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Desinfektionsmittel - Was ist wirklich sinnvoll?

Der (oder das, beides ist richtig) neue Corona-Virus aus China alias COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 ist in aller Munde – und Desinfektionsmittel erfreuen sich gerade grösster Beliebtheit. Selbst in unserem Dorfsupermarkt sind sie praktisch ausverkauft. Einige Medien veröffentlichen sogar Anleitungen für DIY-Hände-Desinfektionsmittel. „Das wäre doch ein Thema für Keinsteins Kiste“, meint mein Partner, als er ein solches Rezept liest.

Normalerweise bin ich ja für Alltags-Chemie zum Selbermachen sofort zu haben. Aber macht die Verwendung von Desinfektionsmitteln im Alltag überhaupt Sinn? Können wir uns damit vor Infektionen schützen? Oder hebeln die Nebenwirkungen solcher Mittel den Nutzen vollkommen aus?

Gleich vorweg: Die Antwort auf die letzte Frage lautet in der Regel „ja“. Deshalb bringe ich das erwähnte Rezept auch nicht als Experiment. Denn das Hamstern von Desinfektionsmitteln oder deren Bestandteilen ist für die meisten von uns nicht sinnvoll, sondern bereitet nur jenen, die wirklich darauf angewiesen sind, Schwierigkeiten bei der Beschaffung.

Stattdessen zeige ich euch, wie Desinfektionsmittel funktionieren und warum sie im Alltag meist mehr Probleme als Nutzen bringen. Und für Interessierte bzw. darauf Angewiesene verlinke ich im Verlauf das Original der verbreiteten Rezeptur.

Wie funktionieren Desinfektionsmittel?

Unsere Haut und unsere Umgebung sind von Myriaden Kleinstlebewesen besiedelt. Durch Berührung können sie von einer (Haut-)Oberfläche zur nächsten übertragen werden. Und einige dieser Mikroben können uns krank machen – besonders dann, wenn sie einen Weg durch offene Wunden finden oder/und unser Immunsystem nicht so funktioniert wie es soll.

Beides – Wunden und schlecht funktionierende Immunsysteme – findet man in Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Pflegeeinrichtungen besonders häufig. Deshalb gehört es zum Arbeitsalltag von Ärzten und Pflegern, sich immer wieder die Hände mit einem Desinfektionsmittel einzureiben. So wird die Gefahr minimiert, dass sie womöglich gefährliche Erreger von einem Patienten zum nächsten tragen.

Was ein Desinfektionsmittel können muss

Um das zu leisten muss ein Desinfektionsmittel verschiedene Gruppen von Erregern an den Händen (und medizinischen Geräten etc.) innerhalb kürzester Zeit unschädlich machen:

  • Bakterien
  • Pilze
  • Sporen der ersten beiden
  • Viren

Mit anderen Worten: Ein Desinfektionsmittel muss diese Mikroorganismen effektiv vergiften können. So kommen naturgemäss nur giftige Stoffe als Desinfektionsmittel in Frage.

Zum Glück haben wir Menschen diesen Mikroben einiges voraus:

  1. Wir sind Vielzeller (ein Mensch besteht aus rund   Zellen), während Bakterien und Pilze wie jene der Gattung „Candida“ Einzeller sind. Wenn uns ein paar Hautzellen verloren gehen, schadet uns das nicht sofort. Schliesslich hat unser Vielzeller-Körper Mittel, um solche Zellen zu ersetzen. Eine Bakterien- oder Einzeller-Pilzzelle, die tödlich beschädigt wird, bedeutet dagegen sofort ein totes Lebewesen.
  1. Unsere Zellen haben einen Zellkern, in dem unsere DNA weitgehend sicher verwahrt ist. Bakterienzellen haben dagegen keinen Zellkern. Das bedeutet auch, sie funktionieren anders als unsere Zellen. Sie sind somit gegenüber anderen (bzw. mehr) Dingen empfindlich als unsere Zellen (und die der Pilze!) mit Kern.

So ist es nicht schwer, Stoffe zu finden, die Einzellern den Garaus machen, für unsere eigenen Zellen aber nicht all zu schädlich sind.

Besonders kniffelig: Die „Keinzeller“ unter den Erregern

Viren sind hingegen gar keine Zellen, sondern winzige Erbgut-Pakete, die Zellen „kapern“ (indem sie sich von den Zellen aufnehmen lassen) und für ihre Vermehrung zweckentfremden können. Die Pakethülle von Viren besteht aus Membranlipiden und Proteinen, was sie lebenden Zellen chemisch ähnlich macht. Vergiften bzw. töten kann man sie dennoch nicht, da sie streng genommen gar nicht leben. „Zerstören“ träfe es da wohl besser. Mit etwas Glück kann ein Stoff, der für Bakterien giftig ist, auch einen Virus zerstören.

Elektronenmikroskop-Aufnahme von Corona-Virionen (ein einzelnes Virus-Partikel wird „Virion“ genannt) aus dem Jahr 1975: Die Stachel-„Krone“ (lat. corona) aus Hüllenproteinen gibt dieser Virus-Familie ihren Namen. Bilder von den aktuellen COVID-19-Erregern findet ihr hier!

Besonders kniffelig ist die Beseitigung von Sporen. Das sind stark gepanzerte Ableger von Bakterien oder Pilzen, aus denen sich neue Zellen entwickeln können. Ein Stoff, der Sporen ausschalten soll, muss durch deren Panzerung dringen (wofür er meist etwas mehr Zeit braucht) und so viel Schaden anrichten, dass eine Spore sich nicht mehr zur neuen Zelle entwickeln kann.

Welche Stoffe können das?

Oxidationsmittel

Die Allrounder unter den keimtötenden (d.h. bioziden) Stoffen sind Oxidationsmittel, insbesondere solche, die einzelne Sauerstoffatome freisetzen können. Solche Oxidationsmittel nehmen nämlich all zu gern anderen Molekülen Elektronen weg (die Moleküle werden damit oxidiert), wodurch sie verschiedenste Reaktionen in Gang setzen. Und diese Reaktionen beschädigen oder zerstören nicht zuletzt die Bestandteile von Lebewesen und ihnen ähnlichen Gebilden: Bakterien, Pilze, Viren und sogar Sporen.

Leider sind Oxidationsmittel nicht wählerisch, wenn es um ihre Reaktionspartner geht. So können sie unsere Körpergewebe ebenso schädigen wie die Mikroorganismen. Deshalb sind besonders starke Oxidationsmittel sowie höhere Konzentrationen für die Anwendung an Haut und Schleimhäuten nicht geeignet. In geringer Konzentration kommen am Körper zum Einsatz:

  • Wasserstoffperoxid (H2O2)
  • Natriumhypochlorit (NaOCl, wie H2O2 im medizinischen Bereich, z.B. beim Zahnarzt)
  • Chloramin T (eine organische Verbindung, die in Wasser Hypochlorit freisetzt)
  • Elementares Iod (in Präparaten zur Wunddesinfektion –> z.B. „Betaisodona“)
  • Benzalkoniumchlorid (

Andere Oxidationsmittel wie Chlordioxid („MMS“!), elementares Chlor, Ozon oder Peressigsäure sind hingegen nur für die Desinfektion von Gegenständen oder Wasser geeignet. In letzterem (z.B. im Schwimmbad) kommen Chlor oder Ozon in kleinsten Mengen mit uns in Kontakt, was wir an brennenden Augen und wunden Stellen leicht bemerken. Die haben es also wirklich in sich!

Aldehyde

Aldehyde oder chemisch korrekt „Alkanale“ sind hochwirksam gegen alle möglichen Bakterien (einschliesslich des besonders widerspenstigen Tuberkulose-Erregers), Pilze, Viren und Sporen. Aber leider auch gegen unsere eigenen Körper: Viele desinfizierende Aldehyde sind sehr giftig, weshalb sie nur zur Desinfektion von Oberflächen, Geräten und Räumen zum Einsatz kommen.

Alkohole

Der „Trinkalkohol“ Ethanol und verschiedene Varianten des Propanols sind bekannte Beispiele für desinfizierende Alkohole. Werden sie mit Wasser gemischt, können sie in (Bakterien)zellen eindringen und dafür sorgen, dass die Proteine darin ihre Form und damit ihre Funktion verlieren. Ein reiner Alkohol würde stattdessen schon die Proteine auf der Zelloberfläche zerstören und dann keinen Weg hinein mehr finden – sodass das Bakterium am Leben bliebe.

Auf der Haut angewendet sind sie für uns ungiftig (eingenommen dafür um so mehr – das weiss jeder, der schonmal einen Kater hatte), töten bzw. zerstören aber Bakterien (einschliesslich der Tuberkulose-Erreger), Pilze und Viren mit Hülle (es gibt auch Viren ohne Hülle, jedoch ist die Hülle ein wichtiges Werkzeug für das Kapern von Zellen, weshalb viele der uns krankmachenden Viren – z.B. Corona- und Influenza-Viren – eine Hülle haben). Den Sporen können Alkohole hingegen nichts anhaben.

Quartäre („Quaternäre“) Ammoniumverbindungen

Zum Beispiel Benzalkoniumchlorid. Diese organischen Moleküle enthalten (wie das Ammoniumion) ein positiv geladenes Stickstoffatom, an welches vier organische (kohlenstoff- und wasserstoffhaltige) Atomgruppen gebunden sind.

Benzalkoniumchlorid - eine quartäre Ammoniumverbindung als Konservierungs- und Desinfektionsmittel
Benzalkoniumchlorid(e): Davon gibt es mehrere Varianten mit unterschiedlich langen Seitenketten.

Diese Moleküle sind Tenside, können also gleichsam mit wasserliebenden und fettliebenden Oberflächen wechselwirken (was Tenside genau sind und was sie können erfahrt ihr hier). Wenn eine der Kohlenwasserstoff-Gruppen 8 bis 18 Kohlenstoffatome enthält, können die betreffenden Moleküle derart mit Zell-Aussenhüllen wechselwirken, dass diese beschädigt werden und die Zellen daran eingehen.

Das gilt leider ebenso für Bakterien wie für unsere eigenen Zellen. Deshalb ist Benzalkoniumchlorid als Konservierungsmittel für Medikamente (insbesondere Augentropfen) wegen seiner Nebenwirkungen umstritten.

Metallisches Silber oder Kupfer

Die Oberflächen dieser Metalle wirken schädlich – um nicht zu sagen tödlich – auf Bakterien, jedoch nicht auf die anderen  Erreger-Kandidaten (Pilze, Viren, Sporen). So sind Silberfäden als Mittel gegen Käsesocken und Kupfertürklinken als Beitrag zur Verminderung der Keim-Verbreitung in Krankenhäusern gefragt, aber längst kein Rundumschutz.

Eine ausführliche Liste mit weiteren desinfizierenden Verbindungsklassen, auch für die Haut-Desinfektion, findet ihr hier im Wikipedia-Artikel zur Desinfektion.

Und was taugt das DIY-Desinfektionsmittel aus den Medien?

Das Rezept, welches die Schweizer Gratis-Zeitung „20 Minuten“ vom österreichischen Portal „heute.at“ übernommen hat, stammt ursprünglich von der WHO. Gedacht ist es allerdings als Empfehlung für Apotheker und medizinsches Personal rund um den Globus, die auch unter einfachen Bedingungen Patienten versorgen müssen. Also ebenso für ein Ebola-Gebiet im Kongo wie für das Behelfsspital in Wuhan – aber auch für die Schweizer Apotheke um die Ecke.

Die Desinfektionslösung gemäss der WHO-Rezeptur besteht aus rund 83% Ethanol („Alkohol“) in destilliertem Wasser, mit einer kleineren Menge Glyzerin und ein wenig Wasserstoffperoxid dabei.

Das eigentliche Desinfektionsmittel darin ist der Alkohol. Wasserstoffperoxid in der geringen Menge dient dagegen mehr als eine Art Konservierungsmittel. Und das Glyzerin – ein verbreiteter Bestandteil von Kosmetikprodukten – soll der Haut die Feuchtigkeit erhalten.

Alle vier Stoffe sind in den allermeisten Ländern recht einfach und preisgünstig zu bekommen. Und sie funktionieren. So soll medizinisches Personal auf der ganzen Welt Zugang zu einfacher aber wirksamer Desinfektionslösung bekommen.

Doch was wirksam ist, hat naturgemäss auch unerwünschte (Aus-)Wirkungen:

Desinfektionsmittel bringen auch Schwierigkeiten durch…

Resistenzen

Insbesondere Bakterien können resistent gegenüber Desinfektionsmitteln werden (ähnlich wie gegenüber Antibiotika), wodurch die Desinfektionsmittel gegen solche Stämme unwirksam werden.

Schädigung der Haut

Ich habe während der Anfertigung meiner Diplomarbeit im Zellkulturlabor ein knappes Jahr lang regelmässig Hände und Arbeitsumgebung desinfizieren müssen (Bakterien und Pilze waren unser bzw. der Zellkulturen grösster Feind). Für die Hände hatten wir ein Desinfektionsmittel aus dem medizinischen Bereich (das blaue „Sterillium“), für die Arbeitsumgebung 70% Ethanol in destilliertem Wasser (das ist billiger als das Sterillium).

Ich habe schnell gelernt, ausserhalb der Arbeitszeit eine Handcreme zu verwenden, weil das ständige Desinfizieren zu trockener, gereizter Haut führte. Und was für mich nach einigen Monaten wieder vorbei war, taten unsere MTAs („Labortechniker“) ein (Arbeits-)Leben lang. Die Folge: Trotz Handcreme hatten sie rissige, dauergereizte Hände, um die ich meine Kolleginnen absolut nicht beneidet habe.

Wie kommt es dazu?

Die meisten Mikroorganismen auf unserer Haut machen nicht nur nicht krank, sondern schützen uns sogar vor schädlichen Keimen. Die finden bei intakter „Hautflora“ nämlich gar keinen Platz, um sich anzusiedeln. Desinfektionsmittel, die gegen Bakterien wirken, sind aber leider nicht wählerisch. Sie töten die erwünschten Hautbakterien ebenso wie die Krankmacher. Und ist die Hautflora einmal dezimiert, finden unerwünschte Gäste um so mehr Platz, um sich einzunisten.

Ausserdem entziehen die in Desinfektionslösungen enthaltenen Stoffe der Haut leicht Feuchtigkeit. Die Handcreme sollte den Folgen dessen entgegen wirken. Zudem enthält die „Sterillium“-Lösung Stoffe, die zur Erhaltung der Hautfeuchtigkeit beitragen sollen.

Gefahren für die Umwelt

Auch in Kläranlagen gibt es zahlreiche Bakterien, die dort wertvolle Reinigungsarbeit leisten, und zu einem „gesunden“ natürlichen Gewässer gehören Bakterien einfach dazu. Wenn nun Desinfektionsmittel – besonders in grösseren Mengen – nicht fachgerecht entsorgt werden (im Sonderabfall!), können sie das Ökosystem in Klärwerken oder natürlichen Gewässern empfindlich schädigen.

Daheim oder in der Medizin – Wo machen Desinfektionsmittel Sinn?

Im medizinschen Bereich

Wo kranke Menschen gepflegt, offene Wunden versorgt und schwache Immunsysteme häufig sind, trägt die Händedesinfektion Grosses zur Verminderung der Übertragung von Keimen bei. Medizinisches Personal reibt sich dazu mindestens vor und nach jedem Patientenkontakt die Hände mit einer alkoholhaltigen Desinfektionslösung für den medizinischen Bereich (z.B. das erwähnte „Sterillium“) ein. Dadurch wird der grösste Teil der Mikroorganismen auf der Haut – einschliesslich der nützlichen Hautflora – ausgeschaltet.

In den Tiefen unserer Haarwurzeln, gut geschützt unter einer Schicht Talg, überleben jedoch einige der wichtigen Hautbewohner (ohne einem Patienten direkt schaden zu können). Die können sich nach dem Verschwinden des Desinfektionsmittels ungehindert teilen und die Hautoberfläche neu besiedeln. Dank dessen und dank feuchtigkeitserhaltender Zusatzstoffe sollte sich der Schaden an den Händen des medizinschen Personals in Grenzen halten.

Und daheim?

Warum sollten wir diesen schützenden Effekt nicht auch in unserem Zuhause haben? Das zumindest denken sich Anbieter für desinfizierende Reiniger und Hand-Desinfektionsmitteln für die Alltagsgebrauch. Eine Stichprobe bei einem bekannten Anbieter (auf dessen Website, denn die Originale sind ja ausverkauft…) zeigt: Diese Alltags-Desinfektionsmittel sind anders zusammengesetzt als jene für den medizinischen Bereich, enthalten mitunter nur Alkohole und Wasser.

Und damit sind wir wieder bei den MTAs im Zellkulturlabor: Die hatten nämlich nicht nur die medizinische Desinfektionslösung, sondern, beim Auswischen der sterilen Werkbänke und Desinfektion von Instrumenten, auch das simple Gemisch von Ethanol und Wasser ständig an den Händen. Und das enthielt eben – wie so manches Alltags-Desinfektionsmittel – keine hautschützenden Zusätze. Dieser Umstand hat gewiss nicht zur Hautgesundheit – insbesondere bei langfristiger Anwendung – beigetragen.

Also nutzen wir doch lieber die Desinfektionslösungen für den medizinischen Bereich?

Die sollen ja – in Kombination mit einer guten Handcreme – für unsere Haut auch bei regelmässigem Gebrauch erträglich sein. Aber brauchen wir so viel Desinfektion überhaupt?

Warum wir Desinfektionsmittel im Alltag nicht brauchen (und wann doch)

Ein intaktes menschliches Immunsystem ist von Natur aus darauf angelegt, mit der Vielfalt der Mikroben in unserem alltäglichen Umfeld zurechtzukommen. Nicht zuletzt deshalb, weil viele davon uns als äusserst nützliche Mitbewohner begleiten.

Im Normalfall ist es daher im Alltag gar nicht nötig, regelmässig Desinfektionsmittel zu verwenden. Ausgenommen sind die Fälle, die eben nicht „normal“ sind:

  • Jemand im Haushalt ist krank und muss gepflegt werden (im Fall von akuten Infektionen ist dieser Umstand allerdings von vorübergehender Natur).
  • Jemand im Haushalt hat kein intaktes Immunsystem (beispielsweise durch eine Chemotherapie).

Für Menschen in diesen Situationen kann es wirklich schwierig werden, wenn Desinfektionsmittel nur noch schwer oder gar nicht erhältlich sind!

Das könnt ihr wirklich tun, um euch zu schützen

Ist hingegen „nur“ Erkältungssaison und es „geht etwas um“ (auch wenn das „Etwas“ COVID-19 heisst), sind einfache Hygienemassnahmen wesentlich wirksamer, da  schonender für die Verteidigungslinien auf unserer Haut:

  • Hustet oder niest stets in die Armbeuge anstatt einfach in die Gegend.
  • Haltet von hustenden oder niesenden Personen mindestens einen Meter Abstand.
  • Fasst euch mit ungewaschenen Händen möglichst nicht in das eigene Gesicht (und schon gar nicht in das von Anderen, beispielsweise das eurer Kinder).
  • Insbesondere gegen „Mitbringsel“ von draussen: Wascht euch, wenn ihr heimkommt (aber auch unterwegs), die Hände mit gewöhnlicher Seife, nachdem ihr in der Öffentlichkeit viel berührte Dinge (z.B. Türklinken, öffentliche Verkehrsmittel!) angefasst habt und bevor ihr zu Hause irgendetwas anderes berührt.
  • Wenn ihr bereits (infektions-)krank seid: Bleibt zu Hause. Geht nicht arbeiten und schickt kranke Kinder nicht in die Schule/den Kindergarten/die KiTa! Bei Fieber, Husten und Atembeschwerden ruft euren Arzt an (bevor ihr hingeht!) und befolgt dessen Anweisungen.

Was ihr niemals tun solltet

Desinfektionsmittel mit Seife kombinieren

Doppelt hält besser? Leider nein. In Verbindung mit Seife (also Tensiden), bergen Desinfektionsmittel im Alltag noch ein weiteres Problem:

Wenn ihr eure Hände mit Seife wascht, vergrault das eure nützlichen Mitbewohner nämlich nicht, entfernt aber den schützenden Talg, unter dem sich deren letzte Reserven verstecken, von den Haarwurzeln. Wenn ihr dann während oder nach dem Händewaschen zu einem Desinfektionsmittel greift, rottet das die letzten Reserven ebenso aus wie die Hautflora auf der Hautoberfläche. Und dann bleibt nichts mehr, was sich weiter vermehren und auf eurer Haut, dem Eingang zu eurem Körper, Wache schieben könnte.

Desinfektionsmittelhaltige Seife oder Desinfektionsmittel nach dem Seifeneinsatz sind in Hinsicht auf die Übertragung von Erregern an den Händen eher schädlich als dass sie nutzen!

Desinfektionsmittelreste in den Ausguss oder gar in die freie Natur entsorgen

Wie bereits erwähnt gibt es in Klärwerken wie auch in der Natur zahlreiche Bakterien, die für eine funktionierende Anlage bzw. ein gesundes Ökosystem notwendig sind. Und die nehmen an Desinfektionsmitteln genauso Schaden wie unliebsame Erreger.

Sämtliche Abflüsse in unserem Zellkulturlabor münden – wie vermutlich auch jene in Krankenhäusern – in spezielle Abwasser-Anlagen, die darauf ausgerichtet sind, Chemikalien im Abwasser zu beseitigen, bevor es in die eigentliche Kanalisation gelangt. So ist der Einsatz von Desinfektionsmitteln im Labor – und wahrscheinlich auch im medizinischen Bereich – eine deutlich geringere Gefahr für die Umwelt als ihr Einsatz im Alltag.

Desinfektionsmittel hamstern, wenn „etwas umgeht“

Es sei denn, ihr gehört zu jenen, die aufgrund von Krankheit oder/und unzureichendem Immunsystem wirklich auf die Nutzung von Desinfektionsmitteln im Alltag angewiesen sind. Genau diese Menschen werden euch – ebenso wie die Menschen mit Medizinberufen – sehr dankbar dafür sein, wenn sie die dringend benötigten Mittel auch während eines Ausbruchs wie dem von COVID-19 problemlos bekommen.

Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Gesichtsmasken. Die nützen dem Chirurgen oder Zahnarzt sehr, um seine eigenen Bakterien vom Patienten fernzuhalten. Vor einer Tröpfchen- oder Schmierinfektion mit einem Atemwegs-Virus schützen sie aber praktisch nicht.

Zusammenfassung

Desinfektionsmittel sind Stoffe, die Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze, deren Sporen, aber auch Viren abtöten oder zumindest am Wachstum hindern können. Solche Stoffe sind naturgemäss giftig – aber für Mikroben oft mehr als für uns – und umweltschädlich.

In der Krankenpflege sind Desinfektionsmittel ein wertvolles Mittel, um die Gefahr der Übertragung von Keimen zwischen Patienten und Pflegern gering zu halten. Wie alle wirksamen Mittel haben jedoch auch Desinfektionsmittel Nebenwirkungen und bergen wie alle (umwelt-)giftigen Stoffe Gefahren.

Im Alltag überwiegen diese Schwierigkeiten den Nutzen von Hände-Desinfektionsmitteln, zumal es einfachere und nebenwirkungsärmere Mittel und Wege gibt, die Übertragung von Keimen zu vermeiden:

  • In die Armbeuge husten oder niesen
  • zu erkälteten Personen Abstand halten
  • Nicht ins Gesicht fassen
  • Hände waschen (aber nicht mit Desinfektionsmittel kombinieren!)
  • mit Infektionskrankheiten zu Hause bleiben

Wenn ihr selbst einen Pflegeberuf ausübt oder im Alltag mit kranken oder/und immunschwachen Personen lebt oder eine solche seid, kann – so meine eigene Erfahrung im Labor – eine Handcreme dabei helfen, die Hautschäden durch regelmässigen Einsatz von Desinfektionsmitteln gering zu halten.

Und wie geht ihr angesichts von COVID-19 oder anderen Erregern mit Desinfektionsmitteln um? Habt ihr vielleicht im Beruf regelmässig damit zu tun und weitere (bessere?) Tipps zur Hautpflege?

Einkochen und Einwecken mit Mehl - Warum geht das nicht?

Kürzlich hat meine Leserin Pia geäussert, was ich daraufhin vielfach in Foren zum Einkochen wiedergefunden habe:

Beim Einkochen (Einwecken) darf man nichts mit Mehl binden – das säuert. Aber Kuchen mit Mehl kann man einkochen. Auch Brot und Nudeln darf man – überall Mehl drin. Nur die Sauce darf nicht mit Mehl … warum nicht?

Eine spannende Frage – die mich veranlasst hat, mich näher mit der Physik und Chemie des Einkochens zu beschäftigen.

Einkochen: Wieso? Weshalb? Warum?

Durch Einkochen oder Einwecken werden Lebensmittel haltbar gemacht. Die sind nämlich nicht nur für uns äusserst nahrhaft, sondern auch für allerlei Mikroorganismen. Die nisten sich in Lebensmitteln ein, verändern ihr Aussehen und ihren Geschmack in oft nicht gewünschter Weise, und machen uns im schlimmsten Fall auch noch krank.

Eine einfache Methode, diese Störenfriede loszuwerden, ist, sie mitsamt ihrer Umgebung so gründlich zu erhitzen, dass sie selbst gekocht werden und damit absterben. Die meisten Lebewesen bestehen nämlich aus Proteinen, die ab 42°C ihre Form und damit ihre Funktionsfähigkeit verlieren: Sie denaturieren. Und damit ist es dann vorbei mit Leben. Wenn man dann noch dafür sorgen kann, dass es auch so bleibt…

Konservieren durch Erhitzen

Zum Einkochen werden die Lebensmittel in Gläsern erhitzt, die mittels eines Dichtungsringes oder Schraubdeckels luftdicht verschlossen werden können. Dabei dehnen sich Luft und allenfalls entstehender Wasserdampf (dank der Anomalie des Wassers auch flüssiges Wasser ein wenig) aus und können sich notfalls an der Dichtung vorbei nach draussen zwängen.

Sobald solch ein Glas jedoch abkühlt, zieht sich die Luft darin zusammen (und allfälliger Wasserdampf kondensiert zu flüssigem Wasser). So entsteht im Glas ein Unterdruck, der dafür sorgt, dass die Dichtung fest gezogen wird. Nun kann nichts mehr aus dem Glas hinaus oder hinein. Auch keine Mikroorganismen oder ihre Sporen.

Damit ist sicher gestellt, dass nicht nur alle Bakterien und Pilze im Einkochgut tot sind, sondern auch keine neuen mehr hinein gelangen können. Um dessen wirklich sicher zu gehen, erhitzt man das Einkochgut entsprechend gründlich und lange (in der Regel auf 100°C, die Siedetemperatur von Wasser bei Atmosphärendruck). So soll auch das Innerste eines Einmachglases warm genug werden, um lebensfeindlich zu sein.

Die Industrie gibt dem Ganzen einen Namen

Der deutsche Chemiker Rudolf Rempel hat das Einmachglas Ende des 19. Jahrhunderts erfunden und sich 1892 patentieren lassen – und starb ein Jahr darauf mit nur 34 Jahren. So kam es, dass der Unternehmer Johann Carl Weck das Patent erwarb und zum ersten industriellen Hersteller von Einmachgläsern und Zubehör wurde. Mit dem Namen Weck verbreitete sich bald der Begriff „Einwecken“ für die Verwendung der Gläser.

Inzwischen hat das „Einwecken“ Eingang in den Duden gefunden und darf damit als allgemeingültiger Teil der deutschen Sprache als Synonym für das Einkochen verwendet werden – ganz gleich welche Gläser man dazu benutzt. Anders verhält es sich jedoch mit dem Wortteil „Einweck-„. Der ist nach wie vor geschützt. Ein Einweckglas oder einen Einweckring gibt es somit bis heute nur von der Firma Weck.

Und wenn sich jetzt die österreichischen Leser fragen, wovon ich eigentlich schreibe: Bei euch war im frühen 20. Jahrhundert die Rex-Konservenglas-Gesellschaft Hersteller Nummer 1 für Einmachgläser. So hat sich in Österreich der Begriff „Einrexen“ eingebürgert.

Warum klappt das Einwecken nicht mit Mehl?

Mehl enthält Amylasen: Das sind Enzyme, also Proteine, welche die langen Stärke-Ketten in kürzere Einfach- oder Zweifachzucker spalten können.

Strukturformel Stärke bzw. Amylose
Einfaches Stärkemolekül („Amylose“) – eine Kette aus Glucose-Molekülen, hier als Sechsringe dargestellt.

Der Name verrät uns das: Die unverzweigte Form der Stärke nennen die Chemiker auch Amylose, wobei die Endung „-ose“ auf ein Kohlenhydrat hinweist. Die verzweigte Form dieser Molekülketten nennen sie hingegen Amylopektin. Die Endung „-ase“ der Amylase weist hingegen auf ein Enzym hin, das spaltet bzw. zerlegt, was im Namen davor steht.

Wie kommen solche Enzyme in das Mehl?

Die Amylasen sind ein wichtiger Bestandteil von Getreidekörnern. Sie werden von der Mutterpflanze darin eingelagert, damit sie die Stärke im Samenkorn spalten können. Denn der Keimling, der daraus wächst, kann nur mit kleinen Zuckermolekülen etwas anfangen.

So lange die Amylasen funktionsfähig sind (und das bleiben sie beim Mahlen und bei vielen Vorgängen der Lebensmittelzubereitung auch), machen sie ihren Job jedoch auch in Lebensmitteln. Dabei entstehen aus Stärke und Wasser kleinere Zuckermoleküle wie z.B. Maltose (Malzzucker), ein Zweifachzucker aus zwei Glucose-Einheiten.

Ein Maltose-Molekül besteht aus zwei Glucose-Ringen

Zucker sind süss. Warum wird dann das Eingemachte sauer?

Geschmacksveränderungen in verderbenden Lebensmitteln sind in der Regel die Folge von Gärung. Dabei erzeugen wie Bakterien und Hefen aus den Lebensmittelbestandteilen neue Stoffe, die anders schmecken. Die beiden wichtigsten Gärungsprozesse sind die alkoholische (hierbei entsteht der „Trinkalkohol“ Ethanol) und die Milchsäuregärung (hierbei entsteht Milchsäure bzw. das Lactat-Anion). Und zwar ganz ohne Sauerstoff-Zufuhr.

Wie die alkoholische Gärung genau funktioniert, könnt ihr hier nachlesen und im Experiment gleich selbst beobachten. Dabei zeigt sich, dass als Nebenprodukt des Gärprozesses das Gas Kohlenstoffdioxid, CO2, entsteht. Und mit der Entstehung von Gas erhöht sich der Druck im Einmachglas – bis der Verschluss undicht wird.

Um das zu bewerkstelligen, brauchen die Mikroben Zucker aus kleinen Molekülen. Ergo solche Zucker, wie die Amylasen ihn aus der Stärke freisetzen. Nicht inaktivierte Amylasen können also nicht nur Pflanzenkeimlinge, sondern auch Mikroorganismen wie Bakterien und Hefen ernähren.

Bakterien und Hefen im Einmachglas?!

Nun sollte man annehmen, dass Amylasen im Einmachglas kein Problem darstellen sollten. Schliesslich werden beim Einkochen die Mikroben im Einmachgut totgekocht. Und an diesem Punkt sind alle meine bisherigen Recherchen ins Leere gelaufen.

So bleibt mir als Erklärung letztendlich nur der Umstand, dass auch der Einkochvorgang keine perfekte Konservierung ermöglicht. Irgendwo wird da immer die ein oder andere Zelle überleben. Oder zumindest ihre Enzyme für die Gärung werden nicht vollständig unbrauchbar gemacht (sind die richtigen Enzyme beisammen, funktioniert Gärung nämlich auch ohne Zellen).

Wenn diese letzten Überlebenden nichts zu futtern haben, können sie jedoch nichts – oder nur sehr, sehr langsam etwas – ausrichten. Mit einer Zuckerquelle aus Stärke samt Amylasen können diese Mikroben jedoch mit der Gärung beginnen und sich womöglich sogar etwas vermehren. Dabei muss nicht all zu viel CO2 entstehen, um den Unterdruck im Einmachglas aufzuheben. Und schon können weitere Mikroorganismen durch den undichten Verschluss eindringen, sich vermehren und im Einmachgut eine grosse Biochemie-Party schmeissen. Dabei entstehen dann noch mehr Stoffe, darunter noch mehr Gas, was den Verschluss um so undichter werden lässt…

Kurzum: Stärke mit Amylasen ist demnach nicht Voraussetzung für eine Gärung im Einmachglas, sondern beschleunigt sie „bloss“ um ein Vielfaches.

Wie kann man das Stärke- Desaster verhindern?

  • Stärke ohne Amylasen verwenden: Stärke ohne Enzyme gibt es sicher für den Laborbedarf, (bio-)synthetisch hergestellt oder entsprechend gereinigt. Für den Hausgebrauch in der Küche aber viel zu teuer.
  • Saucen und anderes erst nach dem Einkochen mit Mehl binden: Dem Einmachglas ist die Konsistenz der Speisen egal. Die können daher auch erst beim Wiederaufwärmen kurz vor dem Verzehr angedickt werden.
  • Mehl und Mehlspeisen so stark erhitzen, dass die Amylasen sicher denaturiert werden: Dazu sind Temperaturen von deutlich mehr als 100°C nötig! Gebackenes Brot oder Kuchen sind daher durch und durch amylasefrei – die werden im Ofen heiss genug. Auch bei der Herstellung von trockenen Teigwaren (Nudeln, Pasta) scheinen die Amylasen beseitigt zu werden. Und wer nicht auf eine Mehlschwitze zum Andicken verzichten will, kann diese in Pflanzenöl ansetzen. Öl wird in der Pfanne nämlich heisser als wasserhaltige Butter und kann so die nötigen Temperaturen erreichen.
  • Wirklich lange und gründlich einkochen: Die in der Literatur empfohlenen Kochzeiten mindestens einhalten! Dabei steigt nicht nur die Wahrscheinlichkeit, möglichst viele Amylasen auszuschalten, sondern auch die Mikroben sterben zu einem grösseren Anteil ab. Der Nachteil: Je zerkochter die Mikroben werden, desto zerkochter wird auch das restliche Einmachgut.
  • Einen Dampfdrucktopf zum Einkochen verwenden: Unter steigendem Druck steigt auch der Siedepunkt von Wasser. Das Gargut wird damit heisser als im offenen Kochtopf. So gart es nicht nur schneller, sondern auch gründlicher: Die zur Denaturierung von Amylasen notwendige Temperatur kann so womöglich erreicht werden.

Wirklich sicher (und praktikabel) ist jedoch nur der zweite Vorschlag – auf Mehl, welches nicht gebacken wurde, beim Einkochen ganz zu verzichten.

Und welche Erfahrungen habt ihr beim Einkochen mit oder ohne Mehl schon gemacht? Wisst ihr bezüglich der Folgen des Vorhandenseins von Amylasen im Einmachgut mehr als ich?