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Ozon als LEbensretter

Das vielseitige Gas Ozon ist ebenso begehrt wie es ungeliebt ist. Im ersten Teil dieses Artikels erfährst du, was Ozon eigentlich ist und warum es in unserer Atemluft in grösseren Mengen nichts zu suchen hat. Dieser Teil beschäftigt sich mit Ozon, ohne welches wir nicht leben könnten und mit den Möglichkeiten dieses Gases uns zu heilen.

Wann und wo ist Ozon für uns lebenswichtig?

Im Jahre 1985 versetzte die Entdeckung eines wachsenden Ozonlochs über der Antarktis, der südlichsten Region der Erde, die Menschheit in Aufruhr. Denn schon damals wusste man, dass Ozon in der Stratosphäre für uns lebenswichtig ist, und Wissenschaftler (z.B. Crutzen und Molina&Rowland) hatten bereits seit 15 Jahren eine Ausdünnung der Ozonschicht aufgrund von menschlichen „Hinterlassenschaften“ vorausgesagt. Mit einem Loch hatte hingegen niemand gerechnet. Aber wie kann eine Luftschicht, noch dazu in einer mittleren Schicht der Atmosphäre, ein Loch haben?

Für die Antwort müssen wir uns in grosse Höhe begeben: In der etwa 500km dicken Erdatmosphäre nimmt die Stratosphäre den Bereich von etwa 15 bis 50 Kilometern Höhe ein. Direkt darunter liegt die Troposphäre, jene Luftschicht, die wir atmen. Beide Schichten sind aus physikalischen Gründen relativ scharf voneinander getrennt, d.h. Inhaltsstoffe einer Schicht können nur unter erschwerten Bedingungen in die andere Schicht gelangen.

Die Schichten oberhalb der Stratosphäre sind so dünn, dass energiereiche UV-C-Strahlung (etwas über UV-Strahlung und ihre Einteilung findest du in diesem Artikel) hindurchdringt und in der Stratosphäre Ozon erzeugt. UV-C-Strahlung kann nämlich Sauerstoff-Moleküle spalten:

Aus dem ersten Teil weisst du ja bereits, dass Sauerstoff-Atome nicht lange allein bleiben, sondern sich schnellstens etwas zum Reagieren suchen:

Genauso kann Ozon durch UV-B-Strahlung, die in der Stratosphäre auch reichlich vorhanden ist, gespalten werden:

Die Energie der UV-Strahlung wird dabei teilweise für die Umgruppierung der Atome verwendet, teilweise durch Anschubsen eines beliebigen dritten Moleküls als Wärme weitergegeben. So führt allein das Vorhandensein von Sauerstoff (O2) zum Spalten in der Stratosphäre dazu, dass die UV-C-Strahlung die Erdoberfläche gar nicht erreicht, während das Ozon den entscheidenden Teil der UV-B-Strahlung aufhält. Nur deshalb können wir uns an der Erdoberfläche bewegen, ohne innerhalb kürzester Zeit einen Sonnenbrand zu bekommen oder schlimmere Hautschäden zu erleiden.

Zwischen der Entstehung und dem Abbau von Ozon stellt sich bei UV-Lichteinfall ein Gleichgewicht ein. In der mittleren Stratosphäre gibt es noch genug UV-C-Strahlung, die Ozon entstehen lässt, während ein Teil der UV-B-Strahlung bereits vom Ozon darüber aufgehalten worden ist. So liegt hier das Gleichgewicht am weitesten auf der Seite des Ozons: Die Ozon-Konzentration ist in der mittleren Stratosphäre am höchsten.

Können wir die Ozonschicht in der Stratosphäre direkt wahrnehmen?

Manchmal können wir das Ozon in der Stratosphäre sogar sehen. Bei Tag ist der klare Himmel blau, weil das einfallende Sonnenlicht vom Luftsauerstoff O2 so gestreut wird, dass hauptsächlich blaues Licht bei uns ankommt. Morgens vor Sonnenaufgang und abends nach Sonnenuntergang, wenn kein direkt einfallendes Licht mehr gestreut wird, zeigt sich, dass Ozon auch sichtbares Licht, vornehmlich im gelben, orangen und roten Bereich, absorbiert. Das blaue Licht bleibt übrig und beschert uns regelmässig im ersten und letzten Licht des Tages eine „blaue Stunde“.

Neben zahlreichen Poeten hat sich der Geophysiker Edward O. Hulburt, der diesen Zusammenhang 1952 erstmals erkannte, voll Staunen geäussert:

„Der nichtsahnende Beobachter, der während des Sonnenuntergangs auf dem Rücken liegend in den klaren Himmel schaut, sieht nur, dass der Himmel über ihm, der vor dem Sonnenuntergang blau war, dasselbe leuchtende Blau beibehält, während die Sonne untergeht und es anschließend während der Dämmerung immer dunkler wird. Er ist sich nicht bewusst, dass die Natur, um dieses anscheinend so selbstverständliche und naheliegende Ergebnis zu produzieren, recht großzügig ganz tief in die optische Trickkiste gegriffen hat.“

 

Warum hat die Ozonschicht ein Loch?

Sauerstoff gibt es in der Stratosphäre stets genug, sodass wir uns hier unten in der Troposphäre wegen UV-C-Strahlung keine Sorgen machen müssen. UV-B-Strahlung wird hingegen nur absorbiert, wenn es auch Ozon hat! Deshalb wird die Dicke – oder besser Dichte – der Ozonschicht in der Stratosphäre seit einigen Jahrzehnten vermessen und genau überwacht.

Die Dicke der Ozonschicht wird in Dobson-Units (DU) gemessen, einer Einheit, die nach Gordon Dobson, dem Erfinder des zur Messung der Schichtdicke verwendeten Spektralphotometers, benannt ist. 100 DU entsprechen dabei einer 1 mm dicken Schicht aus reinem Ozon auf Meereshöhe, die sich in Wirklichkeit aber auf die ganze Stratosphäre verteilt [1]. Das „Loch“ in der Ozonschicht ist somit auch kein Loch im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr ein Bereich, in dem weniger Ozon in der ganzen Stratosphäre zu finden ist. Die durchschnittliche „gesunde“ Ozonschicht der Erde hat übrigens eine Dichte in der Grössenordnung von 300 – 500 DU.

Die Ozonschicht ist aber weder gleichmässig noch gleichbleibend dick.
Da Ozon erst durch (UV-)Licht entsteht, ist die Ozonschicht immer da, wo die Sonne ist. Und die scheint am intensivsten am Äquator, sodass dort am meisten Ozon gebildet wird. Von da aus wird das Ozon in Richtung der Pole verteilt: Im Frühling auf der Nordhalbkugel vornehmlich in Richtung Nordpol, im Herbst der Nordhalbkugel, wenn auf der Südhalbkugel Frühling herrscht, dem Licht folgend in Richtung Südpol. So ist absehbar, dass die Ozonschicht nahe der Pole schon von Natur aus dünner ist als über dem Äquator.

Was die Antarktis anfällig für ein Ozonloch macht
Am Südpol bildet sich zudem im Polarwinter ein wirklich sehr kalter Luftwirbel. Dieser Polarwirbel kreist über der Antarktis weitgehend ungestört vor sich hin, sodass seine Temperatur ohne Zustrom wärmerer Luft von aussen auf bis zu -80°C sinken kann. Am Nordpol gibt es einen ähnlichen Wirbel, doch da es rund um die Arktis viele Berge gibt, die die Luftströmung aufmischen und so den Zustrom wärmerer Luft ermöglichen, wird dieser längst nicht so kalt.

Bei den extrem niedrigen Temperaturen im Süd-Polarwirbel können in der Stratosphäre Salpetersäure (HNO3) und Wasser zu Eiswolken gefrieren (normalerweise ist die Stratosphäre zu trocken für die Entstehung von Wolken). An diesen Wolken sammeln sich Stickstoff- und Chlorverbindungen wie Chlornitrat (ClONO2) und hypochlorige Säure (HClO) an. Stickstoff- und Chlorverbindungen, aus welchen diese Stoffe entstehen können, werden in der Natur von aktiven Vulkanen oder Pflanzen freigesetzt (aber das ist eine andere Geschichte). In den Stratosphärenwolken können Chlornitrat und hypochlorige Säure den langen, lichtlosen Polarwinter ohne Reaktion überdauern.

Erst wenn im Süd-Frühling die Sonne aufgeht (und dann geht sie für Monate nicht mehr unter!) und UV-Licht auf die Wolken fällt, werden die darin gelagerten Stoffe schnell gespalten:

Teilchen wie das ClO• nennt man Radikale, und das völlig zu Recht. Der Punkt in der Formel bedeutet ein einsames Elektron in der Elektronenhülle des Teilchens. Und da die Elektronen eines Atoms oder Moleküls sehr viel lieber zweisam sind, sucht sich das Teilchen mit radikalem Eifer etwas zum Reagieren, um ein weiteres Elektron zu erhalten. Und dabei lassen sie nicht selten andere Radikale zurück:

Richtig: Atomarer Sauerstoff ist auch ein Radikal, das z.B. durch Abspaltung von einem NO2-Molekül durch UV-Strahlung (s. Teil 1 dieses Artikels) entsteht.

Die so entstehenden Chlor-Radikale greifen wiederum Ozon an:

Es entsteht ein neues ClO•-Radikal, welches wiederum zu einem Chlor-Radikal reagieren und ein neues Ozon-Molekül angreifen kann! Chlor-Radikale reagieren also nicht nur leicht mit Ozon. Zudem können wenige Chlor-Radikale, die immer wieder in den Reaktionen Verwendung finden, viele Ozon-Moleküle abbauen. Chlor-Radikale wirken als Katalysator auf den Ozonabbau!

Die extreme Kälte des Polarwirbels im Polarwinter fördert also die Anreicherung von Stoffen in der Stratosphäre, die bei Einwirkung von Sonnenlicht Radikale bilden, welche als Katalysator auf den Abbau von Ozon wirken. Deshalb ist die Ozonschicht über der Antarktis im Süd-Frühling schon seit Beginn der Messungen etwas dünner als anderswo.

Wie haben wir uns daraus ein Problem geschaffen?

Ab den 1930er Jahren wurden sogenannte FCKW technisch hergestellt und vermehrt als Kältemittel in Kühlschränken und als Treibgas für Sprühdosen eingesetzt. FluorChlorKohlenWasserstoffe, bzw. nach den Spielregeln der Chemiker, die ihre Stoffe in alphabetischer Reihenfolge benennen, CFKW, sind Kohlenwasserstoffe, bei denen einige oder alle Wasserstoff-Atome durch Fluor- bzw. Chloratome ersetzt sind. Solche Verbindungen sind unter normalen Umständen reaktionsträge, weshalb sie damals als ungefährlich galten. Daran, dass solch unreaktive Moleküle in der Luft auch nicht abgebaut werden können und so lange erhalten bleiben, bis sie den beschwerlichen Weg in die Stratosphäre meistern, hat damals noch niemand gedacht.

So geraten die FCKW in der Stratosphäre an UV-C-Strahlung, die selbst Moleküle spaltet, die sonst nicht reagieren, wie zum Beispiel:

Es entstehen also reichlich zusätzliche Cl•-Radikale, die den Ozonabbau beschleunigen. Und so weit gingen die Voraussagen der Wissenschaftler schon in den 1970er Jahren. Nur hat damals niemand darauf gehört. Erst als 1985 bekannt wurde, dass die minimale Dicke der Ozonschicht über der Antarktis, die jeden Süd-Frühling durchlaufen wird, innerhalb von drei Jahrzehnten von rund 300 DU auf unter 100 DU abgesunken war, war das Erschrecken gross. Denn mit einem so schnellen Abbau hatten nicht einmal die Wissenschaftler gerechnet.

So hat die Weltpolitik für einmal phänomenal schnell reagiert und schon 1987 die Verwendung von FCKW mit der Unterzeichnung des Montrealer Protokolls eingeschränkt und in der Londoner Konferenz 1990 bis zum Jahr 2000 ganz verboten. In Folge dessen wird das Ozonloch wieder kleiner – Simulationen sagen voraus, dass die Ozonschicht sich wieder ganz erholen wird, wenn wir uns weiterhin beflissen an die genannten Protokolle halten.

Das Ozon-Loch 1979 bis 2011

Das Ozonloch im Laufe der letzten Jahrzehnte: vor seiner „Entdeckung“ (peinlich für die NASA: sie hatten es bereits registriert und bis 1985 für fehlerhafte Messwerte gehalten), zum Zeitpunkt des Montrealer Protokolls, bei seiner maximalen Ausdehnung 2006 und sichtlich kleiner im Jahre 2011 (Bildquelle: NASA)

Damit hat das Schreckgespenst Ozonloch, das erst durch das Zusammenwirken des kalten Polarwirbels mit den von Menschenhand freigesetzten FCKW entstanden ist, uns vor dem eigentlichen Problem bewahrt: Dem weltweiten und längerfristigen Abbau der Ozonschicht durch solche Stoffe.

Gibt es weitere Gefahren für die Ozonschicht?
Nun rückt allerdings eine zweite Einflussmöglichkeit auf die Ozonschicht zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit, nämlich die Freisetzung von Lachgas (N2O). Lachgas entsteht in grösseren Mengen beim Einsatz von stickstoffhaltigen Düngern oder als Abgas von Kraftfahrzeugen und Kraftwerken. Es kann mit atomarem Sauerstoff zu Stickstoffmonoxid reagieren, welches sich dann am Ozonabbau beteiligen kann:

Im Vergleich zur Wirkung der FCKW ist die ozonabbauende Wirkung von Lachgas aber verschwindend (man erwartet einen Ausdünnung der Ozonschicht von 2,6DU bis Ende des Jahrhunderts durch Lachgas). Viel bedeutender ist, dass Lachgas ein hochwirksames Treibhausgas ist…aber das ist eine andere Geschichte.

Was Ozon noch kann

Ozon in unmittelbarer Nähe ist nicht nur für uns giftig (siehe Teil 1 dieses Artikels), sondern es tötet auch Keime, wirkt entzündungshemmend und sogar durchblutungsfördernd. So findet es vielfältigen Einsatz in der Medizin. Zahnärzte nutzen Ozon zur Karies-Frühbehandlung oder zum Desinfizieren ausgeräumter Wurzelkanäle sowie – in Wasser gelöst – als desinfizierende Mundspülung. In der Komplementärmedizin werden Wunden und andere Hautschäden zur Desinfektion mit Ozon „begast“ (in einem Beutel oder unter einer Glocke, damit das Gas dort bleibt, wo es hin soll und nicht eingeatmet wird).

Ausserdem wird Ozon im eigenen, zuvor entnommenen Blut des Patienten gelöst sogar als Infusion gegeben oder gespritzt um Durchblutungsstörungen und ihre Folgen zu behandeln. Allerdings haben auch andere Gase ebenso durchblutungsfördernde Wirkung. Weitere heilsame Wirkungen des Ozons gelten zudem als nicht wissenschaftlich belegt.

Zu guter Letzt findet Ozon oft als Ersatz für das giftigere Chlor-Gas (Cl2) Verwendung. „Chlorfrei gebleichte“ oder anderweitig „chlorfrei“ behandelte Produkte, von Papier bis hin zu keimfrei aufbereitetem Trinkwasser sind meist mit Ozon behandelt – denn Chlor wirkt ähnlich wie Ozon oxidierend. Aber das ist eine andere Geschichte.

Fazit: Ozon ist ein Gas mit vielen Gesichtern

Ozon in der Stratosphäre bewahrt uns vor Schaden durch UV-Strahlung, während Ozon in unserer direkten Umgebung giftig für viele Lebewesen ist. Während wir unsere Ozonschicht hüten und mit dem vielgesichtigen Gas gezielt Keime töten, haben wir viel daran zu tun, unsere Atemluft möglichst frei von überschüssigem Ozon zu halten.

Und wo ist dir zuletzt Ozon begegnet?

[1] S.Brönnimann (2002): Ozon in der Atmosphäre. Verlag Paul Haupt, Bern, Stuttgart, Wien.

Ozon im Smog: Vom Sauerstoff zum Luftschadstoff

Was ist Ozon? Wie entsteht schädliches Ozon? Wann kann Ozon uns schaden? Wann (und wo) ist Ozon für uns lebenswichtig? Und wann ist Ozon ein Heilmittel?

Von Ozon hat sicher jeder schon gehört, und es wurden haufenweise Bücher darüber geschrieben. Warum also über Ozon schreiben? Während der Recherche für diesen Artikel bin ich in der Zentralbibliothek in Zürich gewesen und habe festgestellt, dass der Recherchecomputer mich auf der Suche nach Ozon fast immer ins Magazin mit den Erscheinungen vor 2010 hinunter schickt. Ist das Thema demnach in den letzten Jahren tatsächlich ins Abseits unseres Gedächtnisse geraten? Dabei sind gerade heute die unangenehmen Auswirkungen von Ozon in unserer Atemluft wieder einmal spürbar.

So dreht sich der erste Teil dieses Doppel-Artikels um Ozon als Luftschadstoff, während der zweite Teil euch die nützlichen und sogar für uns lebenswichtigen Eigenschaften dieses Stoffs mit zwei Gesichtern näherbringen soll.

An einem heissen Tag im Juli…

Es ist der 2.7.2015, die Sonne strahlt ungetrübt auf Mitteleuropa hinab. Heute ist ein Werktag. Die Städte sind belebt, es wird gearbeitet, die Strassen sind voller Autos. Und die Tageshöchsttemperaturen reichen in der Region Zürich bis 34°C. Ich habe das Glück in einem Dorf am Zürichsee zu sitzen und mir die Live-Messdaten für Schadstoffe in der Luft in Zürich und vielen Städten Deutschlands im Netz ansehen zu können. Da muss ich mir wegen dem, was ich da sehe, eigentlich weniger Gedanken machen. Die Leute, die in der Stadt unterwegs sind, aber schon.

In Zürich werden heute um die Mittagszeit Stundenmittelwerte von bis zu 174 μg Ozon pro m³ gemessen. In vielen Städten in West- und Südwestdeutschland sind gestern bereits Spitzenwerte um die 200 μg Ozon pro m³ gemessen worden. In Baden-Baden ganz im Süden Baden-Württembergs ist bei über 240 μg Ozon pro m³ sogar Ozon-Alarm ausgelöst worden!

Wer sich bei solchen Konzentrationen draussen bewegt, kann mit Kratzen und Brennen im Hals, Kopfschmerzen und Augenbrennen zu tun bekommen. Diese Symptome haben nicht unbedingt mit einer Sommergrippe zu tun, sondern mit einer Anreicherung des Gases Ozon in der Luft. Denn wir sind für Ozon-Konzentrationen von nur 40 – 80 μg Ozon pro m³ geschaffen…. Aber von Anfang an:

Was ist Ozon?

Ozon ist eine besondere Form (Chemiker sagen „Allotrop“ dazu) des Elements Sauerstoff. Während die üblichen Sauerstoff-Moleküle (O2), die wir atmen, aus je zwei Sauerstoff-Atomen bestehen, besteht ein Ozon-Molekül aus drei Sauerstoffatomen (O3). Deshalb wird Ozon manchmal auch „Trisauerstoff“ genannt.

Sauerstoff_vs_Ozon


Die Strukturformeln von Luftsauerstoff (links) und Ozon (rechts).
Die wahre Struktur des Ozon-Moleküls liegt in der Mitte zwischen den beiden gezeigten Formeln, d.h. beide Bindungen sehen gleich aus und das Molekül ist symmetrisch! Da man in der Formelsprache aber keine 1,5-fach-Bindungen zeichnen kann, geben die Chemiker solche mesomeren Grenzformeln an und meinen „die Wahrheit ist in der Mitte“.
Das Ozon-Molekül ist zudem elektrisch ungeladen. Die gezeigten Formalladungen ergeben sich aus den chemischen Spielregeln für die Verteilung der Elektronenpaare (Striche) auf die Atome und ergeben beim Ozon in der Summe eine Ladung von Null.
Allerdings deutet das Vorhandensein von Formalladungen in der Strukturformel schon darauf hin, dass wir es mit einem reaktionsfreudigen Molekül zu tun haben.

 

Ozon ist, ähnlich wie der Atem-Sauerstoff, ein farbloses bis bläuliches Gas. Dass Ozon nicht zum Atmen taugt, merkt man bei grösseren Mengen allerdings schnell, denn es hat einen unangenehm stechenden, chlorähnlichen Geruch, wie du ihn vielleicht von älteren Fotokopierern oder Laserdruckern kennst. Dieser Geruch kommt nicht von ungefähr, denn Ozon wirkt stark oxidierend und ist dabei alles andere als wählerisch: Es geht mit vielen Stoffen Redox-Reaktionen ein – auch mit den Bestandteilen von Menschen bzw. ihrer Atemwege. Deshalb wird Ozon von den Gefahrstoffexperten als sehr giftig gekennzeichnet.

Nichts desto trotz ist Ozon ein natürlicher Bestandteil unserer Atemluft. Allerdings kommen in der Troposphäre, genauer der planetaren Grenzschicht, dem untersten Teil der Atmosphäre, den wir atmen, in der Natur nur 40 – 80 μg Ozon pro m³ Luft vor. Das entspricht an einem angenehm warmen Tag 40 bis 80 Millionstel Gramm in rund 1,2 Kilogramm Luft!

An diese kleinen Mengen haben sich unsere Körper im Lauf der Jahrhunderttausende langen Geschichte unserer Entwicklung angepasst. Steigt die Ozon-Konzentration jedoch in kurzer Zeit auf über etwa 100 bis 120 μg/m³, wird es unangenehm, und ab etwa 180 bis 200 µg/m³ über mehrere Stunden zunehmend gesundheitsschädlich. Deshalb können wir Ozon in der Atemluft gar nicht brauchen. Deshalb hat die Schweizer Regierung bestimmt, dass die Ozon-Konzentration in der Atemluft nicht über 120 µg/m³ liegen darf. In den EU-Staaten sind sogar nur 110 µg/m³ erlaubt. Und trotzdem werden diese Grenzwerte immer noch sehr oft überschritten.

Wie entsteht Ozon in der Troposphäre?

Wie es dazu kommt, dass sich Ozon in unserer Atemluft ansammelt? Das haben wir uns selbst zuzuschreiben. Zumindest dann, wenn wir mit einem Auto oder anderen Kraftfahrzeug mit Verbrennungsmotor durch die Gegend fahren (oder fliegen), oder unseren Strom mit einem Dieselaggregat herstellen. Denn damit diese Motoren laufen und etwas antreiben können, muss es in ihnen so heiss werden, dass neben dem Treibstoff auch der Stickstoff aus der Luft (und die besteht zu 70% aus Stickstoff!) verbrannt wird. Dabei entsteht aus Stickstoff, der mit Sauerstoff reagiert, das Gas Stickstoffmonoxid (NO):

Normalerweise ist Stickstoff sehr reaktionsträge, d.h. er reagiert freiwillig gar nicht gerne und brennt deshalb auch nur, wenn man ihm ordentlich einheizt. (Wer sich bereits am Flughafen mit Le Châtelier unterhalten hat, dem kommt das vielleicht bekannt vor: Ja, die Reaktion ist Teil eines Gleichgewichts, das im Kolben eines Motors durch einen Zwang, die hohe Temperatur, auf die rechte Seite verschoben wird!) Entsteht dabei erst einmal Stickstoffmonoxid, dann reagiert dieses Gas auf dem Weg durch den Auspuff nach draussen mit mehr Sauerstoff schnell zu Stickstoffdioxid (NO2) weiter.

Das Gas Stickstoffdioxid ist nicht nur seinerseits sehr giftig (das ist eine andere Geschichte…), seine Moleküle sind auch empfindlich gegen Sonnenlicht. So kann ein NO2-Molekül, das von Licht getroffen wird, auseinander fallen:

Wer im Chemie-Unterricht aufgepasst oder sonst Ahnung von Chemie hat, mag jetzt protestieren: Sauerstoff-Atome kommen doch nicht einzeln vor! Deshalb sucht sich dieses Sauerstoff-Atom auch schleunigst ein neues Molekül, mit dem es reagieren kann. Und da Luft zu 78% aus reaktionsträgem Stickstoff und zu gut 20 Prozent aus molekularem Sauerstoff (O2) besteht, ist dieses neue Molekül in der Regel Sauerstoff:

Dies ist der einzige, aber reichlich begangene Weg, auf dem in unserer Atemluft Ozon entsteht. Deshalb steigt die Ozon-Konzentration im Laufe des Vormittags, nachdem sich zahllose Auto- und Lastwagenfahrer auf den Weg zur Arbeit gemacht und reichlich Stickstoffdioxid hinterlassen haben, an sonnigen Tagen schnell an. Und diese Ozon-Ansammlung bleibt uns erhalten, bis die Sonnenstrahlung nachlässt und die Motoren im Feierabendverkehr reichlich neues Stickstoffmonoxid erzeugen, welches statt mit Sauerstoff auch mit dem reaktionsfreudigeren Ozon reagieren kann:

Stickstoffoxide aus Autoabgasen führen zur Entstehung von Ozon


Stickstoffoxide aus Autoabgasen führen zur Entstehung von Ozon:
(1) Kraftfahrzeuge stossen Stickstoffmonoxid aus. Im Berufsverkehr am Morgen und am Abend entsteht besonders viel Stickstoffmonoxid.
(2) Stickstoffmonoxid wird vom Luftsauerstoff oxidiert: Es entsteht Stickstoffdioxid.
(3) Wenn es warm ist, spalten Sonnenstrahlen ein Sauerstoffatom aus dem Stickstoffdioxid ab.
(4) Das Sauerstoffatom reagiert mit Luftsauerstoff zu Ozon.
(5) Wenn Ozon auf Stickstoffmonoxid trifft, reagieren sie miteinander: Es entstehen Sauerstoff und Stickstoffdioxid.

 

Wie du dich vor Ozonbelastung schützen und die Ozonentstehung verhindern kannst

Deshalb empfehlen Umweltbehörden, wie z.B. das deutsche Umweltbundesamt, an Ozon-reichen Tagen erst am späten Nachmittag und Abend Sport zu treiben. Wer darüber hinaus der Ozonbelastung entkommen möchte, sollte sich z.B. im Wald aufhalten: Dort sind meistens wenig bis keine Autos und es ist schattig.

Richtig problematisch wird das Ozon in der Atemluft allerdings, wenn zu allen genannten Umständen eine Inversionswetterlage kommt: Dann liegt eine wärmere Luftschicht über der Schicht, die wir atmen, und hält diese förmlich in Bodennähe fest. Die in den Städten entstehenden Luftschadstoffe – auch das Ozon – können sich nun nicht einmal mehr nach oben hin verteilen. Dieses so angestaute, dunstig-giftige Luftgemisch wird als Sommersmog bezeichnet. Der Begriff kommt aus den USA und setzt sich aus den englischen Wörtern „smoke“ (Rauch) und „fog“ (Nebel) zusammen. In den 1940er-Jahren, als man noch kaum etwas über Ozon wusste, mussten die Bewohner von Los Angeles als erste dieses Phänomen erleben: Der höchste damals dort gemessene Spitzenwert betrug sage und schreibe 1160 μg Ozon pro m³ !

Um solche gemeingefährlichen Ozon-Konzentrationen erst gar nicht mehr entstehen zu lassen, stattet man heute die Autos mit einem 3-Wege- oder einem Denox-Katalysator aus. In so einem Gerät laufen Reaktionen ab, welche einen grossen Teil der Stickstoffoxide aus dem Abgas entfernen, bevor es nach draussen gelangt und zur Ozonentstehung führen kann (Aber das ist eine andere Geschichte….).

Da jedoch auch solche Katalysatoren niemals perfekt arbeiten, kannst du selbst den wirksamsten Beitrag zur Verminderung der Ozon-Konzentration leisten: Fahre -besonders an warmen Sommertagen- nur wenn unbedingt nötig Auto. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man im Stadtverkehr ohnehin meist viel entspannter durch.

Warum wir trotz allem nicht ohne Ozon leben können

Wie Ozon in die Stratosphäre kommt und uns vor gefährlicher UV-Strahlung schützt, was das Ozonloch ist, und in welcher Weise Ozon heilsam sein kann, erfährst du im zweiten Teil dieses Doppel-Artikels!

Und was tust du bei oder gegen Ozon-Belastung?

(Titelbild: Bearbeitung von Creator:Fidel Gonzalez (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0 oder GFDL], via Wikimedia Commons)

Verpflegung auf dem Schulhof: Eine Allegorie auf die Reaktionsgeschwindigkeit

Was ist die Reaktionsgeschwindigkeit? Wie kann eine Reaktion schnell oder langsam sein? Wie kann man die Geschwindigkeit einer Reaktion gezielt beeinflussen?

Bei einer chemischen Reaktion werden Ausgangsstoffe in neue Stoffe umgewandelt (mehr dazu auf unserer Grillparty). Je nachdem, ob dies schnell oder langsam geschieht, können die Auswirkungen auf die Umgebung der Stoffe grundverschieden sein. So ist die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion für zahllose Vorgänge im Alltag von grösster Bedeutung.

Selbst in auf den ersten Blick ganz unwissenschaftlichem Umfeld können wir Grundlegendes über die Reaktionsgeschwindigkeit lernen. So hat sich vor einigen Jahren an einem deutschen Gymnasium angeblich folgendes zugetragen:

 

Eine chemische Reaktion in der grossen Pause

An jenem Gymnasium gibt es nach der halben Unterrichtszeit des Tages eine grosse Pause. 1035 Schüler haben dann nach den ersten Lektionen allesamt grossen Hunger. Deshalb hat das Hausmeister-Ehepaar im Foyer des Schulhauses einen Sandwich-Verkauf eingerichtet. So kann sich jeder hungrige Schüler mit einem leckeren belegten Pausenbrot verpflegen. Theoretisch jedenfalls. Denn es zeigte sich, dass die gerade mal 20 Minuten dauernde grosse Pause bei Weitem nicht ausreichen, um an alle hungrigen Schüler Sandwiches auszugeben. Tagtäglich gibt es Gedränge am Ausgabetisch und ein Grossteil der Schüler kehrt am Ende der Pause hungrig und verdrossen in den Unterricht zurück.

„So kann das nicht weitergehen, Kathi“, wendet sich die Schülerin Iris eines Tages empört an ihre Schwester, als es wieder viel zu früh zum Pausenende schellt, „es sollten alle satt werden können.“

„Du hast recht“, gibt Kathi, ebenfalls Schülerin, zurück, „wir müssen etwas unternehmen.“

„Wir? Wie sollten wir das denn anstellen?“ Iris schaut mehr als skeptisch drein.

„Eigentlich ist das ganz einfach“, antwortet Kathi mit einem Grinsen. „Die Versorgung der Schüler mit Sandwiches ist eigentlich nichts anderes als eine chemische Reaktion.“

Grosse Fragezeichen erscheinen in Iris‘ Gesicht.

„Zwei Stoffe reagieren zu einem Neuen:“, erklärt Kathi, „jeder hungrige Schüler ist ein Teilchen des ersten Stoffes, ein Sandwich ist ein Teilchen des zweiten Stoffes. Und hungrige Schüler reagieren mit Sandwiches zu Teilchen eines neuen Stoffs: zu satten Schülern.“ (1)

Verpflegung auf dem Schulhof: Allegorie auf eine chemische Reaktion

Reaktion in der grossen Pause: Hungrige Schüler und Sandwiches reagieren zu satten Schülern.
Bildnachweis Schüler: Gruppen von Menschen from Clipart.me Bildnachweis Sandwich: Essen Obst und Gemüse from de.clipart.me

(1) Eigentlich kann man die Wandlung von hungrigen zu satten Schülern in einer ganzen Reihe von Reaktionsschritten darstellen, die miteinander verkettet zum gewünschten Reaktionsprodukt führen. Unter diesen sei aber die Übergabe der Sandwiches an hungrige Schüler der langsamste Reaktionsschritt. So kann diese eine Reaktion stellvertretend für die ganze Kette betrachtet werden, was die Sache erheblich vereinfacht.

Jetzt versteht auch Iris: „Und am Ende unserer Pause haben nicht alle Schüler mit Sandwiches reagiert. Das muss alles viel schneller gehen!“ Und sogleich misst sie ihre Schwester mit einem unsicheren Blick.

„Können chemische Reaktionen denn schnell oder langsam sein?“

 

Die Geschwindigkeit von Reaktionen

„Natürlich können sie!“, erwidert Kathi. „Erinnerst du dich an das Silvesterfeuerwerk? An die schönen Vulkane, die wir mit Papa abgebrannt haben? Über eine Minute lang haben die Funken gesprüht!“
Iris nickt eifrig. „Und der letzte ist sofort mit einem Riesenknall in die Luft gegangen. Danach war nichts mehr davon übrig. Zum Glück ist niemandem was passiert!“

„Ganz genau“, bestätigt Kathi, „das Abbrennen von Schwarzpulver ist auch eine chemische Reaktion. Und im letzten Vulkan ist diese Reaktion innerhalb von einer Sekunde abgelaufen, während die anderen Vulkane dafür mehr als eine Minute brauchten. Der letzte Vulkan hat also schneller reagiert als die anderen.“

„Hm…“, meint Iris, „das ist einleuchtend. Nur eines will mir nicht recht in den Kopf. In der Physik-Stunde haben wir neulich gelernt, dass etwas, das sich in einer bestimmten Zeit t entlang einer bestimmten Strecke s bewegt, die Geschwindigkeit v = Δs / Δt hat. Aber bei einer chemischen Reaktion bewegt sich doch nichts von einem Ort zum anderen. Wie kann es dann eine Reaktionsgeschwindigkeit geben?“

„In dem Sinne bewegt sich bei Reaktionen tatsächlich nichts. Aber in anderer Weise dafür umso mehr. Bei einer chemischen Reaktion ändert sich die Menge der daran beteiligten Stoffe. Am Anfang der Pause haben wir viele hungrige Schüler und einen grossen Haufen Sandwiches auf dem Ausgabetisch – und keine satten Schüler. Am Ende der Pause gibt es weniger hungrige Schüler und Sandwiches, aber dafür sind zumindest einige satte Schüler anzutreffen. Und weil die Menge hungriger Schüler während der Pause schneller abnehmen muss, damit alle satt werden, hat eine Reaktion, die in einer bestimmten Zeit t eine Stoffmenge n eines beteiligten Stoffes verändert, die Geschwindigkeit v = Δn / Δt.“

Tatsächlich benutzen die meisten Chemiker statt der Stoffmenge n die Konzentration c eines Stoffes und sprechen von einer Reaktionsgeschwindigkeit  Die Konzentration eines Stoffes ist aber nichts anderes als die Stoffmenge in einem bestimmten Volumen (c = n / V), in dem die Reaktion stattfindet. Unsere Pausen-Reaktion findet im Schulfoyer statt, sodass das Volumen dieses Raumes als Reaktionsvolumen dienen kann. Die Konzentration der hungrigen (oder satten) Schüler ist also die (Stoff)Menge der hungrigen (oder satten) Schüler, die sich im Foyer aufhalten.

 

Eine Reaktion beginnt mit dem richtigen Stoss

„Und wann genau werden die hungrigen Schüler satt?“, fragt Kathi schliesslich, als Iris sie nachdenklich ansieht.

„Dann, wenn sie ein Sandwich zum Essen haben!“

„Richtig. Schüler und Sandwiches müssen zusammenkommen, damit sie reagieren können. „

„Und die meisten sind so geschwätzig, dass man sich richtig drauf stossen muss, damit sie anfangen zu essen“, kichert Iris.

„Das ist bei Teilchen eines Stoffs ganz genauso“, gesteht ihre Schwester ein, „die müssen erst richtig, das heisst erfolgreich zusammenstossen, bevor sie zu neuen Teilchen reagieren können. Und bei den Teilchen wie auch bei den Schülern können wir nachhelfen und dafür sorgen, dass sie schneller zusammen kommen.“

„Verstehe“, meint Iris nun überzeugt. „Je schneller hungrige Schüler und Sandwiches zusammen kommen, desto schneller wächst die Menge der satten Schüler. Dann müssen wir die Hungrigen so schnell zu den Sandwiches bringen, dass alle während der 20 Minuten Pause essen können.“

„Genau. Und das machen wir so…“

 

Wie Kathi und Iris die Geschwindigkeit der Sandwich-Reaktion erhöht haben

Gleich nach der Schule haben die Schwestern ihre Freunde zusammengetrommelt und in ihre Sandwich-Verschwörung eingeweiht. Man kann die Geschwindigkeit einer Reaktion nämlich auf drei unterschiedliche Arten beeinflussen. Und miteinander kombiniert zeigen diese Drei die beste Wirkung. So haben Kathi und Iris eine ganze Reihe Aufgaben verteilt, damit ihr Plan gelingen und alle Schüler satt werden können.

Am nächsten Tag, als es zur grossen Pause läutet, geschieht dann folgendes:

1. Konzentration der Ausgangsstoffe erhöhen

Je mehr Reaktionspartner da sind, desto mehr können sich auch finden. Deshalb spurten die schnellsten Läufer gleich beim Läuten aus dem Klassenraum um die Türen zum Pausenhof zu bewachen. So stellen sie sicher, dass alle Schüler zuerst ins Foyer zur Sandwich-Ausgabe gehen müssen. Denn wenn alle Schüler sich gleichzeitig im Foyer aufhalten, wird es dort so voll, dass ständig hungrige Schüler an die Sandwichausgabe drängen. Die Sandwiches sind zum Glück alle pünktlich geliefert, sodass die Konzentration von Sandwiches im Foyer nicht weiter erhöht werden muss. Die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt mit der Konzentration der Ausgangsstoffe zu.

2. Zerteilung der Ausgangsstoffe erhöhen

Damit sich im vollen Foyer keine Warteschlangen vor dem Sandwich-Ausgabetisch bilden, schleppen die starken Jungs in Windeseile vier weitere Tische herbei und verteilen die Sandwiches darauf. So können die vielen hungrigen Schüler an fünf Orten gleichzeitig mit Sandwiches „zusammenstossen“. Wenn die an der Reaktion beteiligten Stoffe nämlich fein untereinander verteilt sind, können die Teilchen sich an vielen Orten gleichzeitig finden und miteinander reagieren. Bei einer chemischen Reaktion kann man das erreichen, indem man die Reaktionsteilnehmer zum Beispiel fein zermahlt und miteinander vermengt oder in einem Lösungsmittel auflöst und umrührt. Die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt mit dem Zerteilungsgrad der Ausgangsstoffe zu.

3. Temperatur erhöhen

Je schneller sich Teilchen bewegen, desto schneller finden sie auch zusammen, und desto mehr dieser Zusammenstösse sind kräftig und zielgerichtet genug, um auch erfolgreich zu sein und zur Reaktion zu führen. Naturgemäss erfüllt nämlich immer nur ein Teil aller Stösse die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Reaktion: Nicht alle Schüler, die an der Ausgabe ein Sandwich sehen, entscheiden sich auch gleich eins zu nehmen.

Und was für die Anhänger von Teilchenmodellen die Bewegung der Teilchen eines Stoffes ist, ist aus Sicht eines menschlichen Beobachters die Temperatur des betreffenden Stoffes.

Die wichtigste und anstrengendste Aufgabe hat also die Werbemannschaft der Sandwich-Verschwörung, die überall unterwegs ist, um die hungrigen Mitschüler anzutreiben und die Unentschlossenen zum Zugreifen an der Ausgabe zu bewegen, bevor die sich wieder verquatschen oder über ihrem Handy die Zeit vergessen können. All das Anfeuern zahlt sich aber durchaus aus. Denn die RGT-Regel, eine Faustregel für richtige chemische Reaktionen, besagt: Wenn die Temperatur der Reaktionsteilnehmer um 10°C steigt, reagieren sie doppelt so schnell wie vor dem Anstieg. Die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt mit der Temperatur der Ausgangsstoffe zu.

Während das Hausmeisterehepaar von all dem Lärm und Gedränge noch völlig überwältigt ist, leeren sich die Sandwich-Ausgabetische mit rasanter Geschwindigkeit, und die Torwächter können immer mehr satte Schüler auf den Pausenhof durchwinken. Iris kommt schon kaum mehr mit dem Zählen nach. Denn indem man den Anstieg der Konzentration eines Reaktionsprodukts (oder die Abnahme der Konzentration eines Ausgangsstoffs) während eines Zeitabschnitts beobachtet, kann man die Reaktionsgeschwindigkeit messen.

Als Kathi und Iris sich schliesslich die beiden letzten Sandwiches schnappen, sind binnen sage und schreibe 12 Minuten 1035 hungrige Schüler zu satten Schülern reagiert. Das Foyer mit den geplünderten Ausgabetischen und seiner vom Gedränge ramponierten Einrichtung erinnert allerdings an ein Schlachtfeld.

„Das ging jetzt sogar etwas zu schnell“, stellt Kathi fest, „morgen müssen wir unbedingt ein paar Regeln absprechen, damit das Ganze etwas weniger schnell und dafür ohne Begleitschäden abläuft. Zum Glück lässt die Reaktionsgeschwindigkeit sich nämlich auf die gleiche Weise senken, wie man sie erhöhen kann.“

„So, wie die Feuerwerksentwickler die Schwarzpulver-Reaktion in ihren Vulkanen so beeinflussen, dass sie lange kräftig Funken sprühen und uns nicht mit einem Knall um die Ohren fliegen?“, fragt Iris.

„Genau. Aber was im Einzelnen beim Feuerwerk passiert, ist eine andere Geschichte.“

 

Zusammenfassung

Eine chemische Reaktion, also die Umwandlung von Stoffen in andere Stoffe, läuft mit einer veränderlichen Geschwindigkeit ab. Diese Reaktionsgeschwindigkeit entspricht der Änderung der Konzentration eines an der Reaktion beteiligten Stoffes während eines bestimmten Zeitabschnitts (v = c/t).

Je schneller also die Teilchen der Ausgangsstoffe zusammenstossen und zu neuen Teilchen umgebaut werden können, desto schneller verläuft die Reaktion. Das gilt für hungrige Schüler und Sandwiches ebenso wie für die Teilchen miteinander reagierender Stoffe.

Deshalb kann die Geschwindigkeit einer Reaktion gezielt beeinflusst werden: Die Reaktionsgeschwindigkeit steigt mit steigender Konzentration und zunehmendem Zerteilungsgrad der Ausgangsstoffe, sowie mit deren Temperatur.

Fällt dir eine andere chemische Reaktion ein, deren Geschwindigkeit in deinem Alltag wichtig ist?

UV-Strahlung aus der Sonne: Sonnencreme kann davor schützen

Die Ferien rücken näher. Wir sehnen uns nach Sonne, Strand und einem kühlen Bad im Meer oder einem See. Doch neben all diesen Freuden erwarten uns auch einmal mehr unangenehme Souvenirs: Sonnenbrand, Hautalterung, und im schlimmsten Fall irgendwann Hautkrebs.

Aber warum wird die Sonne uns gefährlich? Was geschieht bei Sonneneinstrahlung in unserer Haut? Wie können uns UV-Filter in Sonnencreme vor gefährlicher Strahlung schützen? Und inwieweit können diese Inhaltsstoffe uns schaden, wie es derzeit in der Presse die Runde macht?

 

Was ist UV-Strahlung?

Jedes Kind kennt die Bezeichnungen „UV-Schutz“, „UVA“ und „UVB“ von den Verpackungen von Sonnenmilch und anderen Kosmetik-Artikeln. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesen Buchstaben?
UV steht für ultraviolette Strahlung. Richtig: Das Licht, das wir sehen, ist nicht das einzige, was die Sonne abstrahlt. Tatsächlich macht das sichtbare Licht nur einen sehr kleinen Teil dessen aus, was von der Sonne ausgeht. Das Spektrum – eine geordnete Übersicht der Strahlung – zeigt eine ganze Reihe Strahlungsarten. All diese „Strahlen“ gehören zur gleichen Sorte Wellen (den elektromagnetischen Wellen) und unterscheiden sich nur in ihrer Wellenlänge – bzw. in ihrer Frequenz. Die Frequenz einer Welle ist nämlich umso grösser, je kleiner die Wellenlänge ist. Alle elektromagnetischen Wellen transportieren Energie, und zwar umso mehr, je grösser die Frequenz der Welle (oder je kleiner die Wellenlänge) ist.

1000px-EM-Spektrum.svg

Elektromagnetisches Spektrum: Die Gamma-Strahlen ganz links im Spektrum haben die kürzesten Wellenlängen, die grössten Frequenzen und folglich die meiste Energie, während Langwellen (der Name sagts) am längsten sind, die kleinste Frequenz und am wenigsten Energie haben. [  By EM_spectrum.svg: User:Zedhderivative work: Matt (EM_spectrum.svg) [CC BY-SA 2.5-2.0-1.0, GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons ]

Die ultraviolette Strahlung finden wir gleich links von dem schmalen Bereich jener Wellen, die wir sehen können. UV-Licht besteht also aus kürzeren Wellen als das sichtbare Licht und hat dem entsprechend mehr Energie.

Und dieses Mehr an Energie ist das Problem. Unser Körper ist für sichtbares Licht geschaffen (immerhin macht sichtbares Licht Chemie in unseren Augen, die uns sehen lässt. Aber das ist eine andere Geschichte…). Strahlung mit mehr Energie als sichtbares Licht bereitet uns hingegen meistens Schwierigkeiten. Und nach Art und Umfang dieser Schwierigkeiten hat man die UV-Strahlen eingeteilt:

UV-A-Strahlen:
• sind mit Wellenlängen von 320 – 400 nm nur wenig kürzer als sichtbares Licht
• können Glas durchdringen, gelangen bis in unsere Lederhaut
• verursachen die Bräunung unserer Haut, aber auch Hautalterung

UV-B-Strahlen:
• sind mit Wellenlängen von 250 – 320 nm energiereicher als UV-A-Strahlen
• dringen nicht durch Glas und nur bis in unsere Oberhaut
• verursachen dort neben Bräunung jedoch auch Sonnenbrand und Hautkrebs

UV-C-Strahlen:
• sind noch energiereicher als UV-B-Strahlen
• können die Erdatmosphäre praktisch nicht durchdringen, wie alle noch energiereicheren  Strahlungsarten übrigens auch, sodass wir uns davor draussen nicht schützen müssen

 

Was bewirken UV-Strahlen in unserer Haut?

Wenn elektromagnetische Wellen auf Atome treffen, können sie ihre Energie an diese Atome abgeben. UV-Strahlen können so die Energie von Elektronen in der Atomhülle erhöhen (Chemiker sagen „anregen“), sodass diese Elektronen auf ein höheres Energieniveau „aufsteigen“ oder sogar die Atomhülle verlassen.

Das ist an sich sehr nützlich, denn viele wichtige chemische Reaktionen, wie z.B. die Herstellung von Vitamin D im menschlichen Körper, laufen nur nach Anregung durch UV-Strahlung ab (aber das ist eine andere Geschichte…).

Gefährlich werden UV-Strahlen dann, wenn Atome getroffen werden, die garnicht reagieren sollen. Und das ist leider meistens der Fall. Die meisten Moleküle in unserem Körper haben nämlich ganz bestimmte Aufgaben und tauschen Atome und Elektronen auf ganz bestimmten Wegen. UV-Strahlung ist jedoch nicht wählerisch und regt an, was ihr gerade passt. Wenn dabei ein einzelnes Elektron von seinem Atom getrennt wird, bleibt das Atom – bzw. das Molekül, zu welchem das Atom gehört – mit unvollständiger Elektronenhülle zurück. Ein Radikal ist entstanden, und Radikale neigen dazu, auf der Suche nach Ersatz für ihr fehlendes Elektron mit allem zu reagieren, was ihnen in die Quere kommt.

UV-Strahlen können also in unserer Körperchemie ein gehöriges Durcheinander anrichten. Unserer Haut passt chemisches Durcheinander aber gar nicht, was sie durch Rötung, Erhitzung und Schmerzen deutlich kundtut. Das bedeutet Stress, und Stress macht bekanntlich müde, sodass ausdauernd sonnenbestrahlte Haut ziemlich schnell alt aussieht.

Am schwersten trifft es uns, wenn die UV-Strahlung unsere DNA trifft, jene Riesenmoleküle im Kern unserer Zellen, in denen unsere Erbinformation gespeichert ist. Wenn ein DNA-Molekül beschädigt ist, werden die Daten über Aufbau und Funktion der Zelle fehlerhaft kopiert oder ausgelesen, sodass die Zelle und all ihre Nachkommen nicht mehr richtig funktionieren. Besteht die Fehlfunktion darin, dass die fehlerhaften Zellen sich unkontrolliert vermehren, entsteht Hautkrebs.

Damit es dazu aber garnicht erst kommt, gibt es in jeder Zelle nützliche Enzyme, die die DNA ständig überprüfen und Schäden reparieren. Allerdings arbeiten solche Enzyme nicht perfekt. Je mehr Schäden also entstehen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fehler übersehen wird und schwerwiegende Folgen hat.

 

Wie können wir unsere Haut vor UV-Strahlung schützen?

Nicht immer können wir die Sonne meiden oder lange Kleidung tragen (denn das wäre zweifellos der wirksamste Schutz). Deshalb streichen oder sprühen wir Sonnenschutzmittel mit sogenannten UV-Filtern auf unsere Haut, wenn wir uns länger der Sonne aussetzen. UV-Filter sind Stoffe, die UV-Strahlen daran hindern in unsere Haut einzudringen. Dabei kann man gemäss ihrer Arbeitsweise physikalische „Filter“ von chemischen „Filtern“ unterscheiden: 

Physikalische Filter: sind in der Regel kleine, anorganische Partikel, die wie Spiegel an der Hautoberfläche wirken und die eintreffende UV-Strahlung einfach reflektieren (zurückwerfen).

 
Häufig wird dazu Titandioxid, TiO2, verwendet, das auch als das Mineral Rutil oder Lebensmittelfarbstoff E 171 bekannt ist. Dieser steinartige Stoff ist nicht nur ungiftig, sondern zudem als Pulver auffallend weiss, was ihn als „Spiegel“ auszeichnet. Damit wir uns aber damit einstreichen können ohne weiss zu werden (in den frühen Jahren der Sonnencreme war das tatsächlich Gang und Gäbe!), wird das Titandioxid-Pulver so fein zermahlen, dass die einzelnen Partikel nur noch 1 bis 100 Nanometer klein sind (zum Vergleich: ein Atom ist noch etwa 1000 mal kleiner!). Diese TiO2-Nanopartikel sind für uns unsichtbar, eignen sich aber prima um UV-A- und UV-B- Strahlung zu reflektieren. Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor enthalten praktisch immer einen solchen physikalischen Filter.
 

Chemische Filter: sind in der Regel organische Moleküle, die UV-Strahlen absorbieren, d.h. „schlucken“ können.

 
Solche Moleküle werden ganz normal von UV-Strahlen angeregt, können ihre zusätzliche Energie aber durch einen Prozess, der „innere Umwandlung“ genannt wird, ganz schnell wieder loswerden. Während normale Moleküle Energie nur in Form von Strahlung abgeben können (oder kaputtgehen), wird die Zusatz-Energie von angeregten Elektronen bei der inneren Umwandlung einfach in Schwingungen überführt: Das Molekül erzittert und schubst dabei seine Nachbarn an, die so die absorbierte Energie übernehmen (Schwingungen von Molekülen sind letztlich nichts anderes als Wärme).

Die innere Umwandlung ist extrem schnell (sie dauert nur Femto- bzw. Billiardstelsekunden!) – viel schneller als jede ungewollte chemische Reaktion einschliesslich der Entstehung von Radikalen. So können UV-Strahlen, die auf Moleküle eines chemischen Filters treffen, keinen Schaden mehr anrichten.

Die mit Abstand besten chemischen UV-Filter sind übrigens das Hautbräune-Protein Melanin und unsere DNA höchstselbst (was unsere Reparaturenzyme ganz gewaltig entlastet). Diese Beiden schlucken 99,9% aller UV-Treffer unversehrt, während guten synthetischen UV-Filtern in Sonnencremes bei nur bis 81% aller Treffer die innere Umwandlung gelingt.

 

Können diese praktischen Stoffe unserer Gesundheit schaden?

Vielerorts wird darüber spekuliert, dass Nano-Partikel, weil sie so klein sind, auf ungeahnten Wegen in unseren Körper eindringen und ungewollte (schädliche) Wirkungen haben können. Tatsächlich sind Titanoxid-Verbindungen z.B. bei Entwicklern von Knochenprothesen sehr beliebt, gerade weil sie mit Knochenoberflächen und anderem Gewebe reagieren und Bindungen eingehen können (aber das ist eine andere Geschichte…).

Bevor man sich jedoch ausmalt, was Nano-TiO2 in unserem Körper anrichten könnte, bleibt die Frage zu klären, ob es überhaupt da hinein kommt. Und da sagen bis heute vorliegende Studien: Das Nano-TiO2 in Sonnencremes kann unsere Haut nicht durchdringen. Auch dann nicht, wenn die Haut, z.B. durch schon vorhandenen Sonnenbrand, beschädigt ist. Ausserdem sind die als UV-Filter eingesetzten Nanopartikel mit einer speziellen Schicht überzogen, die jene Reaktionen, für die Titanoxide bekannt sind, im Zweifelsfall verhindert.

Weniger einfach verhält es sich mit den chemischen UV-Filtern. Da gibt es so viele verschiedene Bedenken, wie es eingesetzte Stoffe gibt.

Zu den meistkritisierten chemischen Filtern gehört eine Substanz namens Octinoxat oder EHMC (Chemiker nennen den Stoff 4-Methoxyzimtsäure-2-ethylhexylester, was für den ‚Hausgebrauch‘ entschieden zu lang ist). Dieser Stoff beherrscht die innere Umwandlung für einen synthetischen Filter sehr gut. Allerdings verursacht er verbreitet Stirnrunzeln, weil in Studien mit Zellkulturen und Ratten eine hormonaktive Wirkung des Octinoxat beobachtet worden ist.

Das bedeutet, Proteine im Körper der Ratten (wie auch in den kultivierten Zellen), die dafür geschaffen sind mit Hormonen, also Botenstoffen, zu reagieren, verwechseln Octinoxat mit Geschlechtshormonen aus der Gruppe der Estrogene. Die Proteine interpretieren bei der Begegnung mit Octinoxat also eine Botschaft, die das fremde Molekül gar nicht hat, und setzen Stoffwechsel-Vorgänge in Gang, die es eigentlich gar nicht braucht. Folgen davon sind Durcheinander im Hormonhaushalt, nicht angedachtes Wachstum von Geschlechtsorganen und manches mehr. Und was bei Ratten geht, geht bei Menschen leider meistens auch.

Deshalb hat sich das Wissenschaftliche Kommittee der EU für Kosmetik- und Non-Food-Produkte für den Endverbraucher (SCCNFP) seinerzeit mit den Studien zu diesem und ähnlichen UV-Filtern beschäftigt. Und die Kommission hat die Meinung geäussert, dass diese Stoffe wohl hormonaktiv wirken können, aber längst nicht so stark wie andere hormonaktive Stoffe, die z.B. in Nahrungsmitteln (Sojaprodukten) oder der Antibaby-Pille zu finden sind. Ehe wir uns also wegen Octinoxat und Co einen Kopf machen, ist es demnach sinnvoller sich über wichtigere Quellen hormonaktiver Stoffe Gedanken zu machen. Trotzdem wird Octinoxat in Europa nur noch selten in Sonnencremes verwendet.

Wesentlich häufiger findet man dafür die Substanz Octocrylen, die zwar kein besonders guter UV-Filter ist, aber dafür sorgen kann, dass andere Filterstoffe in der Sonnencreme stabil bleiben. Von diesem Stoff heisst es, dass er eine Kontaktallergie auslösen kann, wie es z.B. auch Nickel manchmal tut.

Das bedeutet, der Körper hält das Octocrylen fälschlicherweise für gefährlich und löst eine unnötige Abwehrreaktion aus: Die Haut, die mit dem Stoff in Kontakt kommt, wird rot, fängt an zu jucken und bekommt Pusteln. Bei einer Kontaktallergie sind es allerdings weisse Blutzellen (TH1-Lymphozyten), die sich irren und die Bekämpfung der vermeintlichen Gefahr aufnehmen. Das dauert erheblich länger als die Reaktion abwehrbereiter Antikörper bei der zuweilen gefährlichen direkten Allergie (auch das ist eine andere Geschichte…).

Ein allergischer Schock durch Octocrylen ist daher nicht zu befürchten, wohl aber Hautreizungen, die mit einer „Sonnenallergie“ verwechselt werden können.

Kontaktallergien können übrigens im Prinzip von jedem Fremdstoff ausgelöst werden. So sind auch entsprechende Reaktionen auf EHMC und sogar auf das relativ harmlos genannte Butylmethoxydibenzoylmethan bekannt.

 

Was können wir also tun?

Meiner Meinung nach geht der Nutzen von UV-Filtern und Sonnencreme weit über die möglichen Risiken hinaus. Daher streiche ich mich stets gründlich ein, wenn ich draussen in der Sonne unterwegs bin. In den Bergen ist das übrigens auch im Winter zu empfehlen, weil in der Höhe die schützende Erdatmosphäre dünner ist als auf Meereshöhe und der weisse Schnee als die einfallende Strahlung vom Boden auf uns zurückwirft.

UV-Filter sind aber längst nicht mehr nur in Sonnencreme zu finden, sondern auch in vielen anderen Kosmetik-Produkten, vom Make-up bis zum Lippenstift. Und hier können wir meines Erachtens unnötige Risiken vermeiden, wenn wir darüber nachdenken, wann wir UV-Schutz wirklich benötigen und wann nicht. Im abendlichen Ausgang oder im Büro bzw. im Schulzimmer bekommen wir jedenfalls weder Sonnenbrand noch alte Haut.

Und wenn ihr zu den unglücklichen 10% gehört, die im Zusammenhang mit Sonne und Sonnencreme allergische Reaktionen erleben, ist es meiner Meinung nach sinnvoll den Auslöser genau zu ermitteln und – sollte es sich um einen Inhaltsstoff von Sonnencreme handeln – künftig ein Produkt ohne diesen Stoff zu benutzen.

Auf der Grillparty mit Reto, Lilli, Andi und Dominik sind wir im ersten Teil dieses Artikel-Duos schon fünf chemischen Reaktionen begegnet, die in allen Bereichen der Chemie grundlegend und im Alltag häufig zu finden sind.

In der Organischen Chemie, der Chemie der Kohlenwasserstoff-Verbindungen, gibt es drei weitere wichtige Reaktionstypen. Diese finden sich im Alltag häufig dann wieder, wenn es um Biochemie geht. Denn die Biochemie, die Chemie des Lebens, dreht sich notgedrungen um Kohlenwasserstoff-Verbindungen, sind doch alle irdischen Lebewesen massgeblich daraus aufgebaut.

Drei grundlegende Reaktionen in der Organischen Chemie – und warum auf unserer Grillparty niemand vergiftet wird

Dass es auf unserer Grillparty sehr lebendig zugeht, steht ausser Frage. So wundert es nicht, dass sich auch folgende drei Reaktionstypen dort wiederfinden. Nunja, zum Glück finden nur zwei davon wirklich statt, denn die Reaktion des letzten Typs hätte ziemlich unangenehme Folgen.

1. Die Eliminierung: Warum Gegrilltes so lecker schmeckt – und Lilli trotzdem nörgelt

Steaks und Würstchen brutzeln auf dem Rost, werden braun und knusprig und es duftet verlockend nach Gebratenem. Neue Eigenschaften, neue Stoffe? Da ist eindeutig eine chemische Reaktion im Gange. Sogar eine ganze Menge chemischer Reaktionen. Eiweisse im Fleisch reagieren mit Fett und Zucker und was ein guter Koch sonst noch alles in seine Marinade packt.

In vielen Reaktionen, die teils aufeinander folgen, entstehen so neue Stoffe, die knusprig aussehen, lecker schmecken und gut duften. All diese Vorgänge miteinander werden von den Chemikern „Maillard-Reaktion“ genannt. Die zahllosen Wege der Maillard-Reaktion haben eines gemeinsam: Am Anfang werden stets zwei grössere Moleküle, z.B. Traubenzucker (Glucose) und die Aminosäure Asparagin, aneinander geheftet, wonach drei Atome nicht länger gebraucht werden und ein kleines Wassermolekül, H2O, bilden. Das Wassermolekül wird also im Zuge der Reaktion von den Ausgangsstoffen entfernt (eliminiert). Bei einer Eliminierung wird ein kleines Molekül aus dem Reaktionsgeschehen entfernt.

Maillard-Reaktion


Maillard-Reaktion: Im ersten Reaktionsschritt wird ein Wassermolekül eliminiert. Auch der zweite Schritt ist eine Eliminierung: Dabei bleibt statt Wasser ein Kohlendioxid-Molekül übrig. Acrylamid ist allerdings nur ein unerwünschtes unter vielen erwünschten Endprodukten.

Wenn man zu heiss brät (ab etwa 180°C), kann bei der Maillard-Reaktion übrigens das als krebserzeugend verschriene Acrylamid entstehen. Lilli gefällt diese Aussicht gar nicht, aber uns soll es den Appetit heute nicht verderben. Schliesslich bemühen wir uns ja darum, dass der Grill nicht gar zu heiss wird..

Und Appetit hat inzwischen sogar Reto, der sein Sodbrennen dank seiner Notfalltabletten gut im Griff hat. Schliesslich grillen wir ja nicht nur zum Spass, sondern haben auch einen Nutzen davon, Acrylamid hin oder her.

2. Die Addition: Die Verdauung unter die Lupe genommen

Grillfleisch ist nämlich nicht nur lecker, sondern auch nahrhaft. Es enthält reichlich Eiweisse (die Biochemiker sagen Proteine), die aus Aminosäuren aufgebaut sind. Und die verwendet unser Körper zum Aufbau eigener Eiweisse wieder.

Um an diese Aminosäuren heranzukommen müssen die Bindungen, welche sie im Eiweiss zusammenhalten, aufgehoben werden. Dies geschieht, indem ein Eiweiss-Molekül an den Bindungen zwischen den Aminosäuren (den „Peptidbindungen“) mit Wassermolekülen reagiert: Die Peptidbindung wird durchtrennt und die Atome des Wassermoleküls an die losen Enden angefügt. Bei einer Addition wird ein kleines Molekül an mindestens ein grösseres Molekül angefügt.

Peptid-Hydrolyse

Addtition von Wasser an eine Peptidbindung: Eiweisse (Proteine) bestehen aus langen Ketten von Aminosäuren, die durch Peptidbindungen zusammengehalten werden. Rest 1 und Rest 2 stehen für die Kettenabschnitte beiderseits der dargestellten Peptidbindung.

Und weil die Addition von Wasser an Peptidbindungen bei Körpertemperatur nicht recht in Gang kommt, gibt es im Magensaft das Verdauungsenzym Pepsin, das Eiweisse und Wassermoleküle auf den rechten Weg zur Reaktion bringt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Übrigens, wenn du es schon vermutet hast: Die Addition ist tatsächlich die Umkehrreaktion der Eliminierung: Bei der Bildung von Peptid-Bindungen wird genau dort ein Wassermolekül eliminiert, wo es bei der Zerlegung der Eiweisse wieder addiert wird.

3. Die Substitution: Warum Dominik den Giftnotruf nicht wählen musste

Gut gesättigt und ein kühles Bier in der einen Hand surft Dominik mit dem Handy in der anderen Hand durchs Web. Plötzlich stutzt er und stellt erschrocken seine Bierflasche ab. Da wird in verschiedenen Foren behauptet, unser Trinkalkohol, den Chemikern als Ethanol (CH3CH2OH) bekannt, könne mit der Magensäure zu Chlorethan, einem hochentzündlichen Gas und Nervengift, reagieren!

Tatsächlich steht in meinem Lehrbuch für organische Chemie [1] eine Gruppe von Reaktionspaaren, zu der auch diese beiden gehören:

Substitution

Hat eine Säure dem Ethanol-Molekül erst ein Proton übergeben, kann das so entstandene „angehängte“ Wassermolekül gegen ein Chlorid-Ion ausgetauscht werden. Damit ist die zweite Reaktion eine Substitution. Bei einer Substitution wird eine Atomgruppe eines grösseren Moleküls gegen eine andere ausgetauscht.

Für die von Dominik entdeckte Substitution braucht es laut dem Lehrbuch einzig eine Säure im Reaktionsgemisch, die den Ethanol-Molekülen eine austauschbare Atomgruppe verschafft. Tatsächlich kann die Salzsäure im Magensaft den Ethanol protonieren (das entstehende CH3CH2OH2+ macht eifrigen Trinkern häufig Magenschmerzen), und stellt auch noch Chlorid-Ionen zur Verfügung…

Trotzdem kann ich Dominik beruhigen. Damit die Substitution (hier handelt es sich um eine sogenannte nukleophile Substitution) stattfinden kann, muss das Chlorid das Zielmolekül – bzw. den Atomkern, an den es binden soll – auch genügend mögen (es muss nukleophil = kernmögend sein). Und Chlorid-Ionen sind nicht eben allzu versessen auf protonierten Ethanol.

Das rührt zum Einen daher, dass das Ethanol-Molekül, mit oder ohne Extra-Proton, ziemlich unattraktiv für den Teilchen-Austausch ist. Zum anderen sind nukleophile Teilchen umso kernmögender, je schwächer sie basisch reagieren. Und der Rest (bzw. das Anion) einer starken Säure ist zwar stets eine schwache Base, doch ist die Salzsäure im Magensaft für Dominiks Reaktion nicht stark genug (und die Base Chlorid entsprechend nicht schwach genug).

Daher braucht es eine wesentlich stärkere Säure als Salzsäure, um aus protoniertem Alkohol durch eine Substitution Chlorethan zu machen. Im Labor kann man solch eine Säure herstellen, indem man reichlich Zinkchlorid in konzentrierte Salzsäure gibt:

Mit der so entstehenden Tetrachlorozinksäure kann man im Labor mit etwas Geschick Chlorethan aus Ethanol gewinnen. Aber nicht allein mit der verdünnten Salzsäure in unserem Magensaft.

Wir können das Handy also wegstecken, die Giftnotrufnummer (in der Schweiz lautet die übrigens 143) für heute vergessen und die Grillparty mitsamt dem kühlen Bier geniessen. Und da du nach der Lektüre von Teil 1 und Teil 2 nun die wichtigsten Typen der chemischen Reaktion sowohl für die allgemeine als auch für die organische Chemie kennst, kannst du etwas Ordnung in die Vielfalt der alltäglichen Reaktionen bringen.

Welche chemische Reaktion ist dir in deinem Alltag schon begegnet?

[1] Beyer, H., Walter, W. (1998). Lehrbuch der organischen Chemie (23. Auflage). Stuttgart; Leipzig: Hirzel

Chemische Reaktion : Gleich 5 davon lassen die Grilllparty gelingen

Was ist eine chemische Reaktion?

Woran erkennen wir, dass ein Vorgang in unserem Alltag eine chemische Reaktion ist (oder nicht ist)?

Wie viele und welche Reaktionstypen gibt es?

Ein Lehrbuch für Chemie am Gymnasium [1] sagt:

„Eine chemische Reaktion ist eine Stoffumwandlung. Aus den Ausgangstoffen (Edukte) bilden sich neue Stoffe (Produkte), die andere Eigenschaften haben als die Ausgangsstoffe.“

Das Erkennungsmerkmal schlechthin für eine chemische Reaktion ist also: Es entsteht dabei mindestens ein neuer Stoff. Und der hat eine ganz andere Erscheinung als der oder die Ausgangstoff/e: Er sieht anders aus, riecht anders, verhält sich anders.

Wie kommt das?

Alle Stoffe bestehen aus kleinen Teilchen. Das können Moleküle, Ionen oder Radikale sein – aber sie alle sind aus Atomen aufgebaut (genauer gesagt aus mindestens einem Atom: Elektrisch geladene Atome sind ebenso Ionen wie elektrisch geladene Moleküle).

Bei einer chemischen Reaktion treffen die Teilchen der Ausgangsstoffe aufeinander, und ihre Atome werden zu neuen Teilchen umgruppiert. Da die Eigenschaften eines Stoffes vom Aufbau seiner Teilchen bestimmt werden, hat der neue Stoff, der aus den neuen Teilchen besteht, neue Eigenschaften.

Atome können zu endlos vielen verschiedenen Teilchen gruppiert werden. Entsprechend gibt es nahezu endlos viele Arten von Reaktionen, die auf verschiedene Weise geordnet werden können. Die folgenden 8 Reaktionstypen sollte jedoch jeder kennen, der sich mit der Chemie unserer Welt beschäftigen möchte.

5 grundlegende Reaktionstypen auf einer Grillparty

Chemische Reaktionen begegnen uns im Leben ständig. Auf einer sommerlichen Grillparty bin ich kürzlich 7 der 8 wichtigsten Reaktionstypen begegnet. Nur eine fand, wie sich herausstellte, dort nicht statt. Zum Glück.

Zunächst aber zu den 5 Reaktionstypen, die in allen Bereichen der Chemie grundlegend sind.

1. Redox-Reaktion: Das Geheimnis des Grillfeuers

Holzkohle aufschütten, anzünden, geduldig warten. Für jede Grillparty braucht man einen heissen Grill. Nachdem wir lang genug gewartet haben, stellen wir fest: Der Kohlehaufen im Grill wird immer kleiner, die Kohlen werden weisslich und zerfallen. Indessen lamentiert Lilli, unser Umweltengel, eifrig über all die Treibhausgase, die wir da ausstossen.

Richtig: Hier findet eine chemische Reaktion statt. Die Holzkohlen, die grossteils aus dem Element Kohlenstoff, C , bestehen, reagieren mit dem Sauerstoff, O2 , in der Luft zu dem Gas Kohlenstoffdioxid (oder Kohlendioxid), CO2. Und das ist Lilli als Treibhausgas ein Dorn im Auge.

Dabei tauschen die Reaktionspartner zunächst Elektronen, die winzigen Bausteine der Atomhülle, aus. Eine Redox-Reaktion ist eine Elektronen-Austausch-Reaktion. Deshalb besteht eine Redox-Reaktion eigentlich aus zwei Reaktionen, die immer als Paar stattfinden:

Kohlenstoffatome geben Elektronen ab (Oxidation), Sauerstoffatome nehmen diese Elektronen auf (Reduktion). Schliesslich werden die Atome mitsamt den ausgetauschten Elektronen zu dem neuen Molekül CO2 umgruppiert. Dabei wird eine grosse Menge Energie, die zuvor in den Molekülen der Ausgangsstoffe steckte, freigesetzt. Diese Energie macht sich als Wärme bemerkbar und brät unsere Steaks und Würstchen. Praktisch.

 

2. Säure-Base-Reaktion: Linderung für den geplagten Magen

Die ersten Steaks liegen auf dem Rost und es duftet verführerisch. Uns allen läuft das Wasser im Munde zusammen. Einzig Reto verzieht das Gesicht. „Da bekomme ich ja schon Sodbrennen, wenn ich nur dran denke!“. Zu viel Magensäure? Zum Glück hat Reto seine Notfalltabletten dabei. Die enthalten vor allem Calciumcarbonat, CaCO3, welches mit der Salzsäure im Magensaft reagiert:

Die entstehende Kohlensäure, H2CO, ist, anders als Salzsäure, eine sehr schwache Säure und brennt nicht in Retos Speiseröhre. Diese praktische Reaktion heisst Neutralisation und ist nur eine von vielen Säure-Base-Reaktionen. Wie bei allen Säure-Base-Reaktionen werden bei der Neutralisation Protonen, also Wasserstoff-Atomkerne, ausgetauscht. Eine Säure-Base-Reaktion ist eine Protonen-Austauschreaktion.

 

3. Zerfalls-Reaktion: Nicht alles ist stabil

Kaum ist das erste Steak mitsamt Notfall-Tablette verdrückt, hat Reto schon Druck auf dem Magen. Mit einem kräftigen Rülpser macht er sich Luft und erntet die missbilligenden Blicke der anderen. Was ist denn nun schon wieder los?

Manche Atomgruppierungen halten einfach nicht gut zusammen. Das Kohlensäure-Molekül ist eine davon. Kaum hat es sich bei der Neutralisation in Retos Magen gebildet, fällt es auch schon auseinander. Einfach so.(*)

Dabei entstehen Wasser und das schon bekannte Gas Kohlendioxid. Und letzteres hat im Magen nichts zu suchen. Geschweige denn Platz. So muss Reto notgedrungen rülpsen, um das überflüssige Gas auf schnellstem Wege loszuwerden. Lilli ist begeistert: Noch mehr CO2-Ausstoss. Geht aber nicht anders, denn bei einer Zerfallsreaktion zerfällt ein grosses Molekül in zwei oder mehr kleinere Bruchstücke.
(*) Okay, nicht wirklich einfach so. Tatsächlich ist diese Reaktion Teil eines Systems im chemischen Gleichgewicht. Mehr dazu hat mir Monsieur Le Châtelier neulich auf dem Flughafen verraten.

 

4. Komplex-Reaktion: Bitte lächeln!

Während der zweite Gang auf dem Grillrost brutzelt beschliessen wir, dass es Zeit für ein Gruppenfoto ist. Alle stellen sich auf… und machen grosse Augen, als Andi eine wirklich altmodisch anmutende Kamera bereitmacht. Andi ist nämlich Hobby-Fotograf und entwickelt seine Schwarzweiss-Aufnahmen im hauseigenen Fotolabor mit Dunkelkammer.

In seinem Fotopapier sind Silberionen, Ag+, enthalten, die mit Licht zu Silberatomen reagieren, welche das Papier schwarz färben. Damit man die Fotos nachher jedoch bei Licht ansehen kann, ohne dass das ganze Bild schwarz wird, müssen die Silberionen, die nach dem Entwickeln nicht reagiert haben, noch in der Dunkelkammer ‚unschädlich‘ gemacht werden. Andi nennt das ‚Fixieren‘.

Dazu nimmt er eine Lösung, die Thiosulfat-Ionen, S2O32-, enthält, welche mit den Silberionen zu einem neuen Teilchen reagieren:

Anders als Silberionen reagieren die neuen Teilchen nicht zu Silberatomen, sodass Andis Fotos damit nicht mehr schwarz werden.

Das Besondere an diesen Teilchen ist, dass die Thiosulfat-Ionen ganz allein mit ihren Elektronen für die Bindung an das Silber aufkommen. In gewöhnlichen Molekülen teilen die Atome den Einsatz von Elektronen für ihre Bindungen gerecht untereinander auf. Eine solche ungerechte Verbindung nennen die Chemiker „Komplex-Verbindung“ und schreiben die Formel in eckige Klammern. Eine Komplex-Reaktion ist eine Reaktion, an der mindestens eine Komplex-Verbindung beteiligt ist.

 

5. Fällungs-Reaktion: Trübe Aussichten

Lächeln macht durstig, und Grillparty feiern erst recht. Also greift Dominik in die Kühlbox und zaubert für jeden eine Flasche Bier hervor. Aber oh Schreck, was ist denn das? Das Bier ist ja ganz trüb!

Da sind wir wohl Opfer einer weiteren chemischen Reaktion geworden. Beim Bierbrauen gerät nämlich mit den Zutaten ein Stoff namens Oxalat ins Bier, welcher in grösseren Mengen der Gesundheit schadet und besonders von Leuten mit Hang zu Nierensteinen gefürchtet wird. Deshalb brauen Bierhersteller stets mit ausreichend hartem, also Calciumionen- (Ca2+) haltigem Wasser. Denn Calciumionen reagieren mit dem Oxalat (C2O42-) zu Calciumoxalat, welches sich nicht in Wasser löst:

Calciumoxalat ist ein Feststoff und entsteht zunächst als feiner Staub, der das Bier trübt. Wenn aber mehr davon entsteht, sinkt es irgendwann auf den Boden des Bier-Gefässes. Chemiker sagen „es fällt aus“. Bei einer Fällungsreaktion entsteht in einer Lösung ein Feststoff. Dieser Feststoff fällt aus der Lösung aus.

Deshalb giessen Bierbrauer ihr Bier nach dem Ausfällen des Calciumoxalats durch einen Filter, in dem der Feststoff hängenbleibt. Damit braucht sich kein Freund von klarem Bier Sorgen wegen Nierensteinen zu machen.

Und warum ist unser Bier dann trüb?

Ganz einfach: Die meisten Fällungsreaktionen laufen besser ab, je kälter die Lösung ist. In unserem Bier war wohl noch ein kleiner Rest Oxalat und Calcium, und als Dominik das Bier in die Kühlbox gepackt hat, ist dieser Rest in der Kälte nachträglich noch ausgefallen. Aber so ein wenig Oxalat schadet uns nicht. Wir können das Bier also beruhigt geniessen.

Auf unserer Grillparty gibt es aber noch mehr zu entdecken. Denn in der Organischen Chemie, die für viele Vorgänge in Lebewesen von grosser Bedeutung ist, gibt es drei weitere grundlegende Reaktionen. Und Lebewesen sind schliesslich unglaublich spannend. Deshalb erzähle ich in Teil 2, wo wir diese Reaktionen entdeckt haben – und warum wir alle einer Vergiftung entgangen sind.

[1] Stieger, M. (2010). Elemente – Grundlagen der Chemie für Schweizer Maturitätsschulen (1. Auflage). Zug: Klett und Balmer

Flughafenbetrieb: Eine Allegorie auf das chemische Gleichgewicht

Wie erklärt man das chemische Gleichgewicht? Wie stellt man die spannenden Vorgänge, die sich in abstrakten Konzepten und Reaktionsgleichungen verbergen, anschaulich dar?

Was geschieht in einem System im Gleichgewicht? Und wie kann dieses Geschehen beeinflusst werden?

Diese Fragen haben mich lange verfolgt, und die Antworten fanden sich, wie so oft, unerwartet.

Eine unverhoffte Begegnung mit einem Experten

Wieder einmal viel zu früh am Flughafen beginne ich meine Ferien damit, auf dem Aussichtsdeck über diesen Artikel nachzusinnen. Dabei fällt mir ein Herr ins Auge, der in einem geradezu skurril altmodischen Anzug an der Brüstung lehnt und wie gebannt das Treiben auf dem Rollfeld beobachtet. So fehl am Platze er dort wirkt, so sehr zieht seine Erscheinung mich an. Ehe ich mich versehe, bin ich neben ihn getreten.

„Oh, bonjour, Madame! Ich sah Sie gar nicht kommen. Aber leisten Sie mir doch an diesem spannenden Ort Gesellschaft.“

Ich erwidere den Gruss mit einem verlegenen Lächeln, und schon fährt der freundliche Herr mit seinem eindeutig französischen Akzent fort: „Was führt Sie an diesen überaus spannenden Ort?“

„Ich bin auf dem Weg in die Ferien“, erkläre ich, „einmal den ständigen Gedanken um die Arbeit entkommen.“

Sogleich sehen mich neugierige Augen durch einen antiquierten Zwicker forschend an. „Arbeit klingt interessant. Was tun Sie denn?“

„Ich schreibe einen Blog. Geschichten um Themen aus der Chemie und den anderen Naturwissenschaften. Und ich plane einen Artikel über das Chemische Gleichgewicht. Nur, mir fällt nichts rechtes dazu ein…“

Kaum habe ich die Chemie erwähnt, spreizt der buschige Schnauz meines Gegenübers sich zu einem breiten Lächeln, welches sein bislang so ernstes Gesicht strahlen lässt.

„Mon Dieu! Was eine perfekte Fügung! Ich selbst bin Chemiker, und noch dazu Experte auf dem Gebiet des chemischen Gleichgewichts. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Le Châtelier.“

„Henry Louis Le Châtelier?“ Ich runzle verwirrt die Stirn. „Aber…“

„Oui, das ist korrekt. Und sparen Sie sich die Bemerkung, dass ich seit 1936 tot sein müsste. Das Leben ist dafür einfach zu spannend. Ausserdem bin ich doch zur rechten Zeit am richtigen Ort, oder nicht?“

Ich nicke perplex. „In der Tat. Es wäre mir eine Ehre, von Ihnen über das chemische Gleichgewicht zu hören.“

Le Châtelier lächelt erneut und wendet sich dem Treiben unter uns zu. „Ein Gleichgewicht können Sie einfacher finden, als Sie denken, nicht nur, wenn es um chemische Reaktionen geht. Über die chemische Reaktion haben Sie schon geschrieben?“

Ich nicke. Und denke daran, wie 5 wichtigste Typen chemischer Reaktionen auf einer Grillparty zusammenfanden.

Eine umkehrbare chemische Reaktion auf dem Rollfeld

„Dann wissen Sie ja, was geschieht, wenn zwei Stoffe miteinander reagieren: Die Moleküle der beiden Stoffe treffen aufeinander und ihre Atome werden zu neuen Molekülen neuer Stoffe umgebaut. Das gleiche geschieht hier auf dem Flughafen.“

Der seltsame Franzose deutet weit ausholend auf das Rollfeld hinab.

„Hier besteht ein Stoff, der ‚Fuhrpark‘ heissen soll, aus leeren Flugzeugen, die die Moleküle des Fuhrparks sind. Ausserdem gibt es hier einen Stoff, der ‚Kundschaft‘ heissen soll und aus Passagieren besteht, die die Moleküle der Kundschaft sind. Und dort, an den Gates, treffen diese beiden Stoffe aufeinander und reagieren zu einem neuen Stoff namens ‚Ferienflieger‘, dessen Moleküle besetzte Flugzeuge sind.“

Hin-Reaktion„Und dort drüben steigen gerade Passagiere aus einem besetzten Flugzeug wieder aus“, werfe ich ein.

„Richtig“, kommentiert Le Châtelier, „da läuft die Reaktion in die entgegengesetzte Richtung ab.“

„Und beides geschieht bei denselben Bedingungen im Flughafenbetrieb. Diese Reaktion läuft also zur gleichen Zeit in beide Richtungen.“

2 Richtungen, eine Geschwindigkeit: Der Flughafen im Gleichgewicht

Wir beobachten das Treiben einige Zeit schweigend. An einem Gate steigen Passagiere in ein Flugzeug, an einem anderen Gate steigen sie wieder aus. Nach einer Weile sieht Le Châtelier mich herausfordernd schmunzelnd an:

„Und, Madame, fällt Ihnen etwas auf?“

„Hm…es scheint mir, als würden weder die Gates noch das Rollfeld voller oder leerer, obwohl ständig ein- und ausgestiegen wird. Es sind stets gleich viele Flugzeuge auf dem Rollfeld, besetzte wie leere, und gleich viele Passagiere an den Gates unterwegs.“

„Wunderbar beobachtet!“, ruft der Franzose entzückt aus, „Das ist das Geheimnis des Gleichgewichts! Wir sehen, dass unsere entgegengesetzten Reaktionen ständig ablaufen, aber die Menge der daran beteiligten Stoffe bleibt immer gleich.“

Einen Augenblick bin ich verwirrt, dann ereilt mich ein Geistesblitz. „Das ist aber nur unter einer Bedingung möglich: Nämlich dann, wenn beide Reaktionen gleich schnell ablaufen“, erwidere ich, von Le Châteliers Begeisterung angesteckt.

„So ist es“, gibt er denn gleich zurück, „In der Zeit, in welcher 135 Passagiere einsteigen, steigen irgendwo anders auch 135 Passagiere wieder aus. Das Ein- und das Aussteigen laufen mit der gleichen Geschwindigkeit ab. Die Abfertigung läuft, aber am Gedränge auf dem Flughafen ändert sich nichts. Der Flughafen befindet sich somit im Gleichgewicht. Den Betreiber wird das freuen.“

„Zumal der Betreiber seinen Flughafen kennt und daher weiss, bei welchem Verhältnis der Stoffmengen zueinander sich das Gleichgewicht jeden Tag einstellen wird – wenn Ihr Modell wirklich stimmt.“

„Natürlich stimmt mein Modell. Und Sie haben ganz recht: Wenn der Flughafen sich im Gleichgewicht befindet, hat das Verhältnis von Passagieren und leeren Flugzeugen zu den besetzten Flugzeugen seinen ganz eigenen und immer gleichen Wert. Und das unter – zumindest nahezu – allen Umständen.“

„Der Wert des Verhältnisses der Stoffmengen zueinander ist also eine unverkennbare und unveränderliche Eigenschaft eines chemischen Gleichgewichts.“

Das chemische Gleichgewicht ist ein dynamisches Gleichgewicht

Le Châtelier nickt, als mir plötzlich ein Gedanke kommt. „Weshalb wird solch ein Gleichgewicht dann eigentlich auch dynamisches Gleichgewicht genannt?“

„Nun“, antwortet er, „weil das chemische Gleichgewicht alles andere als starr und unveränderbar ist. Verschiedene Umstände bestimmen, in welchen Mengen die beteiligten Stoffe vorhanden sind, während ein System wie unser Flughafen sich im Gleichgewicht befindet. Ändern sich diese Umstände, so ändern sich auch die Stoffmengen auf einen neuen Wert. Einzig das Verhältnis dieser Stoffmengen zueinander bleibt dabei gleich.“

„Und welche Umstände sind das?“

„Von Bedeutung sind vor allem die drei folgenden. Passen Sie auf!“

Einfluss der eingesetzten Stoffmenge auf das Gleichgewicht

Der Franzose zieht eine Taschenuhr aus seinem altmodischen Anzug und wirft einen prüfenden Blick darauf. „Bislang ist hier verhältnismässig wenig Kundschaft unterwegs. Die wenigen Passagiere, die durch den Abflugbereich streifen, versammeln sich hier und da an den Gates und steigen in ein Flugzeug. Viele Maschinen stehen jedoch leer an der Gangway. Aber die Stosszeit beginnt gerade erst. Sehen Sie nur!“

Ich spähe hinab in den Wartebereich vor den Gates, und tatsächlich: Aus den Eingeweiden des Flughafens strömen nun scharenweise Menschen und ergiessen sich in die langen Gänge zwischen den Gates. Beim Bodenpersonal wird emsige Betriebsamkeit erkennbar, als die Passagiere sich an den Zugängen sammeln und an Bord gelassen werden. So füllt sich ein Flugzeug nach dem anderen, und schon Minuten später rollen deutlich mehr besetzte Flugzeuge zur Startbahn als zuvor.

„Sie sehen“, erklärt Le Châtelier, „eine Erhöhung der Stoffmenge der Kundschaft hat dazu geführt, dass in den letzten Minuten mehr Passagiere einsteigen, also reagieren konnten, als in der gleichen Zeitspanne zuvor. So hat auch die Stoffmenge der besetzten Flugzeuge zugenommen.“

„Wenn man also die Stoffmenge eines der Ausgangsstoffe einer Reaktion im Gleichgewicht erhöht, verschiebt sich das Verhältnis der Stoffmengen in Richtung des Reaktionsprodukts.“

„Richtig! Die Lage des Gleichgewichts verschiebt sich in Richtung der durch die Stoffmengenerhöhung angekurbelten Reaktion.“

„Das heisst, wenn hier plötzlich mehr besetzte Flugzeuge landen und an die Gates rollen, werden wiederum mehr Passagiere in die Gänge strömen und mehr leere Flugzeuge zurückbleiben.“

„So ist es. Und sobald die Stosszeit vorbei ist und weniger Maschinen landen, verschiebt sich die Lage des Gleichgewichts auch wieder in die andere Richtung. Im Augenblick jedoch hat es sich den Umständen der Stosszeit entsprechend neu eingestellt.“

Tatsächlich erscheint die Anzahl der Passagiere an den Gates und der Flugzeuge auf dem Rollfeld nun wieder gleich bleibend, auch wenn sichtlich mehr Maschinen besetzt und die Gates von sichtlich mehr Passagieren belebt sind als vor der Stosszeit. So erkenne ich auch, dass das Verhältnis von den Passagieren zu den besetzten Flugzeugen das gleiche ist wie vor der Stosszeit am weniger belebten Flughafen.

Einfluss des Volumens auf das Gleichgewicht

Ich möchte gerade eine entsprechende Bemerkung machen, als plötzlich eine laute Durchsage ertönt: „Achtung an alle! Aufgrund einer technischen Störung wird Terminal E vorübergehend geschlossen! Alle Flüge von Terminal E werden bis auf weiteres an den Terminals A bis D abgefertigt! Weitere Informationen entnehmen Sie bitte den Abflug-Bildschirmen!

„Technische Störung…“, entfährt es mir, „wohl eher ein Bombenalarm… Aber wie wollen die den ganzen Andrang jetzt bewältigen?“

„Schauen Sie nur“, meint Le Châtelier schmunzelnd, „das Personal an den Gates wird bereits ganz hektisch.“

Wir beobachten gespannt, wie das Gedränge in den noch offenen Terminals immer dichter wird, während die wartenden leeren Flugzeuge in fiebriger Eile abgefertigt werden. Gleichzeitig stauen sich die gelandeten Maschinen auf dem Rollfeld.

„Und wieder verschiebt sich die Lage des Gleichgewichts zu den besetzten Flugzeugen hin – und weg von dem ganzen Gedränge an den Gates.“

„Oui“, bestätigt der Franzose neben mir. „Der Vergleich funktioniert hier aber nur, weil sich die Menschen ihres Jahrhunderts wie Moleküle eines Gases verhalten. Haben sie Platz, verteilen sie sich weitest möglich, und engt man sie ein, rücken sie widerwillig näher zusammen. Wenn sie aber erst mit einem leeren Flugzeug zu einem besetzten Flugzeug reagiert haben, sind sie am Platz sparendsten untergebracht.“

„Das Volumen eines Systems hat also nur dann Einfluss auf die Lage des chemischen Gleichgewichts, wenn wenigstens ein Gas daran beteiligt ist.“

„Und wenn auf einer Seite der Gleichgewichtsgleichung die Anzahl aller Gasmoleküle kleiner ist als auf der anderen. Denn nur dann hilft eine Verschiebung beim Platz sparen.“

Einfluss von Wärme auf das Gleichgewicht

„Dann fehlt jetzt nur noch ein einflussreicher Umstand“, bemerke ich, als sich das Gleichgewicht auf dem Flughafen wiederum neu eingestellt hat.

Le Châtelier nickt. „Und wie es der Zufall will habe ich erfahren, dass der CEO des Flughafenbetreibers heute zur Inspektion seines Betriebs erwartet wird – und zwar in wenigen Minuten. Da wird dort jeder ganz besonders eifrig arbeiten.“

„Es wird also mächtig heiss hergehen“, stelle ich grinsend fest.

„Und ob“, pflichtet mein französischer Begleiter mir bei. „Aber sehen Sie nur, was mit dem Gleichgewicht geschieht!“

Wir beobachten, wie von einer Minute auf die andere der Arbeitseifer des Bodenpersonals zunimmt, als der grosse Boss im Terminal angekündigt wird. Und da Eifer ansteckend wirkt, bewegen sich auch die Passagiere merklich zügiger, stellen sich in Reihen auf und besteigen ein leeres Flugzeug nach dem anderen.

„Es ist gar nicht so einfach, all die Passagiere richtig geordnet in das Flugzeug zu sortieren“, kommentiert Le Châtelier. „Das weiss jeder, der selbst schon einmal mitgeflogen ist. Es verlangt einiges an schweisstreibender Arbeit.“

„Demnach ist die Reaktion der Passagiere mit den leeren Flugzeugen zu besetzten Flugzeugen endotherm, sie ‚verbraucht‘ Energie!“

„Richtig. Und Wärme ist eine Form von Energie.“

„Sobald also die Anwesenheit des CEOs die Wärme im System erhöht, befeuert das die endotherme Reaktion…“

„…und die Lage des Gleichgewichts verschiebt sich auf die Seite mit den energiereicheren Molekülen, hier also den besetzten Flugzeugen.“ Le Châtelier lächelt wissend. „Sobald der CEO seiner Wege geht und die Wärme abnimmt, wird das Aussteigen umso flüssiger gehen. Das tun die Passagiere nämlich wie von selbst und geben ihre mitgebrachte Energie bereitwillig an den Flughafen ab.“

„Die Reaktion der besetzten Flugzeuge zu leeren Flugzeugen und Passagieren ist also exotherm. Und eine Abnahme der Wärme im System verschiebt die Lage des Gleichgewichts auf die Seite mit den energieärmeren Molekülen. So werden sowohl erhitzte Gemüter als auch eine frostige Stimmung vermieden: Durch die Verschiebung hält sich die Temperaturänderung im System in Grenzen.“

Der Franzose wirkt sehr zufrieden mit mir, als er wiederum nickt.

Das Prinzip von Le Châtelier

Ich atme tief durch. „So viele Umstände, Einflüsse und Verschiebungen. Wie soll man sich das nur merken?“

„Dafür habe ich doch mein Prinzip“, erwidert Le Châtelier lächelnd, „das Prinzip des kleinsten Zwanges: Übt man auf ein System im chemischen Gleichgewicht einen Zwang aus, so verschiebt sich die Lage des Gleichgewichts derart, dass der Zwang gemildert wird!“

„Ganz gleich also, ob die Stosszeit anfängt, es einen Bombenalarm gibt oder der Chef zu Besuch kommt, das Flughafen-Gleichgewicht verschiebt sich so, dass die Folgen des jeweiligen Ereignisses gemildert werden.“

„Und das gilt ebenso für jedes chemische Gleichgewicht. Fällt Ihnen eines ein?“

Mein chemisches Gleichgewicht

„Natürlich!“, gebe ich zurück. „Eines, das jeder kennt: In sprudelndem Mineralwasser ist Kohlensäure, H2CO3, enthalten, die laufend zu dem Gas Kohlendioxid, CO2, und Wasser, H2O, reagiert, während Wasser und Kohlendioxid zu neuer Kohlensäure reagieren. Die Kohlensäure befindet sich also im Gleichgewicht mit Kohlendioxid und Wasser.

Und so lange die Wasserflasche geschlossen ist, liegt das Gleichgewicht auf der Seite der Kohlensäure. Wenn Sie die Flasche jedoch öffnen, wird das Volumen, welches das Kohlendioxid-Gas einnehmen kann, plötzlich sehr viel grösser. Sie können dann sehen, wie sich das Gleichgewicht verschiebt: Die Kohlensäure reagiert dem Platzangebot folgend rasch zu Wasser und Kohlendioxid, das in kleinen Gasperlen aus dem Mineralwasser sprudelt, bis sich das Gleichgewicht wieder eingestellt hat.“

„Oh, oui“, meint Le Châtelier, „und dieses Gleichgewicht liegt ohne den Zwang eines sehr kleinen Volumens sehr weit auf der Seite des Kohlendioxids. Wenn man die Flasche nicht ganz schnell wieder zu macht, schmeckt das Wasser ohne Kohlensäure bald furchtbar schal.“

Fazit

Ich nicke wissend und fasse noch einmal zusammen: „Ein chemisches Gleichgewicht hat sich dann eingestellt, wenn zwei Reaktionen, die einander ungehindert umkehren, stetig und gleich schnell ablaufen. Wie das Ein- und Aussteigen der Passagiere am Flughafen. Denn so bleiben die Stoffmengen der daran beteiligten Stoffe trotz laufender Reaktionen gleich.

Ein solches Gleichgewicht ist dynamisch, kann also durch Veränderung der äusseren Umstände verschoben werden. Dabei folgt es dem Prinzip des kleinsten Zwanges: Wenn die Veränderung der äusseren Umstände einen Zwang bedeutet, verschiebt sich das Gleichgewicht so, dass die Folgen dieses Zwanges gemildert werden.

Nun muss ich das Ganze nur noch zu eine Blog-Artikel zusammenbringen…Was meinen Sie, Monsieur…?“

Doch als ich mich umsehe ist der Herr im altmodischen Anzug spurlos verschwunden. Unser Gespräch über das chemische Gleichgewicht ist mir seither jedoch völlig klar im Gedächtnis geblieben.

Und kannst du das Prinzip von Le Châtelier nun auf dein chemisches Gleichgewicht anwenden?

Bildnachweis:Gleichungen: Gruppen von Menschen from Clipart.me