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Silikone - Pro und Kontra - Nützlich oder gefährlich?

Der letzte Teil der Kunststoff-Serie in Keinsteins-Kiste ist einer ganz besonderen Familie von Kunststoffen gewidmet: Es geht um Silikone. Vor vielen Jahren ist mir diese Stoff-Gruppe im Studium zum ersten Mal begegnet, als ich vor den versammelten Kommilitonen und Dozenten einen Vortrag darüber halten durfte.

So war ich nun besonders neugierig, wie sich der Wissensstand rund um Silikone in den letzten eineinhalb Jahrzehnten verändert hat. Das ist nämlich eine wesentliche Eigenschaft von „Wissen“ im Sinne der Wissenschaft: Es ist nicht unverrückbar festgelegt, sondern kann durch neue Forschungsergebnisse ständig verändert – z.B. verbessert oder überholt – werden.

Deshalb konnte ich nicht einfach mein altes Vortrags-Skript als Grundlage für diesen Artikel hernehmen. Stattdessen habe ich dessen Kernaussagen neu recherchiert, um sie dem heutigen Stand entsprechen anzupassen. Und wie sich dabei zeigte, hat sich bezüglich der Eigenschaften der Silikone gar nicht so viel getan. Einzig in Punkto Abbaubarkeit ist man heute spürbar weniger optimistisch als vor 15 Jahren.

Die anderen Beiträge rund um Kunststoffe findet ihr übrigens hier:

Was sind Silikone?

Silikone sind ganz besondere Kunststoffe. Wie die anderen Materialien, die wir landläufig gern als „Plastik“ bezeichnen, bestehen auch sie aus Polymeren – also langen Molekülketten.  Doch die Molekülketten der Silikon-Ketten bestehen nicht wie die des üblichen „Plastiks“ aus Kohlenstoffatomen. Die sind nämlich nicht die einzigen Atome, die bis zu vier kovalente Bindungen eingehen und damit vielfältige Möglichkeiten zur Vernetzung und Verkettung bieten können.

Der Kohlenstoff hat nämlich einen nahen chemischen Verwandten: Das Element Silizium (Si). Ihr findet es im Periodensystem der Elemente direkt unter dem Kohlenstoff in der vierten Hauptgruppe (wer sich mit Chemie auskennt, weiss, dass verwandte Elemente in dieser Weise untereinander stehen). In Reinform glänzt Silizium wie ein Metall und findet als Rohstoff für Halbleiter und Solarzellen Verwendung. Daneben kann es jedoch wie Kohlenstoff vier kovalente Bindungen eingehen. Oder sogar etwas mehr.

Zum Beispiel in Silikonen (der Name verrät das enthaltene Element). So haben die Ketten der Silikone ein Rückgrat aus Silizium- und Sauerstoff-Atomen, die sich immer abwechseln. Das erinnert Mineralienfans nicht von ungefähr an Quarz (SiO2) und die verschiedenen Silikat-Minerale, die meistens ziemlich harte Steine sind.

Silizium-Sauerstoff-Bindungen sind nämlich ausserordentlich stabil. In ihnen ist nämlich mehr Elektronendichte versammelt, als für eine normale kovalente Bindung üblich ist. Damit hat eine Si-O-Bindung, die der Einfachheit und der Edelgasregel wegen als Einfachbindung dargestellt wird, tatsächlich etwas von einer Doppelbindung! Anders als die Doppelbindungen zwischen Sauerstoff- und Kohlenstoffatomen sind diese Bindungen in natürlicher Umgebung aber kaum reaktiv.

Brustimplantate aus Silikon
So sind Silikone legendär geworden: Als Brustimplantate! Die Aussenhülle besteht aus Silikonkautschuk, gefüllt sind sie mit Silikonöl. Moderne Implantate haben sogar zwei Hüllen, zwischen denen sich Kochsalzlösung befindet. So soll bestmöglich verhindert werden, dass Silikonöl durch einen Riss in den Körper laufen kann.

Sind Silikone organisch oder anorganisch?

Während jedes Siliziumatom im Silikon also zwei Bindungen zu den benachbarten Sauerstoffatomen hat, bleiben zwei weitere Bindungsstellen frei, um daran Kohlenwasserstoffgruppen zu binden, wie wir sie aus organischen Verbindungen kennen. Chemiker nennen die Silikone deshalb auch Poly(organo)siloxane. Der einfachste Vertreter dieser Gattung ist Poly(dimethyl)siloxan, in welchem jedes Siliziumatom zwei Methyl-, also CH3-Gruppen trägt.

Strukturformel für Polydimethylsiloxan
Poly(dimethyl)siloxan : Zwischen den beiden Enden befinden sich n gleichartige Glieder.

Damit sind Silikone sowohl anorganischer als auch organischer Natur – oder weder noch. Ihr Rückgrat enthält schliesslich keinen Kohlenstoff (und organische Verbindungen sind als alle Kohlenstoffverbindungen abzüglich einiger Ausnahmen definiert). Stattdessen ist es an (Halb-)Metalloxide angelehnt, die klassische anorganische Verbindungen sind. Die Seitenketten sind wiederum organisch, sodass Silikone auch nicht einfach als anorganisch bzw. mineralisch gelten können.

Silikone sind ein Kunstprodukt

So etwas gibt es in der Natur (meineswissens) nicht. Silikone sind denn auch vollkommen künstliche Produkte – und tragen die Bezeichnung „Kunststoff“ damit völlig zu Recht. Diese Künstlichkeit verleiht ihnen jedoch einzigartige und nützliche Eigenschaften, die dazu führen, dass Silikone in unserem Alltag heute nicht mehr wegzudenken sind.

Silikone haben Vor- und Nachteile

Wie jeder Stoff bzw. jede Stoffgruppe, den/die wir für irgendetwas verwenden, bringen auch die Eigenschaften von Silikonen sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. In meinen Augen wiegen die vorteilhaften Eigenschaften der Silikone gegenüber ihren Nachteilen jedoch viel schwerer als bei anderen Kunststoffen.

Vorteile von Silikonen

  • Sie sind chemisch und physiologisch inert, d.h. sehr reaktionsträge. Für etwas, das es in der Natur nicht gibt, kennt die (belebte) Natur auch keine Prozesse zur Verstoffwechselung oder Abwehr. Deshalb sind Silikone nach heutigem Stand ungiftig für Lebewesen!
  • Sie sind schwer entflammbar: Auch gegenüber Reaktionen in der unbelebten Umwelt sind Silikone widerstandsfähig – selbst bei Einfluss grosser Mengen Energie, die zum Entstehen von Feuer nötig sind.
  • Temperaturbeständigkeit: Silikone sind von etwa -40 bis 250°C stabil. Das sind wesentlich höhere Temperaturen, als praktisch alle anderen Alltagskunststoffe vertragen!
  • Silikone sind hydrophob: Sie bilden wasserabweisende Beschichtungen.

Nachteile

  • Silikone sind nur schwerlich biologisch abbaubar: Was die Natur nicht kennt, kann auch nicht von Lebewesen abgebaut werden. So bleiben Silikone, die in die Umwelt gelangen, dort lange Zeit erhalten. Auch die gute Witterungsbeständigkeit trägt zu diesem Umstand bei.
  • Silikone lassen sich nur schwerlich in Flüssigkeiten lösen: Sie sind weder wasser- noch fettliebend. Das heisst, sie lösen sich weder in Wasser noch in unpolaren organischen Lösungsmitteln wie Benzin wirklich gut. So lassen sie sich ohne besondere Hilfsmittel (Tenside mit auf sie abgestimmter Superwaschkraft) kaum abwaschen oder mit anderen Stoffen mischen und reichern sich dementsprechend leicht an.

Erscheinungsformen und Verwendung der Silikone

Silikonöle

Silikonöle bestehen in der Regel aus Ketten von Poly(dimethyl)siloxan, dem einfachsten Vertreter der Silikone. Sie sind bei Temperaturen von -60 / -35°C bis 250°C flüssig. Zum Vergleich: Wasser erstarrt bei 0°C und verdampft bei 100°C, Pflanzenöle verdampfen oft schon zwischen 100 und 150°C, wenn sie sich nicht zuvor zersetzen, und werden oft noch über dem Gefrierpunkt von Wasser zunehmend fest. Nicht so Silikonöle: Die sind immer gleich flüssig, ob bei Frost oder auf über 200°C erhitzt. Dazu kommen eine niedrige Oberflächenspannung und gute Durchlässigkeit für Gase.

Anwendungen für Silikonöle

  • Wärmeüberträger (Heizbad im Labor)
  • Gleit- und Schmiermittel
  • Hydraulikflüssigkeit, z.B. im frostkalten Sibirien
  • Antihaftbeschichtungen (Sektkorken, Aufkleberuntergrund, Garne,…)
  • Füllstoff für Implantate
  • Bestandteil von Kosmetik und Pflegeprodukten wie Haar-Conditionern

Silikone in Pflegeprodukten? Sind die nicht furchtbar böse?

In letzterem Bereich, Kosmetik und Haarpflegeprodukte, sind Silikone in den Medien sehr umstritten. Das rührt letztlich von ihrer Funktionsweise her. In Pflegeprodukten werden die unlöslichen Silikone durch aufwändige und genau abgestimmte ‚Formulierungen‘ mit den anderen Bestandteilen mischbar gemacht. So können wir sie z.B. mit einer Pflegespülung in die Haare einmassieren.

Beim Auswaschen mit Wasser geht diese Feinabstimmung allerdings verloren. Die Silikone verlassen folglich das Gemisch (Chemiker sagen „sie fallen aus“) und bleiben auf den Oberflächen, die sie gerade antreffen: Unseren Haaren. Und genau das ist ihr Sinn und Zweck: Die glatte, andere Stoffe abweisende Silikonschicht lässt die Haare glatt und glänzend wirkend. Da Silikone aber schlecht löslich sind, besteht die Gefahr, dass sie sich in immer dickeren Schichten ansammeln (Haarpflege-Experten nennen das „Build-up“). Den Haaren schadet das nicht direkt, aber sie werden dadurch immer dicker und schwerer.

Gleiches gilt auch für die Hautoberfläche: Ein sich dort bildender Silikonfilm kann allerdings auch den Stoffaustausch über die Haut und ihre Poren beeinträchtigen. So kann er die Entstehung bzw. Verschlimmerung von Hautunreinheiten fördern. Überdies gelangen ab- und ausgewaschene Silikonöle mit dem Abwasser in die Klärwerke, wo sie mangels Abbaubarkeit im unlöslichen Klärschlamm landen.

„Böse“ ist sehr relativ

ABER: Bei all dem sind Silikone nicht giftig. Anders als viele andere Stoffe stellen sie somit keine direkte Gefahr für uns und die Lebewesen in unserer Umwelt dar. Überdies sind sie laut meiner Kollegin Mai die am besten wirkenden Haar-Conditioner, die wir kennen. Hier ist das spannende Mailab-Video, in dem es auch um Silikone geht:

Deshalb haben sich die Hersteller von Haarpflegemitteln auch darum gekümmert, uns das Abwaschen von Silikonölen leichter zu machen.  Mit Hilfe von passenden Tensiden können Silikone nämlich durchaus mit Wasser gemischt werden (wenn auch nicht wirklich gelöst: „wasserlösliche Silikone“ sind Werbesprech für ebendiese Kombination von Silikonen mit „ihrem“ Tensid!). Es macht also durchaus Sinn, Conditioner (mit dem Silikonöl) und Shampoo (mit dem passenden Tensid) der gleichen Produktreihe zu verwenden, sodass etwaige Silikonreste von der letzten Behandlung vor dem Eintreffen der nächsten Ladung beseitigt werden können.

Polyquaternium: (K)Eine Alternative

Eine verbreitete Alternative zu Silikonen in Kosmetik sind Polyquaterniumverbindungen. Das sind Polymere, die z.B. Zellulose ähneln, aber zusätzlich Stickstoffatome mit vier Bindungen enthalten. Da Stickstoffatome aber auf nur drei Bindungen ausgelegt sind, sind solche „quartären Amine“ positiv geladen. Die funktionieren als Conditioner nicht ganz so gut wie Silikone, machen aber die gleichen Schwierigkeiten.

Zudem können Polyquaterniumverbindungen (wie z.B. Polyquaternium-7) Pigmentpartikel binden und so zu hartnäckigen Flecken auf Textilien (Handtüchern!), mit denen sie in Berührung kommen, führen. Und das lässt sich, nachdem sich die Verbindungen beim Duschen auf Haut und Haaren abgelagert haben, beim Abtrocknen kaum vermeiden.

Dahingegen ist die Angst vor Verunreingigungen von Polyquaternium-Verbindungen mit Acrylamid, unbegründet: Heute weiss man, dass wir mit der Nahrung wesentlich mehr (und immer noch zu wenig, um uns zu schaden) davon aufnehmen, als dass Spuren in Pflegeprodukten eine Rolle spielen würden.

Verwenden oder nicht?

Wie oft ist eine pauschale Aussage dazu schwierig, da Menschen so verschieden sind. Ich halte es da mit Mai: Sie hat lange, asiatisch-dicke Haare, bei denen ein Conditioner viel bewirken kann. Deshalb zieht Mai die wirksamen Silikone den Alternativen vor. Um eine Belagerung der Kopfhaut zu vermeiden, trägt sie den Conditioner allerdings nicht auf die Kopfhaut, sondern nur auf die unteren Enden der Haarsträhnen auf.

Menschen wie ich mit feinen Haaren, die zum Fetten neigen, haben allerdings weniger von der Wirkung eines Conditioners und mehr von seinen unerwünschten Eigenheiten. Deshalb benutze ich in der Regel auch keinen. Nichts desto trotz hat ein professioneller Conditioner vom Coiffeur (Friseur) mit Silikonöl (den habe ich für „Notfälle“) auch bei mir neulich Wunder in Sachen Kämmbarkeit gewirkt, nachdem sich meine Mähne nach einem Ausflug vollkommen verzottelt hatte.

Auch meine Sonnencreme enthält übrigens Silikonöl – das würde erklären, warum ich das Gefühl habe, dass der Wärmeaustausch über die beschmierte Haut beeinträchtigt ist. Aber ich vertrage das Produkt sonst sehr gut und sein Nutzen ist unumstritten, sodass ich es weiter verwenden werde.

Wer allerdings zu Hautunreinheiten neigt, sollte von Silikonen (und Polyquaternium) auf der Haut besonders Abstand nehmen.

Woran ihr Silikone in Produkten erkennt

Auf der Verpackung jedes Kosmetik- und Pflegeprodukts findet ihr eine Liste mit seinen Inhaltsstoffen gemäss der Internationalen Nomenklatur für Kosmetik-Inhaltsstoffe (INCI). Auch wenn diese Bandwurmnamen Nicht-Chemikern oft kryptisch erscheinen, sind Silikone doch leicht zu erkennen, da sie auf -cone oder -xane enden. Ein verbreitetes Beispiel ist Dimethicone – eine INCI-Bezeichnung für Poly(dimethyl)siloxan.

Polyquaternium-Verbindungen erscheinen in der Liste übrigens als „Polyquaternium“ in Verbindung mit einer Zahl, z.B. „Polyquaternium-7“.

Silikonkautschuk

Flexible Backform aus Silikonkautschuk im Vergleich mit klassischer Backform aus Metall
Links: Flexible Kuchenform aus Silikonkautschuk: Dieser Kunststoff hält locker eine Stunde im Backofen aus! (EvaK / CC BY-SA)

Silikonkautschuk hat mit echtem Kautschuk, einem Naturprodukt, nichts gemein ausser der gummiartigen Konsistenz. Die bewahrt Silikonkautschuk dafür in dem grossen Temperaturbereich von -75 bis 250°C. Und das ganz ohne Weichmacher! Diese Konsistenz, die ihn zu einem praktischen Ersatz für echten Kautschuk macht, hat dem Silikonkautschuk seinen Namen gegeben. Er besteht aus miteinander vernetzten Silikonketten. Die sind allerdings auch unvernetzt als Paste oder Gussmasse lagerbar, sodass die Vernetzung zum „Gummi“ an der Luft binnen Stunden oder Minuten herbeigeführt werden kann. Zudem ist Silikonkautschuk nicht nur wie alle Silikone sehr reaktionsträge, sondern man kann – anders als bei Naturprodukten – leicht nachvollziehen, was genau darin ist.

Silikonkautschuk...aber was ist das?
Was ist das wohl? (Tatsuo Yamashita / CC BY)

Anwendungen für Silikonkautschuk

  • Elastische Back- und Eiswürfelformen
  • Nuggis (Schnuller) und Sauger für Babyflaschen
  • Dichtungsmasse für Fugen (zum Aushärten an der Luft)
  • Implantate
  • Technische Bauteile, Kabelummantelungen, elektrisches Isoliermaterial
Faltbarer Becher aus Silikonkautschuk
Ein faltbarer Becher aus Silikonkautschuk! Platzsparend für die Handtasche… Den Symbolen auf der Packung nach nehmen Japaner mit dessen Hilfe wohl ihre Tabletten. (Tatsuo Yamashita / CC BY)

Silikonharze

Noch stärker vernetzt als im Silikonkautschuk sind die Ketten in Silikonharzen. Dementsprechend sind diese Stoffe hart oder thermoplastisch (d.h.. nur bei höheren Temperaturen formbar). Sie können in flüssiger bzw. plastischer, also wenig vernetzter Form vertrieben und nach dem Auftragen durch Hitzeeinwirkung zum Aushärten gebracht werden. Die gehärteten Silikonharze sind dann sehr beständig gegenüber Wettereinflüssen.

Strukturformel für ein Silikonharz
Dicht vernetzt: Struktur eines Silikonharzes

Anwendungen für Silikonharze

  • Temperatur- und witterungsbeständige Lacke und Beschichtungen
  • Gebäude-Schutzüberzüge (wasserabweisend)
  • Isolierlacke
  • Giessharz für Isoliermaterial

Zusammenfassung

Silikone sind reine Kunstprodukte, die einzigartige Vorteile für viele Anwendungen bieten. Vor allem in Bereichen, in welchen sie mit dem Körper in Kontakt kommen oder hohe Temperaturen herrschen, denen andere Kunststoffe nicht standhalten, sind sie sehr beliebt. Nachteilig ist die schwierige Abbaubarkeit in der Umwelt – die aber dadurch relativiert wird, dass Silikone für Organismen nicht giftig sind!

Wie rund um alle Kunststoffe wird auch zu Silikonen laufend geforscht und Materialien weiterentwickelt, sodass von früher bekannte Nachteile heute immer weniger von Bedeutung sind. So ordne ich die Silikone heute mehr denn je als „sauberste“, also ungiftigste und risikoärmste Vertreter der grossen Familie die Kunststoffe ein.

Und wie steht ihr zu Silikonen? Achtet ihr darauf, wo ihr ihnen begegnet? Verwendet ihr gezielt silikonfreie Pflegeprodukte? Wenn ja, zu welchen Alternativen greift ihr? Oder seht ihr den Silikonen ähnlich gelassen entgegen wie Mai und ich?

Experiment DIY Kinetischer Sand - und wie er funktioniert

Die grossen Ferien sind auch in den spätesten Kantonen und Bundesländern vorbei und der Sommer geht zu Ende. Wer denkt da nicht manchmal wehmütig an die Strandferien zurück? An das Gefühl von Sand zwischen Zehen und Fingern, an Sandburgen und andere Küsten-Kunstwerke?

Das alles muss aber nicht bis zum nächsten Jahr warten. Für Sehnsuchtsvolle gibt es nämlich ein Spielzeug, mit dem es sich auch an Schlechtwettertagen herrlich „sändelen“ lässt: Kinetischer Sand. Den kann man entweder im Kaufhaus kaufen, online bestellen (Kinetic Sand® und ähnliche) – oder selber machen.

Ich habe meinen kinetischen Sand selbst gemacht und zeige euch, wie ich das hinbekommen habe. Und natürlich auch die Chemie, die dahinter steckt (und ganz und gar ungefährlich ist!). Denn wenn man versteht, was man da zusammenrührt, funktioniert es am besten und macht auch noch am meisten Spass.

 

Wie aus Sand Burgen werden

Jedes Kind, das gerne Sandburgen baut, weiss eines: Dazu braucht man nassen Sand. Wenn man trockenen Sand auftürmen oder gar formen will, fliesst der nämlich sofort auseinander und verteilt sich überall.

Nasser Sand dagegen pappt zusammen. Aber wieso eigentlich? Der gewöhnliche Strandsand besteht zu grössten Teilen aus Quarz, also aus Siliciumdioxid, SiO2. Das sind Kristalle, in denen Sauerstoff-Atome abwechslungsweise mit Silicium-Atomen verbunden sind. Darin ähnelt Quarz in gewisser Weise dem Wasser (und noch mehr einem Eiskristall): Darin wechseln sich nämlich Sauerstoffatome mit Wasserstoffatomen ab.

Aus diesem Grund finden sich Quarz und Wasser überaus anziehend – sie werden von „zwischenmolekularen Kräften“ zusammen gehalten. Diese Kräfte wirken auch zwischen verschiedenen Wassermolekülen (wie das genau funktioniert, erkläre ich beim Experiment mit dem krummen Wasserstrahl). So können Wassermoleküle untereinander zusammenhalten und zwischen den Oberflächen von Sandkörnern regelrechte Wasserbrücken formen – sodass feuchte Sandkörner unwillkürlich zusammen pappen. Das Wasser wirkt also wie ein formbarer „Zement“ zwischen den Sandkörnern!

Dort wo sich die Oberflächen der runden Sandkörner nicht so nahe kommen, bleiben Zwischenräume, die mit ein Bisschen Luft gefüllt sind.

Die Kräfte zwischen den Molekülen sind dabei eben so stark, dass die Sandkörner aneinander haften, aber so schwach, dass Kinderhände das Netzwerk aus Wasserbrücken zwischen Sandkörnern spielend leicht verformen können.

Dabei gibt es allerdings ein Problem: Wasser verdunstet relativ schnell – besonders an trockener Luft oder gar an der Sonne. Und dann beginnt die schöne Sandburg rasch wieder zu bröseln und zu Sandlawinen zu zerfallen.

 

Was ist kinetischer Sand?

Was wäre aber, wenn man einen „Zement“ hätte, der nicht so leicht verdunstet? Das haben sich wohl die Erfinder von „Kinetic Sand®“ gedacht – und ihren trockenen Sand mit Silikonöl (genauer gesagt „Polydimethylsiloxan“, PDMS) gemischt.

Silikon: Ein ganz besonderer Kunststoff

Silikone sind Kunststoffe aus langen Molekülketten, sogenannte Polymere. Anders als die meisten anderen Kunststoffe aus Kohlenstoff bestehen die Ketten der Silikone jedoch aus Silicium-Atomen, die sich mit Sauerstoff-Atomen abwechseln (Silicium ist Kohlenstoff in vielen chemischen Dingen sehr ähnlich). Das hatten wir doch schon….genau: Quarz. Tatsächlich sind sich die Silikon-Ketten und Quarz so ähnlich, dass auch zwischen ihnen anziehende zwischenmolekulare Kräfte wirken können.

Beim PDMS trägt übrigens jedes Siliciumatom noch zwei „Methylgruppen“ aus Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen, daher der Name:

Kinetischer Sand braucht "Zement" - Hier das Original: Polydimethylsiloxan

Ein Glied einer PDMS-Kette: Der Buchstabe n steht für eine beliebige Zahl solcher Glieder, die eine Kette bilden.

Und dazu kommt noch etwas: Silikone sind bei „lebendigen“ Bedingungen, also in und um Körper von Lebewesen, sehr reaktionsträge, was sie unter den Kunststoffen besonders ungiftig macht. So sind Silikone als Material für Brustimplantate berühmt geworden und finden in der Medizin noch viele andere Anwendungen. Im Haushalt kennt ihr sie vielleicht als Material für elastische Backformen und -pinsel oder als Fugenmasse im Badezimmer.

Je nach der Länge und Vernetzung ihrer Moleküle können Silikone unterschiedliche Eigenschaften haben. Sind die Moleküle kurz genug und wenig bis gar nicht vernetzt, bilden sie bei Raumtemperatur mehr oder weniger zähe Flüssigkeiten: Silikonfette oder -öle. Die sind ihrer Reaktionsträgheit wegen bei Labor-Chemikern als Schmiere für ihre Glasapparaturen oder als Wärmeüberträger (Silikonöle verdunsten kaum und können viel heisser als Wasser werden, bevor sie zu kochen beginnen!) sehr beliebt.

Mehr zu Silikonen erfahrt ihr hier in Keinsteins Kiste.

Silikon als perfekter „Zement“ für Sandburgen?

Eine ölig-zähe Flüssigkeit, die chemisch inert ist und schwer verdunstet – und zu den passenden Wechselwirkungen zu Sandkörnern fähig ist… die wäre doch ein perfekter „Zement“ für Spielsand für kleine Kinder! Leider bekommt man Silikonöl nicht einfach so im Supermarkt. Deshalb haben schon viele DIY-begeisterte Mütter und BloggerInnen nach passenden Ersatzstoffen für PDMS gesucht. Mit mehr oder weniger grossem Erfolg.

Ich habe mitgesucht und zeige euch meinen persönlichen Favoriten: Der besteht ausschliesslich aus Quarzsand und Lebensmittelzutaten, lässt sich prima formen und kneten. Damit eignet sich dieser kinetische Sand auch für die ganz Kleinen, die schonmal etwas davon in den Mund nehmen.

 

Rezept: Kinetischer Sand selbstgemacht

Ihr braucht dazu

2 Tassen feinen Sand (Dekorsand oder gesiebten Vogelsand)
1 Tasse Maisstärke (Stärkemehl, z.B. Maizena)
Etwas Wasser
Etwas Speiseöl
Eine runde Schüssel, Schneebesen, Löffel

Was ihr braucht: Sand, Stärkemehl,Wasser,Schüssel,Schneebesen - dazu kommen: Löffel,Öl

Wenn ihr mehr Sand zum Spielen möchtet, nehmt einfach mehr von den Zutaten. Auf ein beliebiges Volumen Sand kommt dabei immer die Hälfte dieses Volumens an Stärkemehl!

So geht es

Gebt den Sand und Stärke trocken in die Schüssel und vermischt sie mit dem Schneebesen sehr gründlich. Es sollten am Ende keine Stärkeklumpen mehr zu sehen sein.

Kinetischer Sand gut gemischt: Sand und Stärke lassen sich fast nicht mehr auseinander halten

So sind Sand und Stärke gründlich vermischt.

Gebt dann langsam etwas Wasser hinzu. Für zwei Honigglas-Deckel Sand und einen Deckel Stärkemehl habe ich etwa 30ml Wasser gebraucht.

Mischt und knetet mit dem Löffel weiter, bis eine formbare Masse entsteht. Wenn ihr die Masse mit einer Hand aus der Schüssel heben könnt, knetet sie auf dem Tisch weiter und formt eine Mulde.

Sandmasse mit Mulde: Darin befinden sich 1-2ml Speiseöl.

Meine Probier-Portion: Die Mulde ist so gross wie ein Eidotter: Darin befinden sich 1-2ml Speiseöl. Jetzt verkneten!

Gebt etwas Speiseöl hinein und verknetet das Ganze. Wiederholt diesen Schritt allenfalls, bis euer Sand die gewünschte Geschmeidigkeit und Textur hat. Ich habe in die Hälfte meiner urpsrünglichen Mischung etwa 2ml Speiseöl eingeknetet.

Die richtige Mischung: Dieser Sandball hält zusammen!

So ist die Mischung gut: Der Sandball hält zusammen!

Dies ist ein Zeichen für eine gute Mischung: Kinetischer Sand lässt sich zu einem Ball formen, welcher nicht auseinander fällt! Dann hält der Sand nämlich so fest zusammen, dass der Ritter vom Titelbild darauf reiten kann!

Ein Pferd aus kinetischem Sand trägt den Spielzeug-Ritter

 

Inzwischen bin ich mit dem Bloggen fertig – drei Stunden sind vergangen: Das Pferd (wie auf dem Titelbild) steht immer noch unversehrt auf dem Küchentisch!

Wer es bunt mag, kann den Sand auch mit Lebensmittelfarbe einfärben (rührt dazu die Farbe ins Wasser ein, bevor ihr es zu Sand und Stärke gebt). Ich gebe aber keine Garantie, dass dann beim Spielen die Finger nicht auch bunt werden!

Wie funktioniert das?

Auch Stärke besteht aus Molekülketten – die einzelnen Kettenglieder sind Zucker-Ringe aus Kohlenstoff-, Sauerstoff- und Wasserstoffatomen. Wieder sind Sauerstoff-Atome im Spiel, die sich mit passenden anderen Atomen abwechseln. So können auch zwischen Stärke und Wasser und Sand anziehende zwischenmolekulare Kräfte wirken.

Kinetischer Sand braucht "Zement": Ausschnitt aus einem Stärkemolekül mit Verzweigung (Amylopektin)

Ein Ausschnitt aus einem Stärkemolekül mit Verzweigung (unverzweigte gibt es auch): Zu sehen sind vier Zucker-Einheiten, an den gestrichelten Linien folgen weitere. An jeder Ecke ohne Buchstaben befindet sich ein Kohlenstoff-Atom (C). Zwischen Wasserstoff- und Sauerstoff-Atomen gibt es sogenannte polare Bindungen, die für die anziehenden Kräfte zwischen Stärke und Wasser notwendig sind.

Die knäulen sich zu porösen Körnern zusammen, welche sich mit Wassermolekülen vollsaugen können (wie die Hydroperlen in diesem Experiment, nur sind Stärkekörner sehr, sehr viel kleiner!). So quellen die Körner und pappen dank den zwischenmolekularen Kräften mit dem Wasser zusammen. Vom Kuchenbacken kennt ihr das: Mehl und Wasser ergeben miteinander eine klebrige Pampe.

Wenn man Stärke erwärmt, können sogar richtige chemische Bindungen zwischen den Ketten entstehen: Das Ganze verkleistert – deshalb werden Kuchen fest. So weit wollen wir aber nicht gehen, denn der kinetische Sand soll ja „kinetisch“, also beweglich, sprich formbar bleiben.

Damit die Stärkepampe nicht an den Händen klebt, gebe ich – analog zum Einfetten einer Backform – noch einen Schuss Speiseöl dazu. Das Öl ist nicht mit Wasser mischbar, denn zwischen seinen Molekülen wirk eine andere Sorte Kräfte. So nimmt durch die Zugabe des Öls die pappende Wirkung der Stärke ein wenig ab. Ingesamt wird der Sand aber sehr geschmeidig und hält nach wie vor so gut, dass selbst mein Pferdekopf der Schwerkraft trotzt. Und: Das Speiseöl verdunstet nicht mal eben!

 

Was zu beachten ist/Entsorgung

Zu empfehlen: Indoor-Sandkasten

Vollkommen sauber ist wohl kein selbstgemachter kinetischer Sand. Ein paar Körner lösen sich immer davon und bleiben an Händen oder Umgebung haften. Deshalb empfehle ich, eine Kunststoff-Wanne oder ein Tablett zum Indoor-Sandkasten zu erklären, um den Sand etwas zu bändigen. Wenn dann doch mal was daneben geht, kann es einfach aufgefegt und in den Abfall entsorgt oder mit dem Staubsauger aufgesaugt werden.

Wascht eure Hände nach dem Spielen am besten mit Seife – dank der Superwaschkraft der Tenside darin bekommt ihr das Öl so ganz einfach wieder von den Fingern.

Haltbarkeit dieses kinetischen Sandes

Stärkemehl und Öl sind Lebensmittel – also nicht-sterile, biologische Produkte. Solche halten natürlich nicht ewig, zumal ich beim Anrühren ganz bewusst auf Konservierungsmittel verzichtet habe. Bewahrt den kinetischen Sand nach dem Spielen am besten in einer geschlossenen Tupper-Dose im Kühlschrank auf. Lasst ihn nach dem Herausnehmen ggfs. erst auf Raumtemperatur warm werden. Speiseöl wird nämlich in der Kälte fester, sodass der kalte Sand steif sein kann.

Dann sollte er einige Wochen oder gar Monate halten. Achtet einfach auf die Äusserlichkeiten: Wenn der Sand ranzig riecht oder schimmelt, macht besser neuen. Der alte Sand kann in den Restmüll entsorgt werden.

Jetzt wünsche ich euch aber erstmal viel Spass beim „Sändelen“! – Wie spielt ihr denn am liebsten mit Sand? Kennt ihr noch andere Rezepte für Indoor-Sand?

Hast du das Experiment nachgemacht:

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Wenn etwas nicht oder nur teilweise funktioniert haben sollte, schreibt es in die Kommentare. Ich helfe gerne bei der Fehlersuche!