ angepriesen!

Bei all dem sollte man nur achtgeben, den Gips nicht zu lange oder gar zu heiss zu brennen: Spätestens bei 1180°C entsteht nämlich Anhydrit, CaSO4, ein wasserfreier „Gips“-Kristall, der sein Wasser nur langsam bis gar nicht zurücknimmt: Dieser Gips ist „totgebrannt“ – nicht mehr zur Verarbeitung zu gebrauchen.

Ob und wie Gips sich im Hausgebrauch recyceln lässt, habe ich hier ausprobiert als Freitags-Experiment vorgestellt: Es funktioniert!